Das ist doch genau mein Punkt: Es ist eine komplexe Gemengelage, die man nicht zu sehr vereinfachen sollte. Polizeigewalt kann viele Gründe haben, bei denen die Schuldfrage jeweils anders zu beurteilen ist. Ein Polizist, der in einer völlig friedlichen Situation „austickt“, ist individuell schuld (insofern dieses Verhalten für die Polizei nicht erwartbar war, daher im Auswahlprozess keine Fehler gemacht wurden und auch in der Ausbildung keine Auffälligkeiten festgestellt wurden), bei einem Polizeieinsatz mit unverhältnismäßiger Gewalt liegt die Schuld vor allem bei der Einsatzleitung und in manchen Situationen ist Polizeigewalt einfach ein trauriger Kollateralschaden, der sich nie zu 100% vermeiden lässt (wie viel Gewalt in welcher Situation zulässig ist, ist stets eine komplexe Abwägung - und hier werden zwangsläufig immer mal Fehler gemacht werden, weil der Polizist vor Ort oder die Einsatzleitung die Situation z.B. falsch einschätzt oder, wie bei den Polizisten, die meinen, Schmerzgriffe bei friedlichen Demos seien in Ordnung, die rechtliche Lage falsch einschätzt. Deshalb steigt die Gefahr für Polizeigewalt mit der Zahl solcher Abwägungen, und die Zahl dieser Abwägungen steigt mit der Unfriedlichkeit der Demonstration - auf der typischen DGB-Marktplatz-Demo müssen einfach keine Abwägungen getroffen werden, die fehlgehen könnten…)
Die Verantwortung liegt natürlich immer auch beim Staat und solche Fälle müssen in jedem Fall deutlich besser aufgeklärt werden, als das aktuell der Fall ist (auch hier haben wir denke ich keinen Dissens), der Unterschied ist eher, dass du die Sache von einer sehr idealistischen Position aus betrachtest, während ich versuche, mich in die Situation der Beamten vor Ort hineinzuversetzen und anerkenne, dass hier viele komplexe Entscheidungen und Abwägungen in kurzer Zeit getroffen werden, was immer mal wieder zu Problemen führen wird.
Du hast hier ein „keine“ überlesen. Ich zitiere nochmal (Hervorhebung durch mich):
Auch hier sind vielleicht Definitionen wichtig. Eine krasse Ausnahme wäre ein Auftreten in unter einem von 100 Fällen. Daher: Auf 100 Klimakleber kommt maximal eine Schmerzgriff-Androhung oder ein Schmerzgriff.
Eine Ausnahme ist nach meiner Definition alles zwischen 1 und 20%. Daher: in 80-99% der Fälle (also der mehr als qualifizierten Mehrheit) wird keine Polizeigewalt ausgeübt. Das dürfte die Situation im Hinblick auf die Schmerzgriff-Androhungen (oder gar Durchführungen) sein.
Das meine ich, wenn ich sage, dass es eine Ausnahme, aber keine krasse Ausnahme sei.
Im Rest des Beitrages gebe ich dir absolut Recht. Wie gesagt, ich sehe hier eigentlich keinen Dissens in der Sache, sondern nur in der Darstellung. Dass gegen Polizeigewalt unbedingt stärker vorgegangen werden muss und Polizeigewalt (z.B. auch die Androhung von Schmerzgriffen) erhebliche Auswirkungen auf das Opfer haben kann und jeder Fall von Polizeigewalt aufgeklärt werden muss und Konsequenzen für die Beamten haben muss, da sind wir uns absolut einig. Auch darüber, dass die Ausbildung der Polizei deutlich stärker auf Deeskalation ausgerichtet werden muss, sind wir uns einig. Ebenso sind wir uns wohl einig, dass wir dringend eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte brauchen und Gesetze, die verhindern sollen, dass Fehlverhalten von Polizisten gerichtsfest dokumentiert werden können, ein riesiges Problem sind (siehe die Diskussion darüber, ob Video- und Tonaufnahmen von öffentlichen Polizeieinsätzen rechtswidrig sind).
Ich finde es etwas schade, dass ich in eine Richtung gedrängt werde, die ich eigentlich nicht vertrete. Ich versuche nur, die Sache möglichst differenziert zu betrachten und kritisiere daher zu schwarz-weiße Darstellungen.
Ich weiß nicht, wen Du mit diesen ganzen impliziten Zuschreibungen meinst, aber ich habe weder vereinfacht, noch unzulässig verallgemeinert oder „Schwarz-Weiß-Bilder“ gezeichnet, habe niemals von einer „Schuldfrage“ gesprochen oder irgendwen in irgend eine „Ecke gedrängt“ - ich habe übrigens auch nie etwas über Banlieues gesagt. Ich habe mich lediglich an Deiner Argumentation einer „Eskalationsspirale“ gestört, die für das Ausmaß von Polizeigewalt bei Demonstrationen letztlich das Verhalten der Demonstrierenden verantwortlich macht. Dem habe ich mehrfach widersprochen, wobei Du auf meine Einwände und Argumente m. E. nicht wirklich eingegangen bist. Du hast dann unterschiedliche andere, sich zum Teil widersprechnde Begründungen für Polizeigewalt vorgebracht, auf die ich in meinen letzten beiden Posts eingegangen bin. Und nun bist Du mit Deiner „Skala“ halt im Kern wieder zu Deiner ursprünglichen Argumentation zurückgekehrt. Und die würde ich immer noch so beurteilen, wie ich es in meiner ersten Antwort auf Dich getan habe - insofern können wir diesen Disput jetzt auch gut beenden.
Nein, ich mache die Demonstrierenden nicht verantwortlich, sondern aller höchstens mitverantwortlich in dem Sinne, dass durch illegale Verhaltensweisen von Demonstrierenden eine Erhöhung der Gefahr eintritt. Der Kern der Aussage ist jedoch nicht die Verantwortung (ich habe doch mehr als einmal gesagt, dass der Staat natürlich eine höhere Verantwortung trägt!), sondern schlicht Ursachen und Wirkungen zu verdeutlichen.
Polizeigewalt ist nie gerechtfertigt. Das habe ich mehr als einmal gesagt.
Aber ich will erklären, welche Zustände und Verhältnisse die Gefahr der Entstehung von Polizeigewalt erhöhen.
Und im Kern ging es bei allen diesen Aussagen um die Zustände in Frankreich und eben die Beobachtung, dass wenn die Vorstädte brennen und hunderte Polizisten teilweise schwer verletzt werden, eine massive Gewaltspirale im Gang ist - und hier haben dann in der Tat auch die Demonstrierenden, die brennende Barrikaden errichten oder Autos anzünden eine Mitschuld. Ebenso wie die Versuche von Demonstranten, eine Polizeikette zu durchbrechen (wie gesagt, ich habe bei sowas selbst mehr als einmal teilgenommen!), eben eine erhebliche Gefahr setzen, dass es zu Polizeigewalt kommen kann. Das macht die Polizeigewalt nicht besser, aber zeigt ein wenig das Dilemma, in der sich der Staat befindet.
Gerade in Bezug auf Frankreich finde ich es halt problematisch, darauf zu zeigen, dass die Polizei mit harten Bandagen kämpft, wenn gleichzeitig die Vorstädte brennen. Da will ich mich einfach nicht auf eine Seite stellen.
Sorry Daniel. Da habe ich mich einfach mal verlesen.
Ich für meinen Teil wollte dir auch nicht wiedersprechen, sondern eher noch mal betonen was Polizeigewalt so verheerend macht.
also eher weg von der Quantität , eher auf die Qualität bezogen.
Das steht nicht als Wiederspruch da, und ich sehe auch keinen Dissens , sondern eine Herausarbeitung des Themas.
Das Ringen um Feinheiten würde ich so verstehen , dass die Ungeheuerlichkeit die Polizeigewalt darstellt vielschichtige, tiefe Emotionen auslöst und das wiederum auch kleinste Nuancen in Sprache und Ton ein Störgefühl auslösen können .
Sich mit Tätern zu beschäftigen ist wichtig für eine Aufarbeitung. Leider komnen aber Opfer systematisch zu kurz . So dass allein die Täterperspektive zu beschreiben immer Gefühle heraufbeschwört .
Das ist ein Dilemma.
Aus meiner Sicht ist das das Thema hinter dem Thema.