Das Kinder keinen Wert haben für unsere Regierung fasst Sascha Lobo treffend zusammen:
Nur ein heruntersetzen des Wahlalters auf 14 hilft da. Außerdem sollten Eltern bis die Kinder selbst wählen dürfen eine Stimme pro Kind extra abgeben dürfen. Anders werden die Macht verliebten Bundespolitiker nichts für die Schwächsten der Gesellschaft tun.
Volle Zustimmung zum Artikel, aber keine Zustimmung zum zweiten Teil der Schlussfolgerung. Lobo schreibt unter anderem ja auch:
Irgendwie scheinen Kinder aber nicht nur in der Politik, sondern auch bei den Wählenden keine überragend hohe Priorität zu genießen. Denn der einzige Grund, warum die CDU nicht bei 40 Prozent steht, ist, dass Angela Merkel nicht wieder antritt.
Ich verstehe - aus politischer Perspektive - den Ansatz nicht, warum man die Lösung bei denen suchen sollte, die man als Teil des Problems identifiziert. Und aus demokratietheoretischer Perspektive halte ich die Annahme, dass Eltern die politische Willensbildung ihres minderjährigen Kindes besser einschätzen könnten als dieses selbst für ziemlich gruselig.
Ich glaube nicht, dass es um die politische Willensbildung des minderjährigen Kindes geht bei dem Vorschlag.
Ich interpretiere ihn eher so, dass Eltern ein höheres Gewicht in der Willensbildung bekommen, weil sie mehr Stimmen haben, ähnlich wie einst, als die Stimmenanzahl an Titel oder Vermögen gekoppelt waren.
Genau das ist mein Ansatz. Zur Zeit sind Kinder für die Politik im schlimmsten Fall Ballast ohne Gewinn. Es ist zutiefst undemokratisch, dass Kinder keine Stimme haben, aber mit 15 bereits eine Ausbildung machen dürfen und arbeiten gehen. Da sehe ich ein wirklich großes Problem.
Mir erschließt sich nicht, wie eine Wahlrechtsänderung, die Eltern entweder ein stellvertretendes Wahlrecht zuerkennen und sie dazu anhalten würde, im Sinne ihrer Kinder zu entscheiden, oder ihnen originäre Zusatzstimmen für die Anzahl ihrer Kinder gewähren würde, zur Lösung des beschriebenen Repräsentationsproblems beiträgt.
Die empirischen Studien, die mir bekannt sind, deuten darauf hin, dass sich das Wahlverhalten von Eltern und Nicht-Eltern zumindest bundesweit nicht signifikant voneinander unterscheidet. [1] Es ist natürlich möglich, dass es da mittlerweile neuere Erkenntnisse gibt. Darüber hinaus gibt es auch keinen Mechanismus, der Eltern dazu bringen könnte, ihrer stellvertretenden Wahlentscheidung ausschließlich die Interessen des Kindes im Hinblick auf policies, die dessen Wohl betreffen, zugrunde zu legen - geschweige denn einen Konsens darüber, was alles unter diese Interessen zu subsumieren wäre.
Eine weitaus elegantere - wenngleich freilich keinesfalls unproblematische - Lösung wäre m.E. die Abschaffung der Altersgrenze und folglich das Wahlrecht ab der Geburt.
[1] Vgl. Achim Goerres, Guido Tiemann: Kinder an die Macht? Die politischen Konsequenzen des stellvertretenden Elternwahlrechts, in: Politische Vierteljahrsschrift 50 (2009), H. 1, S. 50-74.
Es geht mir darum, dass derzeit Kinder und Jugendliche für die Politik ein toter Fleck sind, weil Sie keine Stimme haben oder glaubst du einen Abgeordneten juckt es wenn die protestieren. Anhand der Klimapolitik kann man dazu wohl klar sagen Jugendliche sind ohne Wahlrecht Bürger 2. Klasse. Mir ist persönlich egal, ob das Wahlrecht über die Eltern ausgeübt wird bis das Kind 14 ist oder ob Kinder früher wählen, aber demografisch haben wir derzeit ein absolut undemokratisches und ausgrenzendes System.
Erstmal vielen Dank für das Bereitstellen der Studie! Ich habe die Studie bisher nur überflogen, aber mir ist insbesondere aufgefallen:
„Für die vergleichende Bestimmung der Erklärungsfaktoren von Wahlentscheidungen der Eltern und Nicht-Eltern verwenden wir die Nachwahlstudie zur Bundestagswahl 2005.“ Die Studienergebnisse basieren folglich auf einer sehr dünnen Datengrundlage.
Die Studie kommt für Westdeutschland für alle Wahlen zu dem Ergebnis, dass Eltern deutlich weniger CDU+FDP wählen und dafür mehr SPD+Grüne (etwa 6–10%). Damit hätte es 2005 womöglich für eine rot-grüne Regierung gereicht, mindestens aber für eine rot-schwarze Regierung.
Zusätzlich möchte ich noch anmerken, dass die Studie das Verhalten der Parteien analysierte, wenn es gerade kein Kinderwahlrecht (in welcher Umsetzung auch immer) gibt. Die Situation könnte folglich vollkommen anders aussehen, wenn die Parteien sich genötigt sehen explizit um die Stimmen der Kinder zu werben (bzw. zwischen den Stimmgewinnen aus den verschiedenen Generationen abwägen müssen).
Dass Kinder in politischen Diskussionen (nicht nur gegenwärtig) keine oder nur eine geringe Rolle spielen, ist nicht zu leugnen, aber den Vorschlag, einfach die Stimmen auf die Eltern zu übertragen, halte ich aus verschiedenen Gründen für falsch.
Das Thema wurde in diesem Thread schon mal ausführlich diskutiert:
Ich weiß, dass das Thema schon einmal von mir angeregt diskutiert wurde, allerdings würde ich mir eine thematische Aufarbeitung in der Lage wünschen. Zur Zeit gibt es keine Anreize für Politiker etwas für Kinder und Jugendliche zu tun, außerdem eigenen Gewissen, was wohl nicht sehr ausgeprägt ist bei dem Thema. Ich lese hier nur Gegenwind aber leider keinen einzigen richtigen Gegenvorschlag, wie man Kindern und Jugendlichen mehr Gewicht verleihen könnte.
Haben Grüne Wähler mehr Kinder als CDu Wähler? FDP mehr als Linke? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich statistisch an der Verteilung der Stimmen viel ändern wird. Wieso sollten die Parteien dann stärker die Stimmmacht der Kinder im Auge haben?
Ich würde es verstehen wenn wir so etwas wie Volksentscheide zu bestimmten Themen hätten, bei denen dann Familien mit Kindern mehr Stimmanteile hätten. Aber bei so allgemeinen Wahlen sehe ich einfach keinen Unterschied.
Auch eine dünne Datengrundlage ist ja immerhin eine Datengrundlage und kann damit m.E. zumindest als Korrektiv der vorgebrachten subjektiven und anekdotischen Einschätzungen hilfreich sein.
Die Studie kommt - wenn ich das richtig verstehe - zu dem Schluss, dass der Grund für diese Unterschiede nicht in dem Merkmal ‚Elternschaft‘ begründet liegt, sondern darin dass das Segment ‚Eltern‘ sich hinsichtlich des sozio-ökonomischen und generationellen Status von der Gesamtbevölkerung unterscheidet. Vergleicht man ‚Eltern‘ und ‚Nicht-Eltern‘ desselben Milieus und derselben Altersklasse miteinander, verschwinden die Unterschiede im Wahlverhalten. In den Rückprojektionen kommen die Autoren in ihren kontrafaktischen Wahlergebnissen ja auch darauf, dass die Einführung eines vikarischen Wahlrechts statistisch nicht signifikant auf die realen Wahlergebnisse durchgeschlagen wäre.
Die Studie hat mich aber auf einen Punkt gebracht, der bei der Diskussion nach meinem Eindruck meistens unterbelichtet bleibt: Indem man dem Bevölkerungssegment mit dem Merkmal ‚Elternschaft‘ Privilegien im Wahlreicht einräumt, verschiebt man die Repräsentationsverhältnisse auch entlang anderer Achsen, z.B. des Einkommens, des Geschlechts, des Bildungsabschlusses, der religiösen Zugehörigkeit, usw.
Mag sein, ich würde aber dagegen einwenden, dass jede Form des originären Kinderwahlrechts in der Praxis einen eher sehr kleinen Teil an potentiell zu umwerbenden Zusatzwähler:innen bedeuten würde, und dass bei allen Formen des originären oder vikarischen Familien- bzw. Elternwahlrechts eben nicht um die Stimmen von Kindern, sondern um die von Erwachsenen geworben werden müsste.
Wirklich? Also ich teile die Problembeschreibung und habe selbst vorgeschlagen, Kindern das Wahlrecht ab 0 Jahren zuzuerkennen. Meine Kritik bezieht und bezog sich nur auf den m.E. kontraproduktiven und kontraintuitiven Vorschlag, die Repräsentation von Kindern dadurch zu stärken, einem relativ beliebigen Segment des erwachsenen Elektorats Vorteile einzuräumen, weil man diesem ohne Evidenz unterstellt, der eigenen Wahlentscheidung in besonderer Weise die Interessen nachfolgender Generationen zugrunde zu legen.
Statistisch betrachtet sind meines Wissens nach Wähler:innen der Grünen (nur als Beispiel zu verstehen!) im Schnitt jünger und haben daher auch „mehr“ Kinder, für die sie Stimmenanteile bekommen könnten als Wähler:innen der CDU (auch nur als Beispiel zu verstehen!). Wenn man nämlich 60 ist sind die eigenen Kinder aller Voraussicht nach sogar nach bisherigem Wahlrecht selbst stimmberechtigt. Deine Annahme würde nur gelten, wenn die Wählerschaft aller Parteien altersmäßig gleichverteilt ist, weil man Kinder im relevanten Altern nun einmal in einer gewissen Altersspanne hat/bekommt. Da dies aber nicht grundsätzlich gilt, kann sich an der Stimmenverteilung durchaus etwas ändern.
Liegt wohl daran, dass dieses Forum der falsche Adressat für politische Forderungen ist. Letztlich wird nur ‚die Politik‘ wirklich was ändern können; vorausgesetzt, der politische Wille ist vorhanden. Zumindest die progressiven Parteien (ich nehme die FDP bei diesem Thema mal hinzu) sprechen sich einhellig dafür aus, dass Wahlalter für BT-Wahlen auf 16 Jahre abzusenken. Insofern kann man nur hoffen, dass diese Forderung auch in einer neuen Bundesregierung umgesetzt wird – wenn €DU/€SU nicht beteiligt sind. Dieses Thema wird wohl das erste sein, was in möglichen Koalitionsverhandlungen geopfert werden wird.