Wehrloser Sozialstaat

Nun die

Das wäre sicherlich möglich. Leider wird es nicht getan. Immer wieder wird in diesen Debatten das Gefühl vermittelt, dass Arme Menschen faul und geflüchtete Menschen Illegal sind. Damit wird eindeutig zu deren Ablehnung aufgestachelt. Und das nennt man nun mal Hetze.

Der Unterschied in Richtung rechts weiter außen ist meines Erachtens vor allem wie sehr die Hetze in Euphemismen verblümt wird.

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Eigentlich könnte man doch auch Vorurteile sagen. Oder Stigmatisierung. Oder Generalverdacht. Das, was auch der Form nach gerade passiert.

Laut Wikipedia: „Abwertend wird damit laut Duden die Gesamtheit unsachlicher, gehässiger, verleumderischer, verunglimpfender Äußerungen oder Handlungen bezeichnet, die Hassgefühle, feindselige Stimmungen und Emotionen gegen jemanden oder etwas erzeugen.“

Einfach der Präzision halber, den Gesamteindruck teile ich durchaus.

Der Fairness halber: @Margarete hat überhaupt nicht „jede Kritik an maximaler Naivität“ oder „jede[n] Beitrag zur Rationalität“ als Hetze bezeichnet. Sie hat - vielleicht etwas aufbrausend - den Ausgangspost in einen übergeordneten Zusammenhang eingeordnet.

Die Beispiele deinerseits sind auch gerade nicht die, die Margarete in Klammern als Beispiele für Hetze abgeführt hat. Zudem ist es meiner Meinung nach überhaupt nicht treffend, die Bezahlkarte auf Digitalisierung zu reduzieren. Schon die von den Ländern gewünschten Standards und Gesetzesänderungen zeigen, dass die Verwendung der Leistungen beschränkt werden soll (u.a. Beschränkung bzgl Händler- und Warengruppen, PLZ) - s. Liste im Wortlaut bei Netzpolitik.org - mit entsprechenden Auswirkungen auf die Lebensführung (in der Sache mag man das unterschiedlich bewerten). Zudem haben wir im Bezahlkartenthread ausführlich erörtert, wie sehr der politisch-mediale Diskurs vonseiten der Bezahlkarten-Befürworter:innen, v.a. aus der Union, von der Realität der Karte abweicht und Stimmung gegen Geflüchtete macht und unerfüllbare Erwartungen schürt. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass die AfD bald in einigen Kommunen die Exekutive stellen wird, finde ich es unangemessen verharmlosend, das Thema als Digitalisierung abzutun (die übrigens auch Margarete in den Thread an Beispiel Hannover ausdrücklich begrüßt hat!).

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Natürlich ist „Hetze“ ein harter Begriff, aber auf viele Aussagen trifft er zu.
Herr Merz hat sicher gewusst, dass Ukrainer keinen „Sozialtourismus“ begingen, dass Flüchtlinge keine (bevorzugte) Zahnbehandlung bekommen und dass die meisten Migrantenjungen keine „kleinen Paschas“ sind. Trotzdem hat er es gesagt. Warum? Zum Stimmenfang. Das ist Hetze.
Auch Herr Söders Ankündigung, bei der Bezahlkarte mit besonderer Härte vorzugehen, ist Hetze, denn es suggeriert, dass diese Härte erforderlich ist, weil sich die Geflüchteten (pauschal) nicht gesetzeskonform verhalten. Auch Herr Söder glaubt sicher selbst nicht, was er da sagt. Was an seinem ständig wechselnden Kurs der Vergangenheit gut zu erkennen ist.
Herr Scholz weiß ganz genau, dass Abschiebung „im großen Stil“ nicht möglich ist.
Und was Frau Lang dazu bringt, ebenfalls mehr Tempo bei Abschiebungen zu fordern, können wir auch ahnen.

Dieses Spiel mit dem Feuer aus opportunistischen Gründen ist höchstgefährlich.
Und ich weiß wirklich nicht, warum ich dabei in meinen Aussagen lieb und nett und tolerant und verständnisvoll bleiben soll.

Die Demokratie, der Rechtsstaat, die offene, wohlwollende Gesellschaft braucht auch Zähne gegenüber den Kräften, die sie bedrohen. Nicht zu vergessen, dass es viele Menschen gibt, die diese Dynamik der Normalisierung fremdenfeindlicher Aussagen ernsthaft gefährdet. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich kann mir ziemlich gut vorstellen, wie sich die Menschen fühlen, die zu den attackierten Gruppen gehören oder einfach nur so aussehen. Ich hätte Angst. Angst um mein Leben und meine Gesundheit. In manchen Kleinstädten im Osten ist die Bedrohungslage sogar schon ausgesprochen deutlich, soweit ich mitbekommen habe. Gerade erst ist das Haus eines Demo-Organisators in Thüringen angezündet worden.

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Jetzt bin ich auch dazu gekommen, den Artikel zu lesen. Deine Zusammenfassung erschließt sich mir nicht. Es besteht kein Zweifel daran, dass diese Art des Missbrauchs vorkommt. Schätzungen aus 2017 sprachen von 150 Millionen Euro Schaden pro Jahr.

Wie viele Hundertmillionen Euro Schaden müssen denn nachweislich pro Jahr entstehen, bevor ein Bericht darüber kein rechtsradikales Narrativ ist? Wer erhebt diese Schäden, wenn niemand über mögliche Missbrauchsfälle reden darf, weil der Verdacht bereits ein rechtsradikales Narrativ bedient?

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Das waren in dem genannten Jahr 0,02% der gesamten Steuereinnahmen Deutschlands (~ 734695 Millionen €). Quelle: Statistisches Bundesamt

Zum Vergleich:
60 Milliarden € klimaschädliche Subventionen entsprächen 8,17% der Steuereinnahmen 2017.
100 Milliarden € Sondervermögen Bundeswehr entsprächen 13,61% der Steuereinnahmen 2017.

Mit dem „Argument“ kann man auch Berichte oder Nachforschungen zum möglicherweise von Scheuer verursachten Schaden durch die vergeigte Maut abwürgen.

243 Millionen Euro. Nicht einmal 0,04% der gesamten Steuereinnahmen Deutschlands…

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Ist doch längst abgewürgt…

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Aber nicht, weil es sich um ein linksradikales Narrativ handelt, dass das Ansehen des besten Verkehrsministers aller Zeiten beschmutzen will.

Und auch nicht, weil das Ministerium klar missbräuchlich gehandelt hat, immer mit dem Ziel den Staat um diese Summe zu erleichtern, der Schaden aber so niedrig ist, dass es sich nicht lohnt, dagegen was zu machen.

Das Argument hier ist eher, dass man sich schon fragen muss, ob sich die Bekämpfung rechnet. Ein Vorgehen gegen Misbrauch von Sozialleistungen wird ja auch Geld Kosten. Kann man sinnvoll genügend bekämpfen, ohne dabei mehr auszugeben als man an Missbrauch verhindert? Bei 150 Millionen Gesamtvolumen ist der Spielraum nicht sehr groß (und man wird nie 100% des Missbrauchs verhindern können).

Wenn man sich dagegen den Umfang der Steuerhinterziehung anschaut, beläuft sich das nach Schätzungen auf 125 Milliarden, also fast das Tausendfache. Da kann man sehr viel mehr Ressourcen reinstecken und es würde sich immer noch lohnen.

Lohnt es sich für 150.000.000 €, bei (fragwürdigen) Vaterschaftsanerkennungen zusätzliche Nachweise einzuholen?

Es ist kein Entweder/Oder. Ich will sowohl eine Bekämpfung von Steuerhinterziehung als auch eine Bekämpfung von Sozialbetrug.

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Das Problem bei solchen Dingen ist immer, dass die Kosten für die Missbrauchsverhinderung u.U. höher sind als die Schäden, die durch den Missbrauch entstehen. Dabei ist das Folgeproblem, dass wenn man nichts tut (und sich das rumspricht) die Kosten durch den Missbrauch steigen könnten, sodass es sich irgendwann dann doch lohnt, den Missbrauch zu bekämpfen.

Aber wann sich das lohnt ist immer die große Frage. Ganz praktisch gesagt: Jeder fordert Bürokratieabbau, das ist im Prinzip das Siegerwort schlechthin in jedem Politik-Bullshit-Bingo. Missbrauch zu vermeiden erfordert aber eben genau das: Mehr Bürokratie, die alle trifft, auch diejenigen, die nichts missbräuchliches tun. Daher: Wenn es ein Grenzfall ist, also nicht wirklich klar ist, ob die Kosten der Missbrauchsbekämpfung niedriger sind als die Schäden des Missbrauchs, macht es u.U. alleine aus Bürokratiereduktionsgründen Sinn, den Missbrauch zu ignorieren, auch wenn das ein unschönes Gefühl mangelnder Gerechtigkeit hinterlässt.

Was ich damit nur aufzeigen will, ist, dass es nicht so einfach ist, wie es dargestellt wird. Gerade in der Bekämpfung von Steuerhinterziehung haben wir dieses Problemverhältnis von Kosten/Bürokratie und Missbrauchsverhinderung permanent. Aber das gilt 1:1 auch für Probleme wie die Scheinvaterschaft.

Deswegen plädierte ich im Eingangspost ja auch vor allem dafür, bei klarer Missbrauchsabsicht eine Strafbarkeit zu etablieren, sodass man zumindest gegen „offensichtliche Fälle“ wie den, der im Artikel erwähnt wird, vorgehen kann um zu zeigen, dass man etwas tut. Wir müssen nicht jede Vaterschafsanerkennung mit einem Haufen Bürokratie im Detail überprüfen, aber wenn rauskommt, dass jemand sich eine goldene Nase durch geschäftsmäßige Vaterschaftsanerkennungen verdient, sollten wir in der Lage sein, dort einzuwirken.

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Ich glaube nicht, dass es so schwierig und kostspielig wäre, den Missbrauch wesentlich zu erschweren.

Bei den Steuern sagen wir auch nicht: „Wie soll man feststellen können, ob eine Fahrt dienstlich oder privat ist, den Aufwand das zu prüfen, kann man nicht rechtfertigen. Wir lassen den Steuerzahler einfach eine beliebige KM-Zahl eintragen und vertrauen darauf, dass es stimmt. Und wenn jetzt ein paar tausend Leute da so viel eintragen, dass sie keine Steuern mehr zahlen müssen, dann ist das halt so. Die 150 Millionen die uns entgehen sind nichts gegen das BW-Sondervermögen!“

Wir sagen: Fragwürdige Zahl? Bitte nachweisen! Immer noch fragwürdig? Fahrtenbuch! Ende der Diskussion.

Naja, der Gesetzgeber will sich ja kümmern, mal sehen, was da rauskommt.

Nö, wir sagen: „Mach doch einfach diese Pauschalregelung, das passt schon!“.
Ich habe als Bilanzbuchhalter in der Steuerberatung gearbeitet, was glaubst du wie oft der Steuerberater sagte: „Jaja, das ist eigentlich nicht zulässig, aber das Finanzamt interessiert sich für solche Kleinigkeiten nicht. Lass drin. Wenn ne Buchprüfung kommt hört das Finanzamt eh nicht auf, bis es irgendwas findet, also geben wir ihnen diese Kleinigkeiten…“

Das läuft überall so. Auch im Strafrecht werden die Ermittlungen zu Bagatelldelikten eingestellt, wenn die Kosten der Verfolgung nicht mehr in einem sinnvollen Verhältnis zur präventiven Wirkung stehen.

Wie gesagt, es geht immer um das Verhältnis von bürokratischem Aufwand und Missbrauchsverhinderung - das schließt explizit auch die Abschreckungswirkung ein. Aber wie viel zusätzliche Bürokratie ist sinnvoll, um von bestimmten Missbrauchshandlungen abzuschrecken? Wie gesagt, die zusätzliche Bürokratie trifft immer alle Bürger, auch die, die nichts böses im Schilde führen. Im konkreten Beispiel: Aktuell sind Vaterschaftsanerkennungen bürokratisch relativ simpel geregelt, eben weil nicht viel überprüft wird. Würde man hier mehr Wert auf Missbrauchsprävention legen, würde das mehr Bürokratie für alle bedeuten, die eine Vaterschaft anerkennen lassen möchten - und mehr Kosten für alle diese Fälle erzeugen. Da muss man schon hinterfragen, ob sich das lohnt.

(ich will im konkreten Fall nebenbei nicht sagen, ob es sich lohnt, dazu kennen wir die Zahlen nicht gut genug - also wie hoch die Schäden tatsächlich sind und wie teuer und bürokratieerzeugend es wäre, diese Schäden angemessen zu reduzieren)

was man am besten am Sport der Steuervermeidung und -hinterziehung sieht.

Wie viele KM ich als Fahrtkosten abrechnen kann ist aber halt keine Pauschale. Klar, wenn man da die Abstand Wohnort-Arbeitstätte*Anzahl Arbeitstage angibt, dann fragt niemand nach. So wie niemand zusätzliche Nachweise braucht, wenn jemand z.B. mit der Mutter im selben Haushalt wohnt und das Kind anerkennen lässt.

Sehr viele der missbräuchlichen Anträge ließen sich wahrscheinlich durch die zwei Kennzahlen „Anzahl erfolgter Vaterschaftsanerkennungen (von anderen Müttern)“ und „hat pfändbares Einkommen“ erkennen.

Aber klar kann man es auch so ausgestalten, dass es für die 99+% der nicht missbräuchlichen Anerkennungen zur PITA wird. So wie man auch sagen könnte: Wenn wir Fahrtkosten als Werbungskosten abzugsfähig machen wollten, dann müsste man für jede Fahrt eine Kartendarstellung, Start-/Endzeit und Grund der Fahrt angeben lassen. Das lohnt doch nicht!

Es ist ja schon abenteuerlich, wie hier im Thema Sozialstaat immer wieder das Argument Steuervermeidung und -hinterziehung kommt.

Man scheint sich nicht drauf einigen zu können, dass grundsätzlich beides ein Problem ist. Maßnahmen gegen beides sind auch nicht zwangsläufig nur Bürokratie, sondern einiges kann auch durch Verbesserungen der Systematik abgeräumt werden.

Bei Steuern wird hier Vermeidung und Hinterziehung immer in einen Topf geworfen und so getan als sei es gleich schlimm (was der ein oder andere moralisch so bewerten mag). Faktisch ist aber Steuervermeidung keine Straftat und nur auf Unzulänglichkeiten im Steuerrecht zurückzuführen (verschachtelte GmbHs und so ein Zeug). Da würde ich sagen “Don’t hate the player, hate the game.” Das ist offensichtlich nicht fair, und es gibt dringenden Handlungsbedarf. Da muss man a das System, da hilft keine Bürokratie :wink: bei Steuerhinterziehung hingegen kann man nur durch Kontrollen etc. was ausrichten.

Jetzt bin ich für Details im Sozialsystem nicht der Experte, aber gilt es da nicht analog? Und anstatt zu sagen nur 150 Mio., das sind ja Peanuts, sollte man wohl schon die Lücken (analog Steuervermeidung) angehen. Das grundlegend in Abrede zu stellen mit dem Argument, dass es woanders subjektiv größere Probleme gibt ist die gleiche Logik wie Leute, die sagen D muss beim Klimaschutz nichts machen weil China mehr CO2 ausstößt. Letzteres ist offensichtlich auch Quatsch.

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Nicht jede Lücke ist es aber wert, dass sie geschlossen wird. Das ist immer eine Abwägung.
Da wir gerade bei Vaterschaften zum Sozialbetrug sind: jeder gesetzlich versicherte Kinderlose ab 23 zahlt einen Zuschlag in der Pflegeversicherung.
Das kann man genauso umgehen: ein Kind anerkennen - oder eine Mutter mit Kind für einen Tag heiraten. Es reicht nämlich, einen Tag Vater eines Kindes gewesen zu sein und man hat bis zum Lebensende Ruhe.

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Hmm, ein bisschen dreht es sich im Kreis. Ich glaube, wir haben bei persönlicher Reflexion der Beiträge etwas dazu gelernt, wann man aus Themen eine Grundsatzfrage machen sollte, indem man auf den Kontext hinweist, was Whataboutism ist und wann ein kleineres Einzelthema wo auf die Agenda gehört und wann nicht. Ich für meinen Teil jedenfalls.

Scheint mir an der Zeit, dass die Diskussion konkreter wird und neue Fakten eingeführt werden, um zu prüfen, welche Sichtweise (vereinfacht: Verstärkte Durchsetzung lohnt sich nicht vs. verstärkte Durchsetzung lohnt sich) zutrifft. Jedenfalls, wenn wir das nicht zu einem reinen Expert:innenthema entpolitisieren wollen.

Insbesondere das:

wäre zu klären. Also Informationen (Rechtslage, tatsächliches Verhalten der Behörden, weitere Zahlen) und neue Argumente liefern, um das Kosten-Nutzen-Verhältnis näher zu beleuchten.

Aber auch in der Steuervermeidung gilt eben das Argument, dass manche Dinge, die als ungerecht empfunden werden, nicht abgeschafft werden, weil die Abschaffung ein unverhältnismäßiges Mehr an Komplexität (und damit Bürokratie) bedeuten würde.

Du hast daher Recht, dass die Konflikte ähnlich sind. Dabei sollte man sich im Hinterkopf behalten, dass alles sich stets zwischen den Extremen abspielt, wobei ein Extrem eben das absolut gerechte, aber extrem komplexe System und das andere Extrem das absolut einfache, aber i.d.R. sehr ungerechte System (z.B. „Bierdeckel-Steuererklärung alá Friedrich Merz“) ist - beides geht in der Regel nicht (also ein absolut einfaches und dennoch absolut faires System ist in aller Regel nicht möglich!). Du hast auch Recht, dass das „mehr an Komplexität / Bürokratie“ nicht in jedem Punkt direkt proportional zum „mehr an Gerechtigkeit“ ist, es daher tatsächlich immer wichtig ist, zu prüfen, an welchen Stellschrauben mit möglichst wenig zusätzlicher Bürokratie ein möglichst großes Mehr an Gerechtigkeit erzielt werden kann. Um nichts anderes, als diese Frage zu stellen, geht es mir letztlich.

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