Ich weiß, es nervt inzwischen und dafür entschuldige ich mich in Voraus, aber hier sind wir doch wieder am springenden Punkt. Man darf es als unehrlich kritisieren, dass in dem offenen Brief nicht offen ausgesprochen wird, dass es auch um die Wahrung deutscher Interessen geht. Aber der Grund, warum Deutschland und die NATO eine ganz klare rote Linie ziehen, nicht selbst militärisch in den Konflikt einzugreifen ist doch kein anderer, als zu verhindern, dass sie selbst auch „etwas abkriegen“.
Man kann das als Egoismus bezeichnen oder als „Wahrung eigener Interessen“. Tatsache ist, dass es situationsbedingt pragmatisch und sinnvoll ist, das zu tun. Man könnte umgekehrt der „Pro“ Position vorwerfen, dass sie die Ukraine einen Stellvertreter-Krieg ausführen lassen, bei dem sich die NATO nicht die Hände schmutzig machen muss, die Ukraine sich aber aufreibt und einen hohen Preis für die Verteidigung der westlichen Werte zahlt. Ähnlich absurd.
Diese Diskreditierungen („Egoismus“, „Feigheit“) führen doch zu nichts, außer dass Putin sich darüber freut, wie wir uns gegenseitig an die Gurgel gehen. Lasst uns einfach nüchtern die Lage bewerten und dann prognostizieren, dass eine Lieferung schwerer Waffen der derzeit beste Kompromiss ist, deutsche, ukrainische und globale Interessen zu wahren.
Wenn Sie das glauben haben Sie offensichtlich den Autoren nicht in den zahlreichen Talkrunden zugehört. Dort erklärten diese sehr ausführlich, dass sie nicht per se gegen schwere Waffen seien sondern viel größere Anstrengungen fordern durch Diplomatie den Krieg zu beenden als mehr Waffen zu beschaffen.
Man kritisierte vor allem, dass es kaum öffentlich wahrnehmbare Versuche gibt China oder Indien mit ins Boot zu holen, notfalls auch über schmerzhafte Kompromisse des Westens.
Vielleicht muss ich das klar machen. Ich mache mir die Position keines der offenen Briefe zu eigen.
Als jmd der beide Briefe gelesen UND den Autoren in diversen Medien zugehört habe, finde ich die mediale Darstellung eines der Briefe extrem unausgewogen und verfälschend.
Da ich der Meinung bin Fake News gehören nicht ins Internet trete ich dem daher mit Fakten entgegen und weise auf fehlerhafte Darstellung hin. Das geht im Zweifelsfall auch ohne mich voll hinter eine Seite stellen zu müssen.
Bei Lanz und Precht kam imho noch ein anderer Aspekt vor:
Wenn sich Dtld und die anderen Staaten auf die Seite der Ukraine stellen, wer kann dann den diplomatischen Austausch betreiben und ggf. eine Vermittlerrolle einnehmen?
Wenn ich es richtig verstanden habe, steht das auch hinter dem Brief, in dem die Lieferung schwerer Waffen abgelehnt wird.
Harald Welzer hat bei Anne Will betont, dass es den Unterzeichnern vor allem darum ging, darauf hinzuweisen, dass es prinzipiell auch einen diplomatischen Weg gibt und dieser nicht außer acht gelassen werden sollte.
Danke für den expliziten Hinweis auf den diplomatischen Aufruf im offenen Brief um Welzer und Co… Dieser Punkt wurde auch in diesem Thema mehrfach aufgegriffen. Daher erlaube ich mir den Querverweis.
Noch mehr aber freut er sich über Menschen, die sich von ihm mit durchschaubaren, militärischen Bluffs (siehe z.B. „Madman-Theory“) und leeren wirtschaftlichen Drohgebärden einschüchtern lassen.
Ein derartiges Embargo wäre angesichts der „unbegründeten Anschuldigungen gegen Russland bezüglich der Energiekrise in Europa und des Verbots von Nord Stream 2“ gerechtfertigt, erklärte der russische Vize-Regierungschef Alexander Nowak im staatlichen Fernsehen.
Nicht nur ist Nordstream 2 nach wie vor gestoppt, inzwischen steht Gazprom Deutschland unter deutscher Treuhänderschaft. Und was ist mit dem Gasstopp von russischer Seite?
Zu allererst müssten sich die NATO / EU / USA (ggf. mit unterschiedlichen Positionen) entscheiden, ob sie den aktuellen Konflikt als Krieg zwischen den beiden souveränen Staaten Russland und Ukraine sehen oder als geostrategische Frage der (Neu-)Ordnung Osteuropas. Konkret stellt sich die Frage, wer denn Hauptverhandlungspartner gegenüber von Russland sein soll: NATO / EU / USA oder (nur) die Ukraine?
Übrigens hier noch der Hinweis zum Thema schwere Waffen, dass Tschechien bereits Anfang April schwere Waffen (Kampfpanzer T72 !!! und Schützenpanzer BMP) an die Ukraine geliefert hat.
Die Schützenpanzer-Lieferung, 58 Stück, hat Deutschland sogar genehmigt (Ebenfalls Anfang April):
Das sind die Waffen, mit denen sich die Ukrainer tatsächlich sofort effektiv wehren können. Panzer die sie fahren können und für die sie Munition haben.
Tut mir leid, wenn ich da immer wieder drauf rum reite, aber die Szenarien, die einige in Deutschland an die Wand malen, wenn „wir“ schwere Waffen liefern würden, kann ich vor diesem Hintergrund einfach nicht ernst nehmen.
Um das zu erreichen müssten wir umfängliche Änderungen beschließen.
Die Amerikaner haben angeblich Spionagedaten an die Ukraine geliefert. Das europäische Hauptquartier der Amerikaner ist in Deutschland ebenso ist Rammstein ein logistische und strategische Drehscheibe. Alleine deshalb ist die Gefahr eines nuklearen Angriffs enorm.
diese Prämisse macht Deutschland berechenbar und erpressbar. Vor allem der Passus „unter allen Umständen“.
um wirklich sicher zu gehen dass „Russland“ uns nicht atomar angreift müssten wir deren Vasall werden. Aber was ist dann mit den anderen Atommächten wie z.B. der USA? Dieses Risiko würde weiterhin bestehen.
Fazit
So lange es Atomwaffen gibt gibt es auch ein „Restrisiko“ dass diese eingesetzt werden. Deshalb waren auch die Abrüstungsverhandlungen so wichtig.
Das Problem daran ist, dass ich zumindest nicht mitbekommen habe, was denn die deutschen Interessen sind. Die anderen beiden Bereiche wirken sich auf die deutschen Interessen aus, sind aber nicht handlungsleitend.
Was nicht bedeutet, dass dies so bleibt. Es war ein juristischer Trick. Und jetzt kommt es wieder zu einer notwendigen Definition deutscher Interessen:
Darf der Hauptspeicher für Gas von einem russischen Unternehmen (auch nach Friedensschluss) betrieben werden?
Dem stimme ich zu. Die rote Linie „ob was passiert“ bestimmt einzig und allein Putin. Und das ist nicht berechenbar.
Und wieder zurück zum Anfang: was sind deutsche Interessen?
Ein Fortbestehen der für die deutsche Bevölkerung so vorteilhaften Stabilität und Offenheit innerhalb Europas. Das ist das wesentliche Interesse - oder sollte es zumindest sein. Der von Russland begonnenen Krieg hat das Potential, alles zu gefährden, was Deutschlands Wohlstand und Sicherheit garantiert.
Aber ich habe das Gefühl, dass Deutschland seine Sicherheit vor allem durch teils absurde russische Nuklear-Drohungen und seinen Wohlstand vor allem durch einen russischen Energieboykott bedroht sieht und nicht dadurch, dass Russland die Süd-Ostukraine erobert. Denn genau das nehmen wir durch unser aktuelles Verhalten in Kauf.
Und ich bin auch nicht ganz bei der Einschätzung von @vieuxrenard aus der aktuellen LdN-Folge, in der er die Schuld dafür ja eher bei Olaf Scholz sieht.
Ich denke viel eher, Scholz handelt da durchaus im Interesse nicht weniger Deutscher, die große wirtschaftliche Interessen (billiges Öl und Gas) haben und dafür gerne russische Drohszenarien vorschieben.
Hinzu kommt das Scholz nicht alleine regiert. Er ist ja kein Diktator. Und ich glaube Scholz wirft vor allem diese Unklarheiten um zu verbergen, wie handlungsunfähig die Bundeswehr nach 16 Jahren Union ist. Wir haben glaube ich wirklich keine einzige schwere Waffe, die wir derzeit abgeben können.
Ich hab jetzt in dem Artikel mal kurz überlesen und nicht konkret gefunden, welche Äußerung von Moskau es gab, dass sich da besonders „gefreut“ wird.
Aber dennoch, auch mir ist schon die Vermutung gekommen, dass am Ende des Krieges die wirkliche Leistung von Putin weniger im Militärischen gelegen haben wird, sondern viel mehr darin, wie Russland es geschafft hat mit einer Mischung aus wirtschaftlichen und militärischen Drohungen „den Westen“ davon abzuhalten wirksam der Ukraine beizustehen, sei es durch Sanktionen oder Waffenlieferungen.
Das ist umso schlimmer, als das es China eine Blaupause liefert, wie es, im Falle eines Angriffs auf Taiwan, mit dem Westen zu verfahren hat.
Ob man sich in Deutschland wohl Sorgen macht, wenn z. B. Polen ankündigt, sich nuklear zu bewaffnen (eventuell zusammen mit den baltischen Staaten)? Darauf läuft es nämlich hinaus, wenn klar ist, dass auf Deutschland und Frankreich kein Verlaß ist bei einer Konfrontation mit Russland. Die USA als Sicherheitsgarant werden jedenfalls nicht reichen, wenn damit zu rechnen ist, dass dort alle vier Jahre jemand wie Trump ans Ruder kommen kann.
Und wenn ein Staat wie Polen Kernwaffen anschafft, wie könnte dann z. B. die Türkei weiterhin darauf verzichten, etc. pp.
Das ist eine ganz gefährliche schiefe Ebene, auf die uns der Angriff auf die Ukraine und die sehr zögerliche Reaktion in Berlin und Paris befördert haben.
Wie sollte das denn passieren? Polen hat den Nuklearwaffen-Sperrvertrag unterschrieben. Ich glaube kaum, dass irgendein Land ihnen helfen wird, eigene Nuklearwaffen zu entwickeln.
Ich könnte mir höchstens vorstellen, dass die USA ihre „Atomare Teilhabe“ auf Polen erweitern, sodass dort amerikanische Atombomben liegen, die bei Bedarf von polnischen Bombern abgeworfen werden können.
Das gleiche „Privileg“ hat ja auch Deutschland, weswegen ja jetzt die F-35 als neues Atomwaffen-fähiges Flugzeug angeschafft werden soll.
Aber ansonsten bin ich bei deiner Kritik an der deutschen und französischen Ukraine-Politik bei dir.
Wenn wir gedanklich voraussetzen, dass die USA das Interesse an Europa verloren haben, dann kann man die ganzen internationalen Verträge in der Pfeife rauchen. Es braucht ja einen Hegemon oder zumindest ein Kartell mächtiger Staaten, die das Brechen von Verträgen bestrafen und deren Einhaltung honorieren. Wenn die USA dies nicht mehr leisten, dann sind wir, was den Umgang der Staaten miteinander angeht, ungefähr wieder auf dem Stand des von niemandem ernstgenommenen Völkerbunds der Zwischenkriegszeit angekommen.
Polen hat die doppelte Wirtschaftskraft von der Atommacht Pakistan. Die wirtschaftliche und technologische Basis ist vorhanden, um ein Kernwaffenprogramm zu starten. Das wäre natürlich ein Akt der Verzweiflung, wenn man anders die nationale Sicherheit nicht mehr gewährleisten zu können glaubt.
Und aus meiner Sicht wäre dies das Worst Case Szenario, wenn zu einem langem, grausamen Krieg in der Ukraine sich in zwei Jahren noch eine US-Präsidentschaft a la Trump 2.0 gesellt.