Theoretisch ja, praktisch eher nein.
Das Problem sehe ich eher darin, dass die Wahlbeteiligung mit steigendem Lebensalter kontinuierlich steigt. Also bevor wir diskutieren, die Stimmen älterer Wähler abzuwerten, sollten wir vielleicht diskutieren, wie wir die Wahlbeteiligung unter den jüngeren Menschen deutlich steigern können.
Wobei das Problem eher die Kohortengröße ist. Die Wahlbeteiligung in den Altersgruppen hat sich von 2013 auf 2021 eigentlich sehr positiv entwickelt (vergleiche die Kurven hier), aber die Kohorte der 60 bis 70-Jährigen ist halt signifikant größer als die Kohorte der 20 bis 30-Jährigen (2021 waren schon 58% der Wahlberechtigten über 50, 2013 waren es nur 53%, 2002 nur 45%… die Entwicklung dieses Trends die letzten Jahre ist massiv…)
Art. 38 Abs. 1 GG sagt: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.“. Das Element der Gleichheit wird dabei als Stimmwertgleichheit ausgelegt, daher: Jede Stimme muss den gleichen relativen Einfluss auf das Wahlergebnis haben. Eine Änderung des Grundgesetzes wäre daher nötig.
Es würde zu zahlreichen Problemen an anderer Stelle führen. So ist z.B. zwar völlig nachvollziehbar, dass die jüngere Generation mehr Mitspracherecht bei Fragen haben sollte, deren Auswirkung sich erst in 20+ Jahren zeigen werden, aber gleichzeitig ist klar, dass die Höherwertigkeit von Stimmen junger Menschen auch zu systematischer Benachteiligung alter Menschen führen könnte, z.B. bei Fragen nach dem Rentensystem und der Rentenhöhe, wo letztlich ein Generationenkonflikt in umgekehrter Richtung herrscht.
Da die alten Menschen die deutliche Mehrheit der Wähler ausmacht und in der Demographie auch eine höhere Wahlbeteiligung herrscht (die bei der Drohung, das Stimmgewicht der Alten zu senken, vermutlich noch mal steigen würde…) und zudem für eine Grundgesetzänderung eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig ist würde ich sehr, sehr stark davon ausgehen, dass die Aussicht auf Erfolg auf absehbare Zeit gleich Null ist.
Statt die Gleichheit der einzelnen Stimme aufzuheben, indem das Gewicht der einzelnen Stimme reduziert wird, könnte man ein Kohortenwahlrecht einführen, daher:
Die Wähler werden unterteilt in Kohorten von jeweils 20 Jahren (18-37-jährige, 38-57-jährige, 58±jährige). Jede dieser Kohorten schickt die gleiche Anzahl Abgeordneter in den Bundestag (z.B. 200 pro Kohorte bei einer Soll-Größe von 600 Abgeordneten). Auf dieser Grundlage ließe sich argumentieren, dass die Gleichheit der Wahl erhalten bliebe. Ob das BVerfG das im Zweifel abnicken würde wäre interessant.
Dennoch müsste für eine so umfassende Wahlrechtsänderung das Grundgesetz an zahlreichen Stellen geändert werden, was die Parteien (die auch eher aus alten Menschen bestehen und dort ihre Wählerschaft haben…) definitiv nicht wollen, zumal man das System dann im Hinblick auf die Wahlkreis-Direktmandate komplett eindampfen müsste…
Realistisch sind größere Wahlrechts-Änderungen daher generell nicht… unsere Politik kann sich nicht mal auf kleinste Wahlrechtsänderungen im Hinblick auf die Größe des Bundestags und die Überhangmandate einigen