Ich bezweifel mal einfach, dass mehr Polarisierung uns weiter hilft. In den USA klappt das ja super und stabilisiert die demokratische Gesellschaft (Sarkasmus).
Ich empfinde hier extrem wenig Polarisierung.
Ist ganz davon abhängig in welchen bubbles man sich bewegt. Und die Nachwahlanalysen bei den jungen Wählern belegen das.
Ich glaube, das Thema ist sehr viel simpler. Aus meinem Berufsalltag:
Die Mädchen wählen eher links, jetzt auch Dank Tiktok. Die AfD punktet bei Jungs, die ohnehin durch das Internet und die rechte Bro-Culture dort enorm angesprochen werden, und auch bei patriarchal denkenden jungen Menschen.
Resistent sind vor allem die, bei denen es Zuhause noch kritisch denkende politische Gespräche gibt.
Grün ist schon lange nicht mehr cool. Greta Thunberg war schon vor Jahren eine Witzfigur für sehr viele (vor allem männliche) Schüler. SPD und CDU sowieso. Die Lehrer kommen einem ständig mit der Umwelt und der Erinnerungskultur. Das geht bis zum Umfallen durch den Lehrplan.
Das interessiert einen großen Teil der jungen Menschen sehr oft nicht mehr. Manche erreicht das, aber viele sehen da nur einen erhobenen Zeigefinger.
Es gibt auch ganz tolle engagierte Jugendliche bei uns in der Schule, aber hält sich das auch bis in Studium und Ausbildung oder den ersten Job?
Bist du Lehrer?
Anekdotische Evidenz? Statistik?
Lehrerin.
Rein anekdotisch aus meinem SchülerInnenkontakt und dem Austausch mit meiner Lehrerbubble (über das, was die so sehen).
Politik ist im Unterricht tatsächlich allgegenwärtig, wenn man genau hinsieht. Man lernt sehr viel über die Einstellungen der Kids, wenn man zuhört.
Und ich unterrichte kein PoWi!
Ich bin keine Sozialwissenschaftlerin und kann dazu keinerlei Statistiken bieten.
Natürlich sind das nur Stichproben, aber ich finde, es passt mit den Analysedaten zusammen: Bundestagswahl 2025: Wer wählte die Linke - und warum? | tagesschau.de.
Bei der Linken ist es wohl noch eindeutiger, weil vorwiegend junge Menschen diese gewählt haben.
Bei der #noafd ist es nicht ganz klar, was die jungen Wähler von älteren unterscheidet, aber es dürfte wohl damit einhergehen, dass vor allem im Osten unter jungen Männern die #noafd erste Wahl ist, was wir uns quasi als Jugendkultur vorstellen dürften. Warum ich diese Unterscheidung mache: wir sollten uns klar darüber sein, dass junge Männer offenbar wirklich frustriert sind und Ost-Bashing hilft dagegen übrigens nicht. Es wird schlicht ignoriert, dass die Politik keine Lösungen für den ländlichen Raum im Osten hat.
Kurz: Krieg, internationale Sicherheit, Frieden sind nicht die wichtigsten Themen. Bei der #noafd ist es Migration und Innere Sicherheit (also die Angst vor Überfremdung, was sich rassistisch äußern dürfte). Ausgerechnet Habeck hat in einem Interview mal passend analysiert: die #noafd ist für die Jüngeren keine neue, sondern eine immer schon präsente Partei. Sie verschiebt zudem das Verbotene/ Unsagbare, was v.a. für heranwachsende Männer reizvoll sein könnte, die sich durch Provokation und Abgrenzung definieren wollen. Das würde man aber erst in ein paar Jahren feststellen können, wenn z.B. in westlichen Bundesländern weniger junge Wähler, die #noafd wählen (was nur bei wirtschaftlicher Stabilität passieren könnte). Bei der Linken geht es den Wählenden v.a. um soziale Sicherheit (Wohnen, aber auch Frauenrechte bzw. Feminismus, weil der Wunsch nach Gleichberechtigung sehr groß ist) und eine humane Asylpolitik (also das Gegenstück zur #noafd).
Der Vorteil beider Parteien: beide haben einen unique selling point und mit dem Wunsch nach Veränderung sind es die einzigen Parteien, die sich deutlich von der Ampel abheben.
Und eine Bitte: lasst die Jugend Jugend sein. Ja, es sind meist noch keine Stammwählenden, aber ist das schlechter als der Rentner, der tatsächlich immer nur die Partei wählt, die er schon immer gewählt hat? Was man aber feststellen kann: die jungen Wählenden übernehmen nicht einfach das, was ihre Eltern wählen/ denken, sondern was vermutlich ihrer Bubble/ Peer group entspricht. Und da wären wir wieder bei der Wirkung von Social Media. Und vielleicht wird der Jugend auch einfach permanent Angst und Sorge vor die Nase gehalten, statt Lösungen zu diskutieren.
In Hamburg ist die Linke bei jungen Wähler:innen sogar noch deutlicher vorn.
Man kann doch keine Parteien wählen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten Deutschland genau in diese Situation gebracht haben. Ein paar Beispiele:
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Union: macht seit Jahrzehnten Politik, die in Deutschland Infrastruktur, Bildung und eine Rentenreform weitgehend verschlafen hat. Für viele Junge unwählbar. Dazu das Brandmauer-Ding im Januar.
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SPD: hätte theoretisch ein paar Ansätze (Kühnert-Flügel), wird aber praktisch von den Seeheimern dominiert. Zudem glaubt keiner mehr der SPD, dass sie wirklich starke und progressive Politik machen. Für viele Junge unwählbar.
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Grüne: der „Realokurs“ entspricht eben nicht dem, was sich viele junge Wähler wünschen, entsprechend nach der Euphorie 2021 die Ernüchterung. Haben in der Ampel zu wenig „rausholen“ können, in Teilen fast schon FDP-Niveau. Für viele Junge wenigstens nicht interessant genug, um ihnen wirklich sinnvolle Würfe in Klima- und Sozialpolitik zuzutrauen. Und: der Bonus von 2021 ist dahin.
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FDP: sind halt nicht alle Crypto-Bros, Unternehmer und Zahnärzte. Zudem Ampel-Krach. Für viele Junge keine sinnvolle Alternative.
Jetzt haben wir natürlich das Thema mit den Rändern, weil der „etablierten Mitte“ keine sinnvolle Politik mehr zugetraut wird. Ob zurecht oder nicht ist ein anderes Blatt.
Ich glaube - nicht nur bei Jungwählern - dass es ein massives Vakuum im linksprogressiven Sprektrum gibt. „Fundi-Grüne“, „Liberale Linke“ und „Soziale SPDler“ liegen womöglich näher zusammen, als man meint.
Sie alle wollen soziale Reformen, die Revolution bei Mietpreisen, Haushalt (bspw. Vermögenssteuern), Klimaschutz, Löhnen und so weiter. Sie setzen sich dafür ein, dass in gewisser Weise das Generationenversprechen eingehalten wird.
Dieses Vakuum wurde in dieser Wahl durch links extrem gut bespielt, weil sie vermutlich die einzige Partei waren, die nicht auf diese Weise in die Migrationsdebatte gerutscht sind. Der Preis, den dieses Wahlkampfthema brachte ist auch die Stärkung der AfD, die natürlich keinerlei Lösung hat, aber enorme Reichweiten generiert.
Was die Linken und die AfD für junge Leute schaffen, und da muss man sie in einen Pott werfen, weil sie das beide hingekriegt haben, ist eine Gruppenzugehörigkeit.
Die AfD fährt diese Strategie bei jungen Männern schon sehr lange, Krah ist da das beste Beispiel. Er suggeriert: „Ich bin einer von euch, und ihr könnt so cool sein wie ich.“ Meine Beobachtung ist, dass junge AfD-Wähler davon begeistert sind, sich „outen“ und einer Gruppe, der Rechten, zugehörig fühlen zu können. Es ist relativ niederschwellig, ein kurzer Haarschnitt und dunkle Kleidung gehören aber dazu.
Die Linke hat in kurzer Zeit etwas Ähnliches geschafft, mit einem Abstiegsangst-/Underdog-Image.
(„Wir gegen die da oben/die Reichen/die Nazis.“) → In Abgrenzung zur AfD haben sie im Prinzip eine „Revolte der Anständigen“ geschafft.
(Nach meinen Beobachtungen hat Sahra Wagenknecht das auch versucht, aber die Wahlplakate waren mit „Unser Land“ zu abstrakt formuliert.)
Bei den Grünen hat die Strategie genau so lange funktioniert, wie sie ein Zugehörigkeitsgefühl durch die Nähe der Gruppe Fridays for Future hatten, seit 2021 sind sie als Regierungspartei Teil der „Elite“ und schaffen kein Wir-Gefühl mehr, weil sie nun „die da oben“ sind.
Junge Leute nehmen auch mehr Abstand von den „Sonstigen“. Damit sind starke Linke und AFD bei jungen Leuten auch eine Folge der 5%-Hürde.
Ich würde schon sagen, dass es neben dem Gefühl auch sehr handfeste Gründe Wähler:innen von den Grünen abschrecken konnte. Grade die aus der Klimabewegung. Bei allen Erfolgen haben die Grünen halt auch den Rechtsbruch und das Weichspülen der Klimagesetze mitgetragen.
Die Parteien machen der Jugend auch kein Angebot, das nur ansatzweise sexy ist. Während Corona waren die regierenden Parteien schnell darin, Solidarität einzufordern - Schulen und Schüler/ Schülerinnen fielen hinten runter. Jetzt fordern die Parteien, die (im wesentlichen alle zusammen) daran Schuld sind, wie es um Infrastruktur und co steht, Sachen wie Dienstpflicht, regelmäßig höhere Abgaben um Rentner und co zu alimentieren, verbunden mit der Vorstellung, dass man selbst sowieso nie so etwas wie Rente bekommen wird, Verbrenner-Aus verbunden mit unbezahlbaren Preisen für Gebrauchtwagen usw.
Die FDP hatte bei der vorletzten Bundestagswahl noch junge Menschen erreichen können und eine Idee der nächsten vier Jahre verkaufen können. Gut, der Drops ist gelutscht.
So wie es aktuell ist, scheint für viele junge Menschen der „deutsche Traum“ ausgeträumt zu sein. Es folgt eine Umorientierung, und Linke und AfD sind die einzigen Parteien, die (bundespolitisch) nicht „verbrannt“ sind und noch Visionen an diese Menschen verkaufen können.
Ja, sie fühlten sich nicht hinreichend geschützt und litten darunter, ungeachtet der Umstände um jeden Preis so funktionieren zu müssen wie immer.
Das scheint mir ein Strohmann zu sein, der obendrein die Realität verdreht.
Die Wahlentscheidung für die Linke ging für die allermeisten mutmaßlich nicht entlang der Entscheidung:
„offene Grenzen für alle“ ja<->nein
sondern
„Zusammenarbeit mit Faschisten“ ja ↔ nein
Wozu die Nebelkerzen?
Solange sich die politische Mitte bei polarisierenden Themen (und da gibts einige momentan) in Grabenkämpfen ergibt und (zumindest gefühlt) entscheidungsunfähig bleibt, wird der Unmut über die regierungsfähigen Parteien weiter wachsen … und speziell in den jüngeren Altersgruppen (und da frage ich mich ernsthaft, ob das nicht ein Problem für die Demokratie ist) hat man kein Problem damit, sich auf nur ein Thema zu konzentrieren und auch mal Splitterparteien zu wählen, die traditionell eigentlich themengetrieben sind und keine ganzheitlichen Regierungskonzepte besitzen.
Daher sollte man sich in der Mitte mal zusammenraufen!
Unterschiedliche Meinungen sind kein Problem: Die einen reagieren auf den Druck von rechts mit einer bewussten Gegenbewegung und vermeiden alles, was auch nur im Ansatz „rechts“ riecht (SPD und Grüne rutschen etwas nach links). Die anderen versuchen rechts etwas den Druck abzulassen, indem man die Sorgen und Nöte der noch unentschlossenen Afd-Wähler ernst nimmt (FDP und CDU/CSU rutschen nach rechts).
Die Zusammenarbeit ist der springende Punkt: Beides gangbare Wege … die dürfen aber nicht dazu führen, dass zur Regierung notwendige Koalitionen entscheidungsunfähig werden und im Wahlkampfmodus gegenseitig Unfähigkeit vorwerfen (die Afd muss gar nicht mehr viel stänkern, sondern muss die Geschenke der Wahlkampfpolemik nur aufsammeln). Ich bin ein großer Freund multilateraler Regierungskoalitionen, da man in der Entscheidungsfindung aus mehreren Lösungsansätzen wählen kann. Aber man muss dazu aber fair und kooperativ sein, die Diskussion muss objektiv und sachbezogen geführt werden, der Gegenseite muss man auch mal was zugestehen können. Und daran ist die (weitestgehend führungslose) Ampel gescheitert: die lowhanging fruits hat man gut beackert, aber rund um die wirklich brenzligen Themen hat man sich zerstritten. Und dann gegenseitig zerlegt. Zum Schaden der politischen Mitte und so müssen die Ränder Unzufriedene eigentlich einfach nur einsammeln
Ich kann das, was du hier schreibst, nicht einordnen. Soll das eine Beschreibung der aktuellen Situation sein? Dann stimmt „SPD und Grüne rutschen etwas nach links“ nicht. Soll es ein Lösungsvorschlag sein? Dann ist „indem man die Sorgen und Nöte der noch unentschlossenen Afd-Wähler ernst nimmt (FDP und CDU/CSU rutschen nach rechts)“ schon lange erfolgt (und es ist sonnenklar, dass dies keine Lösung ist).
Ich glaube wir haben nicht den selben Wahlkampf erlebt. Die CDU ist den Wahlkampf eingestiegen mit der Forderung alle Entscheidungen der Ampel, sogar dass Selbstbestimmungesetz, wieder zu zurückzunehmen, während die CSU und teile der CDU, wie Linnemann durch rechte propaganda sender getourt ist und die Grünen zum Hauptfeind erklärt haben. Von SPD und Grünen seite kam nichts vergleichbares, sondern lediglich der Verweis dass viele Vorhaben der CDU schlicht illegal seien. Die härteste Kritik an der CDU kam vom DIW. Zugleich hat Merz teilweise seine eigenen Wählerinnen die für die Brandmauer demonstriert haben als linksextreme beschimpft.
Es ist ein Wunder, dass sich Grüne und SPD bei so einer Rethorik überhaupt auf Koalitionsverhandlungen einlassen.
Ehm multilateral bedeutet zwischen verschiedenen Ländern. Meinst du koalitionen über sich gegenüberstehende politische Ideologien hinweg?
Definition von „multilateral“ nach Oxford: „agreed upon or participated in by three or more parties, especially the governments of different countries“ (also auch Parteien, denn especially heißt hier nicht exlusively)
Und zum Wahlkampf: Dann haben wir wohl in der Tat einen anderen Wahlkampf erlebt und auch eine andere Zusammenarbeit, während die Ampel noch existierte … sicher war da eine Partei aggressiver als andere, aber im Gesamtbild ist der Zustand der politischen Mitte nicht gut … und wenn das so weitergeht, haben wir bald eine Afd-Regierung (man muss aus der Geschichte lernen, denn die NSDAP kam auch schlecht an … bekam erst Wähler, als die Weimarer Regierung die Probleme nicht lösen konnte)
Mir ist es fast egal, ob die kommende Regierung mehr rot- oder schwarz- Töne bekommt, mir ist nur wichtig dass beide Farben vorkommen und am Ende die Entscheidungen geschlossen/überzeugend präsentiert werden.
Mit „Problemen“ meinst du Rassismus, Korruption, Superreiche denen Sozialverantwortung schnurz ist, Manipulationen der fossilen Industrie, …?