Zero Covid unrealistisch?

Diese Diskussion müsste man tatsächlich führen, wenn das Gesundheitssystem nicht bedroht wäre. Angenommen wir haben in ein paar Jahren mal eine Pandemie, welche ähnlich ansteckend ist, jedoch leider deutlich schneller zum Tod führt (Die Infizierten stecken ähnlich viele an, versterben aber bereits nach wenigen Tagen und kommen erst gar nicht auf die Intensivstation). In diesem Fall wäre die Diskussion eine andere und wir ständen tatsächlich vor deutlich schwierigeren ethischen Abwägungen. (Hier klammere ich mal LongCovid aus)

Das ist natürlich der entscheidende Punkt. Wenn man sich dazu entschließt, eine Überlastung des Gesundheitssystems in Kauf zu nehmen, ergibt unsere derzeitige Pandemiestrategie keinen Sinn. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass das in einer menschlichen Katastrophe enden würde. Bergamo, Brasilien, NY haben uns das gezeigt. Zumal wäre die „temporäre Überlastung“ eine sehr lange zeitliche Überlastung.

Die Alternativen sind größtenteils damit verbunden, dass man die Überlastung des Gesundheitssystems akzeptiert. Wenn man letzteres nicht möchte, sind geringe Inzidenzzahlen leider nahezu alternativlos. Ich gebe Ihnen aber recht, dass man dieses große Gesamtziel immer wieder thematisieren muss (damit es in den Köpfen bleibt).

Das fasst unsere ausführliche Argumentation weiter oben sehr gut zusammen. Der Punkt ist, dass Australien es schafft, auf einem permanent niedrigem Inzidenzniveau zu bleiben. Das funktioniert nur unter den Einschränkungen, die wir oben beschrieben haben. In Deutschland ist das aus unserer Sicht aus folgenden Punkten in der Praxis extrem schwierig umzusetzen:

  • Regionen nach Inzidenz abzuriegeln wird schnell sehr unübersichtlich. Bereits im Frühjahr 2020, als in Deutschland einzelne Länder Einreisen/Hotelaufenthalte aus anderen Ländern verboten haben, gab es Beschwerden darüber (auch aus der LdN, wenn ich mich richtig erinnere), dass da niemand den Überblick behalten kann. In Australien ist das schon schwierig zu überblicken und hier gibt es nur 7 Bundesstaaten auf dem Festland. Und, klar, kann man das hinkriegen, nur ist es praxistauglich?
  • Die Durchsetzung der Grenzschließungen (extern wie intern) ist nur mit massivem Polizei- bzw. Militäraufgebot zu erreichen. In Australien ist Militärpräsenz in der Öffentlichkeit eher üblich (vielleicht mit den USA zu vergleichen). Da wird es in Deutschland erheblichen Widerstand geben. Wie wird damit umgegangen?
  • Australien ist extrem dünn besiedelt, die Vernetzung relativ gering - Regionen abzuriegeln hat nur einen kleinen Einfluss auf das Leben der Menschen in den Regionen. In Deutschland hätte ein Abriegeln von Regionen eben auch Einfluss auf das Leben in diesen Regionen. Wie sollen Menschen in anderen Regionen arbeiten, oder Betriebe weiterlaufen, die einen erheblichen Anteil an Mitarbeitern aus anderen Regionen haben? Oder andersherum gedacht: Hat es noch eine Inzidenz-reduzierende Wirkung, wenn die Regionen so groß gewählt werden, dass dieser Punkt kein Problem mehr darstellt?
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Du meinst die Leute halten sich nicht aus intrinsischer Motivation von selbst an Reisebeschränkungen?
In den Umfragen sind Leute mehrheitlich für die Beschränkungen und 20% wollen noch mehr damit es schneller vorbei ist.

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Ich bin persönlich ziemlich hin- und hergerissen. Eigentlich habe ich kein Problem mit „radikalen“ Ansätzen, betreffe es die Pandemie oder den Klimawandel. Heute jedoch habe ich einen Artikel in der ZEIT gelesen, dessen Autorin genau dies als das grundlegendes Problem bei Ansätzen wie Zero Covid sieht: Sie nennt es „Fürsorgeradikalismus“. Nach der Autorin können wir Menschen es nicht mehr ertragen, den Naturgewalten schutzlos ausgeliefert zu sein. Daher rührten die Ansätze wie Zero Covid, die das ihrer Meinung nach viel zu hoch gesteckte Ziel verfolgen, das Virus komplett auszurotten, oder auch die Vorstellung mancher, wir könnten die Folgen des Klimawandels auf ein nicht allzu schlimmes Maß begrenzen. Auch die Geneigtheit, dramatische Herausforderungen wie Corona oder den Klimawandel immer als „Katastrophen“ zu bezeichnen, spiele hier mit rein.
Wie gesagt, ich bin nicht ganz überzeugt davon. Vor allem, weil ich finde, dass die Welt bisweilen utopische Vorstellungen und Ideen braucht, um sich zum Besseren zu verändern. Trotzdem hat mich ihre Denkweise zum Nachdenken gebracht.
Was haltet ihr davon?

ZEIT-Artikel über Radikalismus von Thea Dorn

Das kann sein, kenne die Umfragen nicht. Ich denke auch, dass sich die Mehrheit daran hält. Das ist hier auch so. Bloß zielen solche Maßnahmen natürlich auf diejenigen ab, die sich gerade nicht daran halten (würden). Deshalb wären sie vermutlich trozdem notwendig. Oder ist der Anteil in den Umfragen, der gegen Reisebeschränkungen ist, nahe null?

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Gestern bei Lanz hat Frau Dorn dieseThesen auch vertreten. Um es kurz zu machen: Frau Dorn hat nichts von NoCovid verstanden.

Neu und beunruhigend ist, dass spätestens seit der Covid-19-Pandemie der Fürsorgeradikalismus Einzug ins Zentrum der Macht gehalten hat. Zwei der acht Experten, von denen sich die Bundesregierung zuletzt hat beraten lassen, die Virologin Melanie Brinkmann und der Physiker Michael Meyer-Hermann, sind Verfechter einer No-Covid-Strategie, die sich von den Forderungen der aus dem linksaktivistischen Milieu stammenden Zero-Covid-Bewegung im Wesentlichen dadurch unterscheidet, dass sie antikapitalistische Rhetorik meidet.

Aber kann es eine krasse Minderheitsmeinung sein, an die Tatsache zu erinnern, dass es der Menschheit bislang nur ein einziges Mal gelungen ist, ein Virus aus der Welt zu schaffen: im Falle des Pockenvirus? Dass bei sämtlichen anderen Viren jegliche Ausrottungsstrategie an der Realität gescheitert ist? Doch eine ebensolche Strategie fordern Zero Covid und No Covid von der Politik.

Die Unterschiede von Zero-Covid sind massiv! NoCovid will die Inzidenz auf ein niedriges Niveau bringen und dort halten, während ZeroCovid auf Inzidenz 0 abzielt. Das sie das trotz breiter öffentlicher Debatte immer noch nicht verstanden hat und gleichzeitig eine große Bühne in der Zeit und im ZDF ohne Einordnung durch die Wissenschaft bekommt, finde ich grenzwertig.

Die Kompetenz von nicht minder renommierten Experten, die einen deutlich gemäßigteren Kurs in der Pandemie empfehlen, ist hingegen nicht gefragt oder wird als Meinung einer „krassen Minderheit“ (Brinkmann) diffamiert.

Eigentlich ist es nicht Frau Brinkmanns Aufgabe eine solche Einordung vorzunehmen. Jedoch erleben wir derzeit einen absoluten Mangel an Wissenschaftsjournalismus, dessen Aufgabe es sein müsste, eine solche Einordnung vorzunehmen. In der Medienlandschaft erscheinen dann Thesen wie „wir können mit Inzidenzen >100 leben“ gleichberechtigt zu „wir sollten geringe Fallzahlen anstreben“. Wenn aber letzteres von der Forschungscommunity in großer Mehrzahl befürwortet wird (s. https://www.containcovid-pan.eu/), muss das gerade gerückt werden. Siehe Ranga Yogeshwar: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/Corona-Hat-der-Journalismus-versagt,zapp12832.html

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Als Ergänzung dazu etwas aus Neuseeland. Wie am Wochenende breit berichtet wurde, geht die Region Auckland (mit immerhin einem Drittel der Bevölkerung des Landes) wieder in einen strikteren Lockdown. Was eher in der englischsprachigen Berichterstattung erwähnt wurde, auch der Rest Neuseelands ist nach wie vor eingeschränkt, auf Level 2 der vierstufigen Skala (Auckland ist jetzt auf Level 3). Das beinhaltet u.a. eine Maskenpflicht, Beschränkungen der Gruppengröße bei Veranstaltungen, und Abstandsregeln (im Detail hier: https://covid19.govt.nz/alert-system/alert-level-2/ ). Also selbst bei 0 ist in Neuseeland nicht alles wie vor Corona, und eine große Hochzeit immer noch nicht drin.

Von den Grenzschließungen sind nach wie vor auch viele Tausend Australier betroffen:

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