Vorschlag für eine grundlegende Rentenreform

Zwei Jahre habe ich mich jetzt sehr intensiv mit dem gesetzlichen Rentensystem auseinandergesetzt und über Reformoptionen nachgedacht. Das Konzept hat sich mehrfach weiterentwickelt, ist mittlerweile seit mehreren Monaten aber relativ stabil. In diesem ersten Post gebe ich eine kurze Motivation und erkläre das Grundprinzip, im zweiten wird es eine ausführliche Literatursammlung geben.

Motivation
Der Sozialverband Vdk formuliert das Ziel:

Der VdK will die Rente zukunftssicher machen und Altersarmut verhindern. Wir setzen uns für ältere Menschen ein und dafür, dass sie gut von ihrer Rente leben können.

Eine konkrete Forderung ist, das Rentenniveau auf 53% anzuheben. Der Effekt ist, gegenüber einem Rentenniveau von 48% die Renten um mehr als 10% zu erhöhen. Das ist eine proportionale Erhöhung, eine Rente von 500€ wird auf ca. 550€ angehoben und 2000€ auf ca. 2200€. Der Vorschlag ist überhaupt nicht zielgerichtet, um Altersarmut zu verhindern und die Zukunftssicherheit wird auch eher beeinträchtigt.

Das Verlängern der 48%-Haltelinie im Rentenpaket II hat sehr ähnliche Effekte. Es gibt proportional höhere Renten und die Zukunftssicherheit wird auch nicht geklärt. Das sieht man schon daran, dass sie nur bis 2039 gilt.

Grundidee des Reformvorschlages
Die Kernidee des Vorschlages ist die Trennung von einer Äquivalenzrente und Bezuschussung. Die Äquivalenzrente funktioniert dabei so, dass man genau das ausgezahlt bekommt, was man eingezahlt hat (relativ zum BIP und unter Berücksichtigung von Versicherungseffekten). Die Bezuschussung kann dann zielgerichtet sein.

Die Äquivalenzrente ist zukunftssicher. Wenn jeder rausbekommt, was eingezahlt wurde, entstehen langfristig relativ zum BIP keine zusätzlichen Defizite (das ist ein sehr verkürztes Argument, da steckt einiges an formaler Theorie dahinter). Es werden folgende zwei zentralen Punkte erreicht:

  1. Jeder bekommt mindestens das, was eingezahlt wurde. Insbesondere ist klar definiert, was Rentenansprüche auch von sehr jungen Einzahlern mindestens Wert sind. Damit kann das Vertrauen in die gesetzlichen Rentenversicherung massiv gestärkt werden.
  2. Die Bezuschussung kann im Vergleich zu den Beispielen in der Motivation wesentlich zielgerichteter organisiert werden.

Die Bezuschussung ist eine politische Frage, daher mache ich da keinen konkreten Vorschlag. Damit lässt sich auch nicht genau sagen, was die Effekte der Reform sind. Wenn allerdings absolute (beispielsweise pro Versicherungsjahr) statt proportionale Bezuschussung gewählt wird, werden geringe Renten gegenüber dem status quo aufgewertet und höhere Renten werden weniger stark steigen.

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In diesem Post stelle ich eine ausführliche Sammlung von Literatur (und eigenen Texten) zusammen.

Die ersten beiden Artikel sind von mir, die Theorie zu Rentensystemen und dem Reformvorschlag aufbauen.

In diesem Text werden

  1. Das Grundgerüst der gesetzlichen Rentenversicherung erklärt (das ist wahrscheinlich notwendiges Wissen für diesen Thread)
  2. Konzepte eingeführt. Dabei sind die Konzepte von Indexpunkten, Einzahlungparameter und Versicherungsparameter sehr nützlich und möglicherweise für das weitere Verständnis des Threads notwendig
  3. Entgeltpunktprinzip und kollektives/individuelles Äquivalenzprinzip definiert. Für ein gutes Verständnis der Äquivalenzrente ist der Unterschied des Entgeltpunkprinzip und dem kollektiven Äquivalenzprinzip essentiell.
  4. Verteilungswirkungen analysiert (das ist für weitere Motivation der Reform sicher hilfreich)

Der Text erfordert kein Vorwissen. Mir ist aber bewusst, dass er ohne mathematischen Hintergrund nicht einfach zu verstehen ist. Auch unabhängig davon, ob ihr meinen Reformvorschlag gut findet, sind die eingeführten Konzepte meines Erachtens sehr nützliche Werkzeuge, um Rentensysteme besser zu verstehen.
Gerne nehme ich mir viel Zeit, um Fragen zu beantworten, wenn gewünscht auch in einem mündlichen Gespräch (schreibt mich gerne an).

In diesem Paper wird die theoretische Grundlage für die Nachhaltigkeitseigenschaft der Äquivalenzrente (NDR-GDP) erklärt.

In diesem Paper wird auf einigermaßen nicht-technische Art und Weise das NDC-System erklärt, was vergleichbar mit der Äquivalenzrente ist und zum Beispiel in Schweden implementiert ist.

Die folgenden Gutachten und Berichte sind hilfreich für ein besseres Verständnis des gesetzlichen Rentensystems:

Rentenkapitel im Jahresgutachten des Sachverständigenrates
Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMWK

Dieses Paper liefert etwas mehr theoretischen Hintergrund zu Grundideen des gesetzlichen Rentensystems: Rational Pension Reform | The Geneva Papers on Risk and Insurance - Issues and Practice

Vergleich von NDC-System mit dem gesetzlichen Rentensystem: What are NDC pension systems? What do they bring to reform strategies? - MADOC

Die folgenden zwei Paper sind für Verteilungswirkungen und Reformoptionen dazu interessant:

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Mir ist unklar, was genau du erreichen willst. Klar könnte man die Rente in zwei Teile aufteilen, Äquivalenzrente und Bezuschussung, aber das sagt doch lediglich etwas darüber aus, wie das Ganze technisch im Hintergrund funktioniert?

Effektiv könnte ich doch je nachdem, wie die Bezuschussung aussieht, am Ende auf genau dieselben Auszahlungen kommen, wie es sie heute schon gibt. Was genau ist also dein Ziel?

Das ist richtig, in der Realität passiert hier allerdings gerade eine Art und Weise der Bezuschussung, die meines Erachtens sehr diskussionswürdig ist. Am Beispiel der Forderung des Sozialverbands VdK kann man dies denke ich sehr gut erkennen. Das Argument ist also, dass wenn die Bezuschussung transparent wird, sie ziemlich sicher auch anders wäre.

Die Trennung von Äquivalenzrente und Bezuschussung hat auch den Vorteil, dass man den Teil der Äquivalenzrente wesentlich stärker garantieren kann. Wenn beides zusammengefasst ist, wie im aktuellen Rentensystem, ist gar nichts garantiert. Es ist vollkommen unklar, was der Rentenanspruch Wert ist und es gibt einige junge Beitragszahler, die damit rechnen, gar nichts zu bekommen.

Mir ist auch nicht klar, wie der Umstieg klappen soll. Der einzige Weg, um die Äquivalenzrente zu garantieren, wäre ja, dass die eingezahlten Beiträge quasi auf Eis gelegt werden bis zum Renteneintritt der Person. Also mehr oder weniger eine staatlich garantierte private Altersvorsorge.

Aber das aktuelle System ist solidarisch ausgelegt. Bei einer abrupten Umstellung würden die bisherigen Einzahlungen wegfallen und die Rente von heutige Rentner:innen wäre nicht mehr gedeckt. Ein Umstieg könnte nur sehr langsam stattfinden.

Ich kann auch grundsätzlich einer Abkehr vom Solidarmodell nichts abgewinnen. Eher sollten wir den umgekehrten Weg gehen und die Rentenhöhe vereinheitlichen.

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Mir ist nicht klar, was du mit „auf Eis gelegt“ meinst. Die Idee von Notional Accounts (die in dem Vorschlag verwendet werden) ist, dass die Einzahlungen schon verwendet werden können. Schaue dir vielleicht dazu mal die Mechanik dieser Systeme genauer an, zum Beispiel in den NDC-Papern oder meinem Paper beschrieben. Für eine knappe Erklärung sollte auch der Anfang von Abschnitt 2 aus meinem NDR-Paper genügen.

Nein, die Einzahlungen würden nicht wegfallen.

Ein sofortiger Umstieg ist möglich und wird in dem sehr vergleichbaren NDC-System auch empfohlen (das ist ein Zitat aus dem ABCs of NDCs Paper):

If logistically possible, transition immediately to NDC accounts and avoid parallel
schemes and delayed implementation. The recommendation is to go “cold turkey”
and move straight from NDB to NDC schemes without transitional arrangements.

Es wird doch überhaupt nicht von Soldarmodell abgekehrt. Im Gegenteil, die Bezuschussung wird voraussichtlich wesentlich solidarischer ausfallen.

Du schlägst Äquivalenz vor. Das heißt notwendigerweise, dass Menschen, die viel einzahlen, auch viel herausbekommen. Das ist schon vom Konzept her unsolidarisch. Natürlich könnte man das komplett durch Bezuschussung ausgleichen, aber die Bezuschussung muss dann ja auf einem anderen Weg, z.B. über Steuern, finanziert werden.

Ok, das sehe ich jetzt. Dann wird mir nicht klar, wie dein Modell irgendwie sicherer sein soll als das aktuelle. Wenn aktuelle Beiträge zur Finanzierung der akutellen Renten benutzt werden und in Zukunft die Beiträge zurückgehen, aber die auszuzahlenden Renten steigen… was passiert dann?

(Potentiell steht dazu auch etwas in einer deiner verlinkten Quellen, aber ehrlich gesagt ist es ein bisschen viel verlangt von dir, dass Leute das alles lesen sollen, ohne dass du die Vorteile von deinem Vorschlag erklärt hast.)

Wenn die Äquivalenz unsolidarisch ist, dann ist das aktuelle System in dem Punkt noch wesentlich unsolidarischer, weil zusätzlich proportional bezuschusst wird. Durch die Kombination von Äquivalenzrente und Bezuschussung kann man die Solidarität des Systems beliebig anpassen. Eine Möglichkeit ist, dass vom Beitragssatz die Hälfte in die Äquivalenzrente geht und die Hälfte in einen Zuschusstopf (oder man verringt Beiträge und erhöht Steuern, was zu einem ähnlichen Ergebnis führt).

Eine andere Möglichkeit ist, dass man das System umstellt, dass alle gleich viel einzahlen, unabhängig von ihrem Einkommen und man das Steuer-Transfer-System so umstellt, dass Menschen sich das leisten können. Auf diese Art und Weise ermöglicht das Framework eine Umstellung in eine Grundrente für alle.

Die Sicherheit des Modells ist wahrscheinlich der schwierigste Punkt überhaupt (insbesondere, wie das komplett unabhängig von Demographie sein kann). Das wird in dem NDR-Paper erklärt. Die vereinfachte Erklärung ist, dass keine zusätzlichen Defizite entstehen, wenn jeder bekommt, was er eingezahlt hat.

Mir ist bewusst, dass ich viel Zeit verlange, um den Vorschlag in seiner Gänze zu verstehen. Ein Vorschlag für eine grundlegende Reform des Rentensystems ist notwendigerweise nicht trivial. In meinem ersten Post habe ich versucht, die Vorteile mit möglichst einfachen Erklärungen darzustellen.

Ansonsten hilft vielleicht noch das Autoritätsargument, dass ich mich mit Rentenexperten (z.B. Bert Rürup und Christina Wilke) mehrere Stunden über das Konzept ausgetauscht habe und einen Vortrag auf einer Konferenz gehalten habe, um davon zu überzeugen, dass es sich lohnen könnte, sich damit zu beschäftigen.

Zur Veranschaulichung des Reformvorschlages stelle ich in diesem Post noch ein Gedankenexperiment dar.

Angenommen wir haben ein Rentensystem und zwei Personen, Max und Erika, die ihre Rente daraus beziehen.

Max erhält eine monatliche Rente von 500 €, während Erika eine Rente von 2000 € bezieht. Dies liegt daran, dass Erika viermal so viel eingezahlt hat wie Max.

Nun möchte die Regierung die Rente von Max von 500 € auf 600 € erhöhen, was unumstritten ist. Die Frage lautet nun, wie die Rente von Erika angepasst werden soll. Es gibt verschiedene Ansätze mit unterschiedlichen Begründungen, darunter:

  • 2.400 €: Erika soll aufgrund der vierfachen Einzahlung auch viermal so viel Rente erhalten.
  • 2.100 €: Die Erhöhung von 500 € auf 600 € wird als absoluter Zuschlag betrachtet, der jedem gleichermaßen zusteht.
  • Zwischen 2.000 € und 2.100 €: Die Erhöhung wird als sozialer Zuschuss betrachtet. Personen mit höheren Renten haben möglicherweise weniger Bedarf an einer Erhöhung.
  • Weniger als 2.000 €: Die Erhöhung von 500 € auf 600 € muss finanziert werden. Das soll durch Absenkung hoher Renten erreicht werden.

Es gibt also verschiedene mögliche Antworten auf diese Frage.

Wenn man wie in der gesetzlichen Rentenversicherung Proportionalität mit der Festlegung eines Rentenniveaus kombiniert, wählt man indirekt die Option 2.400 €. Dann steht fest, dass Erika viermal so viel Rente bekommt wie Max und wenn die Rente von Max 600 € beträgt, muss sie folglich 2.400 € bei Erika betragen.

Der Punkt des Vorschlags Äquivalenzrente+Bezuschussung ist ein solches Gedankenexperiment explizit zu stellen. Die Äquivalenzrente gibt absolute Rentenhöhen vor, zum Beispiel 500 € und 2.000 € wie im Gedankenexperiment. Die Bezuschussung ergibt sich dann als explizite Fragestellung wie im Gedankenexperiment.

Danke an Martin, der sich Zeit genommen hat und mir bei einigen unklaren Punkten weitergeholfen hat. Als Nichtmathematiker steige ich auch bei etwas komplizierteren Formeln sofort aus. Ich konzentriere mich also auf andere Punkte. Ich denke, man sollte dem Entwurf eine Chance geben, denn es steckt viel Potential drin.

Grundprinzip zwischen Versicherungsleistung und Bezuschussung:
Das ist auf den ersten Blick kein Unterschied zu jetzt. Nach einem zweiten Blick wird aber klar: Im Gegensatz zum jetzigen System bieten sie die Möglichkeit, die Rente vom Lohn zu entkoppeln. Man könnte eine Mindesteinzahlung festsetzen (ich setze dafür mal 10 Indexpunkte an), die jeder zu leisten hat. Diese zehn Punkte entsprechen dann dem, was der Staat als spätere Grundrente definiert. Ist sie hoch genug, muss in einer späteren Zukunft keinem im Rentenalter mehr Sozialhilfe gezahlt werden.
Nun gibt es Leute, die diese Beiträge nicht leisten können oder nicht vollständig leisten können. Für diese kann der Staat dann nach Bedürfnisprüfung die nötigen Indexpunkte erwerben (je nach Einschätzung kann das als Darlehen oder als Zuwendung erfolgen). Grundsätzlich leistet der Staat also jetzt zwar staatliche Zuschüsse, spart sich dafür später die Sozialhilfe.
Ist das System attraktiv, können Bürger mehr Punkte als nötig erwerben und damit proportional ihre Rente erhöhen.
Da die Indexrente von staatlichen Zuschüssen entkoppelt ist, können diese als Sozialkomponente korrigierend wirken. Im Gegensatz dazu die Rentenerhöhung nach Wunsch des VdK: die 5% mehr wären nur durch höhere Beiträge der Arbeitnehmer oder staatliche Zuschüsse, die dann proportional zu den Rentenbezügen verteilt werden, möglich.

Buchhalterischer Wert:
Wie hier im Forum immer wieder aufkommt, gibt es keine klare Übersicht, wie sich die Zuschüsse eigentlich zusammensetzen oder ob sie gerechtfertigt sind. Das System schafft eine saubere Gliederung zwischen Einzahlungen und Auszahlungen. Der Staat will eine Mütterrente? Dann kauft er einfach für die Mütter die entsprechenden Indexpunkte. Das Geld muss er auch nicht direkt aufwenden, nur verbuchen. Es ist also nicht so, dass er nun massenhaft Schulden aufnehmen müsste dafür.
Das System ließe sich übertragen auf Pensionen bei Beamten, den öffentlich-rechtlichen Sendern oder Abgeordneten. Die Transparenz würde dafür sorgen, dass nicht mehr Pensionen als buchhalterischer Trick verwendet werden, um Gehaltszahlungen aus den heutigen Büchern in zukünftige Bücher zu schieben.
Die Indexpunkte kann der Staat je nach Bedarf kaufen oder verkaufen und damit die Rente sichern, auch wenn es mal weniger Beitragszahler gibt. Es sind aber keine staatlichen Zuschüsse mehr, da alles sauber verbucht wird.

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