Sollten Ost- und Westdeutschland getrennte Wege gehen?

Hast du auch Vorschläge, wie wir das Problem mit dem - im Osten besonders breiten - Zuspruch zu faschistischen und reaktionär-populistischen Parteien lösen bzw. angehen sollen?

Das war doch die ganze Zeit hier Thema.

Dass es zu kaum Erkenntnisgewinn gekommen ist, würde ich in Frage stellen.

Eine wesentliche Erkenntnis, die ich ziehe, ist, dass lieber Beschwichtigungs- und Ablenkungsdiskussionen geführt werden, als das heiße Eisen von 42,7 % Faschismus- und Autoritärpopulismusaffinität (vgl. Europawahlergebnisse) im Osten mal frontal anzugehen.

Und bevor mir wieder irgendwas unterstellt wird, ja, im Westen sind’s auch 17,4 %.

Eine konkrete Lösung habe ich dazu leider nicht, aber ich denke es erfordert die gleichen Ansätze wie das Problem im Westen.

Denn sonst müsste man ja, würde man deinem Ansatz folgen und die neuen Bundesländer abspalten, alle rechtsextremen und AfD wählenden Menschen auch dorthin zwangsausweisen, und alle im Osten wohnenden Demokratieunterstützer quasi als Migranten aufnehmen.
Ich bezweifle das unsere Bundesrepublik so etwas überstehen würde.

Das heißt dann ja, dass Rechtsextremismus und reaktionärer Populismus im Osten und im Westen die gleichen Ursachen haben - anders als hier vielfach und von einzelnen gebetsmühlenartig behauptet.

Danke, das ist ja auch schon mal eine weiterführende Erkenntnis.

Dennoch sehe ich einen Unterschied, da mir oben Genanntes im Osten doch schon weitgehend „normalisiert“ zu sein scheint. Ob das mit dem Überschreiten eines gesellschaftlichen Schwellenwertes zusammenhängt oder nicht, ist erst mal zweitrangig. Aber ich würde doch behaupten, dass es einen Unterschied macht, ob es in der Fläche an vielen Orten eine Art Hegemonie faschistischer und reaktionär-populistischer Einstellungen gibt oder ob das der Ausnahmefall ist.

Das macht einen Unterschied, wie man beides effektiv bekämpfen kann.

Nein, Thema war hier im Thread vor allem, wie schlimm es im Osten doch alles ist und dass der Wunsch, ihn einfach loszuwerden bzw. nichts mehr mit ihm zu tun zu haben, deshalb zumindest verständlich ist.

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Das wäre Deine Interpretation. Gleiche Ursachen sehe ich da nicht, aber ein ähnliches Resultat. Das, so meine Einschätzung, sich wohl nur mit vergleichbaren Lösungsansätzen begegnen lässt.
Das funktioniert in einer Demokratie letztlich nur auf Grundlage geltender Gesetze (ob die ausreichend sind ist eine andere Frage) und durch gemeinsames Eintreten derer, denen die Demokratie wichtig ist.
Passivität wäre fatal, wie beim Aufstieg der Nazis damals

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Da muss ich doch noch mal nachhaken. Wo war denn der gesellschaftliche Widerstand über Jahre, bis es zu den Correctiv-Enthüllungen kam. Und wo ist er jetzt in den Bundesländern, in denen bald Faschist:innen die größten Fraktionen bis hin zu einer Sperrminorität stellen könnten? Da zeigt sich doch, dass sowas längst von der schweigenden Mehrheit/sog. gesellschaftlichen „Mitte“ toleriert wird. Die weitgehende „Normalisierung“ hat doch schon lange stattgefunden. Auch, was den reaktionären Populismus angeht. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur noch mal an die resignativen Aussagen von Nierth und Neubauer hier - pars pro toto. Diese zivilgesellschaftliche Lethargie ist doch ein ganz wesentliches Problem.

Wie ich sagte: Passivität wäre fatal.

„[W]äre“ ist Irrealis. Die verbreitete Passivität ist fatal (gewesen). Perfekt und Präsens.

Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang noch folgende Dokumentation:

Die extreme Rechte wird stärker – vor allem im früher „linken“ Osten. Doch das rechte Phänomen ist nicht neu in Ostdeutschland.

Wenn es laut dir schon die ganze Zeit darum geht: Was sind denn deine Vorschläge, wie man beides effektiv bekämpfen kann und wie unterscheiden die sich zwischen Ost- und Westdeutschland? Also ich meine jetzt realistisch Umsetzbares, bezogen auf relevante politische und gesellschaftliche Akteure jenseits von bloßem Wunschdenken und der Selbstvergewisserung, dass Nazis Nazis und daher doof und gefährlich sind.

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Der „Westen“ hatte die Wirtschaftskrise der 70er überwunden und war im Aufschwung

Unter der Regierung Helmut Kohl von 1983 bis 1989 wuchs die Beschäftigung in Deutschland im Schnitt wieder um beachtliche 0,6 Prozent.
https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=3782242d-daad-a80f-667f-f0fe1adb778c&groupId=252038

10 Jahre später wurde HartzIV eingeführt.

Die Staatsverschuldung der Bundesrepublik Deutschland betrug Ende des Jahres 2008 1 518 Milliarden Euro. Ein großer Teil dieser Schulden hat seinen Ursprung im deutschen Einigungsprozess, und zwar sowohl in der Übernahme von Altschulden der DDR als auch in der Kreditfinanzierung des ostdeutschen Aufholprozesses
DIW Berlin: Die Finanzierung der deutschen Einheit : zum Umgang mit der Schuldenlast der Wiedervereinigung

Edit: das Problem, worum es mir geht: im Osten wird bewusst rechtsradikal gewählt und zwar nicht, weil man die Politik toll findet, sondern um sich am Westen zu rächen. Der Grund der Rache beruht aber auf Geschichtsverleugnung und falschen Tatsachen. Das alles wäre kein Problem. Wir sind aber ein Staat und wie @Tris erläutert, wird auch im Westen die AFD hoffähig. Und das nun mal, weil ihr im Osten der braune (rot mögen die nicht so) Teppich ausgerollt wird.

Edit2:

Das liegt wohl auf der Hand. Mal in die Puschen zu kommen. Man kann alles schlecht reden und jammern. Oder man kann nach vorne schauen und das Beste aus der Situation machen. Von vielen Seiten höre ich: der Ossi hat ein gestörtes Verhältnis zum Staat, er vertraut ihm nicht, er möchte sich nicht in den Vordergrund stellen.
Dann darf ich mich aber nicht wundern, wenn Politik ohne mich gemacht wird und keine Ossis in Führungspositionen sitzen. Auch dem Wessi wird das nicht in den Schoß gelegt. Eine Schauspielerin sagte letztens: „ich bekomme jetzt noch jedes Mal Durchfall, wenn ich vor eine Kamera muss und das, obwohl ich das schon Jahre mache“
Es ist nicht leicht, über seinen Schatten zu springen, aber es ist unvermeidlich, wenn man nicht ewig im Schatten von Höcke und Co stehen möchte.

Natürlich muss ein AfD-Verbot angestrebt werden. Darüber hinaus müssen die Nicht-Faschist:innen im Alltag klar Stellung beziehen, Einspruch erheben gegen Alltagsrassismus u. dgl. usw. Es muss eine umfassende Ächtung geben. Anders geht’s nicht.

Im Westen sollte das problemlos umsetzbar sein, im Osten sehe ich aufgrund der Verbreitung und teilweisen Hegemonialität bestimmter Einstellungen offen gestanden schwarz, weil ich nicht ansatzweise für realistisch halte, dass sich klare Kante gegenüber Faschist:innen und reaktionären Populist:innen durchsetzt und auch nur von einer relativen Mehrheit getragen wird. Dazu sind Abwehrreflexe, Relativierungen und Normalisierung zu weit verbreitet meines Erachtens.

Man hat schon viel zu lange weggeschaut, kleingeredet oder sich in Ablenkungs- und mithin Rechtfertigungsdiskursen ergangen.

Der Vater eines Freundes, der in den 70ern eingewandert ist, hat mal gesagt, damals waren alle wie die AFD.
Was ich damit sagen möchte ist, dass es vielleicht auch ein zeitlicher Ost-West-Unterschied ist, weil im Westen der Übergang von Obrigkeitsstaat zu Demokratie und damit die (wieder) Öffnung der Gesellschaft 40 Jahre früher angestoßen wurde.

Sollen „Angehörige“ von Minderheiten jetzt noch mal fünfzig Jahre warten?

Es ging hier um zwei Billionen Euro Transferleistungen seit der Wende aus dem Westen in den Osten, die laut Schnackerio Reparationsleistungsansprüche des Ostens nach der hier diskutierten Teilung kompensieren würden. Damit Tesla in Mecklenburg und VW in Sachsen Gewerbesteuer zahlen, müssten sie dort erstmal Gewinne erzielen. Ist zumindest bei Tesla nach der Abschreibung der exorbitant hohen Investitionskosten erstmal bis auf weiteres wohl nicht in Sicht und bis in Zwickau die Gewerbesteuer die Landeszuschüsse deckt, also kein Geld aus dem Westen, damit VW dort überhaupt ein Werk hingesetzt hat, muss schon viel von diesem einen Werk verkauft worden sein. Fällt mir ad hoc dazu ein.

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Dass ein bestimmtes Vorgehen - ich verallgemeiner jetzt mal - unserer Ansicht nach „auf der Hand liegt“ oder dringend geboten erscheint, also nicht nur sein sollte, sondern „muss“, ändert leider herzlich wenig an den gesellschaftlichen Verhältnissen, die genau diese Situation haben entstehen lassen und am Verhalten jender gesellschaftlichen und politischen Akteure, die das - bewusst oder unbewusst - vorangetrieben haben. Unter einem konkreten Vorschlag würde ich so etwas verstehen, wie man z. B. auch in der Union einen breiten Konsens für ein AfD-Verbot hinbekommt. Die Realität sieht da nämlich ganz anders aus. Und ich bin ehrlich gesagt nicht nur des Jammerns müde, sondern auch des sich Wünschens [Edit: und zumindest indirekten Sich-selber-auf-die-Schulter-Klopfens], wie toll doch alles wäre, wenn nur alle so schlau wären wie man selber.

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Das gehört ja zu einer umfassenden Ächtung dazu.

Das verpufft aber, solange Antifaschismus nicht praktizierter Alltag für eine Bevölkerungsmehrheit wird. Und das heißt dann eben auch, dass man den auf der Familienfeier rassistisch pöbelnden Onkel vor die Tür setzt usw. usf.

Gute Frage. Ontop scheint es bei der nachfolgenden Generation der DDR Bürger kein Pendant zu den 68ern zu geben bzw leider eher in die andere Richtung.
Aber was ist der Ausweg? Die Angehörigen von Minderheiten, die bei einer Trennung auf der falschen Seite wohnen, haben dann ja besonders viel „Spaß“.
Und auch die identitätspolitische Aufladung in Ost-West macht es vermutlich nicht besser.

Auf der anderen Seite war doch immer mal wieder von wissenschaftlichen Befunden die Rede, welche politischen Maßnahmen mit mehr oder weniger Extremismus einhergehen. Es mangelt halt bei den allermeisten aus den verschiedensten Gründen am politischen Willen.

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Bleibt der alles entscheidende Unterschied zwischen dem Wunsch, was andere der eigenen Meinung nach tun sollten und einem realistischen Vorschlag, wie man sie auch tatsächlich dazu bekommt, das zumindest ansatzweise zu tun. An Ersterem mangelt es nun wahrlich nicht, Zweiteres sehe ich kaum.

Und Rausschmiss - egal ob von lästigen Familienangehörigen oder Bundesländern - löst in solchen Fällen in der Regel das Problem ebensowenig wie Wegschließen - selbst wenn „wir“ dazu die politischen Möglichkeiten hätten.

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Man bekommt Leute wohl am ehesten dazu, etwas gut zu finden, wenn man zeigen kann, dass man damit auch bessere Ergebnisse (für sie) erzielen kann.

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Konsequenzloses Verhalten bei rassistischen Ausfällen wird als Belohnung, mindestens aber als Akzeptanz von den Pöbler:innen empfunden.

Das ist Normalisierung in nuce.