Wehrloser Sozialstaat

Interessant wäre für mich einmal über offensichtliche Lücken in unserem Sozialstaat zu berichten, die ausgenutzt werden ohne, dass sich der Staat wehrt.

Diese Meldung hier ist mir dabei böse ausgestoßen.

Wie würden mögliche Lösungsansätze aussehen um Soziolleistungsmissbrauch einzuschränken. Wie in der LDN Sonderfolge 369 berichtet denke ich, dass nur sehr wenige den Sozialstaat generell in Frage stellen. Jedoch lässt sich mit Fehlleistungen und Missbrauchsberichten hervorragend Stimmung machen. Daher sehe ich es als unabdingbar und vordringlich an, dass unser Staat hier unverzüglich handelt.

1 „Gefällt mir“

Wäre mir lieber, wenn über offensichtliche Lücken in unserem Steuersystem berichtet würde.

9 „Gefällt mir“

Die Frage ist immer, auf was man den Fokus lenken möchte.
Missbrauch des Sozialstaates durch Scheinanerkennung von Vaterschaften durch Menschen mit Migrationshintergrund ist ein Thema, auf das sich jede rechte Partei und rechte Gazette stürzen wird. Das Thema wird daher öffentlich sichtbar werden, weil es (leider) sehr viele Interessengruppen gibt, die dieses Thema ausschlachten werden.

Als eher progressives Medium muss man sich fragen, ob man auf diesen Zug aufspringen möchte - und warum? Progressive Medien sollten eher über die Dinge berichten, über die sich die Konservativen nicht oder zu wenig empören, also in der Tat Steuerhinterziehung, aber auch soziale Probleme zu Lasten bestimmter Bevölkerungsgruppen (siehe z.B. die Strafvollzug-wegen-Schwarzfahren-Problematik).

Inhaltlich sind wir uns glaube ich alle einig, dass das, was dort mit den Scheinanerkennungen von Vaterschaften betrieben wird, moralisch sehr problematisch ist. Das Problem ist aber: Rechtlich ist es zulässig, weil es keine Strafvorschrift gibt, die eine Anerkennung der Vaterschaft von nicht-biologischen Kindern verbieten würde (wir wollen ja z.B. dass der neue Partner einer Frau eventuell die Kinder der Frau als eigene anerkennt…). Es gibt auch keine Grenzen für Anerkennungen, keine Überprüfung der Wahrheit, keine Möglichkeit, falsche Anerkennungen rückgängig zu machen - kurzum: Das Thema lief tatsächlich unter dem Radar in der Vergangenheit. Das wird sich wohl jetzt ändern, da keine Partei, weder links noch rechts, ein Interesse am Erhalt der aktuellen Gesetzeslücke hat. Mehr Aufmerksamkeit braucht das Thema meiner Meinung nach nicht.

Das Problem, das ich nun sehe, ist, dass die Konservativen dieses Thema nutzen werden, um grundsätzliche Regelungen (z.B. den Familiennachzug), die mit dem Thema Scheinanerkennung von Vaterschaften in Verbindung stehen, nun wieder auf die Agenda setzen werden, statt die tatsächlich problematische Lücke der Straffreiheit / mangelnden Überprüfung bewusst falscher Anerkennungen zu schließen. So werden dann wieder alle Menschen bestraft, die Vaterschaften anerkennen wollen, statt auf die wenigen Fälle zu schauen, die tatsächlich Missbrauch betreiben.

1 „Gefällt mir“

Auch wenn es „Whataboutism“ hier an der Stelle ist, habe ich auch dagegen nichts einzuwenden. Leider fehlt mir der Glaube dass da etwas anders wird. Nach unten treten ist einfacher.

2 „Gefällt mir“

Für die Finanzämter ist das kein neues Thema. Die kriegen ja seit Jahren Anträge wegen Kindergeld, auch für die Steuerklasse ist das ein Vorteil. Die Beträge, um die es da geht, werden so gering sein, dass auch konservativ regierten Bundesländern das bisher keine Mühen wert war.

Genau.

Und parallel werden Steuervergehen nicht konsequent genug verfolgt.
Und gleichzeitig hat die FDP auch eine EU- Regelung, die Geldwäsche verhindern soll, torpediert.
Zitat: „The FDP also opposed plans to introduce an EU-wide maximum limit of €10,000 for cash payments, designed to make it harder for criminals to launder money.“ aus:
Financial times
Man könnte sich fragen, warum …

Ich habe nichts dagegen, dass man echten Missbrauch unterbindet, aber ich finde es schwierig, solche Fälle so aufzubauschen, dass dadurch auch andere kriminalisiert werden. Es wird sich um Einzelfälle handeln.
Ich wünsche mir, dass auch Fälle von Steuerbetrug, Steuerumgehung und Geldwäsche groß berichtet werden.

Ich finde, dass unser Staat derzeit bereits viel zu viel Geld, Zeit und Ressourcen darauf verwendet, relativ arme Menschen beim Schummeln um ein paar Euro zu erwischen, während er in aller Regel nicht einmal mehr versucht, die wirklich großen Gangster zu erwischen (wer hat da cum ex gesagt!?). Und leider weist diese Schwerpunktsetzung bei der Durchsetzung des Rechts besorgniserregende Parallelen zur Marginalisierung und Diskriminierung der Gruppen aus, die besonderem Verfolgungsdruck ausgesetzt sind …

Das geltende Recht wird extrem unterschiedlich wirksam durchgesetzt - das Tötungsverbot fast perfekt mit Aufklärungsquoten von > 90% bei Mord und Totschlag, die Regeln zum Parken praktisch gar nicht, wenn ich mir anschaue, wie selten ich ein Ticket bekomme, wenn ich mal falsch parke. Die Institutionen, die Recht durchsetzen, haben eben begrenzte Kapazitäten. Ob Recht durchgesetzt wird, ist daher eine Frage der gesellschaftlichen Schwerpunktsetzung. Wenn wir X verfolgen, wird Y und Z weniger streng verfolgt. Ich halte die Kritik an der Anregung von @AndreasLDN daher nicht für Whataboutism, sondern für völlig legitim.

Wenn wir als Gesellschaft neue Schwerpunkte für die Durchsetzung des Rechts definieren wollen, dann sollten die sich von der Maxime leiten lassen, wo dem Gemeinwesen die größten Schäden entstehen. Ein paar Mio für angebliche Scheinvaterschaften scheinen mir kein nennenswertes Problem zu sein, ebenso wie die immer wieder ins Feld geführten paar tausend „faulen“ Menschen im Bezug von Bürgergeld. Steuerverkürzungen in Milliardenhöhe hingegen finde ich ein relevantes Problem.

12 „Gefällt mir“

Es wird dadurch ein Problem, das von Rechten ausgeschlachtet werden kann, weil es von den Regierungen ignoriert wird. Wenn man kein Problem sieht, dann kann sich ja mal jemand hinstellen und erklären, warum die Regeln wiebsie sind, gut sind.

Persönlich verstehe ich nicht, warum überhaupt Kindergeld für Kinder im Ausland gezahlt wird, das wird wenig positiven Effekt auf die Alterpyramide in Deutschland haben.
(Edit: mit dem Kindergeld als Gegenstück zum Kinderfreibetrag verstehe ich das doch etwas mehr…es ist kompliziert… wichtig wäte z.B., dass die Vaterschaft nicht nur in Deutschland anerkannt ist, sondern auch im Heimatland…)

Und klar ist „aber Steuerhinterziehung…“ Whataboutism. Und „psst, lieber nicht ansprechen, da profitieren Rechte von“ klingt für mich, als wenn die einzige Erklärung die man hat ist, dass das zwar praktisch Betrüger sind, man aber nichts dagegen unternehmen will.

8 „Gefällt mir“

Damit bin ich nicht einverstanden. Es ist doch die klare Definition von Whataboutism, dass in einer Diskussion nicht über das Angesprochen Thema diskutiert wird sonder ein anderes hervorgezogen wird.

Ansonsten bin ich bei dir wenn es rein um die finanzielle Auswirkung Steuerbetrug vs. Sozialbetrug geht. Meiner Meinung nach reagiert die Gesellschaft auf Sozialbetrug viel sensibler als auf Steuerhinterziehung.

Es gibt leider keine Partei die sich engagiert für die Verhinderung von Steuerbetrug einsetzt. Spekulationen warum das so ist erspare ich uns hier.

4 „Gefällt mir“

Das wäre wohl ein sinnvoller Ansatz.
Der (anekdotische) Fall, der für den Bericht herangezogen wurde, zielt aber wohl darauf ab, diese Kinder dann nach Deutschland zu bringen oder gar irregulär eingewanderten Minderjährigen, die vor der Abschiebung stehen, ein Bleiberecht zu ermöglichen.
Gerade in letzterem Fall ist die Frage, inwiefern da zumutbar ist, eine Adoption (nichts anderes wäre das ja), auch im Heimatland des Kindes zu registrieren, wo möglicherweise ganz andere Gesetze herrschen.
Wollen wir überhaupt die Adoption nichteuropäischer Kinder beschränken? Auch diese Diskussion muss man da führen. Manche Promis schmücken sich ganz bewusst mit Kindern aus Entwicklungsländern, fand bisher niemand verwerflich.
Und auch nicht jede Heirat ist eine Liebesheirat. Wo soll man da die Grenze ziehen?

Das ist wieder so eine Diskussion über so ein Thema:

Niemand weiß, ob dieses Problem wirklich ein Problem ist. Selbst die Tagesschau schreibt:

Fachleute gehen von zehntausenden Fällen in den vergangenen Jahren aus, die Datenlage ist spärlich.

Also: „Nix weiß man nicht“. Ist m.E. eher ein Clickbait Thema. Der Into des Tagesschau-Artikel deutet darauf hin. Bei solchen Artikel ärgere ich mich schon, dass ich mit meinen Rundfunkbeiträgen dazu beitrage, ein AfD- und Rechtsradikalen-Narrativ zu verbreiten, ohne dass irgendjemand weiß, ob das zahlenmäßig überhaupt ein Problem ist.

2 „Gefällt mir“

Und jetzt fragen wir uns mal, warum das so ist. Denn es ist keine Selbstverständlichkeit.

Die Gesellschaft wurde über Jahrzehnte mit dem falschen Bild der Leistungslegende beeinflusst. So sehr, dass die meisten Menschen dies verinnerlicht haben und nicht mehr hinterfragen.
Gleichzeitig beteiligen sich Politiker und Medien zu einem wesentlichen Teil an der Hetze gegen arme, geflüchtete und marginalisierte Menschen oder ignorieren deren Probleme. Ja, auch dieser Thread tut genau das.

Es wurde über eine Art Gesetzeslücke berichtet. Es wird berichtet, dass an dieser gearbeitet wird.
Warum genau ist es also noch notwendig, aus diesem kleinen Problem einen Elefanten zu machen und in den Raum zu raunen, welche Lücken es wohl noch geben könnte?

Es wird gesagt: Damit kann man Stimmung machen. Und man macht gleichzeitig Stimmung.

Das IST Stimmungsmache.

Wo ist denn diese, wenn es um die Diskussion über überbordende Privilegien eines Teils der Bevölkerung, den Machtmissbrauch, die Klientelpolitik geht? Nein, das ist keine Ablenkung. DAS ist die wirkliche Gesetzeslücke.

Wer in der Öffentlichkeit heute gegen Geflüchtete und Arme hetzt (Abschiebung im großen Stil u.ä.) und Pseudoprobleme (Zahnarzt, Rücküberweisungen, Faulheit…) aufbauscht, macht sich mitverantwortlich für das nächste Hanau, den nächsten Walter Lübke, das nächste brennende Flüchtlingsheim. Das muss man einfach so hart sagen.

4 „Gefällt mir“

Wirklich? Hetzte gegen Arme, Geflüchtete und Marginalisierte durch „zu einem wesentlichen Teil“ der Politiker und Medien?

2 „Gefällt mir“

Das ist mein Eindruck.

Auch die Union, SPD, FDP und leider teils auch die Grünen lassen sich von der AfD treiben.
Alle rutschen merklich nach rechts, auch wenn sie - anders als die AfD - natürlich nach wie vor zum demokratischen Spektrum gehören.

2 „Gefällt mir“

Ich glaube wir haben mittlerweile zum Teil sehr kuriose Einschätzungen dazu, was Hetze ist.

Aus meiner Sicht ist es für die Debatte absolut schädlich, wenn wir jede Kritik an maximaler Naivität bspw. im Umgang mit Flüchtlingen oder im Ausbau des Sozialstaats als Hetze abtun. Wie nennen wir denn dann das, was AfD und alle weiter rechts machen? Es muss auch im normalen demokratischen Spektrum erlaubt sein, über eine angemessene Ausgestaltung von Sozialleistungen (Satz für Burgergeld), dessen Digitalisierung (Bezahlkarte), etc. zu debattieren, ohne dass jeder Beitrag für Rationalität als Hetze gegen Arme diffamiert wird :slight_smile:

8 „Gefällt mir“

Dabei wäre im vorliegenden Fall die Lösung ja ganz einfach.
Wenn Jonathan A. 24 anerkannte Kinder hat, die Mütter mittellos sind und von der Sozialhilfe leben und er für die Kinder Kindergeld bezieht, sollten einfach die Jugendämter mal aktiv werden und den fälligen Unterhalt pfänden.

2 „Gefällt mir“

Ich habe zwar ein Problem damit wie hier mehrere Sachen in einen Topf geworfen werden, aber zumindest die Hetze gegen Bezieher von demm was lange Hartz IV hieß, ist meiner Ansicht nach seit mindestens 20 Jahren Standard in Boulevardblättern und allem was aus dem Dunstkreis von Springers Gossenpresse kommt. Erinnert sich noch jemand an die Kampagne um „Florida-Rolf“? Das war zwar ein besonders extremes Beispiel, aber der grundlegende Ton ist keine Ausnahme.

Von politischer Seite beteiligen sich die diesen Medien nahe stehenden Parteien, also Rechte wie Union und FDP und noch Rechtere.

Zu der Frage warum Steuerhinterziehung nicht so thematisiert wird? Wie hier auch vor ein paar Monaten angesprochen, konzentriert sich ein Großteil der Medien in der Hand von wenigen Vertretern der Klasse, die massiv durch Steuerhinterziehung profitieren kann (und große Parteispenden verteilen).

3 „Gefällt mir“

Wenn Jonathan nach deutschem Recht unterhaltspflichtig wäre (weiß ich nicht), dann würde er seinen Verpflichtungen wahrscheinlich nicht nachkommen können und der Staat müsste ggf. für ihn in „Vorleistung“ gehen.

Weiß nicht, ob das für den Staat so vorteilhaft wäre…

1 „Gefällt mir“

Das muss er eh, da die Mütter ja auch mittellos sind laut Aussage des Artikels. Und bei 22.000€ Kindergeld pro Monat ist er über der Pfändungsgrenze. Was ich nicht verstehe: wieso er das Kindergeld bekommt, wenn die Kinder bei den Müttern leben. Da hat ja die Kontrolle weitreichend versagt.

1 „Gefällt mir“

Gehe da mit. Hätte eine Daumenregel im Angebot, Whataboutism oder false dichotomy in solchen Fällen zu vermeiden. So wie Du es anwendest, @vieuxrenard, hängt es zu sehr von der standpunktabähngigen Wahrnehmung der Gesamtlage ab: Du empfindest den Hinweis auf Steuerhinterziehung hier nicht als Whataboutism, weil Du recht allgemein findest, dass

Das teilen die Meisten, es entkräftet aber den Whataboutism-Vorwurf nicht.

Der an sich immer berechtigte Einwand der begrenzten Kapazitäten kann unterschiedlich stichhaltig sein. Oft ist er zu abstrakt. Es müssten, um Whataboutism und false dichotomy zu vermeiden mMn daher mindestens Anhaltspunkte dafür geliefert werden, dass die konkreten Problematiken auch um die gleichen Kapazitäten konkurrieren: Inm Beispiel mit Parkplätzen und Tötungsdelikten ist das ja nur bei einer extrem abstrakten Betrachtung so, die selten eine Rolle spielen wird. Praktisch wird das eine vom Ordnungsamt und (selten) den Verwaltungsgerichten, das andere von der KriPo und Strafjustiz durchgesetzt.

Der relevante Abstraktionsgrad ist eine Frage des Einzelfalls: Bei der medialen Thematisierung (zB im Podcast, wir sind ja bei den Themenvorschlägen) lässt sich relativ leicht argumentieren, dass in einem Podcast zum politischen Tagesgeschehen alles mit allem konkurriert.

Im Forum wiederum wird in den Themenvorschlägen ja auch einfach intern in der Community diskutiert. Der Charme liegt darin, dass man auch für nerdige, nischige Themen oft Diskussionspartner:innen findet. Wenn es einen nicht interessiert, lässt man ein Thema eben links liegen.

Hätte der Kanzler, der die Richtlinien der Politik bestimmt, ein solches Thema gesetzt, würde man ihm zurecht falsche Prioritäten vorhalten, bei einem einfachen Forumsmitglied greift das eher nicht.

6 „Gefällt mir“