Daraus kann man aber durchaus eine Haltung ablesen. Als ich auf die Gefahr hingewiesen habe, die von Russland benannten roten Linien zu ignorieren und es als Verantwortungslosigkeit bezeichnet habe, die Ausdehnung der NATO auf den Beitrittswunsch der Kandidaten zu schieben, da hatte ich genau so eine Situation wie jetzt vor Augen. Siehe mein Eingeständnis - ich bin wirklich nicht davon ausgegangen, dass wir schon an dem Punkt sind. Im Nachhinein vielleicht naiv, wenn man bedenkt, dass wir über eine Benennung roter Linien sprechen, die 14 Jahre zurück liegt. Aber dass Russland auch zu extremen Maßnahmen bereit ist, wenn man sie nicht achtet, wurde sehr deutlich kommuniziert.
Wenn ich dir also sage, dass ich eine Bevölkerung von vielen Zehnmillionen sehe, die selbst im günstigsten Fall neben wenigen Opfern dem Trauma im eigenen Land Krieg zu erleben ausgesetzt wird, weil zwei Machtblöcke es nicht hinbekommen haben, ihre Sicherheitsbeziehung zu klären, dann ist hoffentlich klar, auf wessen Seite ich stehe.
Also nichts aus der Episode lernen. Wir sehen das immer noch völlig entgegengesetzt, denn das wäre eine ziemliche Katastrophe.
Das Problem, das ich mit dem „Hort der Glückseligkeit“ habe, ist, dass es nur dann dieser Hort ist, wenn man Bürger des Westens ist. Hat man nicht das Glück, und die eigene Regierung passt den Führern des Horts nicht, sieht es schnell recht Finster aus mit der Glückseligkeit. Ob nun Abu Ghuraib oder Guantanamo, Brutkastenlüge und nicht gefundene Massenvernichtungswaffen.
Ich finde, Henry Kissinger hat diese Einstellung recht gut zusammengefasst:
Das mit dem Kommunismus kann man dann wahlweise durch Bodenschätze oder Geopolitik ersetzen.
Aber im Hort selbst zu sitzen, ist angenehmer als in Russland, China oder Nord-Korea, da gebe ich Ihnen recht.
Ich sehe deinen Punkt. Ich frage mich nur, ob es anders ausgegangen wäre, hätte man Russlands rote Linien akzeptiert.
Also was wäre mit dem Baltikum, Polen, Tschechien, auch Ungarn in den letzten 30 Jahren passiert, hätte man sie nicht in die Nato aufgenommen?
Russland hätte sich wohl weniger bedroht gefühlt, aber hätte es diese Länder dennoch ihren eigenen Weg gehen lassen? Oder wäre es locker mal einmarschiert mit Friedenstruppen, um eine genehme Regierung zu installieren?
Das versucht der Westen auch, versteh mich nicht falsch, aber er macht es nicht in Europa.
Kurz und gut: Was hätte man erwarten können, hätte man die Nato gegen den Willen der osteuropäischen Länder nicht erweitert?
Spannende weitere Frage: Hätte es funktionieren können, ganz Osteuropa, inklusive Russland gleichzeitig in die Nato aufzunehmen? Dafür ist vielleicht die Frage spannend, wie die Nato mit einem Krieg zwischen Mitgliedsstaaten umgeht.
Die russische Führung hat unverhohlen mit Kernwaffen gedroht, sollten sich andere Länder in ihre „spezielle Militäroperation“ einmischen. Man möge mir verzeihen, aber ich wünsche mir etwas anderes als einen schnellen russischen Sieg.
Dass Polen mit den baltischen Staaten ein Kernwaffenprogramm startet. Auf welches Russland dann (nachvollziehbarerweise) ungefähr so reagiert hätte, wie Israel und die USA auf das des Iran.
Ich finde nicht, dass ich Putin kritiklos übernommen habe. Die Behauptung, dass die ganze Regierung eine Rechtsextreme clique ist, ist, denke ich, haltlos und wird als Vorwand genommen einen „Regime“ change durchzuführen. Der Zusammenhang wie das Rechtsextreme im Ausland stärken kann ist folgender: Wenn Russland (oder Regime Putin) jetzt in der Ukraine die sogenannte Denazifizierung durchführt, und dabei dies lediglich als einen Vorwand nimmt um alle ihnen unliebsamen Kräfte zu unterdrücken, wird das bestimmt als Standdartverteidigung von rechtsextremen Gruppen verwendet: „In der Ukraine haben wir ja gesehen, wie unter dem Vorwand von Antifaschismus die Demokratie angegriffen wird.“
Mein Punkt ist gewesen, dass trozdem diese rechtsextremen Gruppen in der Ukraine nicht zu vernachlässigen sind, mit Ihnen aber halb kooperiert wurde (von der ukrainischen Regierung), damit sie an der Front kämpfen. Dass es dabei auch zu schweren verstoßen von „ukrainischer“ kommen kann, würde mich dann nicht wundern.
Ich habe das Gefühl, dass man absichtlich vorbeigeschaut hat, um der russischen Position ja nicht den Hauch einer Legitimität zuzubiligen.
Das ist eine sehr gute Frage, man kann darüber leider nur spekulieren. Vielleicht hätte man es geschafft, mehr Gräben zuzuschütten, eine engere Zusammenarbeit auf mehreren Ebenen zu etablieren. Das wäre vielleicht möglich gewesen, wenn man den russischen Stolz nicht so mit Füßen getreten hätte, indem man den einstigen Einflußbereich übernimmt und konsequent vom „Gewinn des kalten Krieges“ gesproch hat, statt vom „Überwinden des kalten Krieges“, beilegen der Differenzen usw. Ich denke, Putin hat nicht zuletzt aus diesen Gründen relativ viel Rückhalt im Volk und Gorbatschov wird eher als Vaterlandsverräter gesehen.
Wie gesagt, würde ich an der Stelle nicht weiter diskutieren. Letztlich ist das nur die gleiche Diskussion, die wir vor dem Krieg schon länglich hatten. Ich wollte nur aufzeigen, wie sich aus meiner Analyse auch eine Haltung ergibt.
Aber ich will mich nicht völlig um eine Antwort drücken, insofern eine Skizze:
Als Putin angefangen hat, hatte er Vorstellungen von einer Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok oder so ähnlich. Putin ist ein russischer Nationalist, aber auch wenn Russland ein eurasisches Reich ist, verortet er sich damit als Europäer. Wahrscheinlich europäischer als die meisten Europäer weiter westlich aus der Selbstsicht. Denk mal nicht, dass sich Putin vor zwanzig Jahren vorstellen konnte, dass er mal mehr Affinität und Einsicht für einen chinesischen Präsidenten als für einen ukrainischen haben würde. Also Integration war die Vision, was nicht heißt, dass es nicht zum Beispiel wegen der Krim hätte Ärger geben können. Das ist so oder so das schwierige Erbe eines zerfallenen Imperiums.
Ja, genau um diese Werte geht es doch beim Zitat von Kissinger auch. Die Chilenen haben frei und demokratisch Salvatore Allende gewählt und die CIA hat Pinochet an die Macht gebracht.
Ich bin im übrigen nicht der Meinung, dass man Russland oder China toll findet, nur weil man den Westen kritisiert. Ich bin nur immer sehr verwundert, wie man sich auf ein moralisch hohes Ross setzt, dem aber selbst nicht gerecht wird. Und ich verteidige hier niemanden und verurteile jede Verletzung der Souveränität, gleich ob Ukraine, Syrien, Afghanistan, den Irak, Tibet oder Taiwan.
Mir ging es in meinem Beitrag nur darum, dass das mit dem Hort der Glückseligkeit immer auf die Perspektive ankommt. Bin ich drin oder bin ich nicht drin. Der Westen ist nicht unter allen Umständen erstrebenswert, z.b. nicht, wenn es keine demokratische Tradition gibt und man durch diese „Demokratisierung“ Länder ins Chaos stürzt und die Lebensumstände anschließend für einen Großteil der Bevölkerung deutlich schlechter wird, wie z.b. in Libyen. Ich bin kein Freund von irgendwem, der eine politische Agenda hat. Aber ich bin aus tiefster Überzeugung Pazifist.
Nun, aber diese Frage hast du nicht gestellt. Ich gebe dir eine Antwort. Ich weiß nicht, ob sie dir gibt, was du suchst, aber ich würde sagen, meine moralische Ausrichtung ist dann doch eher nebensächlich, insofern belassen wir es dabei.
Nach dem Völkerrecht sieht es verdächtig nach einem verbotenen Angriffskrieg aus. Da der Großteil der anderen Staaten Russlands Konstruktion einer defensiven Rechtfertigung ablehnt und selbst diejenigen, die das Vorgehen dulden, ihr nicht zustimmen, kann man klar sagen nein.
Ihre „Analysen“ waren doch seit Beginn dieser Krise falsch. Also wundert es mich wenn Sie hier von lernen sprechen.
Russland akzeptiert keine unabhängige, demokratische Ukraine sondern nur einen Staat in dem sie entweder einmarschieren dürfen, wie kürzlich in Kasachstan, oder der generell nur eine Marionette ist wie Belarus.
Die Schuld für diesen Überfall, und sei es nur eine Teilschuld, bei den USA und Europa zu suchen, ist völlig falsch. Es sei denn Sie übernehmen die Haltung Russlands, dass schon die Existenz einer liberalen Demokratie in seiner Nachbarschaft eine Bedrohung darstellt.
Ich möchte nur eine Quelle in den Raum werfen (insbsondere für unsere beiden Gastgeber des Podcasts): Die etablierte Sendung des NDRs zur Sicherheitspolitik „Streitkräfte und Strategien“ hat aus aktuellem Anlass auf eintäglich gegen 17:00 Uhr erscheinendes Format umgestellt und berichtet über den Krieg.
Ich habe persönlich keine Lust, abends durch diverse Schlagzeilen / Artikel zu blättern und vielleicht geht es anderen genauso.
Ich denke, dass das alles diskussionswürdig ist und ja auch wird.
Davon abgesehen, dass unsere demokratischen Strukturen und unsere freie Presse, die solche Themen unbeschadet ansprechen kann, aus meiner Sicht den absolutistischen Strukturen Russlands und Chinas immer vorzuziehen sind, halte ich den Moment, wenn eines dieser beiden Länder mit Krieg droht, aber nicht für den richtigen Moment. Der Eindruck, dass hier relativiert werden soll, ist eben schwer von der Hand zu weisen.
Wie auch der Slogan #AllLivesMatter - völlig korrekt, aber im benutzen Kontext hinterließ das doch berechtigterweise einen schlechten Nachgeschmack.
Absolut. Aber andersrum sollte man auch nicht relativieren, dass der Westen ruhig bombadieren und besetzen darf, weil zuhause freie Presse ist. Krieg ist zu verurteilen und dem Agressor entgegenzutreten. Und ich finde es sehr befremdlich, dass man immer automatisch Freund des einen sein soll, wenn man den anderen verurteilt. Ich finde Krieg scheiße und aktuell gerade den in der Ukraine besonders, weil aktuell. Trotzdem käme ich nie auf die Idee zu sagen, dass die Intervention der USA im Irak irgendwie besser gewesen ist, außer, dass es weiter weg war, was uns Europäer ja sehr beruhigt.
Aber wie gesagt, ich will nicht relativieren, in keine Richtung. Die Menschen, die in einem bewaffneten Konflik am meisten zu leiden haben, können am wenigstens dafür.
Die Ukraine hat wohl angeboten, über die Neutralität des Landes zu verhandeln - im Gegenzug für Garantien der russischen Seite. http://blog.fefe.de/?ts=9ce67a93
Leider finde ich da keine westlichen Quellen für, nur russische und indische.
Allerspätestens jetzt muss sich Westen anerkennen, dass die Strategie der Annäherung und Demokratisierung durch Handel und Diplomatie gescheitert sind. Viele westliche Staats- und Regierungschefs waren zu naiv und leichtgläubig, die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland, aber auch China und z.B. Katar und Saudi Arabien, hatten zu viel Priorität gegenüber unseren Werten und Vorstellungen. Wenn dieser unsinnige Krieg eventuell auch etwas Gutes bewirken kann, dann folgendes:
Beschleunigung der Transformation hin zur Klimaneutralität und Unabhängigkeit, und das nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ländern wie Polen,Finnland und Ungarn. Ende mit der Gas- und Ölabhängigkeit von Russland, voller Fokus auf ein autarkes, klimaneutrales westliches Energiesystem.
Stärkung der EU. Ich hoffe, dass selbst Staatschefs wie Orban, oder die Staatchefs von Polen und Tschechien, es sich in Zukunft dreimal überlegen, ob sie weiterhin Geschäfte machen wollen mit Putin oder nicht. Und ich hoffe auch, dass alle endlich einsehen, dass wir als NATO und EU nur zusammen gegen einen aggressiven und lügenden Player wie Putin bestehen können. Dies gilt auch für die EU-kritischen Wähler. Spätestens jetzt sollte allen klar sein, dass man als einzelnes kleines Land nichts entgegenstellen kann.
Gelingt das, dann kann die EU- und NATO in einigen Monaten und Jahren eventuell sogar gestärkt und mit neuen Mitgliedsländer aus der Krise kommen.
Wirtschaftliche Entkopplung
Das muss der letzte Weckruf gewesen sein, um endlich eine größere westliche Autonomie voranzutreiben, v.a. In den Bereichen Landwirtschaft und Hochtechnologie. Wir dürfen nicht mehr abhängig sein von russischen Getreide und chinesischen Chips. Schluss mit dem Anbau von Pflanzen für Tierfutter, Treibstoff und Gasherstellung. Wir müssen unsere Felder wieder voll für den Anbau hochwertiger menschlicher Nahrung nutzen, Tierfutter, Gas- und Treibstoffproduktion dürfen in Zukunft nur Nebenprodukte sein. Gelingt dies, dann wäre das ein großer, höchst positiver Schritt für die EU, klimatisch und wirtschaftlich.
Ja, dieser Krieg ist sinnlos, barbarisch und hirnverbrannt, aber man sollte immer versuchen am Ende irgendwie gestärkt aus der Sache zu gehen.