Wenn dem so ist, sollten wir uns darauf vorbereiten. Es wird noch jahrzehntelang Treibhausgasemissionen geben, und selbst danach wird der Klimawandel erst mal noch weitergehen.
Und das ist halt alles seit 40-50 Jahren bekannt. Trotzdem sehen wir, dass die neue Regierung (und die alte in den letzten Wochen, die sie nach der Wahl noch hatte) vor allem gegen Investitionsstau kämpfen muss.
Brücken teilweise seit den 70ern nicht mehr ausreichend gewartet
Bahnnetz und Bahnhöfe marode
Bildung total vernachlässigt
Öffentliche Gebäude am verfallen
Sozialer Wohnungsbau vergessen worden
Das sind alles Ausgaben, die vorangegangene Regierungen einfach in die Zukunft verschoben haben, um im jetzt Geld verteilen zu können. Wenn also 60-70 jährige jammern, dass mit den Grünen alles teurer wird, früher alles besser war und sie deshalb jetzt AFD wählen, belügen sie sich selbst über den Wohlstand den sie hatten.
Ich fand hier, wenn man Angebot und Nachfrage als akzeptierte Grundlage nimmt, immer einen Zwei-Schritt recht überzeugend:
Festlegung eines „Living Wage“ als Mindestlohn. Damit ist ein Gehalt gemeint, dass soziale Sicherheit und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Das wäre die absolute Untergrenze für ein Gehalt.
Festlegen einer maximalen Spannweite der Gehaltsunterschiede in einem Unternehmen, z.B Faktor 40. Das hieße dann, dass das maximale Einkommen im Unternehmen 40 Mal so hoch sein darf wie das geringste Einkommen, das an Menschen gezahlt wird, die zur Wertschöpfung des Unternehmens beitragen (das schließt im progressiveren Fall auch ausgesourcte Dienste wie Reinigungskräfte) ein.
Der Hintergrund ist, dass meist Top-Gehälter an Entscheidende gezahlt werden. So wird ein Anreiz gesetzt das Lohnniveau insgesamt zu heben um selbst mehr verdienen zu können.
Diese Idee hat natürlich keinen Einfluss auf Gehälterrelationen innerhalb der Gesellschaft (also die Frage, ob es gerecht ist, wie viel die OP-Crew verdient im Vergleich zu einem Sparkassenmitarbeitenden).
Es ist aber vielleicht ein 2-Schritt in einer richtige Richtung der auch realisierbar wäre, weil er nicht gleichzeitig auch die Systemfrage stellt.
Die Frage ist hier nur: was ist die Henne und was das Ei, sprich: Wird keine Politik für Menschen mit geringerem Einkommen gemacht, weil diese weniger wählen oder ist es nicht vielmehr so, dass diese Menschen weniger wählen, weil es aus ihrer Sicht „eh egal“ ist, sprich, weil es für ihre Interessen egal ist, welche der 5-8 Parteien regiert?
Ich finde das ehrlich gesagt nicht so platt, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Es gibt ja durchaus ernstzunehmende Theorien, die auch die ökonomische Dimension von Demokratie umfassen. Der Gedanke dahinter: Wenn große Mengen an Kapital in wenigen Händen sind, haben diese Besitzenden einen Einfluss, der den Handlungsspielraum für das, was Institutionen des demokratischen Staates regulieren können, enorm einschränken kann. Das erleben wir ja auch tagtäglich im politischen Diskurs, wenn etwa vor Maßnahme XY gewarnt wird, aus Angst, „die Wirtschaft“ würde dann sofort abwandern. Ein anderes Beispiel ist der enorme Einfluss wichtiger Industriezweige auf die Wirtschafts-, Energie- und Umweltpolitik. Insofern kann man m. E. zumindest darüber diskutieren, inwiefern eine so extrem ungleiche Verteilung von Vermögen die Demokratie einschränkt.
Es gibt zwei Änderungsvarianten: Entweder die Politik ändert ihren Kurs, weil sie von mehr Menschen gewählt werden möchte, oder die Menschen gehen doch wählen weil sie zahlreich genug sind um die Entscheidung beeinflussen zu können. Ersteres ist unwahrscheinlich, weil es praktisch nichts bringt was nicht eh schon besteht. Letzteres eröffnet die Chance auf Veränderung.
Aus einer demokratietheoretischen Sicht wäre es zu begrüßen, wenn regierende Parteien es als Problem ansehen, wenn sie Wahlbeteiligung in bestimmten sozialen Milieus konstant deutlich unter 50 Prozent liegt. De facto aber stören sie sich nicht mal daran, wenn z. B. teilweise bei Kommunalwahlen die Wahlbeteiligung insgesamt unter 50 Prozent liegt. Hier könnte der Gesetzgeber Quoren einführen (ähnlich denen bei Abstimmungen). Aber auch das müssten ja die regierenden Parteien entscheiden, die dieses in der Forschung klar benannte Repräsentationsproblem nicht groß zu kümmern scheint.
Das tun sie ja auch, nur wählen viele dieser Menschen dann halt Trump, AfD etc. - also nicht gerade Politiker:innen, die ihre Interessen vertreten, sondern eher welche, die ihnen das Gefühl geben, gegen „die da oben“ zu sein, in Wahrheit aber genau deren Interessen sogar noch stärker zu vertreten. Und deshalb bleiben diese Leute dann bei der nächsten oder übernächsten Wahl dann erst recht zu Hause.
Diese analytisch und argumentativ sehr fundierte Beurteilung widerlegt natürlich sämliche einschlägige Forschung zu Wahlverhalten und -Motivation der letzten 30 Jahre. Danke für diese Erkenntnis!
Ich finde den Anspruch ans Forum, dass Sichtweisen möglichst sachlich dargelegt und begründet werden sollen sehr gut. Das ist vielleicht in besonderem Maße erforderlich, bei Positionen, die nicht gerade die Mehrheitsmeinung sind. Allerdings finde ich gibt es schon auch einen Unterschied zwischen einer höflichen Bitte, eine Sichtweise durch Quellen o. ä. zu untermauern und dem Vorwurf der Verbreitung von „Stammtischparolen“, nur weil mal etwas zugespitzt wurde. Denn das passiert ja hier durchaus immer mal wieder, was ich auch an sich nicht schlimm finde.
Was ich mich immer noch frage: was erwarten AfD Wähler, was sich durch einen Wahlerfolg der AfD ändern soll? Möglichst nix? Also welche konkreten Massnahmen?
Ich glaube das ist zu „zweckmäßig“ gedacht. Bei Umfragen geben ja regelmäßig über 50 Prozent der AfD-Wähler:innen an, die Partei „aus Protest“ zu wählen. Das heißt, sie wählen sie gar nicht, weil sie sich irgendetwas von ihr erwarten, sondern um eine Art Signal zu setzen (den berühmten „Denkzettel“). Und ich würde sogar behaupten, dass viele, die die AfD wählen, weil sie in ihr tatsächlich eine „Alternative“ zu den anderen Parteien sehen (etwa bei Themen wie Corona, Ukraine, Klimaschutz oder Zuwanderung), das eher wegen einer allgemeinen Tendenz oder Stimmung tun und weniger weil sie sich konkrete Maßnahmen erhoffen.
Deren Wähler geben sich offenbar der Illusion hin, dass das bestehende System eine Art Naturzustand ist und wenn es nicht verändert auch so bestehen bleibt. Dabei wird ausgeblendet, dass sich das Drumherum verändert und Stabilität eine Anpassungsleistung erfordert.
Im Landkreis Sonneberg wird demnächst die AfD den Landrat stellen. In der Zeitung stand heute schon, damit wird die AfD zu „normalen“ Partei. Das wird genau so kommen