Der Punkt ist doch nicht, was Scholz weiß, sondern dass er Röttgen vorwirft ein Wissen zu haben, dass er a) nicht öffentlich macht und dass er b) aus populistischen Gründen ignoriert. Er argumentiert nach dem Motto: Wenn du zugeben würdest, dass du weißt, was ich weiß, würdest du genau so entscheiden wie ich. Das ist Geraune und Moralisieren anstelle von sachlichen Argumenten und politischer Debatte.
Sicherlich wurde Russland auch unterschätzt. Es war aber auch klar, dass die Waffenlieferungen (zum Beispiel Flugabwehr und Kampfpanzer) der Ukraine sehr viel mehr geholfen und Russland bei der Besetzung der Ukraine sehr viel mehr geschadet hätten, wenn sie einfach nur wesentlich früher geliefert worden wären. Dasselbe mit der Munition: Dass der Krieg länger dauern wird und dass die momentanen Produktionskapazitäten im Westen nicht ausreichend sind, ist seit über einem Jahr klar. Trotzdem gibt es etwa bei der Artilleriemunition aktuell nicht einmal Planungen, die auf die selbe Stückzahl kommen, wie die schon laufende russische Produktion.
Die Ursache ist in beiden Fällen dieselbe: fehlender politischer Wille. Mir kann niemand erklären, dass westliche Staaten nicht in der Lage sind oder es „zu kompliziert“ sei, entsprechende Entscheidungen zu treffen oder das Geld aufzutreiben, nein: Zu viele Leute wollen das einfach nicht. Punkt. Und ehrlich ist man darüber erst recht nicht - weder der Ukraine noch den eigenen Wählern gegenüber.
Es brauchte eigentlich gar kein abgehörtes Gespräch hochrangiger Offiziere. Alle dort geäußerten Informationen waren Dank öffentlicher Geschwätzigkeit längst bekannt.
Sorry, ich verstehe den Punkt des Kommentators nicht: Es soll nicht mehr über politische Entscheidungen diskutiert werden? Das Handeln des Kanzlers in militärischen Fragen soll nicht mehr hinterfragt werden?
Der Begriff „öffentliche Geschwätzigkeit“ suggeriert ja, dass irgendwelche geheimen militärischen Informationen herumposaunt würden, was natürlich Unsinn ist. Wer etwas über die Funktionsweise bestimmter Waffensystem wissen will, kann sich darüber aus öffentlich zugänglichen Quellen ziemlich tiefschürfend informieren - ob in Deutschland, Russland oder sonstwo. Bei den Diskussionen ging es aber - wie ja auch hier im Thread festgestellt wurde - vor allem um politische Fragen: Was könnte der Taurus der Ukraine nützen? Warum könnte Scholz etwas dagegen haben? Warum zieht er genau hier eine „rote Linie“.
…zum Thema
Mützenich hatte nichts zum Taurus zu sagen, außer dass Scholz dank seiner „Kenntnisse und Erfahrungen“ alles richtig entschieden hat. Die Kritik aus der Koalition nannte er „maßlos“ und „bösartig“, der Opposition warf er „niedere Beweggründe“ vor. Stattdessen erinnerte Mützenich daran, dass viele auf der Welt den Westen für den Krieg in der Ukraine verantwortlich machen, forderte dessen „Einfrieren“ und fand Kritik am Papst (mit seiner Forderung an die Ukraine, zu kapitulieren) völlig unangebracht. Ach ja, und außerdem hat laut Mützenich Scholz persönlich durch sein Einwirken auf Xi Jinping im Herbst 2022 einen Atomkrieg verhindert.
Folgerichtig hat AfD-Chef Chrupalla dann in seiner anschließenden Rede auch gefordert, dass Scholz seine „Linie konsequent fortsetzen“ soll.
Aber noch radikaler war natürlich Sahra Wagenknecht unterwegs. Für sie ist es schon ein „Skandal“, dass Bundeswehrangehörige überhaupt darüber reden, wie der Taurus die Ukraine unterstützen könnte. Der Papst habe angeblich die Ukraine vor einem „Selbstmord“(sic!) retten wollen, aber hier in Deutschland hätten „alle den Verstand verloren“. „Die ganze Welt“ wisse, dass die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen könne, auch der Taurus würde daran „überhaupt nichts ändern“. Und eigentlich, so Wagenknecht ginge es um „das Leben von Millionen Menschen in Deutschland“.
Zumindest bei der Angst davor, dass Russland Deutschland als „Kriegspartei“ ansieht und es dann einen Atomkrieg gibt und wir alle sterben, scheint also zwischen den Fraktionschefs von SPD, AfD und BSW weitgehende Einigkeit zu bestehen
Mir scheint, wie so oft, es ein Ziel zu sein, sich nicht wirklich klar zu positionieren zu wollen.
Im Einklang mit den westlichen Nationen geht man bis zu einem gewissen Grad mit, quasi der peer-group-Effekt.Um nicht völlig aus der Reihe zu tanzen.
Über manche Fragen wird auch nicht wirklich diskutiert (Wie weit wollen wir die Ukraine unterstützen? Was sind unsere roten Linien gegenüber Russland? Wie viel wollen wir in unsere Verteidigungsfähigkeit nun wirklich investieren?), wir deuten vieles an, zeigen etwas Aktionismus und häppchenweise Unterstützung, aber nie mit einem klaren Ziel.
Das ist sicher politisch gewollt. Wer sich festlegt, muss auch liefern. Wer vage bleibt, kann sich immer auf den Punkt zurückziehen „Das habe ich so nie gesagt!“.
Daher befürchte ich, das Entscheidungen in der deutschen Regierung immer reaktiv und opportunistisch geprägt getroffen werden.
Das mag für deutsche Interessen sicher nicht falsch sein, aber stellt schon eine internationale Einigkeit sehr in Frage.
Ob eine Nichtpositionierung wirklich ein politisches Ziel sein kann, finde ich schon fraglich. Selbst wenn, wäre m. E. fraglich, ob das dann auch tatsächlich in „deutschem Interesse“ ist - das hängt ja immer davon ab, wie man diese definiert. Wenn man mit anderen Akteuren zu tun hat, die ganz genau wissen, was sie wollen, überzeugt mich das nicht so. Aber vor allem scheint mir diese Nichtpositionierung einfach nicht zu funktionieren: Durch ihre Aussagen und spätestens durch das was sie tun - oder eben auch nicht tun - positionieren sich politische Akteure ja eben doch.
Im Falle von Scholz scheint mir (wieder einmal) das kurzfristige Schielen auf politische Stimmungen im Land mehr Gewicht zu haben als eine Beantwortung der von Dir zurecht genannten wirklich wichtigen Fragen. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass Deutschland sich selber als souveränen „ehrlichen Makler“ versteht, während es in Wirklichkeit nur irgendwo zwischen allen Stühlen hängt. Hinzu kommt das völlige Auseinanderklaffen von politischer Rhetorik und dem tatsächlichen Handeln, das im Zweifelsfall einfach nur zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit führt - in der Ukraine, bei den NATO-Verbündeten, aber auch bei (potenziellen) SPD-Wählern. Russland dagegen weiß ohnehin, dass nur zählt, was am Ende tatsächlich passiert, nicht was geredet wird.
Statt eine Umfrage für/gegen Waffen-Lieferung sollte man besser fragen, ob die Bevölkerung dafür ist, dass ihre Söhne/Töchter in den Krieg ziehen sollten.
Auch wenn das - Gott sein dank - nicht aktuell ist, ist diese Frage sinnvoll um die Ernsthaftigkeit der Umfragen zu testen.
Eine sehr gute Frage. Die Antwort sagt auch viel über die Zukunft (und auch Daseinsberechtigung?) der Bundeswehr aus, glaube ich.
Und somit über den Verteidigungswillen der Deutschen grundsätzlich.
Ich verstehe die Logik dahinter nicht ganz. Erstens: Warum soll man die eine Frage anstelle der anderen stellen? Die Waffenlieferungen erfolgen ja, damit ukrainische Soldaten, die sowieso kämpfen, dies erfolgreicher tun können und weniger Unschuldige sterben müssen. Was die Frage von Soldaten angeht, die in einen Krieg ziehen, so ist das ja vor allem eine politische Entscheidung. Und nichts, aber auch nichts deutet gerade darauf hin, dass Bundeswehrsoldaten in der Ukraine eingesetzt werden sollen. Selbst wenn es so wäre, müsste man ja berücksichtigen, dass in Deutschland a) alle Soldaten volljährig sind und es b) keine Wehrpflicht gibt. Wenn man also solch eine politische Frage überhaupt in solcher Weise auf eine rein individuelle Entscheidung herunterbrechen will, sollte man doch die Leute fragen, die sich für einen Job bei der Bundeswehr entschieden und nicht deren Eltern. Und wenn schon, sollte diese Frage - die nun wirklich eine universelle ist - auch für alle Länder gestellt werden. Natürlich will keine Mutter und kein Vater, dass ihr Kind stirbt. Das gilt auch für ukrainische Väter und Mütter - das allein verhindert aber leider nicht, dass Ukrainer seit Jahren massenhaft für die politischen Ziele Russlands getötet werden. Ergo: Diese Frage nur deutschen Müttern und Vätern zu stellen, nicht aber ukrainischen oder russischen, ist aus meiner Sicht zumindest moralisch fragwürdig.
Man kann dieselbe Frage auch ganz anders stellen, und wird mit ziemlicher Sicherheit, ein anderes Ergebnis bekommen.
Denn grundsätzlich wird es so gut wie niemanden geben, der möchte, dass seine Kinder „in den Krieg ziehen“ müssen. Schon gar nicht, wenn nicht klar ist, was die Alternative ist, was @relang in seiner Frage schön ausgeklammert hat.
Lasst uns also Fragen ob die Leute (a) lieber unter einem totalitären Regime, ohne Grundrechte und Kanalisation dafür aber ohne Krieg leben wollen oder (b) ob sie dann doch ihre Grundrechte, Demokratie und breiten Zugang zu Bildung und Wohlstand haben wollen, auch wenn sie bzw. ihre Kinder dafür in den Krieg ziehen müssen?
Diese Frage stellen sich die meisten hier in Deutschland nicht mehr, weil eine solche Vorstellung (also die eines Krieges auf deutschem Boden) so weit weg ist von der Lebensrealität der meisten Deutschen.
Wer noch Großeltern hatte, die im zweiten Weltkrieg aufgewachsen sind oder selbst im Kalten Krieg grossgeworden ist, mag eine ungefähre Ahnung haben.
Krieg ist für uns, zum Glück sicherlich, etwas das weit weg ist. Die Fernsehbilder aus der Ukraine verschwimmen eher zwischen der Vorabend-Soap und dem Abend-Blockbuster.
Hatte jetzt noch auf einer Ausbildungsmesse, auf der auch die Bundeswehr groß vertreten war, einige Jugendliche gesprochen.
Die einen sagen eher „Nee, draußen arbeiten, dreckig machen, usw, da geh ich nicht hin“
Die anderen spielen Call of Duty und wollen Scharfschütze werden.
Der kleine dritte Teil ist reflektiert und hat zumindest eine Vorstellung davon, was Bundeswehr und Dienst an der Waffe bedeuten kann.
Die Frage sollte lauten: Seid ihr für mehr Waffenlieferungen oder wollt ihr eure Kinder im Krieg sehen wenn Putin mit der Ukraine fertig ist?
Ein frei erfundener kausaler Zusammenhang, zumindest nach heutiger Situation.
Warum soll der kausale Zusammenhang zwischen einem politischen und miltärischen Sieg Putins in der Ukraine und einem russischen Angriff auf ein NATO-Land, zu dessen Verteidigung dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch deutsche Soldaten eingesetzt würden, „erfunden“ sein? Oder hälst Du es für ausgeschlossen, dass es überhaupt zu solch einem Szenario kommt?
Immerhin wird hier reichlich über Szenarien diskutiert, die ich persönlich für noch unwahrscheinlicher halte, etwa das Szenario „deutsche Soldaten kämpfen in der Ukraine“ oder das Szenario „Verhandlungen beenden den Konflikt“.
Na dann hör doch mal rein, was das russische Staatsfernsehen zur besten Sendezeit so von sich gibt.
Vor allen Dingen: es muss ja nicht mal Polen sein, zuerst wird das Baltikum dran sein.
Das haben alle auch noch Tage vor dem Überfall auf die Ukraine gedacht.