Also ich bin ein recht klarer Befürworter der Klagen gegen die Ausgangssperre in ihrer aktuellen Form.
Das heißt nicht, dass ich generell gegen eine Ausgangssperre bin. Aber eine Ausgangssperre ist eben ein so schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte der Bevölkerung, dass diese voraussetzt, dass alles zumutbare unternommen wird, die Schäden so klein wie möglich zu halten.
Eine Ausgangssperre wie vor der Bundesnotbremse in Hamburg ist für mich in Ordnung: Denn hier hat man explizit versucht, die Kollateralschäden so gering wie möglich zu halten, indem man z.B. die Ausübung von Sport auch in der Nacht noch erlaubt hat. Das war auch ein zentraler Grund, warum das Verwaltungsgericht in Hamburg diese Ausgangssperre nicht gekippt hat.
Jetzt kommt natürlich wieder das Argument, dass dann ja jeder einfach „Im Jogginganzug zur Party laufen würde“, aber das halte ich für ein Scheinargument. Auch die bestehenden Regelungen (z.B. „Versorgung von Tieren“) kann missbraucht werden - führt man halt den Hund zur Party gassi. Aber das passiert tatsächlich eher nicht. Warum ist auch klar: In den Großstädten sind abendliche Treffen nahezu unvorstellbar ohne Mobilität in Form von Kraftfahrzeugen oder ÖPNV. Klar, zwei Freunde mögen noch im gleichen Stadtteil wohnen und könnten sich auch weiterhin nachts treffen - aber zwei Freunde können sich auch jederzeit tagsüber treffen, daher liegt hier keine größere Gefahr vor. Die typischen Treffs, die man verhindern will, sind halt gerade deshalb gefährlich, weil sie aus mehreren Personen bestehen, die in aller Regel aus mehreren verschiedenen Stadtteilen oder gar Städten anreisen. Selbst wenn die Beteiligten bereit wären, „zur Party zu joggen“, würde das in 95% aller Parties nicht funktionieren. Abgesehen davon, dass ein Großteil der Partygäste auch nicht bereit wäre, im Joggingsanzug zur Party zu gehen
Die Frage muss daher sein: Mit welcher objektiven Berechtigung will man Sport in der Nacht verbieten?
Und da hört man immer wieder so einen Unsinn wie: „Nachts macht doch eh niemand Sport!“.
Falsch. Ich bin seit Jahren Nachtsportler - ich gehe jede Nacht zwischen 0 und 2 Uhr meine 5 bis 12 km um den örtlichen See joggen. Und hier kommt der nächste Punkt:
Der See, um den ich jogge, ist tagsüber extrem beliebt bei Spaziergängern, Hundehaltern und Freizeitsportlern. Zwischen 12 und 18 Uhr besteht daher dort Maskenpflicht. Jetzt kommt der Staat daher und sagt mir: „Hey, du darfst dort von 18 bis 20 Uhr ohne Maske joggen - du musst zwar Slalom laufen, weil dir pro Kilometer etwa 30-50 Leute entgehen kommen, aber hey, du darfst es!“. Ich hingegen sage: „Aber ich will Nachts laufen, wenn dort absolut kein Mensch ist!“ und der Staat sagt mir: „Nope, aus Seuchenschutzgründen darfst du zwar Menschen-Slalom-laufen, aber nicht nachts alleine am See.“.
Und das soll ich nachvollziehen können?!? Ein eigentlich im Hinblick auf den Seuchenschutz positives Verhalten (daher: die möglichst große Verteilung aller Freizeitsportler, um größere Menschenmengen zu verhindern) wird verboten, während ein gefährliches Verhalten (Rudellaufen mit allen anderen Freizeitsportlern, die um 18 Uhr wegen des Wegfalls der Maskenpflicht zum See eilen) erlaubt wird?!?
Das Absurde ist weiterhin, dass jeder Autofahrer, der nach Mitternacht von der Polizei kontrolliert wird, sich herausreden kann - denn die Polizei kann gar nicht kontrollieren, ob die Leute tatsächlich auf dem Weg zur Arbeit sind (es gibt ja schließlich keine verpflichtenden „Passierscheine“ vom Arbeitgeber mehr wie im ersten Lockdown) oder einen pflegebedürftigen Angehörigen aufsuchen. Um das zu kontrollieren fehlt der Polizei schlicht das Personal. Als Nachtsportler hingegen hat man keine Chance, sich irgendwie herauszureden, obwohl das Verhalten objektiv eben tatsächlich nicht das ist, was man eigentlich unterbinden will. Selbst wenn völlig klar ist, dass die aufgegriffene Person Sport macht (z.B. in völlig durchschwitzten Klamotten um den See läuft), liegt zwangsläufig eine Ordnungswidrigkeit vor und man kann nur hoffen, dass der kontrollierende Polizeibeamte vernünftig ist und die Tatsache, dass hier das Opportunitätsprinzip gilt, zum Anlass nimmt, keine Ordnungswidrigkeitenanzeige aufzunehmen.
Diese Situation ist einfach völlig daneben.
Ich sage daher ganz klar:
Eine Ausgangssperre ist juristisch durchaus vertretbar, aber nur, wenn sie zumindest den Versuch unternimmt, Kollateralschäden zu verhindern. Und das bedeutet, Nachtsport muss erlaubt sein, der Nachtsportler muss zumindest die Möglichkeit haben, glaubhaft zu machen, dass von ihm keine corona-bedingte Gefahr ausgeht. Ein pauschales unter-strafe-stellen eines ganz klar nicht-gefährdenden Verhaltens ohne die Möglichkeit, den Beweis zu erbringen oder zumindest glaubhaft zu machen, dass man kein gefährdendes Verhalten an den Tag legt, ist für mich ein absolutes No-Go.
Ich kann damit leben, als Nachtsportler unter Generalverdacht zu stehen - aber ich kann nicht akzeptieren, dass man mir keinerlei Möglichkeit gibt, diesen Generalverdacht zu widerlegen. Ich zeichne eh alle Strecken, die ich laufe, per GPS auf - jeder Polizist, der mich kontrolliert, könnte sofort sehen: „Okay, der ist gerade 3 Runden um den See gejoggt - der macht das jede Nacht! Also kein Problem!“
Und natürlich werden nun wieder Leute kommen und sagen: „Lauf halt tagsüber!“, aber das ist keine Diskussion, auf die ich mich überhaupt einlassen möchte. Ich laufe, wenn ich motiviert dazu bin - und ein Motivationsfaktor für mich ist die Ruhe und Einsamkeit in der Nacht. Und ich muss mich wirklich nicht dafür rechtfertigen, warum ich ein von der Mehrheit abweichendes Verhalten an den Tag lege - denn das ist mein gutes Recht…