Müssen wir wirklich aufrüsten? Wenn ja wie viel?

Wie in dieser Studie (in Auftrag gegeben von Greenpeace) zu lesen ist, ist die Nato Russland in 5 von 6 Kategorien deutlich überlegen (Militärausgaben, Großwaffensysteme, Truppenstärke, Militärische Einsatzbereitschaft, Rüstungsbeschaffung und Produktion). Ein Gleichgewicht herrscht „nur“ auf dem Feld der Nuklearwaffen.

Erstmal finde ich das beruhigend und eine gute Nachricht. Darüber hinaus, wirft es natürlich die folgende Frage auf: wie weit müssen wir (die NATO Staaten im allgemeinen und im speziellen Deutschland) eigentlich aufrüsten? Ich finde das durchaus eine wichtige Debatte, die mir im Moment etwas zu kurz kommt, da die Annahme, wir müssen aufrüsten häufig unwidersprochen hingenommen wird. Ich bin auch nach wie vor gar nicht prinzipiell gegen Aufrüstung aber: die Frage wie viel und warum sollten wir als Gesellschaft vor dem Hintergrund einer solchen Überlegenheit diskutieren.

Mir ist bewusst, dass eine Greenpeace Studie vermutlich nicht neutral ist (zumindest wird die Fragestellung nicht neutral gewesen sein). Allerdings würde ich unterstellen, dass es auf der Seite derer die für Aufrüstung plädieren auch Interessensgruppen gibt, die von einer Aufrüstung profitieren und daher auch die Argumente pro Aufrüstung mit Vorsicht zu genießen sind (wie z.T. hier in diesem Thread diskutiert). Von daher finde ich diese Studie einen wertvollen Beitrag zu der Debatte, da sie mit einer anderen Annahme auf das Problem schaut.

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Interessante Frage.

Dazu gehört vielleicht auch die Frage, was ist das Ziel?
Also unseres Wunsches nach Sicherheit, woraus ja die Aufrüstungsbemühungen wohl resultieren.

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Der Vergleich NATO vs Russland ist schon unsinnig.

  1. hat auch Russland weitere Verbündete
  2. wäre auch im Falle eines Angriffs kein Land verpflichtet mit allen Mitteln einzugreifen
  3. geht es ja vor allem auch darum die Abhängigkeit von den USA zu mindern
  4. werden oft nur direkte Militärausgaben einbezogen, gerade Russland hat aber auch viele Ausgaben die erst auf Umweg dem Militär zugute kommen (bei den usa ähnlich)
  5. wäre die Frage ob die Zahlen kaufkrafbereinigt, aktuell und seriös sind.
  6. ist ein Militärsystem das 5 mal so teuer ist nicht militärisch 5 mal so nützlich. So verteuern z.B. Schadstoffgrenzwerte die waffensysteme in Deutschland.

Man sollte sich doch für die Beantwortung der Frage ob Deutschland mehr Rüstung braucht er folgende Fragen beantworten:

  1. Wie lange reicht die Munition?
  2. wie sieht es mit der Verfügbarkeit der vorhandenen Systeme aus?
  3. wie sieht es mit der Verfügbarkeit von Ersatzteilen aus?
  4. welche Systeme sind technisch veraltet?
  5. welche Systeme sind aktuell gar nicht vorhanden?
  6. wie schnell wäre die Bundeswehr einsatzfähig?
    Etc.

Ich denke über diese Punkte kommt man schnell dazu die Frage ob ein „Aufrüsten“ nötig ist beantworten zu können.

Natürlich kann man auch zu dem Schluss kommen, dass Deutschland gar keine einsatzfähige Bundeswehr braucht, dann wäre es aber nur konsequent diese gleich ganz abzuschaffen statt ein teures System zu unterhalten welches im Fall der Fälle nichts nutzen würde.

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Bis zum Ukraine Krieg war ich absoluter Pazifist und gegen jede Art der Aufrüstung.
Meine eindeutige Meining dazu konnte ich in den letzten Jahren leider nicht aufrecht erhalten.
Es ist wichtig, verteidigungsfähig zu bleiben und sogar ein gewisses Abschreckungspotential zu zeigen.
Was bedeutet das?
Die Nato mag aktuell gut aufgestellt sein. Jedoch (ohne Recherche - an dieser Stelle darf gerne korrigiert werden) maßgeblich gestützt durch die USA.
Wie sieht die Studie abzüglich der USA aus?
Wie gut schneiden wir in besagten Kategorien ab, wenn die USA, wie Trump angekündigt hat, Unterstützung zurückfahren.

Wir als Europa (oder wir als Nato ex USA) müssen auch selbstständig über ausreichend Potential verfügen

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Ich glaube, dass die direkte militärische Bedrohung durch Russland für die NATO und Deutschland speziell nicht der entscheidende Punkt ist. Die osteuropäischen Staaten müssen sich aber auf D als Verbündeten im Ernstfall verlassen können.

Wenn es um die Bundeswehr geht, hat mir dieser Artikel (der sicher nicht das vollständige Bild zeigt, in beide Richtungen, aber einen ersten Überblick ermöglicht) gezeigt, dass es weniger um Aufrüstung als quasi um Wiederbewaffnung geht:

Die personelle Ausstattung liegt ebenfalls unter dem Zielpfad und die demographische Entwicklung spricht nicht dafür, dass sich das ändert, egal was Pistorius und andere sagen. Daher kann eine möglichst moderne Ausrüstung, mit der Soldat:innen möglichst sicher und effizient eingesetzt werden können, auch nicht schaden.

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Nach dem Wahlergebnis auf die USA als Sicherheitsfaktor oder überhaupt als verlasslichen Partner in irgendeinem Bereich zu setzen, ist mMn mindestens fahrlässig. Sicherheitspolitik muss vom worst case ausgehen. In verschiedenen Situationen konnte man erahnen, dass die Europäer schon bei relativ kurzen und kleinen Konflikten (Libyen) Schlüsselfähigkeiten in der Aufklärung, Logistik, Munition, Personal etc. entweder komplett von den USA bekommen müssen oder nach wenigen Tagen nicht mehr bereitstellen können. Ich denke, man muss sich überlegen, wie viel unseren Feinden ein erfolgreicher Überfall bspw. auf Osteuropa wert wäre und was wir brauchen, damit so ein Überfall nicht nur möglicherweise, sondern garantiert teurer würde. Was Russland bereit ist, für die Ukraine zu opfern, macht deutlich, wie viel Leid und Zerstörung wir der russischen Führung androhen müssen, inklusive der sichtbaren Entschlossenheit, das auch zu tun. Ich mache mir genausowenige Sorgen über zuviel Rüstung, wie über zuviel Klimaschutz oder bspw. Frauenhäuser. Keine. Wir können jeweils froh sein, wenn die Mindestanforderungen nicht komplett ausser Sicht geraten. Aber dafür schützen wir mit dem Verzicht auf faire Erbschafts-Vermögenssteuern und eine entsprechende Reform der Einkommenssteuern das gottgegebene Recht von 2 Familien auf 42% des Vermögens. Unsere Lebensgrundlage und Sicherheit werden also nicht umsonst geopfert.

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Du kannst die Studie einfach lesen, da steht das nämlich drin (Kurzfazit: auch die NATO minus USA ist Russland immer noch immer noch in 4 der 6 Bereiche überlegen. Natürlich hat Russland aber mehr Atomwaffen als die europäische NATO.)

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Aber Zahlen hin, Zahlen her, Fakt bleibt doch, dass die Bundeswehr aktuell nicht einsatzfähig ist.

Wir verlangen ja auch nicht, dass jeder Nato Staat aufrüstet, sondern es geht jetzt mal ganz konkret hier um Deutschland. Und in einem solchen Bündnis gehört es eben auch dazu, dass jeder seinen Teil beiträgt.

Ich bin der erste der sofort dafür wäre eine gemeinsame europäische Armee mit gemeinsamer Beschaffung zu schaffen, falls dies bei gleichen oder niedrigeren kosten die Verteidigungsfähigkeit signifikant verbessern könnte.

Solange sowas aber nicht in Sicht ist bleibt einem Land wie Deutschland ja nichts anderes übrig als seinen Beitrag zu leisten und das eben auch real und nicht nur auf geschönten Papieren.

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Das geht mir auch so und auch ich konnte meine Haltung zum Thema ebenfalls nicht erhalten.

Die grosse Frage ist: Warum?

Nun, wir haben eine neue und sehr viel komplexere geopolitische Lage, in der die Welt leider nicht mehr in festen Wertebündnissen funktioniert. Wir können uns auf unseren grössten „Aufpasser“ die USA nicht mehr vorbehaltlos verlassen, gleichzeitig können wir uns aber auch nicht mehr auf diplomatische und friedliche Lösungen verlassen. Das hat lange funktioniert, der Angriff auf die Ukraine zeigt aber, dass es auch anders geht.

Dazu gesellen sich neue Mächte, denn während China lange nur eine untergeordnete Rolle in der Weltpolitik spielte, sind sie jetzt überall auf der Welt mit drin, gleiches gilt immer stärker auch für Indien. Auch, wenn diese Staaten sich bisher nicht für uns Europäer zentral relevant kriegerisch inszeniert haben, sehen wir in gewisser Weise schon eine Nähe von China und Russland. Es ist unwahrscheinlich, dass China oder Indien Europa angreifen, aber Europa ist aktuell dennoch nicht in der Lage ohne die USA eine funktionierende Verteidigung zu gewährleisten, sollte es beispielsweise durch Putin zu einem Angriff kommen. Wir können uns nicht mehr leisten, diese Lücke offen zu halten.

Meine Sorge hierbei geht in folgende Richtung:

Angenommen, Russland greift einen NATO Staat in Europa an, werden dann alle europäischen Bündnispartner mit voller Härte hinter dem Bündnis stehen? Würden Franzosen, Spanier und Deutsche (und natürlich alle anderen) für Polen sterben? Wenn nicht stirbt die komplette europäische Bündnisidee. Ich vermute, dass genau das auch ein Bisschen Putins Überlegungen sind. Die Existenz der EU würde mit einem einzigen Panzer-Grenzübertritt bei Polen in Frage gestellt, wenn keine entschlossene Reaktion folgt. In diese Richtung gibt es bereits verschiedene Anzeichen.

NATO und Russland: Wie groß die Kriegsgefahr ist

Wir brauchen folglich eine starke Verteidigung, um überhaupt die Idee der gemeinsamen europäischen Wertegemeinschaft sicherzustellen. Es ist eben nicht nur eine Wirtschaftsunion.

Und genau da muss ich sagen, finde ich die Schaffung einer europäischen Armee - zumindest aus einem bestimmten Kontingent der jeweiligen nationalen Armeen - gar keine grundsätzlich dumme Vorstellung. Im Gegenteil, wenn junge Menschen aus Europa miteinander arbeiten müssen, lernen sie sich kennen und stehen kameradschaftlich zueinander, im Idealfall stärkt das sogar den Wert, den wir Europa in Zukunft beimessen. Das könnte Kosten sparen und standardisierte Beschaffung von Waffensystemen, Munition etc. ermöglichen. Zudem könnten sich einzelne Staaten ggf. auf etwas vertieft fokussieren.

Und damit zum wie viel: Ich denke, die 2% des BIP sind ein guter Richtwert. In Kombination mit Europa-Sourcing und Zusammenlegung eines Teils der Streitkräfte, vermute ich, dass diese 2% auch deutlich wirksamer wären als sie es heute sind.

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Dazu kommt noch die fehlende Zuverlässigkeit der europäischen Verbündeten. Die Ukraine hatte keinen Artikel 5, aber die Sicherheitszusagen aus dem Budapester Memorandum. Diese einzuhalten wäre mit der unverzüglichen und beschränkungsfreien Lieferung von Waffen sehr wahrscheinlich möglich gewesen. Aus Angst vor Russland und vor innenpolitischen Kritikern ist das nicht passiert. Aber wenn Russland in Riga steht, sollen die gleichen Regierungen zigtausend Menschen in den Tod schicken und Nuklearschläge aus Russland riskieren, um die zu vertreiben? Kann sein, dass das heute klappen würde. Aber in 5 Jahren? Mit Orban, le pen und welcher Torrie-Horrorclown auch immer dann grade seine 15 Minuten als Premierminister im UK haben wird? Und was soll Spanien und Portugal motivieren, ihre Jugend weit weit weg sterben zu lassen? Wenn aus den USA nichts oder vielleicht nur halbherzig geholfen wird?
Von daher halte ich den Vergleich Nato-Russland für keinen guten Ratgeber in der Frage (mehr). Wir müssen selbst stark und entschlossen genug sein, um mit verlasslichen Partnern in Osteuropa eine glaubwürdige, konventionelle Abschreckung aufzubauen. Wie verlässlich Deutschland in 5 Jahren in so einem Fall wäre, steht eh noch auf einem anderen Blatt, aber falls die Anständigen und Vernünftigen noch eine Mehrheit haben sollten, fände ich gut, wenn sie dann nicht an fehlenden Mitteln scheitern.

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Leider sind in fast allen Demokratien aktuell die „grundsätzlich dummen Vorstellungen“ auf dem Vormarsch. Klug wäre es, mehr Europa zu wagen. Aber in der real existierenden Wahlbevölkerung chancenlos, fürchte ich.

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Das stimmt schon, aber ich glaube, selbst Orban könnte sich mit einer Art „EU Special Force“ Einheit anfreunden. Man muss denke ich vom kleinen Brötchen zum Laib Bauernbrot kommen in diesem Thema.

Aber es ist natürlich korrekt, dass aktuell verschiedene Fraktionen das Ganze zu einer grossen Hürde machen.

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Da sollte man aber erst einmal definieren, was man unter „einsatzfähig“ versteht. Das geht ja von humanitären Hilfen im In- und Ausland bis zum Bündnis- bzw Verteidigungsfall.
Und dafür muss man objektiv die Bedrohungen gewichten und allen auch Kosten zuordnen. Und dann muss die Regierung entscheiden, wo es ein Delta gibt und entsprechend handeln.

Und hier geht es ja nicht nur um Waffensysteme und Munition etc, sondern eben auch um Truppenstärke und Fähigkeit mit den Waffensystemen umzugehen etc. Ein Delta ist dort sicherlich nicht von heute auf morgen zu schließen, immerhin haben wir en Generationenproblem insbesondere in den nächsten 20 Jahren, wo sollen die Soldaten herkommen?

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Sehe ich ähnlich. Wenn morgen ein Feind an der Grenze stünde, dann würden da schon kampffähige Verbände der Bundeswehr anrücken. Sicherlich nicht so viele, wie man sich wünschen würde, aber wo hat man das schon.

Auf welche Seiten beziehst du dich dabei? In der Zusammenfassung ist beispielsweise zum zentralen Aspekt „militäische Einsatzbereitschaft“ von den USA gar nicht die Rede. Und das Executive Summary hebt bei diesem Aspekt die besondere Rolle der USA sogar noch hervor.

Mir ist auch nicht ganz klar, mit welchem Ziel die Studie überhaupt argumentiert. Es gibt glaube ich niemanden, der davon ausgeht, dass Russland einen konventionellen Krieg gegen sämliche NATO-Staaten gewinnen würde. Auf dieses Szenario laufen aber die Vergleiche in der Studie immer wieder hinaus. Viel wichtiger ist doch die Frage, wie wirksam die Abschreckung von NATO-Ländern einen russischen Angriff überhaupt verhindern kann und wie viel Schaden dieser anrichten könnte, wenn das nicht gelingt. Dabei sollte man auch unabhängig von den USA nicht einfach leichtfertig das gesammte Waffenarsenal aller NATO-Mitglieder (etwa der Türkei) einfach mitzählen. Und auch der Unterschied zwischen auf dem Papier bestehenden Anzahlen von Waffensystemen und Einsatzstrukturen und dem was tatsächlich effektiv on the ground zum Einsatz kommen kann, scheint in der Studie nicht wirklich eine Rolle zu spielen.

Was doch wieder zur Frage führt, was wollen wir?
Was soll die Bundeswehr können? Unter welchem realen Bedingungen (Bündnis).? Wieviel sind wir bereit für unsere Art zu leben und diese zu verteidigen beizutragen?
Was ist uns das wert?

Dazu interessantes Interview:

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Ab Seite 53, „Zusammenfassung“ (im restlichen Text wahrscheinlich noch detaillierter) steht:

Selbst wenn man die USA als weltweit größte Militärmacht, die USA, außenvorlässt, sich nur auf die Militärausgaben der europäischen Nato-Staaten beschränkt und gleichzeitig auch die unterschiedliche
Kaufkraft in den europäischen Nato-Staaten sowie in Russland berücksichtigt, investiert die Nato immer noch mehr in die Streitkräfte als Russland (430 Milliarden US-Dollar zu 300 Milliarden US-Dollar).

Die Ergebnisse der statistischen Auswertung belegen eindeutig, dass es in keinem der klassischen
Bereiche von Großwaffensystemen einen Nachholbedarf für das Nato-Bündnis gibt, selbst wenn man die Kapazitäten der USA nicht berücksichtigt.

Aus den übrigen Nato-Staaten stammen dreißig Rüstungsunternehmen in den Top 100, die etwa ein Fünftel des Gesamtrüstungsumsatzes erzielten.

Zur Truppenstärke verweise ich auf Tabelle 4 auf Seite 26.

Zur Einsatzfähigkeit sind die Kriterien wohl weniger klar und da konnte ich jetzt keine eindeutige Abgrenzung USA vs Rest-Europa ausmachen. Werde das im vorigen Post korrigieren.

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Meine Art zu leben wird jedenfalls auch durch hohe Rüstungsausgaben bedroht.

Das ist aber der entscheidende Punkt. Der Rest ist wie schon begründet ziemliche Erbsenzählerei.

Du bist herzlich eingeladen, den Abschnitt im Paper dazu zu lesen und fundierte Krtik einzubringen.