Sozial kleinräumliche Faktoren spielen jedenfalls wohl auch eine Rolle:
„Ostdeutsche Regionen, in denen moderne Lebensformen nicht toleriert werden und ein geringes Vertrauen gegenüber Medien oder politischen Institutionen (Stichworte: „Lügenpresse“, „Volksverräter“) besteht, weisen systematisch höhere AfD-Stimmanteile auf. In Westdeutschland gehen dagegen eher konservative Werte […] sowie ein stärkeres Bedürfnis nach Ordnung und Sicherheit […] mit höheren AfD-Stimmanteilen einher. Keine Rolle spielen in beiden Landesteilen dagegen die Stärke sozialer Netze vor Ort, das Vertrauen in Mitmenschen, gesellschaftliche Teilhabe oder auch das materielle Gerechtigkeits- und Solidaritätsempfinden. Die AfD-Ergebnisse in Ostdeutschland sind also weniger Ergebnis eines gefühlten sozialen oder wirtschaftlichen „Abgehängt-Seins“ als vielmehr Ausdruck einer niedrigeren Toleranz gegenüber modernen Lebensformen und einer höheren Skepsis gegenüber Politikern.“
Und neben hegemonialer Xenophobie wohl auch eine Neigung zum Autoritarismus. Über die letzte Studie von Decker et al. 2023 heißt es zusammenfassend beim EFBI:
„Die Studie ergab außerdem eine hohe Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen in den ostdeutschen Bundesländern. Chauvinistische und ausländerfeindliche Aussagen würden nur von einer Minderheit der Befragten abgelehnt, betonten die Projektleiter. […] Ausgeprägt sei die Zustimmung in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. „Hier ist damit das Potential für extrem-rechte und neonazistische Parteien, Wähler zu finden, besonders hoch. Jeder zweite wünscht sich eine ‘starke Partei‘, die die ‚Volksgemeinschaft‘ insgesamt verkörpert. Statt pluralistischer Interessensvielfalt wird eine völkische Gemeinschaft gewünscht“, erläuterte Brähler. Decker fügt hinzu: „Unsere Untersuchung zeigt, dass sich derzeit viele Menschen in den ostdeutschen Bundesländern nicht mehr demokratische Teilhabe und Sicherung der demokratischen Grundrechte wünschen, sondern die scheinbare Sicherheit einer autoritären Staatlichkeit.““
Autoritarismus, das weiß man im Grunde schon seit den ersten, methodisch noch nicht sonderlich ausgereiften Studien von Adorno et al. hat auch eine Persönlicchkeitskomponente (insb. niedrige Werte bei Offenheit (für neue Erfahrungen) im OCEAN-Modell). Den Forschungsstand hat die Psychologin Stenner in folgendem Essay (auch mit Blick auf Europa) ganz gut zusammengefasst:
Das weit überproportionale Wählen der rechtsextremen AfD im Osten der Republik ist sicher nicht monokausal zu erklären, aber einige Puzzlestücke greifen ineinander.
Da im Podcast auch die Ländlichkeit angesprochen wurde, sei noch auf folgende Datenlage verwiesen:
„Bei den politischen Einstellungen in Europa werden die Unterschiede laut einer neuen Studie immer größer. Und: das hat offenbar viel damit zu tun, wo man lebt. Die Forschenden hinter der Studie haben die sozialen und politischen Ansichten von Menschen aus 30 europäischen Ländern untersucht, zwischen 2002 und 2018. Dabei kam heraus: In den Großstädten sind die Menschen eher linksliberal eingestellt, das nimmt aber ab, je weiter man sich von urbanen Gebieten entfernt. Von den Großstädten über die Vororte, Kleinstädte und Dörfer bis aufs platte Land werden die politischen Ansichten tendenziell immer konservativer und das Vertrauen der Menschen in die Demokratie und etablierte Parteien sinkt.“
Auch diese Diskrepanz lässt sich differentialpsychologisch anhand des Persönlichkeitsmerkmals Offenheit erklären. Menschen, die offener für neue Erfahrungen sind, suchen sich tendenziell Lebensumgebungen, die diesbezüglich viele Anregungen bieten. Sie ziehen also vom Lande häufiger in größere Städte, da sie dort ein vielfältigeres Input bekommen. In Zeiten verstärkter Mobilität führt das dann langfristig zu einem größeren Stadt-Land-Unterschied, den man rund um den Globus beobachten kann.
Hoffe, zur Klärung etwas beigetragen zu haben.
LG
Bent