Generell sollte es bei solchen Fällen eine Bagatellgrenze geben. Wenn die Kosten (Arbeitszeit, Verwaltungsaufwahd etc.) in keinem Verhältnis mehr zur Höhe der Strafe, des Bußgeldes oder des durchzusetzenden zivilrechtlichen Anspruchs stehen, sollte man den Aufwand dafür auch arg begrenzen und im Zweifel drauf verzichten, erst recht bei Menschen für die 60 Euro ein wirkliches Problem sein können.
Ein bemerkenswerter Seitenaspekt ist noch, dass der Kostendeckungsgrad im ÖPNV deutlich größer ist als der des Autoverkehrs:
Der PKW-Verkehr in einer deutschen Großstadt kostet die öffentliche Hand und die Allgemeinheit etwa das Dreifache wie der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV).
So gesehen könnte man doch wenigstens die sog. „Verkehrssünder“ stärker an den Kosten beteiligen.
So wie Kosten für den Vergleich zwischen Pkw- und Öffi-Verkehr so weit wie möglich erfasst werden sollten, so sollten auch beim sog. „Schwarzfahren“ die Kosten möglichst vollständig erfasst werden, einschließlich jener, die die Allgemeinheit trägt. Daher zitiere ich noch einmal aus dem schon verlinkten Beitrag:
Insgesamt entstehen in der Justiz also alleine für die Aburteilung der Verfahren wegen § 265a StGB jedes Jahr Kosten in Höhe von insgesamt 26.957.426,16 EUR. […]
Der Staat gibt also 14.279.968,80 EUR für Freiheitsstrafen und widerrufene Bewährungsstrafen wegen Fahrens ohne Fahrschein aus. […]
114 Millionen EUR wendet der Staat jedes Jahr auf, um das Fahren ohne Fahrschein zu verfolgen, zu verurteilen und die Urteile zu vollstrecken.
Angesichts dessen stellt sich schon die Frage, ob personelle und materielle Ressourcen für die Sanktionierung des fahrscheinlosen Benutzens des ÖPNV noch richtig alloziert sind.
In Köln haben solche Überlegungen zu einer ungewöhnlichen Koalition der Willigen geführt:
Den Antrag zum Verzicht auf Strafanzeigen brachten die Kölner FDP[!] gemeinsam mit den Grünen, der SPD, der Linken und Volt in die Ratssitzung ein.
Dabei ist die Befürwortung der Entkriminalisierung bei FDP-Wählenden noch am geringsten vorhanden:
Du sprichst mir aus der Seele. Ich finde grundsätzlich sollte Fahren ohne Fahrschein und Lebensmitteldiebstahl nicht straffrei sein, aber es sollte als Ordnungswidrigkeit behandelt werden. Schlimmer finde ich, dass Raser, besonders innerorts, nur als Kavaliersdelikt betrachtet werden. In der Spielstraße zu unserer Kita musste ich mein Kind mehrfach auf dem Rädchen zur Seite schubsen um nicht zu sterben. Strafe für zu schnell fahren dort, 20 km/h zu viel statt Schrittgeschwindigkeit, sind 70€. Da lachen sich die Raser kaputt. Wer in der Spielstraße 20 km/h zu Schnell fährt sollte sofort den Lappen abgeben. 30km/h zu schnell sollte als Straftatbestand betrachtet werden. Innerorts gefährdet man immer andere Menschen, besonders Kinder. Und das auch immer wissentlich, da man ja eine Fahrerlaubnis braucht.
Aber Hauptsache wir sperren die bösen Fahrer ohne Fahrschein ein.
Es gibt auch gute Argumente gegen die Einstufung als Ordnungswidrigkeit (s. oben verlinkter Artikel der KriPoZ). Im Bereich Lebensmittel halte ich deren unnötige Vernichtung für ein weitaus größeres Problem. Man könnte es auch so machen wie in Frankreich.
Die Prinzipienreiterei in Deutschland anstelle pragmatischer Lösungen ist auch ein Problem.
Das führt jetzt etwas weg vom Thema.
Es geht hier ausschließlich um Fahren ihne Fahrschein wegen der aktuell heftigen Bestrafung speziell ärmerer Menschen. Klassenjustiz
Das ist keine Klassenjustiz, das ist schlichtweg die Bezahlung einer Dienstleistung, die man in Anspruch nimmt. Jeder zahlt den gleichen Preis für den gleichen Service.
Eine Möglichkeit wäre natürlich auch, konsequente Fahrgastkontrollen und rigorose Einforderung der Strafe in Höhe von 60 €, falls kein gültiges Ticket vorliegt. Wenn das Risiko, so die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, steigt, überlegt sich es der Fahrgast vielleicht zweimal, ohne Fahrschein zu fahren.
Oder eben ÖPNV kostenfrei machen, aber das wollen wir uns ja nicht leisten. Man spart an Automaten, am Financial Controlling, an Prüfungen in den Bussen und Bahnen, an zeit beim Einstieg, etc. Gibt es aber keine Lobby für.
Auch wenn du es nicht glaubst, gibt es Menschen, die die Fahrkarten nicht bezahlen können.
Ärmere landen am Ende im Gefängnis, Wohlhabende können sich „freikaufen“. Natürlich ist das Klassenjustiz.
Du argumentierst im Kern damit, dass es ein rein deliberativer Akt von Personen ist, die ohne Probleme auch einfach zahlen könnten, wenn sie denn nur wollten. Und ich frage erneut, ob es irgendeine faktische Grundlage für diese Vorannahme gibt.
Wer soll das bezahlen? Keinerlei Einnahmen aber trotzdem müssen die Busse und Züge bezahlt werden, die Schienenstecken und Instandhaltung und natürlich auch auch Personal will etwas bekommen.
Das wäre ein Verlustgeschäft, dass durch den Steuerzahler kompensiert werden müsste. Ich weiß nicht, ob die Gesellschaft bereit wäre, hierfür die entsprechenden Mehrbelastungen in Form von höheren Steuern zu tragen. Ich wäre es jedenfalls nicht. Wer eine Dienstleistung will – kann gleich welche – muss dafür bezahlen.
Mir scheint, du bringst hier den zivilrechtliche und den strafrechtlichen Aspekt durcheinander.
Der strafrechtliche Aspekt ist gemessen an den Ergebnissen offensichtlich Klassemjustiz. Alles weitere was Du sagst bezieht sich auf zivilrechtliche Fragen und vielleicht auf Grundrechte.
Das klingt für mich nach Armutsdemobilisierung. Arme Leute müssen halt laufen und wenn sie das nicht gut können, bleiben wo sie sind. Nach meinem Gefühl widerspricht das dem Anspruch auf gesellschaftliche Teilhabe.
Nun ja. der motorisierte Individualverkehr ist auch ein gesellschaftliches Verlustgeschäft und wird von den Steuern kompensiert. Scheint mir also kein grundlegendes Problem damit zu geben.
Die Frage ist in meinen Augen die, ob wir einem Teil der Gesellschaft Mobilität erschweren und/oder in eine Kriminalitätsfalle locken möchten.
Ich möchte das nicht. Ich sehe für mich aber auch für die gesamte Gesellschaft keinen Vorteil darin einen Teil weitgehend grundlos schlecht zu behandeln. Das verstärkt zudem die Abstiegsängste der Mitte und verschlechtert das gesellschaftliche Klima im Ganzen.
Weil es eine sehr populäre und Maßnahme ist, die sicher auch unkompliziert ist. Aber sie ist eben bzgl. der angestrebten Ziele wie Klimaschutz bzw. sozialem Ausgleich nicht besonders effektiv / zielsicher. Die entsprechende Diskussion dazu hatten wir ja im Forum bereits. Vielleicht wird das Problem auch deutlicher, wenn man es gedanklich auf andere Lebensbereiche überträgt.
Nicht alles was der Staat bereitstellt, ist eine „Dienstleistung“, es gibt auch so was wie öffentliche Daseinsvorsorge.
Wie u. a. @Schnackerio hier im Thread gezeigt hat, sind die steuerfinanzierten Subventionen für den motorisierten Individualverkehr ungleich höher als die für öffentliche Verkehrsmittel. Daher müsstest du bei deiner Argumentation ja für hohe Nutzungsgebühren für Straßen plädieren.
Das nicht zu tun ist wie Bezieher von Bürgergeld zum Problem zu erklären, aber über Cum-Ex und Steuerflucht von Hochverdienern nicht reden zu wollen.
Schwer zu sagen. Viele Leute mit genug Geld, zahlen die Tickets vermutlich auch ohne Strafbarkeit wegen der 60€.
Dann erkläre mir bitte, warum es für Falschparker keinen Straftatbestand gibt.
Aber darum geht es doch auch gar nicht. Es geht darum, dass Schwarzfahren eine Straftat ist und keine Ordnungswidrigkeit. Weswegen eben Menschen, die die Strafen nicht zahlen können, ins Gefängnis gehen. Und dort noch mehr Kosten verursachen.
Was sieht die Gesetzeslage vor?
Bei leistungsberechtigten Personen wird davon ausgegangen, dass der Mobilitätsbedarf durch Nutzung von Fahrrädern (Verbrauchsausgaben für Kauf, Ersatzteile, Wartung und bzw. oder Reparatur) sowie der Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) beziehungsweise von anderen öffentlichen Verkehrsmitteln in Form des Schienenverkehrs gedeckt wird. Diese hierfür ermittelten Ausgaben werden daher vollständig als regelbedarfsrelevante Verbrauchsausgaben berücksichtigt. […]
Bei leistungsberechtigten Personen wird davon ausgegangen, dass der Mobilitätsbedarf durch Nutzung von Fahrrädern (Verbrauchsausgaben für Kauf, Ersatzteile, Wartung und bzw. oder Reparatur) sowie der Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) beziehungsweise von anderen öffentlichen Verkehrsmitteln in Form des Schienenverkehrs gedeckt wird. Diese hierfür ermittelten Ausgaben werden daher vollständig als regelbedarfsrelevante Verbrauchsausgaben berücksichtigt.
Offiziell wird der monatliche Mobilitätsbedarf für eine erwachsene Person mit 45,02 € veranschlagt.
Wären nicht andere Regelbedarfsleistungen zu niedrig bemessen, würde das in der Regel für ein Sozialticket und noch den Unterhalt eines einfachen Fahrrades reichen, zumindest wenn man kleinere Reparaturen selbst erledigt und für größere entsprechend anspart.
Ich denke der Vergleich ist nicht gut. Notorisches Falschparker führt zwar nicht zu Haft, aber zum Führerscheinentzug. Das wäre allenfalls vergleichbar mit einem bundesweiten Hausverbot bei den Transportunternehmen.
Wer sich dem widersetzt und weiter fährt (respektive schwarz fährt) wird durchaus vom Strafrecht erfasst und kann eine Gefängnisstrafe für Fahren ohne Führerschein bekommen.
Sorry, war nicht meine Absicht.
Ich verfolge, was der Freiheitsfonds macht und sehe die vielen unmenschlichen Fälle, zu denen es durch den Straftatbestand kommt, und kann nicht verstehen, wie man auf dieser ungerechten Härte bestehen kann.