Zero Covid unrealistisch?

Ich find den Lockdown auch blöd, habe aber nicht das Gefühl, dass Menschen, die ihn jetzt beenden wollen, klar über die Folgen reden, bzw. eine konkrete Strategie vorlegen, wie diese von mir erwarteten Folgen abgewendet werden können.

Wenn es hohe Inzidenz gibt, kann man sich doch gar nicht auf Teile der Bevölkerung konzentrieren.
Man könnte die Alten und anderen Risikopatienten hart isolieren. Das ist praktisch allerdings bei den besonders Gefährdeten unmöglich, weil sie gepflegt werden müssten.
Vielleicht kann man da eine Strategie finden, aber was Konkretes, wie man Risikogruppen vor Ansteckung schützt und dennoch eine weitgehende Öffnung zulässt, habe ich noch nicht gehört.

Schnelltests wären gut, allerdings müssten wir dafür erschütternde Mengen haben. Ich finde kaum Zahlen dazu. Alles, was ich so finde, klingt danach, als ob Deutschland vielleicht 100 Millionen im Monat erwarten kann (und das schätze ich optimistisch ein). Dieser Link ist ein Beispiel und das ist die gesamte Produktion dieses Herstellers, nicht etwa der Anteil für Deutschland [1].
Wenn wir davon ausgehen, dass nicht alle Menschen Schnelltests brauchen, sind das vielleicht 2 Tests pro Person im Monat. Das ist zu wenig, um damit etwas zu erreichen.

Wie soll man diese strengere Einhaltung denn herbeiführen? Ist das nicht genau das, was von Gegnern von Zero-Covid als Wunschdenken bezeichnet wird?

Volle Zustimmung.

Ich denke, die einzige Auswahl, die wir haben, sind einerseits ziemlich unangenehme und für viele Menschen existenz-vernichtende Maßnahmen oder andererseits eine gigantische Übersterblichkeit mit derart überfüllten Krankenhäusern, dass man eine Versorgung praktisch vergessen kann (und zwar für alle, die ins Krankenhaus müssen, ob sie nun Covid haben oder einen Auto-Unfall).

Man kann das eine oder das andere wollen. Aber man muss sich bei beidem klar sein, dass es eine schlechte Alternative ist.

[1] Nadal: 80 Millionen Schnelltests pro Monat | APOTHEKE ADHOC

Hm, um die Diskussion hier gleich zu starten: Was wäre denn eine Alternative?
Ich habe, nach allem, was ich zu Covid lese, den Eindruck, dass mehr Lockerungen definitiv zu überfüllten Krankenhäusern führen. Und was wir da bisher gesehen haben, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, auch in Städten wie New York.
Da gab es in der Hochphase, wo die schlimmen Bilder durch die Nachrichten gingen, vielleicht 10000 Neuinfektionen am Tag [1], was einer Inzidenz von ca 900 pro 100 000 pro Woche entspricht.
Nun breitet sich das Virus exponentiell aus, das heißt, es ist damit zu rechnen, dass es sich, wenn es nicht durch Maßnahmen beschränkt wird, irgendwann mit einer Inzidenz von 10 000 pro 100 000 pro Woche überträgt (irgendwo gibt es einen Umkehrpunkt, der ist aber noch nicht so früh da).
Und dann stellt sich die Frage: Sind wir als Gesellschaft bereit, dem massenhaften Sterben zuzuschauen?

Niemand sagt, dass der Lockdown toll ist, aber die meisten glauben eben, dass er die bessere Alternative ist.

[1] New York Coronavirus Map and Case Count - The New York Times

Zustimmung. Sprich wir haben eine Alternative - Man kann sich aus guten Gründen dagegen entscheiden, aber wir haben sie. Wird ja häufig etwas „unter den Tisch fallen gelassen“.

Ebenfalls grundsätzliche Zustimmung, wobei sie sinkt :wink: man muss sich fragen weshalb.
Meine Hypothesen:

  1. es wird klarer, was als temporäre Kraftanstrengung „verkauft wurde“ (ich denke insb. an Herrn Söder, aber nur weil er am lautesten war/ist) ist ein Dauerthema - und zwar nicht (nur) weil hier und da Fehler gemacht werden (Logistik, Verträge, usw.) sondern weil wir - platt - nicht in die Zukunft gucken können. Mutanten, Impfstoffe die doch nicht so wirksam sind wie gedacht.
  2. es wird klarer, wie tief das „dazwischenhauen“ durch die Lockdowns in unsere Wertschöpfungskette oder auch Alltag funkt. Die Big Points, Schülerjahrgänge, Kurzarbeit, Schuldenaufbau, etc. wurden ja bereits genannt. Aber es geht ja noch viel weiter, wird viel profaner: Corona-Haustiere, die ganzen Aktionswarenschütten die jetzt bei Aldi die Gänge verstopfen, weil sie es nicht mehr loskriegen, die ganzen Peaks in den Kaufgewohnheiten, die Güter die sich Stapeln wie sauer Bier (z.B. Sprachkurse), die Güter die kaum mehr zu bekommen sind (Speicherchips für Home Entertainment, Kindertrampoline, you name it) - zu jeder Bewegung folgt ja ne Gegenbewegung - die Kosten oder die Dauer bis sich das wieder (inkl. aller Arbeitsplätze die dranhängen…) eingependelt haben wird. Und da heißt es von der Politik immer so schön „der Grund sind nicht die Maßnahmen sondern das Virus“. Nein nein. Mit Virus ohne Maßnahmen hätten wir Übersterblichkeit, aber nur wenige der unzähligen Schwankungen.

Das Kind ist jetzt im Brunnen - geschenkt. Aber fürs nächste Mal (Mutante Nr 17 oder Covid-32 whatever): Nehmen wir wieder dieselbe Alternative und wenn ja, wie viele Lockdowns bis wir umschwenken? Denn die Umfragewerte zeigen mir genau das: Erster Lockdown breite Zustimmung - jetzt wird sie geringer - bei Lockdown x? wird sie umkehren, zumal jetzt, nach Covid-19 die Menschen besser verstehen, was der „Beipackzettel“ eines Lockdowns auch an Langfristfolgen alles umfasst.

Und diese Diskussion fehlt mir völlig. Dabei ist das nächste Virus/Pandemie nur eine Frage der Zeit

n=1 ist irrelevant, wir brauchen die Diskussion und idealerweise Konsens in der Gesellschaft, aber mein persönlicher n=1 Vorschlag: Pro Pandemie 1 Lockdown von 4 Wochen um jedem „Zeit zu geben, sich drauf einzustellen“, denn jeder hat ja andere Bedürfnisse (gesundheitlicher wie sozialer Natur) - und danach stemmen wir uns mit selbstgewählten Maßnahmen (jeder kann, keiner muss ins Kino gehen, Maske tragen, etc.) und Gesundheitssystem (wir nutzen die Kapazitäten, die wir haben) dagegen und „stehen es durch“ - aber mit dem Unterschied, dass jeder direkt ab Minute 1 planen kann, weil er/sie verbindlich weiß, es wird nur diesen einen Lockdown geben und danach wird es keine weiteren (vorgeschriebenen) Maßnahmen mehr geben.

Und wie sieht dieses „Selbst wählen“ in der Praxis aus? Wenn der Staat keine Zwänge vorschreibt, bleiben ja noch die sonstigen Zwänge.
Wenn ich es mir etwa nicht leisten kann, nicht zur Arbeit zu gehen (weil ich vielleicht mit Putzen im Krankenhaus mein Geld verdiene und wenig auf der hohen Kante habe), aber 60 und immun-supprimiert bin.
Darf ich mir dann trotzdem aussuchen, nicht zu arbeiten, wenn die dicke Pandemie-Welle kommt, und Sozialleistungen erwarten?

Zur Klarstellung: Ich sehe, dass wir allen, die wirtschaftlich unter dem Lockdown leiden, viel zu langsam Geld aus der Gemeinschaftskasse geben. Meine Lösung dafür wäre aber, dass das besser organisiert wird bei der nächsten Pandemie, nicht, dass man keine Kontaktbeschränkungen macht.

Da bin ich nicht so sicher. Wenn es nun gar keine Beschränkungen gäbe, wie viele Leute würden denn dann tatsächlich ins Kino gehen, wenn die Gefahr da ist, sich und seine Lieben damit zu infizieren? Sicher deutlich mehr als jetzt, aber genug, damit die Kinos überleben? Könnte sein, könnte auch nicht sein.

Außerdem beschränkst du die Folgen von hoher Übersterblichkeit auf den Begriff „Hohe Übersterblichkeit“.
Die konkreten Probleme sind durchaus groß:
Wohin mit all den Leichen? Unser Bestattungswesen schafft so viele Tote auf einmal nicht.
Man könnte Massengräber ausheben, was anderes fällt mir auf die Schnelle wirklich nicht ein.
Noch einmal: Finden wir das Ok, wenn ein paar Monate lang Krankenhäuser faktisch nicht vorhanden sind?
Ich bin auch nicht sicher (bin aber juristischer Laie), ob unser Grundgesetz es hergibt, 10 Prozent (oder wie viele Leute in Deutschland über 80 sind) der Leute zu sagen „Ist jetzt dein Problem, viel Glück!“. Das könnte man ändern (vielleicht… vielleicht würde das Verfassungsgericht auch zu dem Schluss kommen, dass es den Grundrechten wiederspricht). Will man das?

Ich glaube, dass wir auch bei der nächsten Pandemie keine einfachen Lösungen finden werden. Nichtsdestotrotz müssen wir natürlich jetzt drüber reden, was wir dann tun sollen.
Ich selbst bin der Meinung, dass man für das nächste Mal von Anfang an auf ZeroCovid-artige Strategien setzen sollte. Die tun, wenn man sie bei einer Inzidenz von 10 beginnt auch nicht so weh.

@erg Super Punkte! Und wie gesagt, es geht mir nicht darum survival of the fittest zu propagieren, nur dass wir (und gern auch in der Lage :wink: ) überhaupt mal länger über die Alternativen, die es gibt, diskutieren anstatt es mit „gut, das kann keiner wollen“ abzumoderieren und über die Art des Lockdowns zu diskutieren als wäre er gesetzt.

Fair. Mir geht es drum, wir haben alle sehr individuelle Bedürfnisse und Leidensdrücke Alt/Jung, Single/nicht Single, Gesund/Risikogruppe, eher häuslich/eher umtriebig, eher ängstlich/eher risikofreudig, wo der eine durchdreht, weil er nichts mit sich anzufangen weiß, freut sich der andere über „endlich mal Zeit für mich“… Da fände ich persönlich passender, wenn jeder nach seiner persönlichen Situation entscheiden dürfte, wie intensiv er/sie sich einbunkert, schließlich sind die meisten ja mündig.
Die sonstigen Zwänge, das stimmt. „wer ärmer ist, stirbt früher“ - leider statistisch erwiesen und nicht schön - ist aber ja kein spezielles Corona-Thema sondern betrifft Solidarität/Umverteilung allgemein.

Absolut. Jedoch sage ich a) deutlich weniger, b) selbstbestimmt, c) könnte der Markt reagieren - ebenfalls selbstbestimmt. Mit (Preis)Aktionen, (Rücktritts)Garantien, (freiwilligen) Maßnahmen. Dann würde man, wenn man das bevorzugt, in das Kino gehen, das ein entsprechendes Hygienekonzept vorhält. Kundenbedürfnisse ändern sich - das normalste der Welt.

Auch korrekt - auch nicht schön und will gelöst werden - halte ich persönlich aber für überschau- und lösbar. Dass das noch nie näher beleuchtet wurde, daran sieht man wieder - diese Alternative wurde kaum bis gar nicht beleuchtet/zu Ende durchgespielt wurde - my point exactly.

Unsere Grundrechte zu diskutieren und welche ob und wie und wie lange einzuschränken sind - und sei es eben fürs nächste mal - halte ich für hochsinnvoll. Zumal dahinter ja die Frage steckt: "Wie (solidarisch) wollen wir leben?"

Yep!!
Und

Lets discuss. Mag mein persönlicher Eindruck sein, aber mir wechselt es viel zu schnell zu „will man natürlich nicht“ oder auch „wie kann man das wollen?“ Und erneut - meine Hypothese: Die Fraktion „(bedingungslose) Solidarität“ ist schätzungsweise heute geringer als noch vor 12 Monaten.

Ich wüsste nicht, wie hieraus eine Diskussion entstehen soll. Du propagierst eine --aus meiner Perspektive-- extrem individualistische Position.
Alle Einwände oder Probleme, die ich bei deinen Vorschlägen aufgebracht habe, scheinst du nicht so wichtig wie ich zu finden und du gehst kaum darauf ein.

Das ist ein gutes Beispiel. Natürlich ist das immer so. Aber das ist doch kein Argument dagegen, dass man das bei einer Pandemie berücksichtigen sollte.

Das kannst du so sehen. Aber dann sind unsere Wertesysteme so weit auseinander, dass wir uns wirklich kaum verstehen können oder du beherzigst die Folgen einfach nicht, die sowas nach sich zieht.

Was hältst du etwa von folgender Aussage:

Wieso haben wir Polizei? Statt dass ich Steuergelder abgeben muss, damit der Staat für mich entscheidet, wie viel Schutz ich brauche, fände ich es persönlich passender, wenn jeder nach seiner persönlichen Situation entscheiden dürfte, wie viel Schutz vor Verbrechen er braucht und entsprechend in Sicherheitsausrüstung und -Personal investieren möchte.

Fall 1: Du findest das einen validen Standpunkt. Kein Problem, aber dann werden wir nicht zueinander finden und wohl auch beide nicht wirklich voneinander in so einer Diskussion lernen, der Abstand ist einfach viel zu groß.

Fall 2: Du findest, dass das was ganz anderes ist und wir aus diversen Gründen Polizei brauchen.
Dann wäre sicher gut, wenn du mal klar machst, wie du die von mir angesprochenen Probleme lösen möchtest. Denn meines Erachtens ist das Grundprinzip dasselbe: Der einzelne kann sich nicht schützen (in beiden Fällen: Außer er ist ziemlich reich), deshalb brauchen wir staatliche Koordinierung.

Das Problem ist aber, dass wenn man die Pandemie einfach laufen lässt, das Gesundheitssystem früher oder später zusammenbricht. Und das betrifft uns alle, siehe:

@erg das Polizeibeispiel fand ich nicht so passend - ich erlaube mir einen anderen Ansatz:

Tschechien => die Maßnahmen wirken nicht mehr, weil sich zu wenige dran halten, weil sies leid sind. Sie haben es „lange genug“ versucht - und jetzt ist „die Geduld“ oder whatever zu Ende.

Brasilien => kaum Maßnahmen, die Menschen verbringen (natürlich nur die gesunden oder wieder genesenen) weitgehend unbeschwert ihr Leben (z.B.) an Rios Stränden. „Pura la vida“.

Ultraorthodoxe in Israel => die sagen vereinfacht: Unsere Art des gesellschaftlichen Lebens (Feste, Rituale, gesellschaftliches Miteinander) ist uns so wichtig/wertvoll, darauf wollen wir nicht einen Tag verzichten, auch wenn es einige von uns das Leben kosten wird.

Die Beispiele sind zugegeben vereinfacht, sie dienen primär der Veranschaulichung. Allen 3 ist gemein: Nirgends wird das Virus geleugnet, nirgends sind die Menschen per se blöd oder unsozial. Aber alle 3 Gruppen haben ihr „Cutoff-Value“ überschritten - wenn die Kosten/Nutzen Abwägung nicht mehr zugunsten der Virusbekämpfung ausgeht und schmerzhafte Verluste in Kauf genommen werden. Unser Cutoff-Value mag woanders liegen, aber doch haben wir eins. Wo liegt es? Beim wievielten Lockdown? Wie hohe Infektions/Todeszahlen? Da Individuen unterschiedliche Cutoff-Values haben, wir aber für ein gesellschaftliches Zusammenleben ein gemeinsames Value benötigen, müssen wir durch gründliche Diskussion Common Ground finden.

Warum ist mir das so wichtig? Sobald alle das Cutoff-Value kennen, können sie „planen“. Für wie viele Lockdowns muss ein Gastronom Reserven anlegen? Macht es noch Sinn in der Innenstadt ein Geschäft zu eröffnen? Ist es attraktiv genug, nach der Schule ne Ausbildung als Flugbegleiter/in zu beginnen? Für mich ist das durch das letzte Jahr „auf Sicht fahren“ alles massivst beschädigt worden und stünde ich vor der Wahl würde ich „none of the above“ ankreuzen. Und eine Gesellschaft in der mangels Planungssicherheit - im Kleinen wie im Großen - keine/r mehr in die Zukunft investiert hat keine Zukunft.

Und das möchte ich nicht. Ich möchte Gesellschaft und deshalb möchte ich gründliche und breite Diskussion - aller Alternativen. Entsprechend:

Nee, die Sorge habe ich nicht. Ich empfinde die Lage-Szene als recht homogen: Überwiegend akademisch, gemäßigt, sozial, politisch interessiert.„Bildungsbürgertum“ wenn man eine Schublade bemühen mag - und zähle mich auch dazu. Finde das übrigens die größte Schwäche der Lage. Denn mein Punkt ist, es ist keinem geholfen, wenn wir uns in dieser Bubble selbst beweihräuchern, die Diskussion zwar in unterschiedlichen Nuancen aber doch in überwiegend eine Richtung führen.

Und abschließend noch kurz zurück zum Cutoff-Value: Frisöre dürfen demnächst zuerst öffnen. Medizinisch null nachvollziehbar. Vereinfacht: Wir wollen schon Leben retten, aber bisschen eitel sind wir dann doch. Kostet Menschenleben, aber mit Haaren bis zum Boden „das ist doch auch kein Leben“. Da blitzt unser Cutoff-Value kurz durch. Aber no offense, ich würde es gerne breiter und seriöser diskutieren…

Das ist genau der Punkt. Wenn ich mir die Zahlen vom RKI ansehe kann ich nicht erkennen warum es nicht möglich sein soll Menschen über 70 besser zu schützen? Hat man es denn überhaupt mal versucht und wo sind die kreativen Konzerte dazu?


Nicht alle Risikogruppen kann man schützen aber warum fangen wir nicht schlicht bei den am höchsten gefährdeten an, was diese Zahlen doch eindeutig belegen?

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Weil es schon hier um viele Millionen Menschen geht, die größtenteils ja noch nicht in Pflegeeinrichtungen leben, wie willst du Millionen von Wohnungen komplett von der Außenwelt abriegeln und die Menschen darin trotzdem versorgen?

Außerdem wäre es doch sehr brutal, diejenigen Menschen aus Risikogruppen nicht so zu schützen, die nicht das Glück haben, über 70 zu sein …

Das Isolieren von Risikogruppen ist schlicht eine Schnapsidee von Leuten, die keinen Bock auf Lockdown haben (so wie wir alle) und nun händeringend nach einem einfachen Ausweg suchen. Leider gibt es den einfachen Ausweg nicht, es sei denn man bekommt die Inzidenz nahe Null.

In der Theorie völlig korrekt. Jedoch wie soll man das dauerhaft halten ohne Grenzen, Kontrollen, Quarantänen? Wo sollen diese stattfinden? An Landkreisgrenzen? An Länder- oder an. Landesgrenzen? Wer kontrolliert zu Hundert Prozent?
So sehr ich das für den richtigen Weg halte so realitätsfern ist es.

Das Argument, dass man bestimmte Gruppen mit einer besonders hohen Gefährdung nicht schützen kann, weil es so viele sind, ist m. E. Unsinn. Es gibt ja z. B. auch ein Jugendschutzgesetz. Die Frage ist doch nur was Schutz heißt. Und hier verstehe ich den Einwand von @olib24 so, dass eben kaum überlegt wurde, wie diejenigen, die ein besonders hohes Risiko haben, schwer an COVID-19 zu erkranken oder gar daran zu sterben, genau davor geschützt werden können. Dass es so viele sind, macht es doch noch dringender, sie zu schützen und nicht weniger dringend, wie es in Deinem Einwand klingt. Und was spricht dagegen, diejenigen mit dem höchsten Risiko als erste bzw. am meisten zu schützen? „Das sind so viele, das geht gar nicht“ klingt da schnell wie eine Ausrede.
Dein zweites Argument lautet, es ginge um Isolation und diese sei nur ein Vorwand, um den Lockdown abzuwehren. Dass die Forderung nach Schutz immer noch mit der Forderung nach Isolation gleichgesetzt wird, ist m. E. ebenfalls eher ein Beleg dafür, dass es entsprechende Überlegungen für Schutzkonzepte bisher eben noch nicht in ausreichendem Maße gegeben hat. Schut kann sehr wohl auch etwas anderes bedeuten als Isolation.
Ein drittes Argument, was auch schon öfters in der Lage fiel, lautet: Den Schutz von Risikogruppen gibt doch schon längst. Die krasse Differenz zwischen der Altersverteilung bei Infektionen und Toten widerspricht dem sehr deutlich. Außerdem wird die Entgegensetzung von Lockdown und Schutz der Risikogruppen vor allem von Befürworter:innen des Lockdowns behauptet. Fakt ist aber, dass der Lockdown für viele Ältere wenig bis nichts an Schutz gebracht hat. Es wäre also auch aus dieser Hinsicht dringend, über Schutzmaßnahmen nachzudenken.
Nur ein Beispiel: Als die KBV zusammen mit Streeck und Schmidt-Chanasit Anfang November mehr Schutz für Risikogruppen forderten und skeptisch waren, ob der „Wellenbrecher“-Lockdown viel bringt, wurden sie dafür (u. a. in der Lage) gebasht. Einige Monate und Zig Tausende Tote später (vor allem Ältere) sind sich alle in der Kritik am „laschen Lockdown“ einig und auf einmal gibt es (zumindest für einige) kostenlose FFP2-Masken und sehr viel leichteren Zugang zu Schnelltests. Hätte man beides schon spätestens im Sommer haben können.

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Nochmal, das sind alles Dinge, die ich nicht geschrieben habe. Sie bauen schon wieder Strohmann auf.

Zum einen hat der Lockdown in Australien nicht nur wenige Wochen, sondern drei Monate gedauert. Und die Einschränkungen dauern noch an, Grenzschließungen betreffen auch Australier. Auch kommt es immer wieder zu kompletten Abriegelungen einer Region. Auf Europa übertragen, wir müssten uns darauf einstellen, das vom einen Tag auf den anderen der Großraum Frankfurt militärisch abgeriegelt wird. Und Einreisen selbst aus Nachbarländern für wenigstens ein Jahr mehr oder weniger komplett verbieten. Wie ich oben geschrieben habe, man kann das fordern, aber nicht mit dem Argument, es ginge dann schnell oder wäre fast ohne Einschränkungen.

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Ich würde gerne einmal zurückkommen zur Titelthema. Leider muss ich gestehen, dass mich die Lagen der letzten Wochen doch das ein oder andere Mal zum Wundern, später Verzweifeln, bald Wut gebracht haben. Das Narrativ ist hier verkürzt „wir müssen jetzt mal mit richtig harten Maßnahmen runter auf 10, besser 0, und danach regelt ZeroCovid den Rest“. Für das erstgenannte Ziel sehe auch ich relativ wenig Alternativen. Jetzt sofort Lockerungen zu starten, zB ab unter 50, das erscheint auch mir, als wolle man denselben Fehler noch einmal machen. Gleichzeitig stört mich ein wenig der Unterton, dass wir jetzt gerade so larifari-Lockdownmäßig dahinschaukeln, und so richtig dolle Maßnahmen jetzt doch mal angebracht seien. Ehrlich gesagt, das mag meine persönliche Wahrnehmung sein, wüsste ich jedoch nicht, wie viel härtere Maßnahmen jetzt gerade gehen sollten.

Schulen sind dicht, (ja die Friseure nerven mich auch, aber davon mal abgesehen), bis auf den essentiellen Einzelhandel ist in meiner Region alles dicht, ich verlasse das Haus nur noch für Spaziergänge und zum Supermarkt, ich sehe kaum noch andere Menschen… Ich weiß nicht, was ich persönlich tun könnte, um die Pandemie weiter einzudämmen.

Und genau da komme ich zum zweiten Teil des Narrativs: ZeroCovid regelt, wenn wir bei 0 sind.
Ich würde mich wirklich freuen, wenn das hier oder besser in der Lage mal konkretisiert wird, wie das gehen soll. Ich verstehe es nicht.
In dünner besiedelten Gemeinden, geschenkt. Das Dorffest findet wieder statt, und wenn da keiner von außen die Infektion einschleppt, Paradies. Und wenn doch, naja dann ist für zwei Wochen das Dorf zu, bis alle wieder auskuriert sind, und weiter gehts.
Aber nehmen wir: Berlin. Da ist bei 0 wieder Party? ALLES erlaubt? Wie früher? Und wenns dann einen lokalen Ausbruch gibt, was dann? Dann ist in Kreuzberg weiter Party, aber Friedrichshain ist dicht? Und an der „Grenze“, in den U-Bahnen, an den Straßen, stehen lustige blaue Männer mit Maschinengewehren und kontrollieren, ob ich da raus darf? Ich denke, ihr versteht, was ich meine. Wie bitte, ich würde es so gerne verstehen, soll dieses Konzept funktionieren?
Wenn wir auf 0 sind, wie bitte bleiben wir denn da konkret? Wie soll das weitergehen?

Stimmt, ich habe auch keine Patentlösung. Was mich nur so furchtbar stört ist das Narrativ, der stumpfe Glaube „ZeroCovid regelt“. Ich würde mir ein wenig mehr Demut wünschen, davor, dass wir alle nicht wissen, wie es weitergeht, was „danach“ passiert.
Ich glaube, auch ZeroCovid wird uns nicht retten. Es wird immer wieder Ausbrüche geben, es wird immer wieder Leute geben, die sich nicht daran halten. Wir sehen gerade, dass die Impfungen uns nicht helfen, zumindest nicht schlussendlich. Wir werden dieses Virus nicht besiegen. Das sind nicht die Pocken. Wir werden damit leben (und sterben) müssen, noch über Jahrzehnte.
Psychologischer Ansatz, ja gern! Mehr Hoffnung, gern! Aber das so viel besprochene „bei ZeroCovid ziehen dann alle an einem Strang und das ist die Rettung“, da mache ich erst mit, wenn mir jemand erklärt, wie die Strategie dann konkret aussieht.

(PS: ich hoffe, man liest meine Verzweiflung raus. Ich schätze eure Arbeit trotzdem sehr, tausend Dank! Und auch vielen Dank für die Möglichkeit, hier meinen Senf loszuwerden! Bussi :blush:)

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Ich habe versucht, mit dir in die Diskussion einzutreten. Aber mein Eindruck ist, dass du schnell ins Allgemeine abdriftest und zu konkreten Problemen nicht schreibst „Das ist kein Problem, weil… [konkreter Lösungsansatz]“ oder auch „Das ist ein Problem, aber in der Güterabwägung für mich weniger wichtig als [anderes Gut].“, was ich mir aber wünschen würde.

Insofern: Ich bin raus.

Zu einem konkreten Ding noch:

Deiner Analyse würde ich voll zustimmen. Ist schon eher widersprüchlich.

Also dann bis bald mal.

Sehr gut zusammengefasst von @kaigallup
Schutz von Risikogruppen bedeutet nicht Isolation dieser. FFP2 Masken und Schnelltests sind das Stichwort. Hier wurde zu schlecht und zu langsam reagiert, diese am Risikogruppen zu verteilen. Klar ist man hinterher immer schlauer, jedoch sollte man den gleichem Fehler nicht zweimal machen. Auch bei NoCovid gibt es ein danach und wir alle haben im Herbst gesehen wie schnell sich die Zahlen auch von einer niedrigem Inzidenz schnell wieder hoch entwickeln können. Ausreichend Schnelltests, Masken etc. vorzuhalten kann hier helfen.
Und noch viel wichtiger eine ehrliche und gute Kommunikation. Wo sind die Kampagnen in allen Medien die Menschem den richtigen Umgang mit Masken, Schnelltests und älteren Angehörigen zeigen. Dagegen sehe und höre ich von vielfach Großeltern die wieder ihre Enkel beaufsichtigen.
@vieuxrenard Ich glaube eher das sind die Schnappsideen der Leute. :slight_smile:

Du bist ja wirklich sehr engagiert und wortreich in deiner Argumentation gegen NoCovid. Und vielleicht hab ich‘s übersehen, aber was für eine Herangehensweise in der Pandemiebekämpfung favorisierst du nochmal?

Zero Covid wird schon deswegen nicht gut funktionieren weil wir komplett von Ländern umgeben sind, die das ander sehen. Deutschland müsste komplett abgeriegelt werden und Landkreise und Städte mit Inzidenz > 10 müssten ebenfalls abgeriegelt werden. Wie soll das gehen? Nah- und Fernverkehr einstellen? Straßensperren?

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Danke für den Link. Ich stimme dem darin von Frau Buyx gesagten auch zu und schätze die Arbeit des Ethikrats.

Nur zwei Hinweise:

  1. Direkt am Anfang des Links (also min 17:30) sagt Herr Augstein genau, was ich auch sage: Wir machen flatten the curve "ohne zu wissen wie lang es dauert und was es eigentlich kostet - und gibt es einen Umkipppunkt? Diese Debatte wurde nicht geführt." Und ich werbe dafür sie zu führen: Welche Kosten, welchen Verzicht sind wir bereit wie lange zu leisten? Zumal nicht klar ist ob und wann das Thema Covid „abgehakt“ sein wird. Wenn der Bus nicht kommt - irgendwann (nur wann?) nimmt man ein Taxi oder läuft. Bei einer Auktion hat man ein eigenes Limit (wo liegt es?) ab dem man nicht mehr mitbietet.

  2. Was es heißt, wenn das Gesundheitssystem kollabiert. Alles richtig was Frau Buyx sagt. Allerdings: Es ist eine temporäre Überlastung und ja klar, man müsste in dieser Zeit verzichten oder Einschränkungen in Kauf nehmen bzgl. der Gesundheitsversorgung - aktuell verzichten wir auch bzw. haben Einschränkungen - nur eben in anderen Bereichen - und man kann diskutieren, was einem wichtiger ist. Aber was sie sagt ist richtig.

Und zur Sicherheit: Ich persönlich gehe die Einschränkungen mit, da ich persönlich hoffe, dadurch Leben zu retten und auch, so ehrlich muss man sein, weil es mich zwar annervt, ich aber keine materiellen Nöte fürchten muss. Nur a) bin ich nicht überzeugt, dass das ne Langfristlösung ist und b) ist mein Problem, dass mir die Alternativen nicht breit/offen genug diskutiert werden. Meine eigene persönliche Meinung ist dabei zweitrangig, mir geht es um den Diskurs und um ein „common ground“-Ergebnis.

Volle Zustimmung.

In kurz: Unsere „Systeme“ - egal ob jetzt Polizei, Gesundheit, Schengen-Logistik - sind auf das ausgelegt, was uns wichtig ist und wofür wir daher bereit sind zu zahlen. Sie haben Kapazitäts- bzw. Belastungsgrenzen. Manche Belastung halten sie aus, manche nicht.

So gibt es zwei grundsätzliche Alternativen: 1) Kapazitäten ausbauen und ständig vorhalten für den Fall dass - natürlich kostet das, oder 2) den Schadenfall einkalkulieren, weil der nur vergleichsweise selten vorkommt. Am Ende ist es eine völlig rationale und nachvollziehbare Abwägung. Jetzt haben wir mit Corona einen solchen Schadenfall. Der ist bitter, hart, tragisch, ekelhaft… Aber woher der unbedingte Anspruch, dass unsere Systeme den bewältigt bekommen müssen? Den frommen Wunsch verstehe ich, aber der ist doch unlogisch. Darauf sind und waren die Systeme nie ausgelegt und dass dem so ist, haben wir selber so entschieden in einer Kosten/Nutzen-Abwägung. Manche Dinge sind zu groß, gegen alles kann man sich nicht absichern, bzw. wären die Kosten so exorbitant, dass man sich eben dagegen entscheidet/entschieden hat.

Und selbiges beschränkt sich nicht nur auf unsere „Systeme“ sondern auch auf unsere Gesellschaft/Form des Zusammenlebens. Schengen, Globalisierung… Die Art und Weise, wie wir (sehr gut!!) im Herzen Europas in und mit Europa leben ist nicht geeignet für Grenzkontrollen, dafür aber eben sehr gut geeignet für das vernetzte Leben, das wir schätzen (nur seit einem Jahr nicht mehr so führen können/wollen/dürfen). Jetzt Schengen/EU/Zollfreiheit gefähren/überdenken „nur wegen Corona“? Kann man ja machen, am Ende ist es wieder eine Kosten/Nutzen-Abwägung und man muss sich halt klar werden (=> Diskussion), „was wollen wir?“ „wie wollen wir leben?“ Datenschutz übrigens ist dasselbe in grün. Würde bei Corona-Tracing helfen, gäbe es ihn nicht in der Form - aber wollen wir das?