Pflegekräfte

Etwas irritiert hat mich die Aussage, dass jede und jeder, die/der nicht gelähmt ist, alte Menschen pflegen kann. Die Herkunft der Pflegekräfte ist sicherlich nicht entscheidend. Als Ärztin, weiß ich aber genau wie anspruchsvoll die Tätigkeit einer Pflegekraft ist. Das erfordert eine fundierte Ausbildung, die nicht jede oder jeder in Kürze erlernen kann. Mir ist ausdrücklich wichtig, dass ich damit nicht meine, dass wir keine Einwanderung bräuchten, die brauchen wir ganz sicher, ich wehre mich nur gegen die Idee jeder könnte diese Tätigkeit ohne große Voraussetzungen ausüben.
Danke, dass ihr die Lage jeder Woche so ausfühlich zusamenkehrt.
Liebe Grüße

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Deswegen haben wir genau das auch nicht gesagt.

Ich bin schon länger treue Hörerin der Lage der Nation und überzeugt von eurer differenzierten Darstellung zu verschiedenen Themen. Jedoch hat mir die eine oder andere Aussage zum Thema „Fach-/Arbeitskräftemangel“ bereits Sauer aufgestoßen. Die wiederholte Ausgrenzung des Pflegeberufs (mag es auch mangelnde Trennschärfe im Ausdruck sein) aus dem „Fachkräftemangel“-Bereich mit damit einhergehender Zuordnung zum „Arbeitskräfte“-Bereich sowie die Behauptung, dass „jede/r gelernt Senioren pflegen könne“, kann ich nicht mittragen und möchte deshalb nun das Wort ergreifen. Als gelernte Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin sowie studierte Pflegepädagogin, die in der Grundausbildung der generalistischen Pflege tätig ist, möchte ich sensibilisieren, dass Sprache Gesellschaft formt und darum bitten, dass ein solches Format wie die „Lage der Nation“ dort der Sorgfaltspflicht nachkommt.

Pflege, unabhängig davon, in welchem Setting (ambulant, akut stationär oder langzeit stationär) oder bei welcher Altersgruppe sie stattfindet, ist eine komplexe, multidimensionale Arbeit, welche ein breites Spektrum an Kompetenzen erfordert. Aber eins nach dem anderen:

  1. Die Aussage „jede/r kann pflegen“ ist bereits vor 2016 durch den MOOC „Nursing Traditions and History in Europe“ widerlegt worden. Auch wenn in der Folge das Wort „gelernt“ eingeschoben wurde, so widerspreche ich dennoch. Die Pflege erfordert Sozial- und Personalkompetenzen, welche nicht nur durch Ausbildung erworben werden können, sondern auch in Grundlagen bereits vorhanden sein sollten. Platt ausgedrückt: nicht jeder Mensch ist empathisch und ohne Empathie ist Pflege nicht zielführend. Die Pflege ist nicht nur ein Problemlösungsprozess, sondern auch ein Beziehungsprozess.
  2. Die Aussage „jede/r kann gelernt Senioren pflegen“ schafft erneut eine Abgrenzung der Altenpflege von der Kinder- und Erwachsenenpflege, welche durch das Pflegeberufereformgesetz (und viele weitere Gesetzeslagen vorher) auszumerzen versuchte. Es gibt keinen Unterschied im Anspruch zwischen den Altersgruppen - die Inhalte differieren, aber der Anspruch nicht.
  3. Bereits im Referentenentwurf von 1964 zum Krankenpflegegesetz von 1965 heißt es: „Der Einsatz von Personen, die der Krankenschwester oder dem Krankenpfleger bei der Ausübung ihrer Tätigkeit helfen, hat sich in der Praxis bewährt. Bei dem bedrückenden Personalmangel in der Krankenpflege kann auf diese Hilfskräfte nicht verzichtet werden“ (S. 5) . Bereits in den 1960er Jahren war der Einsatz von ungelernten oder nur geringfügig ausgebildeten Pflegehilfskräften eine Behelfslösung. Dies sprachlich weiter manifestieren, halte ich für undifferenziert und der Pflege als Profession weiter abträglich.
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  1. Schaut man sich die Pflegeausbildungen im europäischen Umland oder auch weiter international an, fällt auf, dass die wenigsten den Schwerpunkt auf die berufliche Pflegeausbildung setzen. In den meisten Ländern wird Pflege vorrangig akademisch angeboten. Dass Deutschland sich nach wie vor diesem Anspruch und auch den Anforderungen der EU verweigert, ist ein Unding. Im 2012 erschienen Artikel von Hofmann (DOI: 10.1007/s00103-012-1540-1) wird bereits geschildert, welche Sonderwege Deutschland mit der Pflegeausbildung geht und wie vehement selbst vor der EU-Kommission darauf bestanden wird. Ob diese Sonderwege nun historisch begründet sind oder nicht, mag dahingestellt sein, aber es ist nicht das erste Mal, dass das in der Geschichte der Pflege vorkommt.
  2. Im Rahmen des Pflegeberufereformgesetzes hat die Pflege vorbehaltene Tätigkeiten erhalten - eine Überlegung, welche bereits im oben erwähnten Referentenentwurf aus den 1960er Jahren diskutiert wird. Ich stelle die kritische Frage: Wäre die Pflege im Niedrigkompetenzbereich angesiedelt, hätte sie dann gesetzlich verankerte Vorbehaltstätigkeiten?

Grundsätzlich sieht das Pflegemodell in Deutschland verschiedenartig qualifiziertes Personal vor. Die Pflege in Deutschland kann bereits derzeit und wird auch zukünftig nicht ohne Hilfskräfte im Niedrigkompetenzbereich zu bewältigen sein. Damit allerdings die Profession als gesamtes (und im speziellen die Altenpflege) aus dem „Fachkraft“-Bereich auszuschließen, halte ich nicht für gerechtfertigt.

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Danke @Solveig für die Erläuterungen … aber wir behaupten ja auch nicht, dass jeder pflegen könne, sondern wir weisen darauf hin, dass es fast jeder lernen kann, ohne einen ausländischen Abschluss mitbringen zu müssen. D.h. im Kontext von Migration geht es um Arbeitskräfte, nicht um Fachkräfte, weil wir selbstverständlich keinen nigerianischen Abschluss als was-auch-immer verlangen, damit eine Person lernen kann, in Deutschland Kranke oder Seniorinnen zu pflegen.

Auch das ist ein Problem: die Zugangsvoraussetzungen zur Pflegeausbildung liegen in Deutschland bereits unter den Anforderungen vieler anderer Länder. Dieser Anspruch an die Auszubildenden wird aber der Komplexität der Aufgaben nicht gerecht.

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Ich halte das für Unsinn. In einer Zeit, wo überall Arbeitskräfte fehlen, ist es ganz sicher nicht sinnvoll, die Anforderungen immer weiter hoch zu schrauben.

Ich habe noch nie selbst in dem Bereich gearbeitet, kenne aber sowohl aus Besuchen in Altenheimen als aus meiner Zeit als Rettungssanitäter die Situation in Krankenhäusern und Heimen aus eigener Anschauung. Da gibt es pflegerische Aufgaben auf sehr unterschiedlichem Niveau, und mir kann niemand erzählen, dass eine differenzierte Job-Landschaft mit akademisch gebildeten Menschen und nicht akademischen Kräften nicht zumindest eine denkbare Möglichkeit ist. Wir müssen uns eben darauf einstellen, dass es nicht mehr für jeden Beruf genügend Menschen geben wird, die ideal qualifiziert sind.

Ich würde speziell in diesem Bereich auch auf notwendige deutsche Sprachkenntnisse hinweisen wollen.
Siehe auch hier: Anmerkung LdN370: Lösungen zu fehlender Arbeitskraft in Deutschland - #8 von Mike

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Um mal die Perspektive eines Vaters mit einem Kind mit Pflegegrad 4 (seit Geburt, inzwischen 8 Jahre alt) beizusteuern: Meiner Erfahrung nach kann jeder daran interessierte und hinreichend emphatische Mensch die nötige Kompetenz erlangen, um Pflegen zu können. Weder im Alltag bei meinem Sohn, noch bei meinem inzwischen verstorbenen Großvater oder meiner noch lebenden Großmutter ist mir bisher irgendwas aufgefallen, was nicht grundsätzlich „lernbar“ wäre, wenn man Interesse und Empathie mitbringt, egal welchen Schulabschluss man hat. Insofern muss in @vieuxrenard zustimmen.

Demonstrieren lässt sich das schon daran, dass ich seit Jahren viele Pflegeaufgaben erfolgreich übernehme und ich hatte vor der Geburt meines Sohns weder an solchen Verpflichtungen ein besonderes Interesse, noch bin ich ein überdurchschnittlich emphatischer Mensch oder sonst in irgendeiner Form charakterlich besonders für die Ausübung eines Pflegeberufs geeignet. (Weshalb ich das auch nie beruflich machen würde).

Ich habe außerdem recht viel Reise- und Arbeitserfahrung in verschiedenen afrikanischen Ländern. Darunter auch einige, aus denen man dieser Tage angebliche „Wirtschaftsflüchtlinge“ gerne wieder abschiebt. Viele der jungen Menschen dort, die ich persönlich kennengelernt habe, würden vermutlich exzellente Pflegekräfte werden. Man müsste sie dazu auch nicht durch die Sahara wandern lassen, sondern könnte sie einladen.

Die Aussage gilt aber für viele Berufe. Ob Elektriker, Busfahrer, in der Bank, Verkauf und vielen anderen Berufen. Gerade durch die Unterstützung von spezialisierten Programmen braucht man für vieles doch heutzutage keine individuelle Begabung mehr oder muss z.b. gut in Mathe sein. Da finde ich den Pflegeberuf noch eher eine Ausnahme, da hier mit Menschen umgegangen werden muss, was man nicht einfach lernen kann.

Man kann fast alles lernen.

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Darauf bin ich ja bereits im Ursprungspost eingegangen.

Es gibt beispielsweise vom ICN (International Council of Nursing) ein fünfstufiges Qualifikationsmodell. In der Schweiz wird es bereits ähnliche Strukturen.

Es gibt selbstverständlich Verrichtungen in der Pflege, welche nicht zwingend durch eine Person mit Bachelor- oder Masterabschluss durchgeführt werden müssen. Dennoch gibt es aber ein großes Feld an pflegerischen Aufgaben, die Weitsicht, Transfer, verknüpftes Denken, Reflexionsfähigkeit usw. verlangen, welche über eine reine Verrichtungsebene hinausgehen - dafür braucht es höher qualifizierte Menschen.

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Lernen kann man sicher vieles, wenn man es wirklich will und ein gewisses Interesse an der Tätigkeit habe.
(Wenn ich junge Menschen versuche für eine Ausbildung zum/zur Podologe/Podologin zu begeistern, mit tollen Berufsaussichten, höre ich meist nur „Ihh, Füße!“)

Ich kenne auch Menschen, die sich mit einem kleinen Handwerksbetrieb selbstständig gemacht haben, ohne einen handwerklichen Beruf erlernt zu haben. Autodidakten, funktioniert auch.

Was aber, weiter gedacht, viele unserer Berufsabschlüsse, auf die wir in Deutschland so viel Wert legen, etwas in Frage stellt.
Ohne der Berufsgruppe zu nahe treten zu wollen: muss man heute Verkäufer/in in zweijähriger Ausbildung mit IHK Abschluss lernen, oder reicht da dank Scannerkassen nicht auch ein Training in the Job? Ich habe keinen Nachweis mehr über Kompetenzen, aber braucht es die dann noch?

Und wie vergüte ich „angeignete“ Berufskompetenzen im Gegensatz zu erlernten und geprüften Berufsabschlüssen?

Wäre ja auch für Migranten eine spannende Frage.

Geht es hier eher um die Kompetenzen vergleichbar der einjährigen Ausbildung zur Pflegefachassistenz oder vergleichbar der dreijährigen generalisierten Ausbildung zur Pflegefachkraft?

Und wo ist jetzt der Unterschied zur Darstellung in der Lage? Du schreibst

Philip und Ulf sagen, dass wir auch Arbeitskräfte- und nicht nur Fachkräfte-Migration brauchen, auch in der Pflege. Die Existenz von Berufen mit höherer Qualifikationsanforderung negiert das doch nicht.

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Ich denke, das ist das ganz Zentrale: Fast alle Berufsfelder haben Teilaufgaben, die nicht groß studiert, sondern „einfach gemacht“ werden müssen. Diese Teilaufgaben zu erkennen und aus dem Aufgabenbereich der „hochqualifizierten“ Fachkräfte herauszulösen, sorgt für Win-Win-Situationen, in denen die einen Arbeit finden und die anderen Zeit gewinnen können.

Eine Frage, der sich vor allem der Öffentliche Dienst mal öffnen sollte…

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…was allerdings die Frage nach den nötigen Deutschkenntnissen nicht wirklich beantwortet. Scheint ja tatsächlich ein Problem zu sein…

In der Lage hat es zuvor bereits an mehreren Stellen geheißen -ich paraphrasiere-: “Wir brauchen nicht nur Fachkräfte sondern auch Arbeitskräfte - Busfahrende, Pizzabot:innen und Menschen die Pflegen.”

Ich sage: Ein Großteil der Pflege setzt sich aus Anforderungen zusammen, die eine Fachkraft ausführen muss und keine ungelernte oder einjährig gelernte Hilfskraft.

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Auch Deutsch kann man lernen.
Das Problem sind vielleicht eher fehlende Deutschkurse oder fehlende Fortbildungsmöglichkeiten.

Und wenn jetzt -wie sich ankündigt- die „Arbeitszwang“-Diskussion voll beginnt, werden die betroffenen Menschen noch weniger Möglichkeiten haben, Deutsch und Beruf zu lernen.

Warum nicht die Menschen gut ausbilden? Muss ja nicht immer ein Master sein.

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Ok, fair, verstehe ich. Dann ist die Aussage im Podcast nicht falsch, aber wirft durch die Art der „Eingruppierung“ ein ungünstiges Licht auf den Beruf.

Ich möchte eine alternative Blickrichtung vorschlagen: Statt „Was brauchen die Berufsgruppen für Arbeits- und/oder Fachkräfte?“ fragen wir uns „Was für Arbeits- und/oder Fachkräfte braucht die Bevölkerung?“. Und das dann noch mit dem Hintergedanken „Wen muss ich mit einem positiven Bild von Migration überzeugen?“. Dann ist die (meinetwegen unzureichende) Einordnung „Wir brauchen Arbeitskräfte in der Pflege“ vermutlich mit das beste Argument: Ich wage zu behaupten, dass wir viele „migrationskritische“ Menschen eher mit „Sonst pflegt dich keiner“ als mit „Wir werden in der Digitalisierung abgehängt“ oder „Sonst kommt der Bus (noch) seltener“ erreichen.

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Das war mein Punkt.
Das macht ein Arbeitgeber ja nicht noch nebenbei mit