Strommarkt wieder verstaatlichen?

Fortsetzung der Diskussion von Vor- und Nachteile des aktuellen Strommarktes:

Ja, ich finde das Thema dafür wichtig genug. :slight_smile:

Durchaus nicht uncharmante Idee.

Wenn man sich die Entwicklung des Strompreises ansieht, hat sich dieser seit der Liberalisierung (ab Mitte 1998) fast verdoppelt (Quelle):


Als Grund dafür werden die steigenden staatlichen Abgaben genannt, die heute schon fast die Hälfte des ausmachen sollen. Nimmt man das als richtig an, dann war die Liberalisierung also quasi preislich ein Nullsummenspiel.

Dazu kommen weitere Nachteile eines liberalisierten Strommarktes mit vielen Anbietern:

  1. natürlich die Gewinnabschöpfung durch die privaten Unternehmen
  2. der Staat muss solche Unternehmen in Krisenzeiten aber retten, so wie jetzt etliche Kleinversorger
  3. werden diese Versorger nicht gerettet, stehen deren Kunden plötzlich vor teuren Neuverträgen und brauchen ggf. auch staatliche Unterstützung
  4. In den Unternehmen werden viele Aufgaben rund um die Strommarkt also Ausgleich der Strombilanz, Stromeinkauf usw. unnötig redundant ausgeführt
  5. Alle Stromversorger haben große Marketingabteilungen und -aufwendungen, die wir alle über die Stromrechnung mitbezahlen (z.B. die nervigen Werbespots von Check24 usw.)
  6. Strom ist Teil der Daseinsvorsorge und kritische Infrastruktur und daher staatliche Aufgabe sein, so wie Straßen, Polizei und vieles andere auch.

Bleibt also die Frage, welche Vorteile die Liberalisierung eigentlich gebracht hat.

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Was dann jedoch auch die Verstaatlichung jeder einspeisenden PV- Anlage und das Ende aller Bürgerenergiegenossenschaften bedeuten würde.

Das würde auch bedeuten das der Ausbau der erneuerbaren Energien aus Staatshaushalt finanziert werden müsste.

Ein staatlicher Strommarkt war vielleicht in der alten Stromwelt mit großen Kraftwerken möglich. In einer Zeit in der eigentlich jeder PV Besitzer irgendwann (spätestens nach Ende der Einspeisevergütung) zum Marktteilnehmer werden kann ist das nicht mehr sinnvoll.

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Stimmt, aber nur wenn man diese nicht durch eine Sonderregelung rausnimmt. Und da gibt es sicher Mittel und Wege zu verhindern, dass das nicht zu einem Schlumpf für Konzerne wird: Vorgeschriebener Streubesitz der Gesellschaftsanteile, beschränktes Kaufrecht usw.

Aber was wichtiger ist:

Schon heute arbeiten die „großen Konzerne“ und (leider) auch die Politik daran, die „kleinen“ Anbieter, speziell die Bürgergenossenschaften wo nur möglich zu verdrängen:

Die Energiegenossenschaften und Bürgerenergieakteure werden mit der stufenweisen
Einführung von Solardachanlagenausschreibungen ab 100 kW installierte Leistung von
einem weiteren Markt der deutschen Energiewende verdrängt.

Quelle:
Stellungnahme der Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim DGRV zum Entwurf eines „Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und weiterer energierechtlicher Vorschriften“

Die Energierevolution in Bürgerhand könnte sich also ziemlich bald verflüchtigen. Und soweit ich weiß tut auch die Ampel nicht viel um diesen Zustand zu verbessern.

Und auch Menschen, die eine Solaranlage auf ihrem Dach haben wollen werden ha allerlei Steine in den Weg gelegt, die nicht unbedingt mit Betriebs- oder Versorgungssicherheit zutun haben.

Deine verlinkte Quelle ist auch schon wieder fast zwei Jahre alt. Mittlerweile klingt die BBEn schon wieder etwas optimistischer.

„Die Bürgerenergie ist ab dem Jahr 2023 von den Ausschreibungen befreit! Dies ist ein großer Erfolg unserer Arbeit.“

Quelle:

Eine staatliche Stromversorgung kann aber auch anfällig für Lobbyismus sein.
Es könnte zum Beispiel ein großer Chemiekonzern kommen und mit Hinweis auf Arbeitsplätze günstigere Strompreise fordern.

Oder eine Regierungspartei reduziert kurz vor der Wahl die Strompreise.

Derzeit muss die Regierung bei solchen Projekten eine Gegenfinanzierung vorweisen. Wenn die Stromversorgung in staatlicher Hand ist könnte es leichter für die regierenden Parteien sein sich einfach zu bedienen.

Wenn ich nach Frankreich mit seinem Staatskonzern schaue ist das für mich eher ein abschreckendes Beispiel.

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Stimmt. Dieses Resümee zieht auch der DGRV:
https://www.dgrv.de/news/neuregelungen-im-osterpaket/

Aber wie gesagt, Bürgerenergie-Gesellschaften können ja durchaus eine sinnvolle Ausnahme zur Steigerung der lokalen Akzeptanz bleiben in einer ansonsten staatseigenen Energieversorgung.

Mhh naja, einen großen Staatskonzerne, die deutsche Bahn, haben wir ja in Deutschland. Und dort ist so etwas meines Wissens nach, noch nicht vorgekommen.

Zwar hat die Bundesregierung vor ein paar Jahren quasi eine kostenlose Bahncard 100 für Soldaten eingeführt, aber das war es auch. Und schaut man sich an, wie dringend auch Deutschland in diesen Zeiten seine Armee braucht, dann würde ich das nicht als unnütze Kosten bezeichnen.

Auch so etwas hätte die Regierung mit Bahntickets schon öfter machen können aber bislang blieb das aus. Stattdessen steigen die Bahnpreise kontinuirlich an.

Ja beim EDF ist tatsächlich einiges schief gelaufen. Die Frage aber wäre, wie es bei uns in Deutschland aussähe, wenn der Atomausstieg dieses Problem bis vor kurzem nicht behoben hätte.

Und auch jetzt sind die deutschen AKW-Betreiber ja nur zu einem Weiterbetrieb bereit, wenn der Staat entsprechende Garantien macht und bei technischen Überprüfungen ein Auge zudrückt:

Und wenn man sich mal auf den komplett privatisierten, amerikanischen Markt ansieht, weiß man, warum man zumindest bei der Atomkraft einen strengen Staat haben möchte:

Insbesondere passt das hier natürlich irgendwo zur „Arbeitsweise“ privater Firmen:

Danach wurden in mehreren AKW gefälschte oder nachgebaute Teile entdeckt, die das Risiko eines Unfalls erhöhen könnten. […] Die Betreiber nutzen diese, um Geld zu sparen.

Die Deutsche Bahn ist jetzt aber nicht gerade ein Beispiel für ein gut funktionierendes Unternehmen.

Die Bahn ist hoch verschuldet, die Führung ist ineffizient und das Netz ist veraltet. Dafür werden Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 durchgeboxt.

Na ja, diesen Zickzackkurs der letzten Jahre würde sonst kein Unternehmen mitmachen.
Das Problem ist ja in Deutschland nicht durch das wirtschaftliche Handeln der Unternehmen entstanden sondern dadurch das die Regierungen aller paar Jahre ihre Meinung ändern.

Fairerweise hättest du das jedoch mit zitieren sollen:

„NRC-Sprecher Scott Burnell gab insofern Entwarnung, als er sagte, in dem Bericht deute nichts „auf ein unmittelbares Sicherheitsrisiko“ hin. Der Report werde gründlich geprüft, und es würden geeignete Maßnahmen ergriffen.“

Außerdem hattest du das 2016 beim Staatskonzern EDF auch:

Und das dieses Problem besser wird wenn Kontrolleur und Kontrollierter staatlich sind bezweifle ich.

Stimmt, wie die meisten großen Konzerne ist die Bahn verschuldet:

Ich bin kein Finanzfachmann aber wenn ich mir die Finanzdaten von z.B. Deutsch Bahn (Quelle) und RWE (Quelle) ansehe sieht das bei mir so aus:

Passiva Deutsche Bahn:

  1. Eigenkapital: ca. 13,5 Mrd. €
  2. Langfristiges Fremdkapital: ca. 39,5 Mrd. €
  3. Kurzfristiges Fremdkapital: ca. 21 Mrd. €

Passiva RWE:

  1. Eigenkapital: ca. 9,5 Mrd. €
  2. Langfristiges Fremdkapital: ca. 28,5 Mrd. €
  3. Kurzfristiges Fremdkapital: ca. 151,5 Mrd. €

Die 2. und 3. Position kann man wohl vereinfacht als die Konzernschulden bezeichnen. Die reinen Zahlen sehen bei RWE als Beispiel eines Energieversorgers also auch nicht so rossig aus.

Was genau heißt das für dich?

Du meinst wie z.B. die verpatzte Expansion von Thyssen nach Nord- und Südamerika (kostete 8 Mrd.) oder die inzwischen revidierte Fusion von Mercedes und Chryssler??

Fair enough, ja er Atom-Wiedereinstieg 2010 der CDU und dann 2011 der Wiederausstieg waren schon apprubt. Aber auf den Wiedereinstieg hatte die Atomlobby jahrelang hingearbeitet.
Hätten die Firmen den ursprünglichen Ausstieg von 2000 ernstgenommen und ihre Geschäfte umgestellt, wären wir mit der Energiewende heute vermutlich schon etwas weiter. So kann man das Ganze nämlich auch sehen.

Naja in deinem Artikel steht, dass der Zulieferer von EDF die Teile fälschte, aber okay vertiefen wir dieses Aspekt nicht weiter, es soll hier ja nicht um die Frage gehen, wer kann schlechter mit Atomenergie umgehen, denn die muss sowieso weg.

Einen weiteren wichtigen Punkt den ich noch machen möchte, ist das es beim Strom, wie auch bei anderen lebensnotwendigen Gütern nicht einfach den Verzicht als Reaktion auf steigende Preise gibt, wie wir ja jetzt gerade alle sehen.

Solche natürlichen Monopole sind immer eine Einladung zum Ausnutzen durch private Investoren.

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Soweit ich das Verstanden habe sehen viele jüngere Investoren ihre alten Investments in fossile bedroht durch die Renewables und haben dann angefangen sich „aus diesem Grund“ mit Renewables zu beschäfigen. Mir ist das am Ende egal, Hauptsache wir vermeiden Emissionen und lassen die fossil/atomaren Sachen auslaufen auf XX Jahre… möglichst schnell und ohne die Weltwirtschaft zu crashen…

Ich nehme die Bahn so wahr wie im diesem Artikel von 2018:
https://www.zeit.de/mobilitaet/2018-09/deutsche-bahn-fernverkehr-zuege-kauf-probleme-gueterverkehr

Und auch im ersten Halbjahr 2022 ist es immer noch so das zu den 876 Millionen die die DB verdient hat DB Schenker 1,2 Milliarden beigetragen hat.
Bedeutet damit auch das die DB ohne Schenker 324 Millionen Euro Verlust gemacht hat.

Ich habe einen Bekannten der ist Lokführer im Personenverkehr und meinte das ein Lokführer jede Strecke die er befahren muss vorher erlernt indem er bei anderen Lokführern auf der Strecke mitfährt.

Oder fahren nur zu 1/3 ihrer Arbeitszeit wirklich Zug:

Ich hatte jahrelang beruflich mit der DB Cargo zu tun (Holztransport). Das war jedes Mal ein Kampf (Züge kamen nicht, es wurden einfach andere Waggons bereitgestellt als bestellt, überzogene Anforderungen bei der Bereitstellung, arrogante Wagenmeister etc.).
Wenn man sich Beschwerte bekam man solche tollen Antworten wie: „Die DB -Cargo kann Waren transportieren, sie muss nicht.“
Ich habe da vielleicht auch einen sehr negativen Blick darauf bekommen, aber wenn das die Leistung ist die wir von einem Staatskonzern bekommen dann brauche ich das echt nicht bei der Stromversorgung.

Zugegeben, das habe ich auch schon von anderen Unternehmen gehört. Ich hatte aber auch eher die Personenbeförderung gemeint, aber okay, fair enough, ist ja ein Konzern.

Ich wollte gerne noch etwas zu der Diskussion hinzufügen. Ich war hier im Forum ja mit an den Auslösern beteiligt. Leider war zuletzt aber recht viel los. Daher mein verspäteter Beitrag. Ich gehe dabei nicht nur auf den Strommarkt ein, weil der Ausgangspost an sich von Erzeugung bis Vertrieb das ganze System beinhaltet.

Grundsätzlich kann ich dem Argument, dass Daseinsvorsorge eine Aufgabe des Staates ist auch viel abgewinnen. Gerade im Stromsektor würde ich aber entgegnen, dass die aktuelle Lösung eigentlich sehr charmant ist.

Die Frage ist dabei zunächst, was muss auf jeden Fall sichergestellt werden. Das ist der Transport von Energie, hier Strom. Zentraler Punkt ist also das Netz. Hier muss sichergestellt werden, dass das funktionsfähig ist, also als kritische Infrastruktur elementar ist. Ähnlich sind es Straßen oder Schienen. Auch hier hat der Staat aus meiner Sicht zu gewährleisten, dass es funktioniert.

Jetzt könnte man meinen, dass es bei letzterem mehr schlecht als Recht läuft während das Stromnetz in Deutschland zu den sichersten und leistungsfähigsten der Welt zählt. Genauso zählen aber auch Argumente, dass z.B. das Netz der USA vereinfacht gesagt eher marode ist. Also an sich erst mal kein Argument pro privatem Betrieb von Infrastruktur.

Das bringt mich zu einem zentralen Punkt, der bei Strom sehr gut umgesetzt wurde. Die Regulierung der Netze ist da wesentlich besser gelöst worden. Die Netzbetreiber müssen ihr Netz so gut in Schuss halten, sonst gibt es weniger Geld. Dazu gibt es eine Anschlusspflicht, ich muss Haushalte also an das Netz anschließen und kann sie nicht einfach außen vor lassen. Das müsste man sich mal im Bahnnetz vorstellen, dass es eine Vorschrift gibt, dass es einen Ort gibt, der ein Netz bekommen muss und wenn er Bahn fahren will, dann auch ein Zug dahin fahren muss (klar ist das etwas vereinfacht, aber zeigt, dass es Lösungen für Probleme gibt, die auch einen privaten Betrieb nicht zu schlecht machen). Grundsätzlich kann das alles aber auch der Staat machen, nur finde ich gerade im Stromnetz die aktuelle Lösung für Verbrauchende wesentlich besser gelöst. Klar dürfen die privaten Betreiber (Verteilnetze sind auch ein Haufen Stadtwerke Gewinne machen, aber selbst da sind wiederum die Eigenkapitalzinsen vorgegeben, die Regulierung greift also bei Netzen sehr weit ein).

Zur Verstaatlichung der Erzeugungsseite. Das sehe ich aktuell ebenfalls kritisch, weil der Staat leider oft genug zeigt, dass er sobald er selber direkt verantwortlich ist, nicht schnell genug handelt. Ein super Beispiel ist der Kohleausstieg und die Verflechtung von Kommunen und RWE in NRW. Das ist kein Geheimnis, dass dort viel mehr Zeit als notwendig verstrichen ist und der Ausstieg viel später angesetzt wurde, weil die Kommunen finanziell davon profitiert haben und sich selber ungerne ins eigene Fleisch schneiden. Hier sehe ich den Vorteil, dass der Staat außen vor ist und die Regeln frei von seinen Verflechtungen setzen könnte. Insofern ist die Erzeugung für mich eher vergleichbar mit z.B. dem Automobilbau, wo der Staat gerade weil er Beteiligungen hat eher als Bremser auftritt denn als „Möglichmacher“ des notwendigen Wandels.

Abschließend noch zu den Preisen. Ja, die Preise steigen seit 2000 an. Nur das ist nicht allein der reine Strompreis, der dazu führt. Da sind ein Haufen Faktoren drin enthalten, die auch der Staat nicht hätte kompensieren können. Z.B. die angesprochene Qualität der Netze kostet Geld, die Umrüstung des Systems auf 100% EE ist teuer. Das wäre nur mit massiven Subventionen zu verschleiern gewesen. Energie wird (und muss) aber irgendwie teuerer werden, einfach schon weil die niederigen Preise in der Vergangenheit uns etwas vorgegaukelt haben (Stichewort Externe Effekte - Klimawandel). Da sehe ich es doch lieber, wenn es endlich ein Klimageld gibt, was so ausgestaltet ist, dass es die Energiewende vorantreibt und gleichermaßen soziale Gerechtigkeit fördert). Das wäre viel hilfreicher als hier eine Verstaatlichungsdebatte zu führen.

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