Sollten Ost- und Westdeutschland getrennte Wege gehen?

Totalitäre Regime reagieren nicht selbstreflektiert. Sie übertragen ihre Problem immer auf’s Außen. Nach ein paar Jahren würde es mit Sicherheit einen Bürgerkrieg geben. Der Osten würde mit einfachen Mitteln immer ein Level an Bedrohung erzeugen. Der Westen würde im Gegenzug großflächig Städte mittlerer Größe in Schutt und Asche legen. Für wenige Großstädte würde der Luftschutz reichen, aber für mehr nicht.

Mein Zwischenfazit des bisherigen Austauschs ist folgendes:

Niemand hat bislang schlüssig bestritten, dass es im Falle einer Trennung in zwei Staaten zu einer Machtübernahme von Rechtsextremen oder reaktionär-autoritären Populist:innen im neuen Oststaat käme.

Das alleine halte ich schon für bemerkenswert.

Will diese Gefahr doch noch quanti- und qualifizieren. Beziehe mich dabei auf hier verlinkte Quellen.

51,2 % repräsentativ befragter Ostdeutscher stimmten mehr oder minder der folgenden Aussage zu:

Was Deutschland jetzt braucht, ist eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.

In einem von @TilRq verlinkten SZ-Artikel wird auf die Analyse des ostdeutschen Historikers Ilko-Sascha Kowalczuk wie folgt Bezug genommen:

Der wichtigste Befund: Kaum jemand im Osten habe, so Kowalczuk, die repräsentative, liberale Demokratie verstanden, die Mühsal der Kompromissfindung, die anstrengende Forderung nach eigener Beteiligung im Klein-Klein des politischen Alltags. Das Verhältnis zu Staat und Politik blieb unreif, infantil und paternalistisch, faul, fordernd und dauerenttäuscht zugleich. Man hübscht sich die Vergangenheit mit Geschichtslügen auf, spricht von Solidarität, wo es keine gab, ergeht sich in Gekränktheit, Selbstmitleid und Ostalgie. Es geht also eher um einen Kulturkampf als um soziale Schieflagen, so Kowalczuks Tenor.

Bislang haben nur @thunfischtoast und teilweise @Mike Argumente eingebracht, dass eine Trennung auch für einen Weststaat nicht unproblematisch sein könnte. Meine Entgegnungen darauf lassen darauf schließen, dass ich diese Kritik nicht für so hinreichend begründet halte, dass ich unterm Strich mehr Nach- als Vorteile für den Westen sehen würde.

Deshalb komme ich einstweilen zum Ergebnis, dass der Westen letztlich profitieren würde.

Daher meine weiterführende Frage: Was rechtfertigt Solidarität mit dem Osten (noch)?

Das ist natürlich eine sehr bequeme Art, mit Problemen umzugehen. Der Westen nimmt die Ex-DDR auf, haut einen Haufen der dort bestehenden Infrastruktur zu Brei (ich sage nur Treuhand), holt die Leute, die man gebrauchen kann, zu sich. Dann steht man vor dem Scherbenhaufen, der die aktuelle Situation ist, zuckt mit den Schultern und sagt „können wir ja nix für, die Suppe sollen die mal schön selbst auslöffeln. Wir sind dann mal weg.“

Schon starke Kolonial-Vibes, die da mitschwingen.

8 „Gefällt mir“

Und ganz unabhängig davon stellt sich natürlich die praktische Frage, was dann mit Berlin passieren soll. Trennen wir wieder?

1 „Gefällt mir“

Wenn der „Einmarsch“ der „Wessis“ nach der Wiedervereinigung ein kolonialer Akt war, wären Rückzug und Unabhängigkeit eine De-Kolonisierung.

2 „Gefällt mir“

Ich will hier eine Analogie der Mentalität „Wir nehmen, was wir brauchen können, und die Konsequenzen sind nicht unsere Verantwortung“ mit Kolonialherren (bzw. :damen I guess, da Victoria heftig mitgemischt hat sollte man wohl gendern) ziehen. Natürlich kann man Ostdeutschland nicht mit einer Kolonie vergleichen.

Dennoch sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass der „Rückzug“ von Kolonialmächten weltweit zu massiven Problemen geführt hat, die bis heute andauern, eben weil es für „De-Kolonisierung“ nicht ausreicht, das man weggeht. Stattdessen bräuchte es Reparationen und massive Unterstützung, um den angerichteten Schaden zu beheben.

1 „Gefällt mir“

Dazu zitiere ich mal aus einem Zeit-Artikel:

Die Zahl, die gegenwärtig für großen Wirbel sorgt, stammt von Klaus Schroeder von der Freien Universität Berlin. Der Soziologe rechnet sämtliche Transfers in die frühere DDR zusammen: die verschiedenen Wirtschaftsfördertöpfe, den Solidarpakt, den Länderfinanzausgleich, die EU-Fördermittel, die Transfers über die Sozialsysteme abzüglich der selbst erzeugten Steuern und Sozialabgaben. Demnach hat die Einheit bis zum Jahr 2014 netto fast zwei Billionen Euro gekostet.

Nun kann man natürlich die Frage stellen, ob diese Nettotransfers nicht schon Reparation genug waren. Mittlerweile ist es noch mehr geworden, denn in der letzten Dekade ist ja noch einiges hinzugekommen.

Nein eben nicht, es wirkt nur überheblich den Westen als antifaschistisch anzusehen. Beispielsweise der Westerwald in Rheinland-Pfalz, enorme Zuwächse in den Dörfern für die Nazis. Es kommt wohl nur verzögert im Westen an was im Osten schon da ist.

Das stimmt alles, leider sind denke ich viele Ostdeutsche an dem Punkt, von den etablierten Parteien nur Herablassung und nichts sonst zu erwarten. Natürlich rechtfertigt das nicht die Wahl von Nazis und Putins Agenten, aber die Saat wurde von Kohl, Treuhand und zahllose Westdeutschen Politikern und Eliten gelegt. Ich habe oben bereits die Podcastfolgen verlinkt. Diese zeigen unaufgeregt Gründe für das Verhalten und wie der AfD kampflos das Feld kommunal überlassen wird.

2 „Gefällt mir“

Aber eine Externalisierung des Problems in Form vom Rausschmiss einiger Bundesländer soll „etwas bringen“? Schau dich mal in Europa um, würde ich sagen. Die Stabilität des Parteiensystems in der ehemaligen BRD wird zumindest in Europe zunehmend zur Anomalität. Da sollte man sich von oberflächlicher Symptombekämpfung nicht allzu viel versprechen.

2 „Gefällt mir“

Ich muss zugeben, das mir diese Idee doch zu radikal erscheint, um da jetzt mit rationaler Begeisterung argumentativ gegenhalten zu wollen.

Letztlich ist das eine Idee, die ja Putins Vorstellung einer multipolaren Welt sehr entgegenkommt.
Ein Europa (oder eine Welt) voller nationalistischer und isolierter Kleinstaaten, mit Russland als lenkende Ordungsmacht.
Keine wirkliche Lösungsoption.

Zudem mir dieses „passt jetzt nicht, trennen wir uns und machen einen Jägerzaun dazwischen“ als sehr bequem und spalterisch erscheint.
Im Grunde ja das was eine AfD und ein BSW auch verfolgen.

Bissl wie in der Ehe…wenn es schwierig wird, trennen wir uns.

2 „Gefällt mir“

Wow, Hauptzweck der Solidarität wäre es, weiter die Hybris zu unterstützen - sich selbst zu interpretieren. Das wäre ohne den solidaritätsbedürftigen Osten nicht mehr möglich.

1 „Gefällt mir“

Auch ich betrachte den Westen nicht als durchweg antifaschistisch. Aber die Problemdimensionen sind im Osten halt ganz andere, wie ich anhand von Wahlergebnissen belegt habe.

Kannst du den Erfolg der Nazis im Westerwald auch quantifizieren?

Dass es auch im Westen braune Flecken gibt, bestreitet übrigens niemand.

Bin wirklich der Letzte, der „Bimbes“ Kohl, der übrigens im Osten mehrheitlich lange wiedergewählt wurde, oder westdeutsche Eliten (pauschal) verteidigt, aber deinen Vorwurf solltest du schon substantiieren.

Bei allem, was Treuhand & Co. vielleicht oder tatsächlich falsch gemacht haben, steht für mich dennoch außer Frage, dass die DDR-Wirtschaft im Großen und Ganzen international nicht ansatzweise konkurrenzfähig war.

Eine Wahl von Rechtsextremen ist jedenfalls, wie schon gesagt, in keinem Fall dadurch zu legitimieren.

1 „Gefällt mir“

Man kann zumindest diese zunehmend von Westdeutschen gestellte Frage mal durchargumentieren.

Abgesehen vom Whataboutismus, den du hier fährst, folgt aus dem Sein kein Sollen und, ums mal mit einer polemischen Replik zu kontern, nur weil hundert Lemminge von einer Klippe springen, muss man ja nicht hinterherhechten.

Begeisterung ist ja nicht unbedingt nötig, um sich rational auf dieses Gedankenexperiment einzulassen.

Abspalterisch wäre eine Trennung zweifellos im Sinne des Wortes.

Aber gerade wenn AfD und BSW dies verfolgen, sollte man doch mit guten Argumenten gegenhalten können, oder?

Da könnte man jetzt auch sagen: Wenn die Ehe weitgehend zerrüttet ist, ist eine Trennung durchaus vorteilhaft.

Da hast du einen Punkt.

Da ich dir leider nicht folgen kann, wäre es nett, wenn du es mir so erläutern könntest, dass auch ich folgen kann.

Vielen Dank im Voraus!

Angesichts der Absurdität der Frage, die in diesem Thread diskutiert wird, kann ich gut damit leben, dass du meinen Einwand als „Whataboutism“ und „polemisch“ abtust. Viel Spaß noch und immer an die Titanic denken:
„Die endgültige Teilung Deutschlands - das ist unser Auftrag“ - Clodwig Poth

5 „Gefällt mir“

Nur der Korrektheit halber, ich habe deinen Einwand zwar als Whataboutismus eingeordnet, aber ihn nicht als „polemisch“ bezeichnet, sondern meine eigene Replik darauf.

Aber um deinen Gedanken noch einmal aufzugreifen, du schriebst:

Was soll daraus folgen? Dass wir uns in Deutschland dem zunehmenden Rechtsextremismus anpassen, weil er anderswo in Europa zur „Normalität“ geworden ist? Sollten wir das gar anstreben, um dann wieder als „normal“ zu gelten? Ist das etwas Anzustrebendes? Oder wolltest du damit zum Ausdruck bringen, dass es etwas Unausweichliches ist? Das würde dann ja in der Konsequenz bedeuten, sich dem grassierenden Rechtsextremismus zu beugen, weil nichts anderes möglich wäre.

Tut mir leid, aber weder dem einen noch dem anderen kann ich zustimmen.

Um meine Position hier noch mal klarzumachen, persönlich bin ich letztlich nicht der Meinung, dass Westdeutschland und Ostdeutschland eigene Staaten bilden sollten. Allerdings habe ich aus westdeutscher Perspektive auch keine guten Gründe, warum eine Trennung für den Westen der Republik in summa nachteilig sein sollte. Und irgendein diffuses Bauchgefühl ist wohl zu wenig, um einen bestehenden Zustand zu rechtfertigen.

Daher harre ich weiterhin guter Argumente, die gegen eine Trennung sprechen.

Beim Brexit lag der Fall übrigens anders. Da hatten die Gegner:innen die besseren Argumente stets auf ihrer Seite. Aus emotionalen Motiven behielten allerdings die Brexiteers die Oberhand.

Manche emotionale Reaktion hier zeigt für mich, dass auch die betreffenden Personen nicht über gute Gegenargumente verfügen. Mir geht es ja nicht anders.

Wenn du schon deutsche Bundesländer aus der BRD ausgliedern willst, in denen ein hoher Prozentsatz der Wählenden sich für rechtsextreme Parteien entscheidet, warum dann nicht auch in anderen Ländern Landesteile nach denselben Kriterien „ausgliedern“? Nur: Wohin dann damit? An Ungarn angliedern? an Russland?
Ich finde, wenn man schon absolut realitätsfremde Gedankenspiele betreibt, warum dann mit einer so nationalen Brille?

Wenn man diese Grenze zwischen Landesteilen in anderen Ländern so klar ziehen kann, wie das in Deutschland der Fall ist, spräche prinzipiell erst einmal nichts dagegen, wenn sich diese Länder dafür entschieden.