Solidarität bei Lockerungen für Geimpfte und Genesene

Dann hast Du zu der Zeit in einer sehr anderen Welt gelebt als ich. Ich habe damals Politiker angeschrieben, dass sie endlich die Schulen dicht machen sollen und vor dem Lockdown die ganze Firma ins Home Office geschickt - und zwar nicht wegen älterer Mitbürger, sondern zum Schutz meines Sohnes, meiner Mitarbeiter und meiner selbst.

Ich denke das ist der Kern unserer Position in der Lage: Rechtlich darf man die „Gesamtsituation“ gar nicht zum Maßstab machen. Denn dass es ohne Ende staatliche Versäumnisse bei der Pandemie-Bekämpfung gab und gibt ist zwar kaum zu bestreiten, es rechtfertigt aber einfach keine Grundrechtseinschränkungen gegenüber Menschen, die jedenfalls höchstwahrscheinlich ungefährlich sind: Man kann eben nicht Opa Werner oder Oma Heidemarie dafür in Haftung nehmen, dass die MPK-Runde monatelang so lasche Maßnahmen beschlossen hat, dass wir leider immer noch keine Inzidenz unter 10 haben - wo sich die Frage nach Beschränkungen nicht mehr stellen würde. Ebensowenig sind die beiden dafür verantwortlich, dass die Gesundheitsämter in D personell so krass unterversorgt sind und informationstechnisch derart in der Steinzeit leben, dass sie eigentlich bei keiner Inzidenz ein sinnvolles Tracing auf die Reihe bekommen.

Ich glaube, die Menschen, die völlig zu Recht ihre schwere Belastung durch die Pandemie beklagen, sollten versuchen, diesen Frust nicht auf den Menschen abzuladen, die nichts dafür können und einfach nur das Glück haben, inzwischen immun zu sein. Jedenfalls bei den Geimpften sollte man außerdem sehen, dass sie mitunter viele Monate in Todesangst gelebt haben - eine Prio 1 oder 2 fiel ja nicht vom Himmel.

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Ja, da kann ich dir nicht widersprechen und ich gebe mir auch die größte Mühe, das Positive zu sehen. Allerdings scheint so langsam mein Verständnis aufgebraucht zu sein.

Es ist auch positiv zu bewerten, dass die Regierung die Grundrechtseingriffe so schnell revidiert hat, ohne dass ein „Hinweis“ vom Bundesverfassungsgericht erfolgen musste.

Dennoch passt es aber ins Bild, dass die Regierung sich mit Zugeständnissen leichter tut, als mit konsequentem und konsistentem Handeln. Die Einhaltung der Vorgaben des Grundgesetzes scheint das Einzige zu sein, zu was die Regierung (zumindest in den meisten Fällen) imstande ist.
Bei komplexeren Themen ohne die Leitplanken der Verfassung verfällt die Regierung in einen Standby-Modus. Leider auf Kosten der Generationengerechtigkeit.

Das ist mMn die falsche Diskussion. Es kann nicht darum gehen die individuellen Rechte des einzelnen Geimpften im Privaten einzuschränken oder nicht, es muss darum gehen das öffentliche Leben so schnell und so weit wie möglich herunterzufahren um die Infektionszahlen zu senken für die 90% Ungeimpften: im weitesten Rahmen des Machbaren Büros zu, Schulen zu, Einkaufsmeilen zu, Restaurants und Kneipen zu, ÖPNV zu.
Die Individualrechte der Geimpften sind davon nicht tangiert, sie können sich frei bewegen. Aber auf der „Angebotsseite“ muss und kann mMn die Pandemie am effektivsten bekämpft werden.

Das Wort „unrealistisch“ in meinem Post bezog sich auf imaginäre Öffnungen, die nur für Geimpfte gelten sollen. Ein solches Vorhaben kann ich bei keinem Deiner Beispiele erkennen - zwei der drei Beispiele erwähnen sogar explizit die Möglichkeit der Freitestung.

In der Tat, ganz so einfach ist es nicht. Ich weiß auch, dass es Ärzt:innen gibt, die der Meinung sind, allein schon wegen PIMS sei eine präventive Impfung von Kindern ratsam, aber da gibt es auch durchaus andere Einschätzungen. Einigkeit besteht derzeit wohl nur darüber, dass die Datenlage zu PIMS immer noch schlecht ist.
Das fängt schon bei der Häufigkeit an, daher hierzu ein paar Daten: Ende März wurde diese ja im Corona-Update auf 0,0002 bis 0,001 Prozent der Infizierten Kinder und Jugendlichen geschätzt. Die Studie, von der Drosten heute gesprochen hat, konnte ich noch nicht finden, aber die Quote lag mit 0,0014 Prozent ja nicht viel höher. Das PIMS-Survey der DGPI listet für den Zeitraum zwischen KW 23/2020 und KW 18/2021 insgesamt 305 Fälle von PIMS bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland auf. Umgerechnet auf die grob geschätzten (RKI-Daten nur in 5-Jahresschritten) 448.000 minderjährigen Infizierten in dem Zeitraum ergibt das eine Quote von 0,0007 Prozent, also noch etwas unter der Schätzung vom März. Hinzu kommt noch die Dunkelziffer nicht erkannter Infektionen, die in der Altersgruppe gut beim 4-6-fachen liegen könnte. Kurzum: es ist noch nicht mal annähernd klar, wie häufig PIMS überhaupt ist.
Angesichts dieser Situation finde ich es schon etwas merkwürdig, wenn Drosten im Podcast zwar eingangs die „unklare Datenlage“ zu PIMS kritisiert, dann aber anstatt nachdrücklich eine bessere Datenlage zur Bedingung für eine Entscheidung zu machen, mit dem „Gefühl“ von Eltern, vulgo mit der - nicht unbedingt immer wissenschaftlich begründeten - Sorge um eine mögliche Erkrankung ihrer Kinder argumentiert. Auch bei seiner Betonung, dass es sich um eine „schwere Krankheit“ handelt, hat Drosten wohl vergessen zu erwähnen, dass PIMS inzwischen gut und schnell behandelt werden kann und dass weniger als 7% der Betroffenen länger anhaltende Beschwerden haben.

Auch bei diesem Aspekt finde ich Drosten im heutigen Podcast widersprüchlich. Einerseits werden die Beispiel Israel, aber vor allem UK herangezogen, um zu sagen, dass die Impfung von 50-60% der Erwachsenen einen enormen Effekt auf das Infektionsgeschehen auch unter nicht geimpften Kindern und Jugendlichen hat. So habe es in UK bei einer ähnlich hohen Impfquote, wie wir sie hier im September haben werden, trotz offener Schulen keine steigende Inzidenzen bei Jüngeren gegeben - BTW anders als in der zweiten Welle und trotz Dominanz von B117. Das könnte man durchaus als Argument dafür lesen, dass massenhafte Impfungen von Kindern zur Wiederherstellung des Schulbetriebs eben nicht erforderlich sind. Aber gegen Ende spricht Drosten dann, wie er selber sagt, „aus dem Bauch heraus“ auf einmal doch von einem „sehr hohen“ Infektionsrisiko in Schulen. Auf die Widersprüche zwischen diesen beiden Einschätzungen geht er aber gar nicht ein.
Zudem „wundert“ Drosten sich über die Meinung „einiger Berufsvertreter“ (bei der Formulierung bin ich mir nicht mehr ganz sicher, aber gemeint sind ja ganz klar, die pädriatischen Fachverbände), aber es bleibt eben so ein Raunen, da er nicht konkretisiert, was ihn denn genau wundert, geschweige denn welche Einschätzungen von wem er warum falsch findet.

Hier noch ein aktueller Artikel mit einer Reihe von Einschätzungen von DGKJ-Prädisent Jörg Dötsch.

Letztlich kommt es eben sehr auf die Darstellung an: Die Aussage „Wenn wir die Schulen wieder ganz öffenen, ist die Chance, dass Dein Kind sich im Verlauf des Winters infiziert 50:50. Wenn das passiert, kriegt Dein Kind mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:1000 eine schwere Krankheit und muss ins Krankenhaus!“ hat natürlich eine andere Wirkung als die Aussage „Wenn es nach der Impfung eines Großteils der erwachsenen Bevölkerung überhaupt noch ein nenneswertes Infektionsgeschehen unter Kindern und Jugendlichen gibt, und Dein Kind sich dabei infizieren sollte, besteht eine Wahrscheinlichkeit von zwischen 1:1.000 und 1:10.000, dass Dein Kind Symptome bekommt, die in den allermeisten Fällen bei einem relativ kurzen Aufenthalt im Krankenhaus gut behandelt werden können.“

TL/DR: Meiner Meinung nach ist die Sache bei PIMS bei Weitem nicht so klar, wie Du sie darstellst. Es gibt keine klaren Daten, unterschiedliche Einschätzungen bzw. Framings.

Edit: Die Studie von der Drosten gestern sprach, untersucht Fälle zwischen Dezember 2019 und Mai 2020 - also mit völlig anderen Test- und Behandlungsmöglichkeiten (ergo: mehr symptomatische Fälle und schwerere Verläufe. Also erstens keine „neuen“ Daten und zweitens nicht wirklich vergleichbar.

Edit 2: es ist beim heutigen Stand der Forschung wohl noch nicht mal ausgeschlossen, dass auch eine Impfung PIMS auslösen kann.

Dieses Freitesten mit Schnelltests, das wissen wir doch mitlerweile, ist ein Schuss ins Blaue. Die Schnelltests scheinen OK zu sein für Clustererkennung, insbesondere wenn man sich regelmässig testet, aber als Zugangskarte für einen einmaligen Besuch von X doch eher untauglich (funktionieren nur bei gewissee Virenlast, funktionieren nur an bestimmten Tagen der Infektion, etc.).

Bei einem PCR Test würde ich das anders sehen, aber dagegen sprechen ja sowohl die Kosten als auch die Zeitspanne bis man sein Ergebnis hat (im Bezug darauf dass man eigentlich vom Test bis zum Besuch vopn X eigentlich sämtliche Kontakte vermeiden muss).

Und zu guter Letzt heisst das eben, dass plötzlich Druck auf die Betreiber der Veranstaltungen aufgebaut wird, und damit auf deren Mitarbeiter. Denn die sind ja größtenteils nicht geimpft und ich mag mir kaum ausmalen wie es dann in der Küche untereinander, nach dem Aufräumen beim gemeinsamen Bierchen etc aussieht. Ob da die Maske aufbleibt, der Abstand eingehalten wird nachdem man sich seit Monaten nicht gesehen hat, etc? Zweifel sind angebracht denke ich.

Nochmal: Ich habe absolut nichts gegen Wiederherstellung der Rechte von Geimpften oder Genesenen. Nur beinhalten diese Rechte eben kein Recht auf Theater- oder Restaurantbesuche. Ich bin absiolut dafür dass insbesonders Geimpfte untereinander treffen dürfen, privat sogar ohne Maske etc.

Dem stimme ich erstmal zu. Alle schreien nach Öffnung. Und überall werden Hebel angesetzt, damit man das hinkriegen kann. Zumindest eine emotionale Stimmung in Richtung Öffnung wird von allen möglichen Interessierten geschaffen (und aus ihrer Sicht meist völlig verständlich).

Mittlerweile glaube ich aber, dass die ganze Diskussion um Öffnungen für GEIMPFTE UND GENESENE doch in Teilen an der Realität vorbei geht. Ich habe mich auch darüber aufgeregt, dass (imaginäre) Geimpfte jetzt einfordern für sie sollen die Restaurants öffnen. Tatsächlich bin ich noch keinem persönlich begegnet. Meist wird in deren Namen argumentiert.

Da ich im Theater seit Monaten nicht arbeiten kann (und da die Lage völlig durcheinander gekommen ist wird das für uns freie Schauspieler vermutlich auch noch lange nach der Öffnung so bleiben…) ist mein Alternativ-Plan wieder wie letztes Jahr in der Gastronomie (Baden-Württemberg) zu arbeiten. Geplante Öffnung ist der 22. Mai. Sicher sind sich die Betreiber allerdings nicht.

Aber es wird nicht für Geimpfte und Genesene geöffnet werden. Wenn ich meinen Chef richtig verstanden habe (und er da nicht umgefallen ist, was er selbst als Möglichkeit einräumte) dann noch nicht mal für Negativ-Getestete. Es wird einfach davon ausgegangen, dass die Infektions-Zahlen so weit unten sind, dass man mit einem ordentlichen Hygienekonzept die Außengastronomie wieder starten darf.

Alles andere würde Fragen aufwerfen, die bis in zehn Tagen wohl kaum beantwortet werden können: Es gibt keinen Nachweis ausser dem leicht fälschbaren Impfpass. Für eine Genesung gibt es vermutlich überhaupt keinen Nachweis. Sollen die Tests direkt vor dem Lokal gemacht werden? Wer soll das kontrollieren? Wenn es offizielle Stellen gibt die einem einen negativen Test bescheinigen können: Wie kann diese Bescheinigung so vereinheitlicht werden, dass der Student, der am Eingang kontrolliert nicht völlig überfordert ist ob der Testbescheid nun gilt oder nicht.

Das wird alles zu kompliziert werden. Und wenn man dazu noch sieht, dass für den Landkreis Böblingen laut den Berechnungen von Pavel Mayer ( COVID Risiko Deutschland nach Ländern und Kreisen ) die Aussicht besteht, dass in 18 Tagen die 7-Tage-Inzidenz unter 50 sinken könnte, dann wäre jedes einplanen von Sonderrechten für Geimpfte vermutlich völlig unsinnig.

Wenn nicht der Fall eintritt, dass die Landkreise trotz dem Aussetzen der Bundesnotbremse weiter relativ strenge Regeln beschließen (wovon ich tatsächlich nicht ausgehe…) wird die Diskussion vermutlich im Sande verlaufen.

(anders sieht es natürlich mit Test-Pflichten für Geimpfte aus. Aber darüber wird sich ja auch kaum aufgeregt)

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Moving Target. Sicher kann mann darüber reden, welche Öffnungen man wann sinnvoll findet. Aber das hat nichts mit der bisher unbelegten These zu tun, es würden Freiheiten „nur für Geimpfte“ geplant.

Ganz einfach: Es soll gelockert werden, wenn die Fallzahlen das für alle erlauben. Geimpfte haben einen sehr guten Schutz vor Krankheit. Sie haben auch wahrscheinlich (die Daten sind hier bei weitem noch nicht eindeutig) einen recht guten Schutz vor Ansteckung. Sie sind aber auch bei weitem nicht 100% immun und tragen dadurch weiterhin zum Infektionsgeschehen bei (Gerade im Bezug auf neue Varianten ist der Schutz vor Infektion wahrscheinlich eher 50-75%, nicht 90%). Jetzt für Geimpfte zu lockern zögert das Ende der Pandemie weiter heraus und führt zu mehr Kranken und Toten. Deswegen ist meiner Meinung nach der einzig sinnvolle Weg die Maßnahmen jetzt für alle beizubehalten, bis die Inzidenz sehr niedrig ist (auch dank den vielen zusätzlichen Impfungen). Dann kann man für alle lockern. So wird es z.B. gerade in England gemacht. Der gesellschaftliche Zweck der Maßnahmen und Impfungen ist die Reduktion der Fallzahlen. Wir sollten die Maßnahmen dann Lockern wenn die Fallzahlen, dank der Impfungen, es erlauben.

Exakt meine Meinung. Das Grundrechtsargument greift nur eindeutig, wenn man von einem sehr geringen Restrisiko ausgeht. Das kann man aus der aktuellen Studienlage aber nicht ableiten. Gerade bei z.B. AstraZeneca reden wir auch nach Zweitimpfung wahrscheinlich eher von einem 70% Schutz. Mit neuen Mutationen liegt der Schutz aller Impfstoffe wohlmöglich eher bei 50%. Wie schnell der Schutzt mit der Zeit wieder abnimmt ist auch noch nicht klar.

Als Rechenbeispiel: Wenn 50% der Bevölkerung geimpft sind und die Impfung zu 75% vor Ansteckung schützt, sind bei einer Inzidenz von 100 ca 80 Ungeimpfte und 20 Geimpfte infiziert. Geimpfte tragen ganz klar weiterhin zum Infektionsgeschehen bei. Jetzt für Geimpfte zu lockern kann die Pandemie nur verlängern. Dann bekommen andere ihre Rechte erst später zurück und es wir mehr kranke und Tote geben.

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Da wäre zum Beispiel ein Bundesgesundheitsminister, der ein Impfangebot für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren bis Ende der Sommerferien fordert oder ein Chef der KBV, der Reihenimpfungen in Schulen will, um „viele Jugendlichen auf einen Schlag“ zu impfen.
Angesichts solcher öffentlichen Aussagen von ja nicht ganz unwichtigen Personen - die sogar STIKO-Mitglieder ziemlich deutlich kritisieren, finde ich meine Formulierung „schnelle und massenhafte Impfungen“ nicht gerade eine Überinterpretation.

Edit: weitere Einschätzungen zur möglichen EMA-Zulassung:

Hallo,

ich würde die Kritik gerne noch mal aus einem etwas anderen Blickwinkel darlegen. Ich war auch nicht so richtig einverstanden mit eurem Urteil darüber, ob hier Solidarität vorliegt oder nicht. Mir schien es so, als ob sich euer Urteil ziemlich direkt aus der Definition von Solidarität ergeben hat, die ihr gewählt habt.

Eurer Ansicht nach liegt Soliarität nur dann vor, wenn ein Verhalten zu 100% ‚altruistisch‘ ist, darunter versteht ihr, dass man nicht im eigenen Interesse handelt. Umgekehrt habt ihr dann geschlossen, dass die Tatsache, dass die Corona-Maßnahmen auch jüngere Leute geschützt haben, automatisch bedeutet, dass man ihr Handeln nicht mehr als solidarisch begreifen kann. Diesen Schluss finde ich persönlich viel zu streng und ich denke, man kann das auch anders sehen. Ihr habt ja selbst die Definition von Habermas vorgestellt, nach dem Solidarität nur dann funktioniert, wenn es sich um eine reziproke Beziehung handelt.

Meiner Einschätzung nach hat der Schutz von älteren und gefährdeten Menschen schon eine sehr zentrale Rolle in der Rechtfertigung der Maßnahmen gespielt. Und ich finde, das ist ein guter Grund! Ich glaube, dass viele jüngere Menschen - ich schließe mich da selbst mit ein - aus dieser Sichtweise viel Motivation geschöpft haben. aher ist es jetzt etwas schmerzhaft zu hören, man habe quasi nur in seinem eigenen Interesse gehandelt. Natürlich haben die Erkenntnisse, die im Laufe der Zeit gewonnen worden, gezeigt, dass jüngere Menschen selbst auch einem Risiko unterliegen, schwer zu erkranken. Nichtsdestotrotz wurden die Maßnahmen mit Fokus auf jene entworfen und gerechtfertigt, die am verletzlichsten sind - das spiegelt sich ja auch in der Impfpriorisierung wieder.

Ich würde mich daher dafür aussprechen, sich eher an der Definition von Habermas zu orientieren. Nach der haben wir jüngeren Menschen - und auch Kinder und gesunde Erwachsene - unser Eigeninteresse zurückgestellt, weil wir gefährdete Menschen schützen wollten. Aber ich denke, diese Fähigkeit, die eigenen Interessen zu unterdrücken ist kräftezehrend und nicht unerschöpflich. Daher ist es wichtig, irgendwann einen Ausgleich zu schaffen. Ich glaube, ein ausgleichendes solidarisches Verhalten von der älteren Generation könnte schon alleine darin bestehen, den Schmerz über die verpasste Zeit der Jungen anzuerkennen und auch etwas Verständnis für missgünstige Gefühle und Impfneid aufzubringen. Harte Urteile wie: „Ihr habt euch damit ja nur selbst geschützt“ oder „Es bringt ja jetzt niemandem was, wenn ihr wütend werdet auf die Geimpften“ sind in diesem Sinn glaube ich einfach auch keine solidarischen Äußerungen. Ich fände es angemessener so etwas zu sagen wie: „Allen die noch durchhalten müssen - danke für eure Geduld und dass ihr euch nicht vordrängelt - ihr schafft das!“
Andere Möglichkeiten wären z. B., sich mit AstraZeneca impfen zu lassen, darauf wurde schon mehrheitlich hingewiesen.

Natürlich trotzdem vielen Dank für eure engagierte Auseinandersetzung mit den Tagesthemen, ich höre euch gern zu!

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Dieses Rechenbeispiel ergibt m. E. wenig Sinn, da das Infektionsgeschehen ja nicht gleichmäßig verläuft, also die Infektionen niemals „gerecht“ auf verschiedene Gruppen verteilt sind weil die 75% ja gerade nicht meinen, dass sich vier Geimpfte genau so häufig infizieren wie ein Ungepimfper. Die 75% Reduktion beziehen sich auf individuelle Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren. Veranschaulichen lässt sich das mit dem R-Wert. Liegt dieser bei Ungeimpften bei 1,0, beträgt er für Geimpfte lediglich 0,25. Wenn - wie in Deinem Beispiel - 50% der Bevölkerung geimpft sind, läge R also insgesamt bei 0,625. Das heißt, dass Geimpfte Infektionsketten häufiger unterbrechen und damit mittelbar auch andere vor Infektionen schützen. Genau diesen Effekt erleben wird gerade mMn - noch recht schwach, aber das wird in den nächsten Monaten stark zunehmen.
Hinzu kommt, dass bei einer Impfung von 50% der Bevölkerung - zumindest wenn mit der richtigen Priorisierung die vulnerablere Hälfte geimpft wurde - vermutlich über 90% aller Hospitalisierungen verhindert würden. Auch das verändert ja die Pandemielage entscheidend.

Danke für eure ausführliche Erörterung. Ich stimme euch voll zu das Einschränkungen für immune keinen Sinn ergeben.
Ich denke viele jüngere Menschen (U30) leiden deutlich mehr unter dem fehlen sozialer Kontakte als ältere Menschen, da diese Menschen eher mit ihren engsten Kontakten zusammen leben (Lebensgefährten, Kinder), während für junge Menschen die relevanten Kontakte meist nicht im eigenen Hausstand leben (Freunde, Freund/Freundin). Dadurch leiden diese sicher mehr unter den Einschränkungen als Andere.

Ein weiteres Argument, dass ich bisher noch nicht gesehen habe, ist die finanzielle Belastung. Viele jüngere Menschen (Schüler, Studenten) verdienen sich ihr Geld durch Nebenjobs. Viele von diesen sind durch Corona weggefallen (Bedienungen, Barkeeper, …), auch kenne ich viele Werkstudenten deren Arbeitsverträge wegen Corona nicht verlängert wurden (z.B.Einstellungsstop). So hatten ca. 27% der Menschen U30 Gehaltseinbußen (Quelle) Auf der anderen Seite sind die Renten um 3.15 bzw. 3,95% gestiegen (wo war hier die Solidarität?).
Auch sollte man einen markwirtschaftlichen Aspekt nach Corona nicht außer Acht lassen. So können Geimpfte jetzt dann in den Urlaub oder Freizeitangebote nutzen. Nachdem die Jungen als letzte vollständig geimpft sein werden, wird hier der Andrang auf Urlaubsziele und Freizeitangebote sehr groß sein. Das wird dann nach Angebot und Nachfrage, zu höheren Preisen führen (und wer kann Restaurant- oder Hotelbesitzern eine Preiserhöhung bei entsprechender Nachfrage nach einem Jahr Schließungen schon vorwerfen). Damit werden die jetzt Geimpften von niedrigen Preisen (geringere Nachfrage durch wenige Geimpfte) profitieren und die junge Generation wird die höheren Preise tragen müssen.

Meiner Meinung nach wird die U30 Generation doppelt finanziell belastet (Verdienstausfall + steigende Preise). Hier könnte man sich durch aus solidarisch zeigen. Dennoch hört man leider nichts in diese Richtung.

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@vieuxrenard Ulf, Phillip: Die Tatsache, dass es hier gefühlt ein Duzend Threads zum Themenkomplex

Grundrechte / Freiheit / „Privilegien“ für Geimpfte / Genesene / Getestete — Solidarität — Neid — Alt / Jung bzw. Stark / Schwach

gibt, zeigt vor allem, wie bedeutend und emotionsgeladen dieses Thema für Eure Hörer ist — und spiegelt ziemlich sicher wieder, was in unserer Bevölkerung los ist.

Ja, nicht alle haben Eure Argumente in der Lage gehört / verstanden. Aber viele doch wohl schon, aber teilen sie schlicht nicht. Oder verstehen sie auf rationaler Ebene, haben aber ein starkes Bedürfnis, ihre Frustration mitzuteilen (daher auch immer wieder der Versuch, noch einen Thread zum Thema zu eröffnen) — teilweise wohl, weil sie am Ende ihrer mentalen Kräfte sind.

Ich verstehe Ulfs Verwunderung über diese Diskussion vor dem Hintergrund der ja sehr ausführlichen Behandlung in der letzten Lage und spüre teilweise eine gewisse Genervtheit. Aber statt genervt, ungeduldig und teilweise brüsk — so empfinde ich dies …

und die teils kommentierten, teils unkonzentrierten Schließungen von Threads (man hätte ja auch verschieben können) …

…, solltet ihr vielleicht doch den massiven Umfang der Diskussionen zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, ob und wo Eure Argumentation in dieser Frage noch nachgeschärft oder ergänzt gehört.

Ich habe aktuell leider die Zeit nicht, sonst würde ich mir mal die wichtigsten, ernstzunehmenden Argumente zusammenschreiben und neben Eure Argumentation legen. Ich bin ziemlich sicher, dass man daraus etwas erkennen kann.

Ich selbst kann und mag der gesamten Diskussion hier mangels Zeit (und teils schlicht Überforderungen) gar nicht mehr wirklich folgen. Ich tue daher bestimmt wenigsten einem oder einer, die/der Eurer Position gut begründet widerspricht, unrecht, wenn ich unverändert der Meinung bin, dass man nicht jemanden weiterhin ein Grundrecht einschränken kann, wenn man es ihm zurückgeben kann, ohne irgendjemanden dabei zu schaden. Ich verweise hierzu nochmal auf dieses (nicht ganz einfaches) Video (auf das mich ein Forumsteilnehmer gebracht hat), Stichwort „Paretoeffizienz“ (auch der Nullpunkt-Aspekt ist interessant)

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Danke für die Daten bzw. den Artikel.
Du hast natürlich Recht:
Sehr viel kommt darauf an, wie im Herbst das allgemeine Infektionsgeschehen ist und dann, wie genau die Schulen betrieben werden.
Eine Notfallzulassung macht auch keinen Sinn.
Andererseits müsste die Politik jetzt aber trotzdem mal Planungsszenarien für Impfungen von zumindest Heranwachsenden in Schulen entwickeln.

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Ich möchte noch einmal eine Einschätzung der Situation, so wie ich sie empfinde abgeben. Geimpfte und Genese erhalten ihre Grundrechte zurück und ich denke der rationale Teil der allermeisten Menschen sieht ein, dass das gut und richtig ist. Aber wir Menschen funktionieren nunmal nicht zu 100% rational. Auf einer emotionalen Ebene bleibt ein tiefes Gefühl von Ungerechtigkeit (nicht Neid und nicht Missgunst). In einer normalen Situation könnte vielleicht der rationale Teil die Überhand behalten, wie wir oft im Alltag die Gefühle herunterschlucken und funktionieren (wie gesund/ungesund das auch sein mag). Nach über einem Jahr Pandemie ist dafür einfach nicht mehr die Kraft vorhanden und die Emotionen kommen raus. Daher ist auch eine rational argumentative Diskussion über die Notwendigkeit von freier Grundrechtsausübung wenig zielführend.
Es sollte vielmehr darum gehen, wie kann man diesen Emotionen begegnen und gerecht werden. Das wird meiner Meinung nach aber nicht versucht, stattdessen wird versucht die Gefühle von Menschen wegzudiskutieren. Und ich denke, jedem der schonmal Höhenangst hatte ist klar, dass man mit Gefühlen nicht rational diskutieren kann.
Aber einfach zu sagen „Es sind ja nur Gefühle“ wäre meiner Ansicht nach der völlig falsche Weg, denn wir sind emotionale Wesen und darauf muss man ebenso eingehen, wie auf die rationale Seite unseres Menschseins, auch wenn wir eher in einer rationalisierten Welt leben.
Ich denke es braucht ein politisches Symbol, welches zeigt: Auch Immunen ist die Pandemie jetzt nicht egal, sondern sie leisten ebenso einen aktiven Beitrag dafür, dass wir die Pandemie möglichst schnell, mit möglichste wenig Kranken und Toten und mit möglichst geringen wirtschaftlichen und psychischen Folgen hinter uns lassen. Irgendwas außer der Tatsache, dass sie immun sind und keine Infektionen weitertragen.
Ich habe im Moment keine Idee, wie das konkret aussehen könnte. Aber ich denke, dass ist der Grund, warum man nicht möchte, dass sie sämtliche Freiheiten genießen. Weil es dann so aussieht, als würden sie keinen Beitrag mehr leisten. Findet man aber eine Möglichkeit das Immune auf eine andere Art und Weise (außer „nutzlosen“ Grundrechtseinschränkungen) ihren Beitrag gegen die Pandemie leisten können, dann wird der Protest gegen die Aufhebung der Grundrechtseinschränkungen zurückgehen. Dann gäbe es auch wieder ein Gefühl von Gerechtigkeit, weil Geimpfte etwas an die Gesellschaft zurückgeben, dafür das die Gesellschaft Ihnen das Privileg einer Impfung ermöglicht.
Mir ist wichtig, dass man die emotionale Ebene sieht, die man nicht einfach aus einem rationalen Verstand argumentativ zerpflücken kann. Das Gefühl der Ungerechtigkeit ist da und das kann man nicht wegdiskutieren oder für ungerechtfertigt halten. Selbst wenn es Neid und Missgunst wären, die ich bei mir selbst entdecken würde, könnte ich zu mir selbst nicht sagen: Dass sind schlechte Gefühle, hör auf damit. Wie in einer Beziehung kann es nur funktionieren, wenn ich mir eingestehe, dass ich ein fühlendes Wesen bin und bestimmte Gefühle habe und wenn mein gegenüber mir zugesteht diese Gefühle zu haben. Dann können wir gemeinsam eine Lösung finden.
Ich weiß nicht, ob mein Punkt klar wird und ob das Sinn ergibt, aber ich hoffe ihr könnt verstehen, was ich meine. Oder es wenigstens ehrlich versuchen. Und ich hoffe niemand fühlt sich „Interpretiert“.

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Bei dem Rechenbeispiel muss man dann noch beachten, dass mit weniger Maßnahmen, auch der R Wert wieder höher liegt (während er mit höherer Impfquote natürlich auch sinkt). Aber gerade deswegen kann ein zu frühes zurücknehmen der Maßnahmen bei geimpften den Verlauf noch signifikant beeinflussen.

Wenn man das mit 50% geimpft, mit 75% Schutz vor Ansteckung (wie oben angenommen) und sagen wir mal dann 50% Schutz vor Weitergabe wenn es doch zu einer Infektion kommt (diese Zahl kursierte in mehreren Artikeln). Die Basisreproduktionszahl wurde auf 3-4 geschätzt (RKI - Coronavirus SARS-CoV-2 - Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19), dann haben wir bei geimpften einen R Wert von 0,75 (Schutz) * 0,5 (Sterilität) * 0,625 (Verfügbarkeit von nicht infizierten bei 50% Impfquote und 75% Effektivität) * 3,5 (Basisreproduktionszahl) = 0,82

Dazu kommt bei den ungeimpften mit Maßnahmen ein Wert von 0,8 (aktueller Wert) korrigiert um 0,625 (Verfügbarkeit wie oben) also ein R Wert von 0,5. Damit landet man bei einem mittleren R Wert von 0,66. Würde man hingegen die Maßnahmen für alle bestehen bleiben (also der Basis R Wert von 3,5 auf 0,8 absinken für die geimpften), dann läge der mittlere R Wert bei 0,35. Das wiederum heißt man braucht ungefähr drei mal solange um die Inzidenz um den gleichen Faktor zu drücken.

Das ist natürlich nur eine sehr grobe und naive Überschlagsrechnung die vor allem die zeitlich Veränderlichen nicht beachtet. Vor allem die wachsende Impfquote, die insgesamt das R drückt oder, dass es dazwischen auch einen Anteil erstgeimpfte gibt. Aber auch Effekte, wie dass es eventuell auch zu einem höheren R Wert bei ungeimpften führt weil sich Leute nicht mehr so viel an die Maßnahmen halten.

Die Unterschiede sind aber dennoch so groß, dass ich hier lieber einmal eine etwas komplexere Betrachtung der Abwägung haben möchte (man kann ja auch Risikoabschätzungen machen wenn man bestimmte Parameter nicht genau kennt). Einfach anzunehmen, dass ein paar Prozent infektiöse Geimpfte keinen Einfluss haben wird dem komplexen Pandemiegeschehen nicht gerecht.

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Ich verstehe den Punkt. Man kann politisch auf drei Arten damit umgehen:

  1. Man kann sagen, Erwachsene sind für ihre Gefühle selbst verantwortlich bzw. sie sind ihr eigenes Problem. Das ist der formale Weg in Deutschland.
  2. Man kann sie aufnehmen und ausnutzen. Das ist Populismus.
  3. Mann kann sie ernst nehmen, auch, wenn man ihnen nicht nachgibt. Das verlangt politische Führungsstärke. Daran mangelt es insbesondere in Deutschland.