Im Fall von Frau Ganserer ist das auf wikipedia einsehbar (wie auch bei Prominenten deren Nachname sich nach der Hochzeit geändert hat). Ansonsten wäre es z.B. auch bei Dorothee Bär schwer herauszufinden, was sie vor ihrer Hochzeit so gemacht hat.
Mir stellt sich zum Beispiel die Frage: Warum steigen die Zahlen vor allem bei den Jugendlichen und da vor allem bei den Mädchen (Also den „Transjungs“)? Es müssten doch zuerst mehr offen trans lebende Erwachsene/Ältere geben, die Zeit hatten ihre Identität herauszufinden und die mittlerweile freier wären offen trans zu leben (finanzielle Möglichkeiten, Karriere schon gemacht, keine Eltern, die Widerstände bieten)
Ich bin sehr für eine offene Gesellschaft, in der niemand unterdrückt wird. Aber dass Leute sich im „falschen Körper“ fühlen, spricht für mich eher dafür, dass die Gesellschaft nicht so tolerant und frei von Vorurteilen und Rollenerwartungen ist.
Ich wäre besorgter um das Gegenteil (sehr extremes Beispiel und zum Glück nicht mit Deutschland vergleichbar ist der Iran: Homosexualität steht unter Todesstrafe, aber Transsexualität ist weit verbreitet, weil einzige Möglichkeit rollenkonform zu leben)
Ganserer hat den Namen gar nicht ändern lassen, im Pass steht der männliche.
Die Grünen, so auch N. Slawik, sind für ein „Offenbarungsverbot“, sodass auch nur Nennung des „falschen“ Namens oder die Andeutung des biologischen Geschlechts eine Ordnungswidrigkeit (2500€) darstellt.
Nachzulesen im Gesetzentwurf der Grünen zum TSG von 2020
Danke für die Spezifizierung. Damit hätte ich tatsächlich auch ein Problem. Ich neige zu Begriffen wie Geschichtsleugnung oder Vergangenheitsverleugnung. Ich verstehe, dass man mit dem alten Namen nicht mehr in Verbindung gebracht werden möchte, das schießt aber meiner Meinung nach eindeutig über das Ziel hinaus.
Ja, das kann sein, aber man könnte genauso gut begründet anführen: Erwachsene haben mehr zu verlieren (wer hat seine Karriere wirklich schon so gemacht, dass er keine Angst mehr vor sozialem Stigma hat?), haben sich mit ihrer Situation schon abgefunden und leiden lieber stumpf vor sich hin…
Da klare Ungereimtheiten in den Zahlen zu sehen, kommt mir wie Kaffeesatzleserei vor, egal, welche Interpretation man anlegt.
Ich bin bei dir, dass die Gesellschaft nicht so tolerant und Rollenerwartungsfrei ist, wie sie sein sollte, aber ich verstehe die Sicherheit nicht, mit der du eine geschlechtsangleichende Operation als falsch ansiehst, wenn du selbst von dir sagst, auch nur Laie bei dem Thema zu sein. Genau dafür hat man doch Expertenwie diese beiden Ärzteverbünde, die davon hoffentlich mehr Ahnung haben, als das eigene Bauchgefühl hergibt.
Ich bin nicht so erfahren in der Auslegung von Gesetzen, aber ich hatte das erstmal so verstanden, dass sich das vor allem auf Behörden etc. bezieht. Ansonsten wirkt das auf mich schon krass weitgehend.
Da allein wird es doch schon spannend: Keimzellen produzieren Menschen nun einmal erst nach der Pubertät. Und, wie schon gesagt, manche produzieren nie welche. Dann müsste man auf den Genotyp rekurrieren, aber auch da gibt es eben Ausnahmen von der Regel. Und der Genotyp wiederum steht auch in keinem festen Zusammenhang mit dem Phänotyp oder anderen Eigenschaften.
Es wird hier die ganze Zeit darüber diskutiert, dass bei bestimmten Dingen das biologische Geschlecht aus irgendeinem Grund wichtig sei, etwa wegen der möglichen Erschleichung von Vorteilen. Wenn die einzige „sichere“ Methode die Bestimmung eines biologischen Geschlechts die Bestimmung der (eventuell vorhandenen) Keimzellen oder aber des Genotyps ist, das dann aber nur in losem Zusammenhang mit aus irgendeinem Grund gesellschaftlich relevanten Merkmalen stehen, führt sich das ad absurdum.
EIne solche Hanteilverteilung wie @Karl_Drogo sie darstellt, habe ich auch schon häufiger im Kopf gehabt, aber es ist wirklich schwierig, klar zu definieren, worauf die sich bezieht. Ich vermute, mit der Hantelverteilung war eher so etwas wie „Eindeutigkeit der Zuordenbarung“ gemeint. Es gibt eine knappe Hälfte Menschen mit XX-Chromosom, davon „scheinen“ die allermeisten relativ klar weiblich, also bekommen bei Geburt ein weibliches Geschlecht zugewiesen und leben ihr Leben als Frau (die eine Hantelseite). Dann gibt es eine knappe Hälfte mit XY, davon die meisten ebenso relativ eindeutig männlich (die andere Hantelseite). Auf dem Griff verteilen sich diejenigen, bei denen die Geschlechtszuordnung nicht so eindeutig ist, also welche die entweder weder XX noch XY haben (Turner-Syndrom, XXY etc.) oder aber solche, die zwar XX/XY tragen, aber dennoch andere Phänotypen zeigen, (XX-Männer, XY-Frauen).
Tatsächlich wird in der Gesellschaft relativ willkürlich ein Merkmal herausgenommen, an dem entschieden wird, ob jemand nun Mann ist oder Frau, häufig eben ein Teil des Phänotyps (z.B. sekundäre Geschlechtsmerkmale) und wenn der dem ein oder anderen nicht mehr „passt“ („Diese Transfrau ist ja gar keine „echte“ Frau!“), muss eben ein anderes Merkmal her („Hatte die Person mal einen Penis? Aha, wusste ich’s doch! Ab auf die Männertoilette!“).
Es wird aus meiner Sicht einfach klar, dass das „biologische“ Geschlecht gesellschaftlich einen sehr begrenzten Wert hat. @Kenny’s Beitrag weiter oben stellt das aus meiner Sicht genau passend dar: Es sollte jetzt einfach klar sein, dass unser Modell vom Geschlecht unterkomplex ist und die soziale Realität nicht mehr genügend abbildet. Das ist doch in anderen Lebensbereichen auch schon passiert. Es gibt nicht nur Geistes- und Naturwissenschaften. Es gibt nicht nur Deutsche und Ausländer. Es gibt - etwas näher am Thema - nicht nur lohnarbeitende Männer und heimarbeitende Frauen. In diesen Punkten hat sich die Gesellschaft und auch das Gesetz zunehmend differenziert. Das ist manchmal schwierig, aber eben nötig.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass allzu starre Rollenerwartungen einerseits und Trans-Identitäten andererseits zwar verwandte, aber dennoch unterschiedliche Dinge sind. Ich (Cis-Mann, hetero) hatte in meiner Jugend immer Probleme mit männlichen Rollenerwartungen. Ich war klein und etwas dick, fand Fußball doof, hatte eher ein rundliches als ein kantiges Gesicht Gesicht, trug meine Haare meist lang und verstand mich mit den Mädchen meist besser als mit den Jungs. Ich habe während der Pubertät viel darunter gelitten, vor allem unter den Sprüchen der Mitschüler und unter den Selbstzweifeln. Dennoch wäre mir nie in den Sinn gekommen, kein Mann sein zu wollen; die Rollenerwartungen gingen mir aber gehörig gegen den Strich. Wenn ich heute in dem Alter wäre, würde ich mich vielleicht (obwohl ich nicht weiß, wie es in den Schulen so läuft) eher trauen, einfach weniger männlich sein zu müssen. Ich war in der Pubertät sicherlich mit meinem Körper unzufrieden, hätte aber nie das Gefühl gehabt, im falschen Geschlecht zu stecken. Ich hätte ihn (aufgrund der Rollenerwartungen) lieber noch männlicher gehabt.
Das ist ja etwas ganz anderes, als es beispielsweise Nyke Slawin beschreibt: Ich kann mir den Horror eines Transjungen, dem plötzlich Brüste wachsen, kaum vorstellen.
Natürlich kann es sein, dass es für einige dieser Menschen weniger schlimm wäre, wenn an die körperliche Erscheinungsform nicht auch so starke Erwartungen an Kleidung, Verhalten, Persönlichkeit etc. geknüpft wären. Und wie Nyke Slawin beschreibt, gibt es ja auch viele, denen eine Hormonbehandlung schon reicht und die keine geschlechtsangleichenden Operationen möchten. Und natürlich kann es auch Jugendliche geben, die nach einer Phase, in der sie mit einer Transidentität leben, merken, dass es eben nur eine solche war (eine Phase, meine ich). Aber das Gute ist ja beispielsweise, dass pubertätsverzögernde Medikamente das Leiden verringern können, aber trotzdem keine irreversiblen Änderungen verursachen. Wieso sollte man das leidenden Jugendlichen verwehren?
Wieso muss das Geschlecht überhaupt „amtlich“ dokumentiert werden?
Ist ja nicht gerade ein Alleinstellungsmerkmal…
Wie will man denn die Diskriminierung von Frauen bekämpfen, wenn das nicht dokumentiert wird? Ich finde, dass ist ein grundsätzliches Spannungsverhältnis, dass man in irgendeiner Form immer bekommt, wenn man Diskriminierung bekämpfen will: Es ist schwer, die Diskriminierung bestimmter Gruppen zu adressieren, ohne ihre „Andersartigkeit“ quasi festzuschreiben, was wiederum ja die Grundlage für soziale, rechtliche oder sonstige ungleiche Behandlungen legt. Andererseits verschwindet die Diskriminierung aber auch nicht, wenn das dafür entscheidende, zugeschriebene oder tatsächliche Merkmal nicht mehr „amtlich“ ist.
Ich schätze, dass der „amtliche“ Eintrag ursprünglich eher dazu da war, Frauen zu diskriminieren (sprich unterschiedliche Rechte je nach Geschlecht im Patriarchat).
Als weiße cis hetero Frau bin ich von verhältnismäßig wenig(er) Diskriminierung betroffen, würde mir aber generell mehr Offenheit in der „Geschlechterfrage“ wünschen. Weniger Gewicht auf dem Geschlecht würde unserer Gesellschaft gut tun, glaube ich. Tatsächlich ist es doch für relativ wenige Dinge relevant. Und die Unterschiede innerhalb der „Frauen“ oder der „Männer“ scheinen mir oft größer als zwischen Männern und Frauen.
Vielleicht kann man ja diskriminierte Personen fragen, ob / inwiefern sie ein System hinter der Diskriminierung sehen, wenn man sich wirklich dafür interessiert.
Die Notwendigkeit eines „amtlichen“ Geschlechtseintrags erklärt sich für mich dadurch nicht.
Wäre es nicht inklusiver, einfach gar nicht nach dem Geschlecht zu fragen, wo es nicht relevant ist, statt z.B. zwei oder drei Auswahlmöglichkeiten (m/w/d)?
Falls jemand für seinen Verein zwingend ein Geschlecht wissen will (ich denke an die katholische Kirche), können die Vereinsmitglieder ihr Geschlecht ja amtlich feststellen lassen.
Die aktuelle Situation würde es natürlich nicht ändern, insofern muss das „Transsexuellengesetz“ reformiert werden, aber als gesellschaftspolitische Vision müsste es doch überflüssig sein, weil alle Menschen die gleichen Rechte haben.
Hm, ich bin zwar „nur“ ein Mann und deswegen nicht direkt betroffen, aber meine Mutter hatte in einem Dorf im Münsterland in den 80ern den ersten Mann im Ort, der Teilzeit gearbeitet und seine Frau studieren lassen hat. Die hat in ihrer Karriere eine ganze Menge gläserne Decken angetroffen. Und dass das heute in Unternehmen generell anders wäre, da gibt es ja reichlich Hinweise, dass das nach wie vor der Fall ist. Dei Ungleichheit in der Care-Arbeit besteht weiterhin. Auch wenn ich durch die Frauenquote der Grünen eher „Opfer“ bin, obwohl ich in unserer Familie eher die „Mutter-Rolle“ einnehme und deswegen viele Parteiveranstaltungen in der familiären Rush-Hour zwischen Abendessen und ins Bett bringen, ausfallen lasse, sehe ich von daher schon Gründe, warum es die weiter geben sollte. Und es kann die ja nur geben, wenn in irgendeiner Art geklärt ist, wer davon profitiert. Ob man dafür einen amtilichen Nachweis braucht, da kann man drüber nachdenken. Aber über all diese Ungleichheiten zulasten von Frauen kann man jedenfalls nicht sprechen, ohne ständig darauf rumzureiten, dass es irgendwie „die Frauen“ gibt und bestimmte Dinge Menschen eher oder ausschließlich zustoßen, weil sie eine „Frau“ sind. Das führt dann aber zu zwei Schwierigkeiten: Erstens reproduziert man die Ungleichheit ein Stück weit, indem man immer darauf hinweist und Zweitens kommt es u.U. zur Diskriminierung von Trans-Menschen, die sich als Frau identifizieren (ist das richtig ausgedrückt), wenn man anfangen muss, zu definieren, was eine Frau ausmacht. Ich habe zu diesen Fragen keine fertige Meinung, aber einfach so zu tun, als gäbe es die Geschlechter nicht mehr, wird nach meiner Einschätzung nicht dazu führen, dass sie aufhören zu existieren, sondern dass man bestimmte systemische Ungleichheiten nicht mehr sinnvoll diskutieren kann.
Personen mit Fortpflanzungswunsch messen dem biologischen Geschlecht ihres Gegenübers sicherlich eine hohe Relevanz zu. Und solange unsere Spezies einen Arterhaltungstrieb verspürt, wird das biologische Geschlecht immer ein Grundpfeiler der bzw. jeglicher Kultur sein.
Das Modell vom binären biologischen Geschlecht (plus ggf. Hermaphrodite und Ungeschlechtliche) ist eine extrem erfolgreiche naturwissenschaftliche Theorie über die Reproduktion von mehrzelligen Lebewesen. Beim phänotypischen und sozialen Geschlecht hingegen werden die Modelle ja zur Zeit erweitert.
Sondern auch die Sozialwissenschaften (und Formalwissenschaften, aber die sind hier wohl nicht gemeint)?
Mein Anliegen war es ja gerade, die Sphären der Naturwissenschaften und der Sozialwissenschaften nicht unnötig stark zu vermischen. Insbesondere sollte beachtet werden, dass naturwissenschaftliche Theorien und Begriffe (wie z.B. das biologische Geschlecht) völlig unabhängig von (historischen, gegenwärtigen und zukünftigen) sozialen Normen sind bzw. sein sollten. Aus Sicht der Biologie ist der Homo Sapiens eben ähnlich interessant wie ein Eichhörnchen.
Deine ersten beiden Antworten bestätigen doch nur mein Argument: Der Nutzen des biologischen Geschlechts - im Sinne der produzierten Keimzellen oder von mir aus auch des Genotyps - ist in unserer aktuellen sozialen Realität bzw. in allen gesellschaftlichen Belangen wohl beinahe ausschließlich beschränkt auf den Kontext der Reproduktion. Natürlich spielt es da eine Rolle, aber darüber hinaus im Grunde so gut wie gar nicht - bzw. sollte es das nicht.
Und mit dem letzten Punkt war eben nur ein weiteres Beispiel für eine überkommene Dichotomie gemeint. Die Grenzen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften sind eben unschärfer, als in weiten Kreisen noch angenommen (viele sprechen doch heute noch von „Laber-“ vs „richtigen“ Schulfächern), ebenso wie bei den anderen genannten Dichotomien, wozu eben auch das binäre Geschlecht gehört.
Das ist es ja gerade, was in dieser Diskussion aber immer wieder passiert, hier zum Beispiel:
oder hier:
Wenn wir in unserer Gesellschaft von „Mann“ oder „Frau“ sprechen, ist eben schon jetzt nie das biologische Geschlecht gemeint. Es ist ja noch nicht einmal das „biologische Geschlecht“, das bei der Geburt festgestellt wird, sondern ein Phänotyp. Trotzdem behaupten Menschen, es spiele irgendwie eine Rolle.
Aber vielleicht meinst Du ja genau das und wir sind uns im Grunde einig.
Hier stimme ich Ihnen zu. Wobei wir möglicherweise verschiedene Vorstellungen davon haben, welcher Anteil der sozialen Normen mittelbar oder unmittelbar auf dieses zentrale Bedürfnis zurückzuführen ist (und immer sein wird).
Ich verstehe nicht, was Sie mit „überkommener Dichotomie“ meinen. Meinem Verständnis nach gelten die Naturgesetze (und dazu zähle ich hier auch die fundamentalen biologischen Gesetzmäßigkeiten) unabhängig vom Menschen. Der Mensch inklusive seines Sozialverhaltens und seiner Umwelteinflüsse stellt eine recht scharf abgrenzbare Untermenge der Natur(-wissenschaften) dar. Meinem Verständnis nach beschäftigen sich die Geistes- und Sozialwissenschaften aussschließlich mit dieser Untermenge bzw. einem Teil davon.
Der Definition auf Wikipedia folgend, ist es ein Fakt, dass das biologische Geschlecht binär (bzw. ternär) ist. Bei allen anderen Geschlecht-Kategorien stimme ich Ihnen zu.
Das kommt auf den Kontext an und die ambivalente Verwendung dieser Begriffe ist sicherlich eines der Hauptprobleme beim Diskurs über „Geschlechter“. Meistens bezieht sich die Aussage wohl auf das phänotypische oder soziale Geschlecht. Diese Begriffe werden aber auch synonym für Männchen und Weibchen im Sinne des biologischen Geschlechts verwendet.
Generelle Zustimmung, allerdings frage ich mich gerade, wie oft tatsächlich das falsche biologische Geschlecht festgestellt wird (d.h. wie oft nach Betrachtung des phänotypischen Geschlechts auf das falsche biologische Geschlecht geschlossen wird).
Ich glaube, wir sind uns im Grunde zumindest einig, dass
d.h. dass das biologische Geschlecht bei dieser Thematik nur wenig Diskussionsstoff liefert. Wobei wir uns uneinig in der Begründung sind. Ich, weil ich keine offenen Fragen zum biologischen Geschlecht sehe. Sie, weil Sie die Relevanz des biologischen Geschlechts in diesen Debatten als niedrig einstufen.
Ich fürchte, dass es hier zu weit wegführt, wenn ich auf alles eingehe. Aber ich möchte doch eine aus meiner Sicht wichtige Sache noch einmal aufgreifen:
So einfach ist es eben nicht. Auf Wikipedia steht ja beispielsweise „Die Art der Gameten, die ein Organismus produziert, definiert sein Geschlecht.“ Was ist denn mit Menschen, die keine produzieren? Sind die alle ungeschlechtlich, unabhängig vom Grund, dem Genotyp, etc.? Da würde vermutlich eine dritte Kategorie nicht einmal ausreichen.
In der Literatur, die der Artikel an dieser Stelle zitiert (bzw. habe ich die deutsche Übersetzung der aktuellsten Version des Lehrbuchs genommen, darauf habe ich über mein Institut elektronischen Zugriff: Purves Biologie | SpringerLink), steht interessanterweise etwas ganz anderes: Männlich seien alle Menschen, die ein funktionierendes SRY-Gen tragen, das auf dem Y-Chromosom sitzt. Fehlt es (oder ist es nicht funktionell), ist es eine biologische Frau. Demnach wäre doch der Genotyp entscheidend.
Man muss sich hier doch aber vor Augen führen: Auch naturwissenschaftliche Definitionen sind menschliche Festlegungen! Im wörtlichen Sinne „Grenzziehungen“. Klar ist das SRY-Gen ein „Fakt“, auch die Auswirkungen, die das Vorhandensein oder Fehlen desselben unter Umständen hat. Aber deswegen ist, was wir mit „biologischem Geschlecht“ denn nun meinen oder nicht, eine bewusste Entscheidung, über die sich Wikipedia noch nicht einmal mit der eigenen Quelle einig ist. (Im Buch selbst wird Geschlecht tatsächlich gar nicht direkt definiert! Weder im Glossar noch im Sachverzeichnis kommt „Geschlecht“ vor.)
Die Frage nach dem biologischen Geschlecht ist insofern aus meiner Sicht eben doch „offen“, als dass in der öffentlichen Debatte wohl kaum jemand ernsthaft mit „biologisch männlich“ „eine Person mit einem funktionierenden SRY-Gen“ meint. Und das meine ich damit, dass die Frage nach dem biologischen Geschlecht in dieser Debatte und in den meisten anderen nicht hilfreich ist.
Natürlich gibt es die angesprochenen Diskriminierungen von Frauen. Das macht aber noch mal eine weitere Diskussion auf (z.B. frage ich mich heimlich, ob wir wirklich Diskriminierung von Frauen besprechen sollten, oder nicht lieber Diskriminierung von care-arbeit-Leistenden (s. dein Beispiel) und ob nicht insbesondere Politik, aber auch die Arbeitswelt generell familien- und menschenfreundlicher gestaltet werden sollte).
Der eigentliche Punkt: ich sehe den Zusammenhang zwischen „amtlicher“ Geschlechtsfeststellung und Vermeidung von Diskriminierung nicht.
Menschen, die sich eindeutig als Mann oder Frau identifizieren und auch so gelesen werden, ist es ja vielleicht egal bzw. denen fällt das gar nicht auf. Allen Menschen, bei denen Innen- und Außensicht nicht übereinstimmen oder die weder Mann noch Frau sind, macht es das Leben aber schwerer. Was ist der Vorteil der Feststellung des Geschlechts? In welchen Fällen ist das wirklich relevant?
Ich denke nicht, dass Geschlechter „verschwinden“, wenn wir sie nicht mehr „amtlich“ dokumentieren, es käme aber vielleicht der Lebensrealität etwas näher, wenn die Pflicht zur binären Einteilung entfällt und alle Menschen einfach ein bisschen mehr so sein können, wie sie wollen.
Darum meine Frage: Wozu brauchen wir das? Gibt es wirklich irgendeine (nicht historische) Notwendigkeit, das Geschlecht festzuschreiben?
Ganz erstgemeinste Verständnisfrage: Woran macht es sich fest, sich als Mann oder Frau zu fühlen? Was ist damit gemeint? Ich bin selber mit männlichen Geschlechtsmerkmalen geboren, und ich versuche mir aufgrund des (guten) Beitrags eine Vorstellung zu machen, da ich für mich selber abseits des rein biologischen nicht sagen kann, was mich „zum Mann macht“. Zwei Möglichkeiten fallen mir ein, die aber wohl beide eher falsch sind:
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Den eigenen Körper hässlich/abstoßend/unansehnlich/wasauchimmer zu finden. Kann ich nachvollziehen, aber kommt für mich nicht damit zusammen, das laut dem Beitrag viele Transpersonen das schon als Kind so empfinden, wenn die körperlich sichtbaren Unterschiede ja noch sehr klein sind? Außerdem: Nur weil ich Körper des anderen Geschlechts angenehmer/wohlgestalteter/wasauchimmer finde, heisst das ja nicht, das mir das auch so ginge, wenn ich selber das Geschlecht wechselte?
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Die mit meinem biologischen Geschlecht assoziierte Rolle (Kleidung, Hobbys etc.) abzulehnen bzw. dieser nicht entsprechen zu wollen. Dann geht es ja aber eigentlich um den Kampf gegen Vorurteile als um tatsächliches Geschlecht?
Natürlich muss man nicht zwingend mit Quoten und ähnlichen Sonderrechten an einer „richtigen“ Gleichstellung bzw. Nichtdiskriminierung nach Geschlecht(sidentität) arbeiten. Aber wenn man das will, braucht man ja irgendein Kriterium, wer von dieser Quote profitieren sollte (gilt in vergleichbarer Weise etwa auch bei der Frage von Migranten- oder Ostdeutschenquoten in Behörden oder im Bundeskabinett). Das muss dann nicht zwingend eine behördliche Feststellung sein, aber irgendein Kriterium muss man ja heranziehen, sonst wäre eine Quote von vornherein nicht funktional.
Ich bin da einfach deswegen skeptisch, weil es viel größere und interessantere Unterschiede zwischen Menschen gibt, als ihr Geschlecht, zumal mir die Unterscheidung Mann/Frau mächtig kurz gegriffen erscheint. Ebenso gibt es einen Haufen weiterer Diskriminierungsgründe, die nicht alle über Quoten abbildbar sind.
Über die Quotierung von Frauen denke ich viel nach, habe aber noch keine abschließende Meinung dazu, aus dem gleichen Grund.
Sinnvoller erscheint mir, Diversität zu fördern, weniger ein Geschlecht. Interessanter Ansätze finde ich im beruflichen Kontext die Förderung von Ehrenamt und insgesamt weniger Arbeitszeit, damit Zeit für Familie/Hobbies/Leben/sich selbst bleibt. Damit bräuchte es weniger prekäre Arbeitsverhältnisse im Dienstleistungssektor und z.B. (allein-)erziehende Menschen hätten mehr Möglichkeit zur Teilhabe - geschlechtsunabhängig.