Ich schätze Karl Lauterbach wirklich sehr, das habe ich oft genug an verschiedenen Stellen deutlich gemacht.
Zunächst: Dass ein Innenminister seiner eigenen Regierung nicht den Dolchstoß verpassen will, indem er sagt, dass diese Maßnahme in dieser Form verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge, liegt denke ich auf der Hand. Von den meisten Verfassungsrechtlern/-innen habe ich zuletzt das Gegenteil gehört oder gelesen; die Begründungen sind einleuchtend und überzeugend. Selbst die Juristen und Juristinnen aus dem Kanzleramt kommen zu dieser Einschätzung. Lauterbach wird ja nun auch nicht die Maßnahme, die er vehement vertritt und für richtig und wichtig hält, mit juristischen Argumentationen kleinreden. An dieser Stelle ist die Juristerei nichts anderes als ein Kampf und Deutungshoheit und der Versuch, das ‚bessere‘ Argument zu finden.
Und grundsätzlich halte ich diese ganzen Vergleiche auf Länderebene für wenig aussagekräftig und wissenschaftlich nicht gut begründet, es sei denn, sie werden quasi-experimentell kontrolliert: Es wird viel zu oft monokausal argumentiert (von der Politik, tlw. in Medien): Wenn X, dann Y. Moderator- oder Mediator-Effekte werden nicht berücksichtigt, Hintergrundvariablen und Kontexte völlig ausgeblendet. Da kenne ich aber auch die konkrete Studienlage wirklich zu wenig und weiß nicht, wie dort genau vorgegangen wird.
Wir sollten uns noch einmal klarmachen, über was für eine Art von Ausgangsbeschränkung (nachfolgend: AB) wir reden: Zwischen 22 bzw. 24 und 5 Uhr morgens. Zu Zeiten also, wo ohnehin die wenigsten Menschen bei geschlossenen Kneipen, Theatern, Restaurants, Konzerthäuser, Clubs etc. unterwegs sein werden. Die im neuen IfSG vorgesehene Kontaktbeschränkung exisitert bereits, warum brauche ich dann noch Ausgangsbeschränkungen? Klar, zur Kontrolle vom Ersterem. Wenn das der Grund ist, dann brauche ich Letzteres aber nicht, weil der Eingriff unverhältnismäßig ist. Gut aufgearbeitet im FAZ-Einspruch-Podcast. Meine persönliche Erfahrung vom WE ist, dass es niemanden wirklich interessiert, weil es quasi keine Kontrollen gibt. Das ist das nächste Problem dieser Pandemie: Es finden keine systematischen Kontrollen in ganz unterschiedlichen Bereichen statt! In anderen Ländern war und ist das anders. Für Portugal weiß ich es gerade nicht, aber wenn ich eine AB in Frankreich habe, wo ab 18/19 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt werden und nur raus darf, wenn ich einen ‚Schein‘ habe, teilweise auch nicht, um Sport zu machen, dann ist der Effekt doch ein ganz anderer. Diese Vergleiche bringen, wenn sie auf so einer pauschalen Ebene verharren, nicht weiter.
Für Deutschland wäre das wahrscheinlich nicht umsetzbar, aber die AB würde dann was bringen, wenn ich sie auf den Tag ausweite und nur ganz wenige Ausnahmen zulasse. So ist die Maßnahme halbherzig und dazu noch schlecht begründet und widersprüchlich.
Ich kann wirklich nur empfehlen, die Gutachten von Profin. Mangold (inkl. der eigentlichen Beschwerde), den Beschluss des OVG in Lüneburg und die Sachen, die bei der GFF zu finden sind, mal zu lesen. Das wirkt auf mich in der Begründung gegen die AB sehr überzeugend.