Sind es denn tatsächlich nur die Konservativen, die ein „Problem“ mit der Wissenschaft haben? Die Ablehnung von Gentechnik in progressiven Kreisen scheint jedenfalls nicht wirklich auf wissenschaftlicher Evidenz zu basieren. Oder die Debatte um Glyphosat, in der die Faktenlage längst nicht so eindeutig ist, wie es oft behauptet wird. Außerdem wäre dann da noch die Sache mit der Ablehnung von konservativer Landwirtschaft, die eben deutlich effizienter ist als Bio-Landwirtschaft.
Und was heißt es eigentlich, wenn man ein „Problem“ mit der Wissenschaft hat? Dass die Politik nicht den Ratschlägen der Wissenschaft folgt? Aber konzeptioniert man das Problem damit überhaupt richtig? Ist „Follow the Science“ das richtige Motto – oder sollte die Wissenschaft die Politik nicht eher dazu befähigen, eine politische (!) Interessenabwägung auf Basis des aktuellen Kenntnisstands durchzuführen?
Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass die Politik oftmals nicht auf die Ratschläge von Expert:innen zu „hören“ scheint. Das betrifft ja nicht nur Klima- und Pandemiepolitik – Expert:innen für Sicherheitspolitik haben seit Jahren gepredigt, dass wir uns nicht zu sehr von russischem Gas abhängig machen sollten.
Aber ich glaube, dass „auf die Wissenschaft hören“ das Problem vollkommen falsch definiert. Denn es geht ja in der Politik nicht um Wissenschaft, sondern um die Abwägung von Interessen. Ich entschuldige mich jetzt schon, hier wieder das Tempolimit ins Spiel zu bringen, aber es passt als Beispiel einfach so prima: Wenn die FDP das Rasen auf deutschen Autobahnen als übergeordnetes Interesse im Sinne der „Freiheit“ betrachtet, dann wird eine Interessenabwägung immer gegen ein Tempolimit ausfallen – egal, wie viele gute, „wissenschaftliche“ Argumente es für ein Tempolimit gibt. Das Problem lässt sich also nur politisch lösen, und nicht mit Verweis auf wissenschaftliche Evidenz. Gegner des Tempolimits werden nicht „zur Vernunft kommen“, wenn man auf entsprechende Studien verweist. Das bedeutet aber nicht, dass sie diese Studien zwingend ignorieren müssen; die Interessenabwägung fällt aber anders aus.
Selbe Sache bei der Impfpflicht: Wenn man das Recht auf körperliche Unversehrtheit eines Individuums höher bewertet als die gesellschaftlichen Kosten für das Gesundheitssystem, dann wird man eben bei einer Interessenabwägung nie zu dem Ergebnis kommen, dass eine Impfpflicht erforderlich ist.
Politische Meinungsverschiedenheiten lassen sich also nicht durch „mehr Wissenschaft“ lösen, oder dadurch, dass das politische Handeln am wissenschaftlichen Konsens ausgerichtet würde. Es gibt auch in der Regel selten eine „richtige“ politische Entscheidung. Denn dann bräuchte es ja gar keine Politik, die Interessen moderiert – wir könnten unsere Ministerien auch einfach mit Wissenschaftler:innen besetzen.
Disclaimer: Ich selbst bin für eine Impflicht, befürworte auch seit Jahren ein Tempolimit, und habe bisher weder CDU, noch FDP oder AfD gewählt. Aber wer „Follow the Science“ proklamiert, macht sich auch angreifbar. Und zwar immer dann, wenn die eigenen Interessen einmal nicht dem wissenschaftlichen Konsens entsprechen sollten.