Verfassungsklage gg Ausgangssperre? Really?

Mit großer Bestürtzung habe ich von der Klage der GFF gegen die Ausgangssperre gehört. Dabei hatte sich die Lage so oft schon für eine wirksame Maßnahmen und auch eine kommunikative klare Kante betont. Und jetzt schließt man sich denen an, die gegen diese halbgaren Maßnahmen auch noch klagen, um auch die letzten Versuche irgendwas gegen die Pandemie zu tun wieder zu kippen.

Ich bin bestürzt.

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Siehe dazu hier: Ist eine allgemeine Ausgangssperre verfassungsrechtlich zulässig? - #57 von peeee

Und die PM der GFF von gestern:

Es geht hier um eine verfassungsrechtliche Bewertung, die m. E. eindeutig scheint. Persönlich glaube ich sogar, dass die Politik, insb. Regierung und regierungstragende Fraktionen, damit rechnen, dass die Ausgangsbeschränkung (keine Sperre) kassiert wird. Es geht wohl nur um den Zeitraum, in dem sie gilt. Das nimmt man wahrscheinlich in Kauf, weil man weiß, dass sie keinen Bestand haben wird.

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Das wurde doch in der Lage 237(?) ziemlich deutlich begründet (und natürlich auch in dem oben verlinkten Statement der GFF): Es geht nicht darum, „auch die letzten Versuche irgendwas gegen die Pandemie zu tun wieder zu kippen“, sondern darum, die Verfassungskonformität der Maßnahmen sicherzustellen.
Es gibt diverse effektive und weniger harte Maßnahmen, die getroffen werden könnten (insbesondere auch in Bezug auf Unternehmen), bevor man Ausgangsbeschränkungen verhängt. Diese werden aber entweder nicht getroffen oder nicht ausgereizt. Wenn die Bundesregierung also bewusst(?) andere Maßnahmen nicht verhängt oder lasch/freiwillig/optional gestaltet, ist es einfach nicht verhältnismäßig, gleichzeitig so in das Privatleben der Menschen einzugreifen.
Selbst wenn man Ausgangsbeschränkungen befürwortet, was ja auch manche Epidemiologen tun, bei der Härte dieses Eingriffs sollte klar sein, dass sie nur die letzte Lösung sein kann.

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Allerdings glaube ich nicht, dass unsere Politik nach den desaströsen letzten Monaten nochmal zu durchdachten und effektiven Infektionsschutzmaßnahmen aufrafft, wenn ihr dieser mühsam zusammengeschusterte Versuch zerschossen wird.
So sehr ich der Argumentation zustimme, der Pandemiebekämpfung hat die GFF damit einen Bärendienst erwiesen.

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Den Bärendienst hat sich die Politik schön selber erwiesen. Wenn sie dann, sogar sehenden Auges, so einen Weg meint beschreiten zu müssen, dann darf sie sich nicht wundern. Das Ganze war absehbar.

Ich würde mir ja wünschen, wenn das Verfassungsgericht hier klar sagt, ihr dürftet sowas machen, aber bitte zieht vorher auch diese anderen Optionen. Dabei dann wörtlich sagt, Verpflichtung zu Homeoffice (neben der freien Wirtschaft gerade auch in den staatlichen Unternehmen und der Verwaltung aufgrund einer staatlichen Vorbildfunktion), Testkonzepte müssen ausgereizt sein usw. Unser Grundgesetz ist dann doch ein so zentrales Element, dass man es nicht mal einfach so aushebeln sollte, nur weil man auf andere Konflikte keine Lust hat.

Die folgen sind auch glaube ich nicht so dramatisch. Ganz ehrlich, dass ist doch mehr Symbolpolitik, als wirklich neue Pandemiebekämpfung. In vielen Regionen gibt es schon Ausgangsbeschränkungen (und auch härtere), als das was da nun Beschlossen wurde.

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Die Vermutung hatte ich auch sofort, als ich von der Ausgangssperre hörte. Allerdings sieht es gerade eher danach aus, dass man sich auf der Ausgangssperre ausruht, anstatt die (gewonnene) Zeit jetzt nutzt um Alternativen auszuarbeiten. Das finde ich wirklich bedenklich. Es ist anzunehmen, dass die Maßnahmen, die unter einer 100er Inzidenz gelten, weiterhin die Inzidenz wieder über 100 steigen lassen. Damit wird die Ausgangssperre, nach bisherigem Stand, eine Langzeitstrategie, die massive Einschnitte für viele bedeutet, bis irgendwann genug geimpft sind. Gleichzeitig werden andere wirksame Strategien, die keine so große Einschränkungen haben, weiterhin nicht angefasst.
Ich finde die Klage richtig und wichtig und hoffe, dass wir das ganze nochmal anders angehen werden und nicht wieder ansehen müssen wie die Politik auf Prinzip Hoffnung setzt.

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Ich bin auch sehr dankbar, dass es noch Gruppen gibt, die definitiv keine Schwurbler sind und die uns Bürger vor ungerechtfertigten Maßnahmen schützen. Diese Ausgangssperre ist eine Unverschämtheit wenn man bedenkt, wie viel wir im Privaten und unsere Kinder schon aushalten mussten. Solange noch Betriebe weitermachen dürfen ohne wirkliche Pflichten darf es so etwas nicht geben. Ich gehe übrigens schon länger soweit zu sagen, dass solange noch Betriebe geöffnet sind darf keine Schule mehr schließen, denn unsere Kinder haben jetzt schon Wissenslücken und psychische Belastungen die teilweise wahrscheinlich kaum. noch richtig zu beheben sind. Aber da Kinder ja nicht wählen dürfen kann man diese ja der Industrie opfern. Kinder können mit Ihrem Taschengeld ja auch nicht genug zur Parteispende beitragen.

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Um diesen Thread auf einen Satz runterzudampfen:

Gerade weil die Maßnahme halbgar sind, und weil die Ausgangsbeschränkung eben nicht der letzte (mögliche) Versuch ist, wird dagegen geklagt.

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Ich sehe es wie @ChristianF.
Mit der Abkanzelung der Ausgangssperre aus Karlsruhe kommen wir wieder in ein Vakuum, in der die Politik nichts machen wird.
Ich nehme lieber den 20%-Effekt der Ausgangssperre mit, als den 0%-Effekt, den die Politik ansonsten erzeugt.

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Ich bin auch etwas überrascht, dass Ulf so selbstverständlich eine Klage eingereicht hat. Der so oft von Ulf und Philip zitierte Karl Lauterbach sagt ganz klar, dass kein Land b117 ohne die zusätzliche, nicht alleinige Maßnahme, Ausgangssperre in den Griff bekommen hat. Er betont, dass die Maßnahme alleine nicht wirksam ist, aber in Kombination mit anderen Maßnahmen durchaus viel bewirkt, siehe Hamburg. Lauterbach sagt weiterhin, dass es eine Metastudie gibt, die die Gesamtheit der Ausgangssperren in ihrer Wirksamkeit zusammenfasst und zeigt, dass sie durchaus entscheidend wirken. Auch behauptet er im engen Austausch mit Innenminister Seehofer, dass die Ausgangssperre vor dem Bundesverfassungsgericht bestand haben sollte.

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Aber genau das Problem, das es dabei gibt, und das Ulf und die GfF da auch sehen, beschreibst du doch. Nach Lauterbach sind die Ausgangssperren nur wirksam in Verbindung mit anderen Maßnahmen, und genau diese anderen Maßnahmen gibt es nicht, siehe Betriebe etc.
Und vor dem Hintergrund, dass die Ausgangssperre dann vermutlich nicht einmal einen nennenswerten Effekt hat, da die verbindenden Maßnahmen fehlen, finde ich eine Klage dagegen schon gerechtfertigt.
Schließlich sollte das Grundgesetz wirklich nur nahezu komplett ausgehebelt werden, wenn es dafür auch eine gute Begründung gibt, und so ist der gute Zweck ja irgendwie nicht mehr gegeben.
Zusätzlich finde ich auch, dass es jetzt schon wieder stark dannach aus sieht, als ob alle im Tenor wären „wir haben ja jetzt Ausgangssperren, mehr können wir nicht machen“, und da wird bei mir schon wieder alles schwarz um ehrlich zu sein.

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Ich weiß, ich verlange hier eine Übertragung der juristischen Debatte ins politisch-strategische:
Aber es gibt NULL Ansatz, dass nach dem Kippen einer Ausgangsklage andere Maßnahmen greifen würden.

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Du meinst, es gibt null Aussicht, dass nach dem Kippen einer Ausgangssperre andere Maßnahen ergriffen würden? Da würde ich dir zustimmen.

Greifende Maßnahme wird es sehr wohl geben, das BVerfG wird sie - sofern es die Ausgangsbeschränkung kippt - der Politik ziemlich klar ins Heft diktieren, was sie stattdessen tun könnte um einerseits die Pandemie einzudämmen und andererseits, falls diese Maßnahmen auch scheitern, die Ausgangsbeschränkung zum wirklich letzten (und dann vielleicht sogar zulässigen) Mittel zu machen.

Wenn die Politik dann weiterhin keine Lust hat diese „Ideen“ (die Vorschläge liegen ja bereits auf dem Tisch) aufzugreifen, wird sie sich sicherlich auf das BVerfG zurückziehen. Es ist dann Aufgabe der Medien und des Wählers, dieses Verhalten entsprechend zu benennen und zu quittieren.
Verfassungswidrige Zustände hinzunehmen, weil der Regierung die verfassungsmäßigen Optionen nicht gefallen, ist jedenfalls kein Zeichen eines Rechtsstaats.

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Aber das die Politik immer noch keinen Rappel bekommt, und einfach weiter nichts macht, kann doch nicht der Grund sein, ich sage mal das wichtigste Gesetz überhaupt außer Kraft zu setzen.

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Lauterbachs Behauptung wird ja ständig wiederholt, auch von Merkel, aber ich bin mir nicht sicher ob sie stimmt. Von Dänemark zum Beispiel ist mir nichts von Ausgangssperren bekannt und es gab trotz B117 noch nicht mal eine richtige dritte Welle. Dafür sind in Dänemark ca. 60% der Infektionssettings bekannt, in Deutschland mittlerweile unter 10% - da reicht dann halt oft auch das Skalpell anstelle des Holzhammers.
Und was die Metastudie angeht: Die sagt, dass Ausgangsbeschränkungen zusammen mit anderen Maßnahmen wirken. Heißt auf Deutsch: Welcher Anteil davon genau auf sie zurückgeht, weiß man eigentlich gar nicht. Im Wesentlichen haben wir es mit Wunschdenken oder milder formuliert mit Hoffnung zu tun: Im November dachte die Leopoldina schon, wenn wir hier einen „Wellenbrecher“ machen, wird auf einmal alles wie in Irland, und seit ein paar Monaten ist Portugal jetzt das große Vorbild. Aber die Unterschiede in den Rahmenbedingungen wie Infektionsgeschehen, restliche Maßnahmen und Verhalten der Bevölkerung werden dabei fast komplett ignoriert.

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Inwiefern ist das denn eine sakrale Perspektive? Der Name kommt ja nicht von ungefähr. Und genau das ist doch der Grund, warum bei Verfassungsklagen nicht immer in richtig und falsch eingeteilt werden kann, zumindest nicht objektiv. In dem Moment, in dem eine Grundrecht gegen das Andere abgewogen werden muss, ist Argumentation das einzige Mittel, um eine Entscheidung zu treffen. Also kann man nicht sagen, dass das Gesetz eben gebrochen wird oder nicht.
Die Abwägung von den Grundrechten auf körperliche Unversehrtheit und die auf Freiheit des Einzelnen etc sind dann doch in diesem speziellen Fall eine nicht eindeutige Geschichte, zumindest meiner juristisch ungebildeten Meinung nach.
Mich überrascht die Haltung, als ob man es mit einer faktischen Entscheidung zu tun hätte, aber vll nehme ich das auch falsch wahr.

Joa… Finde ich auch seltsam.

Ja, ich verstehe die Argumentation, aber hey, da gibt es ECHT andere Baustellen, die man angehen könnte…

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Das sehe ich nicht zwinderweise so: Allein bis Montag waren 65 Verfassungsbeschwerden beim BVerfG anhängig, Tendenz steigend. Ob die Beschwerde der GFF da einen Unterschied macht, glaube ich nicht. Ich sehe in der Argumentation sowohl des Gutachtens als auch der Beschwerde von Profin. Mangold selbst eine sehr stringente und konsistente Begründung, die sich mit dem Ziel der GFF als Verein absolut deckt.

Ich schätze Karl Lauterbach wirklich sehr, das habe ich oft genug an verschiedenen Stellen deutlich gemacht.
Zunächst: Dass ein Innenminister seiner eigenen Regierung nicht den Dolchstoß verpassen will, indem er sagt, dass diese Maßnahme in dieser Form verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge, liegt denke ich auf der Hand. Von den meisten Verfassungsrechtlern/-innen habe ich zuletzt das Gegenteil gehört oder gelesen; die Begründungen sind einleuchtend und überzeugend. Selbst die Juristen und Juristinnen aus dem Kanzleramt kommen zu dieser Einschätzung. Lauterbach wird ja nun auch nicht die Maßnahme, die er vehement vertritt und für richtig und wichtig hält, mit juristischen Argumentationen kleinreden. An dieser Stelle ist die Juristerei nichts anderes als ein Kampf und Deutungshoheit und der Versuch, das ‚bessere‘ Argument zu finden.

Und grundsätzlich halte ich diese ganzen Vergleiche auf Länderebene für wenig aussagekräftig und wissenschaftlich nicht gut begründet, es sei denn, sie werden quasi-experimentell kontrolliert: Es wird viel zu oft monokausal argumentiert (von der Politik, tlw. in Medien): Wenn X, dann Y. Moderator- oder Mediator-Effekte werden nicht berücksichtigt, Hintergrundvariablen und Kontexte völlig ausgeblendet. Da kenne ich aber auch die konkrete Studienlage wirklich zu wenig und weiß nicht, wie dort genau vorgegangen wird.

Wir sollten uns noch einmal klarmachen, über was für eine Art von Ausgangsbeschränkung (nachfolgend: AB) wir reden: Zwischen 22 bzw. 24 und 5 Uhr morgens. Zu Zeiten also, wo ohnehin die wenigsten Menschen bei geschlossenen Kneipen, Theatern, Restaurants, Konzerthäuser, Clubs etc. unterwegs sein werden. Die im neuen IfSG vorgesehene Kontaktbeschränkung exisitert bereits, warum brauche ich dann noch Ausgangsbeschränkungen? Klar, zur Kontrolle vom Ersterem. Wenn das der Grund ist, dann brauche ich Letzteres aber nicht, weil der Eingriff unverhältnismäßig ist. Gut aufgearbeitet im FAZ-Einspruch-Podcast. Meine persönliche Erfahrung vom WE ist, dass es niemanden wirklich interessiert, weil es quasi keine Kontrollen gibt. Das ist das nächste Problem dieser Pandemie: Es finden keine systematischen Kontrollen in ganz unterschiedlichen Bereichen statt! In anderen Ländern war und ist das anders. Für Portugal weiß ich es gerade nicht, aber wenn ich eine AB in Frankreich habe, wo ab 18/19 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt werden und nur raus darf, wenn ich einen ‚Schein‘ habe, teilweise auch nicht, um Sport zu machen, dann ist der Effekt doch ein ganz anderer. Diese Vergleiche bringen, wenn sie auf so einer pauschalen Ebene verharren, nicht weiter.
Für Deutschland wäre das wahrscheinlich nicht umsetzbar, aber die AB würde dann was bringen, wenn ich sie auf den Tag ausweite und nur ganz wenige Ausnahmen zulasse. So ist die Maßnahme halbherzig und dazu noch schlecht begründet und widersprüchlich.

Ich kann wirklich nur empfehlen, die Gutachten von Profin. Mangold (inkl. der eigentlichen Beschwerde), den Beschluss des OVG in Lüneburg und die Sachen, die bei der GFF zu finden sind, mal zu lesen. Das wirkt auf mich in der Begründung gegen die AB sehr überzeugend.

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Meint ihr, dass Ulf privat auch von der Ausgangsbeschränkung überzeugt ist oder dass er nur sofort dagegen klagt, weil er Vorsitzender der GFF ist. Oder würde er die Ausgangsbeschränkung unter anderen Voraussetzungen bzw. mit anderen Maßnahmen sogar befürworten?