Moralische Fragen zu ETFs

Ich höre euren Podcast sehr gerne und wollte aber mal etwas zu ETF-Anlagen anfragen Ich weiß grundsätzlich, dass ETFs individuell eine gute Investition sind. Für mich bringt das aber moralische Fragestellungen mit sich. 1. Vergrößern Aktieninvestitionen nicht Ungleichheit durch Einkommen, die nicht auf Arbeit beruhen? 2. Finanziere ich durch diese Art der Investition nicht ggf. Unternehmen, denen ich mein Geld gar nicht geben will? Und 3. Bedeutet die Unterstützung von Aktienunternehmen nicht indirekt, dass ich stetiges Wachstum unterstütze, weil Aktiensysteme nur unter der Voraussetzung von stetigem Wachstum funktionieren? Würde mich freuen, wenn ihr darauf einmal eingehen könntet. VlG Lisa

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Mir persönlich wäre der Aspekt wichtig, dass arme Menschen sich nicht leisten können, jeden Monat Geld dauerhaft zu sparen.
Wenn man die Versorgung im Alter von solchen Sparmodellen abhängig macht, lässt man einen großen Teil der Bevölkerung zurück.

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Wobei es ja so ist, dass wir auch ohne diese Altervorsorge per ETF schon heute auf private Altersvorsorge angewiesen sind. Ein Verzicht auf solch ein Altersvorsorgedepot würde also auch den Armen Menschen rein gar nichts bringen.

Vielmehr müsste man sich generell Gedanken machen wie man diese Altersvorsorge so gestalten kann, dass mehr Menschen profitieren.

Und dabei geht es ja auch darum, dass ein Ziel auch ist, dass jeder seinen individuellen Lebensstandard auch im Alter halten kann.

Ich könnte mir vorstellen, dass man einen Zuschuss z.B. nicht pauschal mit 20 Cent pro Euro gestaltet sondern z.B. so, dass ein Einkommen im ganz unteren Bereich den Zuschuss auch bekommt ohne selbst mehr einzuzahlen, während jemand der sehr gut verdient dann schon deutlich mehr anlegen müsste um den kompletten Zuschuss zu bekommen. Und ab einem Gewissen Einkommen wird diese Summe so groß, dass in der Regel nicht so viel in ein solches Depot eingezahlt wird als dass es überhaupt diesen Zuschuss in voller Höhe geben würde.

Also z.B.
Mindestlohn mit Kind: Zuschuss ohne eigene Zuzahlung
Mindestlohn ohne Kind: Zuschuss: 1:1
30.000 € Einkommen mit Kind: Zuschuss 2:1
etc., natürlich gilt das Verhältnis immer bis zum Deckel.

So würde z.B. auch jemand mit wenig Einkommen vom Zuschuss profitieren.

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Das wäre auch mein Hauptkritikpunkt am geplanten geförderten ETF-Sparen.
Das Instrument, das Reiche reicher macht (Beteiligung an Produktivvermögen) sollte auch Ärmere reicher machen, und das nicht nur auf freiwilliger Basis.
Viele Arbeitnehmer verfügen nicht über die Mittel oder wollen diese nicht in Vorsorgeprodukte stecken (z.T. auch da der Begriff durch die Riester-Rente verbrannt ist)
Deshalb halte ich es für sinnvoll, in irgend einer Weise das schwedische AP7-Modell in die Altersvorsorge einzubauen.
Das würde dann auch Geringverdienern zu gute kommen.

Nein, gerade nicht. Sparen mit Investition in Produktivkapital, am besten breit-möglichst gestreut, dient der Vermögensbildung. Wie sonst sollen Menschen und für ihr Alter Vermögen bilden in einer Zeit, in der das Umlageverfahren im Rentensystem scheitern muss?

Diese Diskussion wurde in gefühlt 10 Threads bereits ausführlich geführt.

Nein, mit dem Kauf von ETFs an der Börse finanzierst Du keine Unternehmen. Soweit ETFs überhaupt physische Aktien enthalten (viele ETFs bilden den Index synthetisch, d.h. mit Derivaten ab, die nie zur Finanzierung von Unternehmen beitragen), enthalten sie so gut wie nie neu von Unternehmen emittierte Aktien (nur diese dienen der Finanzierung von Unternehmen), sondern wurden an der Börse von anderen Aktienbesitzern gekauft. Aber ja: Mit dem Kauf von Aktien wird der Aktienkurs gestützt und damit die Grundlage gelegt für die zukünftige Emission von Aktien.

Das, was vom Konzept der Bundesregierung bekannt ist, erlaubt das Investieren in Aktien, Fonds und ETFs Deiner Wahl. Wer auf einen Teil von Sicherheit und Wohlstand im Alter verzichten will, um bestimmte Unternehmen nicht zu unterstützen, kann dies tun.

Ob das klug ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Das sollte nicht zur moralischen Messlatte für alle werden, die selbst für ihr Alter vorsorgen möchten und erkannt haben, dass dafür das Sparen in breit aufgestellte Index-ETFs das mit Abstand beste Instrument dafür ist.

Die Diskussion um Wachstum vs. Klima wurde hier im Forum immer wieder geführt. Mein Fazit daraus und als Volkswirt: Es gibt in der Wissenschaft keine Theorie und kein Modell, wie eine Marktwirtschaft ohne oder sogar mit negativem Wachstum funktionieren kann, ohne dass unser aller Wohlstand nicht entsprechend sinkt. Das wird in demokratischen Staaten niemals passieren, weil niemand Politiker wählen wird, die das „im Programm haben“.

Ja, mir fehlt auch die Fantasie, wie wir Klima und Umwelt schützen bzw. wieder herstellen können, wenn wir immer und immer mehr Ressourcen verbrauchen und in die Umwelt bzw. in die Atmosphäre „entsorgen“. Ich habe auf diese Frage keine Antwort gefunden, die nicht auf die marktwirtschaftliche Dynamik (v.a. beim Klimaschutz wichtig!) verzichten will.

Ohne eine Antwort darauf ist es einfach unklug, auf das bislang effizienteste Instrument zur Alterssicherung zu verzichten.

Ja, das stimmt. Mir ist völlig unverständlich, warum das Konzept der Bundesregierung nicht ein wichtiges Element des schwedischen Rentensystems enthält: Ein Teil der Rentenbeiträge wird, statt in die Umlage für Finanzierung der aktuellen Renten, in ein Investmentkonto mit Fonds oder ETFs investiert, aus dem später die eigene Rente finanziert wird.

Die Versorgung im Alter fußt aktuell auf drei Säulen:

  1. Die staatliche, umlagefinanzierte (magere) Rente,
  2. die betriebliche Rente (die von immer mehr Arbeitgeber angeboten wird) und
  3. die eigene Altersvorsorge.
    Letztere können sich der ärmere Teil der Bevölkerung nicht leisten. Aber die beiden anderen Säulen gibt es auch.

@Margarete : Was wäre denn Dein Lösungsvorschlag.

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Die Rentenversicherung gibt es seit über hundert Jahren, sie hat allein in Deutschland Millionen Menschen (als alleinige Geldquelle im Alter) durch den Ruhestand gebracht.

Die staatliche garantierte Auszahlung wirkt in Krisen wie Corona außerdem stabilisierend auf den Konsum, weil Rentner nicht überlegen müssen, ob sie in der Krise zu einem ggf. schlechten Kurs ihre Fondsanteile usw. verkaufen wollen.

Da finde ich deine Bezeichnung von Kapital-gedeckter Vorsorge als effizientestes Mittel ehrlich gesagt etwas kurzsichtig.

Da traust du mir eine Menge Fachwissen zu :wink:
Meine grundlegenden Ideen gehen in eine andere Richtung:
Erbschafts- und Vermögenssteuer, die den Namen verdienen, kombiniert mit Altersgrundsicherung, die ebenfalls den Namen verdient. Hindert niemanden daran, privat zusätzlich vorzusorgen.
Im aktuellen System auf jeden Fall höherer Mindestlohn, denn auch die niedrigen Löhne sorgen für niedrige Renten.
Wichtig wäre auch sozialer Wohnungsbau durch den Staat, auch wenn dieser Punkt dann eher auf der Ausgabenseite aufzuführen ist.
Aber wie gesagt: Ich bin weder Expertin noch Politikerin. Es gibt Menschen, die werden dafür bezahlt, sich gute Lösungen auszudenken. Und zwar für die ganze Bevölkerung und nicht nur für diejenigen, bei denen am Ende des Monats noch Geld auf dem Konto ist. Nicht zu vergessen auch die Menschen, die es nur schaffen, für anstehende Anschaffungen etwas zurückzulegen (Auch arme Menschen haben kaputte Waschmaschinen, Schulausflüge der Kinder etc.).

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Ich stimme dir zu, dass sich das Umlagefinanzierte System in gewissem Umfang als effektiv herausgestellt hat. Beispielsweise durch den von dir genannten Effekt. Allerdings zeigt sich doch gerade, dass dieses System alleine nicht mehr voll umfänglich funktioniert. Was die Effizienz angeht, dann holt es aus einem eingesetzten Euro definitiv weniger raus, als eine z.B. über ETFs.

@TilRq sagt aber doch auch klar, dass es nicht nur das eine oder andere sein soll, sonder eben mehrere Säulen. Hier finde ich, dass dann aber die moralische Frage ist, ob der Staat die dritte Säule, die sich nicht jeder leisten kann auch noch durch Steuergelder unterstützen sollte. Hier fände ich es hilfreicher, wenn das Geld mindestens in eine Kapitalmarkt-basierte Rente fließt, die allen zugute kommt (also Säule 1 unterstützt).

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Aber das Problem ist, dass es für diese Vermögensbildung bereits viel zu spät ist, damit sie etwas zur Lösung der Krise des umlagefinanzierten Rentensystems beiträgt. Die Größte Belastung des Rentensystems haben wir über die nächsten 20 Jahre während die Baby-Boomer in Rente gehen. Danach stabilisiert sich die Bevölkerungspyramide wieder etwas.

Aber das heißt, dass die Baby-Boomer vor 20 Jahren privat hätten vorsorgen müssen, haben sie aber nicht getan. Jetzt noch 5-10 Jahre vor der Rente schnell was in ETFs zu stecken bringt nichts mehr.

Standessen sollen die Jungen jetzt die Doppelbelastung schultern, die Renten der Boomer zu finanzieren und gleichzeitig privat vorzusorgen.

Ja. Wie (irgendwo hier schon gesagt): Die Politik hat seit den 80er „verpennt“, sich um die Rente zu kümmern. Besser: Da die notwendigen Reformen heute schmerzhaft und der Erfolg nicht mehr in dieser und auch nicht in der nächsten Legilaturperiode kommt, konnten Politiker, die die Rente reformiert hätten, keine Dank der Wähler erwarten, eher im Gegenteil.

Leider ist ein demokratisches System mit Wahlperioden von 4-5 Jahren einfach nicht geeignet, große, nur sehr langfristig lösbare Probleme, deren Lösung kurzfristig „Schmerzen“ bedeuten, zu lösen: Wohnen, Rente, Klima, Umwelt, Ungleichheit, Migration, Fachkräftemangel, Bildungsgerechtigkeit, …

Genau wie Präventionsmaßnahmen, sind teuer und den Erfolg sieht niemand: Infrastrukturinstandhaltung, Public Health (politische Maßnahmen gegen ungesundes Verhalten), Verteidigung, Bildung, …

Eine etwaige Schlussfolgerung, dass daher die Demokratie gescheitert ist und wir wieder einen starken Mann brauchen, der das alles regelt (d.h., AfD wählen), ist aber völlig falsch! Der hätte ja noch weniger Anreiz, das tun. Denn es würde aus gleichen Gründen nicht seinem Machterhalt dienen.

Die Lösung? Wüsste ich auch gern…

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Ja, aber in den weit über hundert Jahren gibt es aktuell zum ersten Mal die Situation, dass die in sozialversicherungspflichtigen Jobs arbeitende Bevölkerung sehr viel mehr Renter finanzieren müssen. Das geht schon rein mathematisch nur, wenn die Beiträge stark steigen und/oder das Renteneintrittsalter stark steigt und/oder wenn die Rentenhöhe sinkt. Alles drei Effekte sehen wir. Ein immer größer werdende Teil der Rentner kann von seiner Rente nicht mehr leben (und, ja, hatte privat nicht vorgesorgt - wobei die meisten Betroffenen auch nie die Möglichkeit hatten, regelmäßig Geld zurückzulegen).

Das Problem wird sich in den nächsten Jahrzehnten verschärfen!

Nein. Richtig gemacht ist die Kapital-gedeckte Vorsorge - gern auch innerhalb des staatlichen Pflicht-Rentensystem - sicher, und sehr viel rentabler, als das umlagegedeckte System je war. Wir brauchen eine staatliche Alterssicherungsagentur, die teils verpflichtend (Rentenbeiträge), teils mit Anreizen alle Menschen (also auch Selbstständige, Beamte, …) zu mehr Vorsorge bringt und dabei dafür Sorge trägt, dass grundlegende (und gar nicht so komplizierte) Regeln eingehalten wird, damit die kapital-gedeckte Rente sicher und höchstmöglich ist.

Wer das wieder dem Markt - sprich: den Finanzdienstleistern, die schon die letzten 50 Jahre den Menschen minder-performante Finanzprodukte angedreht hat - überlässt, handelt fahrlässig, entweder aus mangelndem Wissen oder lobby-getrieben.

Alles gute Punkte, die eine gute Rentenpolitik unbedingt flankieren sollten!

Du meinst Politiker oder Ministerial- und Verwaltungsbürokraten? Wenn die nicht Lobby-getrieben handeln würden, sondern die aktuellen Erkenntnisse der Wissenschaft einfach umsetzen würden, wäre das gut:

  1. Umlagefinanzierte Systeme können in den nächsten 20-30 Jahren nicht funktionieren.
  2. Die effizienteste Möglichkeit, Vermögen zu bilden, ist der Kapitalmarkt. Aber nicht mit Finanzprodukte, die erst einmal eine hohe Vertriebsprovision finanzieren müssen und dann staatlich reglementiert so abgesichert werden, dass sie kaum noch rentabel sind. Sondern mit den inzwischen gut bewährten Instrumenten, die sehr breit gestreut und ohne teueres und meist ineffizientes aktives Management anlegen, wie Index-ETFs. In einem staatlich beaufsichtigten System wie in Schweden. Am Besten wahlweise mit einem staatlichen Fond (wie in Schweden)
  3. Teilweise verpflichtend (beitragsfinanziert, auch für Beamte, Selbstständige, …), teilweise über Anreize (Steuervorteile, Zuschüsse), um für die zweite (Betriebsrente) und die dritte (private Altersvorsorge) Säule anzureizen. Aufgrund der gewährten Anreise dürfen die Anleger grundsätzlich aber nicht vor ihrem Renteneintritt an das Vermögen ran (oder müssen Steuervorteile und Zuschüsse zurückzahlen).
  4. Man könnte überlegen, ob einen Teil der Erbschaftssteuereinnahmen (aus einem radikal reformierten Erbschaftssteuersystem) für Menschen anlegt, die mangels adäquaten Einkommen nicht sparen können.
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Hallo liebes Lage Team und Forum,

ich muss leider auch sagen, dass mich euer … Input zu ETF-Sparplänen sehr überrascht und enttäuscht hat. Auch schreibe ich hier nochmal, da ich finde die anderen Kommentare die idologische Kritik nicht ausreichend ausführen und mangelndes volkswirtschaftliches Verständnis aufzeigen.

Bei eurem sonstigen Gerechtigkeitsverständnis bin ich enttäuscht wie ihr das unkommentiert und unkritisch übernommen habt, da diese Entwicklungen keineswegs zu Gerechtigkeit beitragen, sondern Ungerechtigkeiten verschärfen.

Es kann doch nicht sein, dass unsere Lösung nun ist „Rette sich wer kann!“. Das Versprechen der Rente ist, wer gearbeitet und eingezahlt hat - dem wird auch ein würdiges Leben im Alter abgesichert. In Kurzform, die ich unten detaillierter Ausführen werde, sollte die Rente nicht vollständig durch private Aktienkäufe abgesichert werden, sondern durch vernünftige Löhne, gute Ausbildung von zukünftigen Arbeitskräften und zukunftsfähigem Unternehmertum und Umverteilungsmaßnahmen von Überreichtum. Das bedarf jedoch massive Investitionen wie es mittlerweile sogar die Industrieverbände fordern (400 - 600 Mrd. Investitionsdefizite über die nächsten 10 Jahre). Ihr verkennt außerdem …, dass große Teile der deutschen Gesellschaft zunehmend verarmen und das nicht ihr Eigenverschulden ist, sondern Politikversagen, vorrangig zu Gunsten der Reichen.

Dazu ein paar Gedanken und Punkte:

Die moralische Kritik breitflächiger Unterstützung unethischer Unternehmen wurde bereits in einem anderen Post ausführlich angebracht. Dabei ist es sehr fragwürdig, ob wir die derzeitigen Entwicklungen wirklich unterstützen wollen (selbst ESG Kriterien sind ein Witz) und ob dies volkswirtschaftlich nachhaltig ist (ökologisch sicher nicht).

Unter anderem sprecht ihr von einer „Magie“ der ETFs. Aktien sind keine Magie. Aktienausschüttungen bedeuten, dass man Geld mit der Arbeit anderer Leute verdient, die man selber nicht verrichtet hat. Geld, dass diesen Menschen zusteht die tatsächlich Wertschöpfung erbracht haben. Arbeiter die von den Rekordprofiten ihrer Unternehmen aber nichts abbegekommen, da diese es an ohnehin schon Wohlhabende und Reiche ausschütten. Geld das nicht in die Löhne, Verbesserung der Arbeitsbedingungen oder Innovationen fließt. Die Reallohnentwicklungen in Deutschland bleiben seit 2 Jahrzehnten auf der Strecke und das Geld fließt ab in die Taschen der Unternehmer, Reichen, und Erb:innen.

Die Verteilung auf dem Aktienmarkt ist extrem ungleich …
Außerdem verdienen viele Unternehmen mittlerweile selbst mit Anlagen und fragwürdigen Konzern- und Finanzkonstrukten Geld, anstatt mit Investitionen und Innovation (siehe Investitionsquoten).

Dazu gehört wiederum, dass sich nur ein Bruchteil der Menschen in Deutschland Aktien leisten können. 40-50% der Deutschen haben kein nennenswertes Vermögen d.h. sie können kein Geld zurücklegen und wenn, dann wird es für alltägliche und lebensnotwendige Dinge gebraucht z.B. wenn Haushaltsgeräte kaputt gehen oder das Auto repariert werden muss etc. Es ist eine Illusion zu behaupten, das alle Menschen sparen können. Der Besitz von Aktien ist tatsächlich nur unter den oberen 5-10% üblich (und wie gesagt, extrem ungleich verteilt).

Weiter zu den Löhnen: Deutschland hat mit den größten Niedriglohnsektor in Europa. Dienstleisstungen sind hier verhältnismäßig billig. Dieser wurde v.a. seit Anfang der 2000er mit der Agenda 2010 ausgebaut. Wem dient dieser Niedriglohnsektor? Vorrangig der internationalen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen, was erlaubt die qualitiativ hochwertigen Industriegüter verhältnismäßig günstig herzustellen, da Löhne niedrig gehalten werden können, da die Industriearbeiter dadurch real dennoch ein gutes Einkommen haben. Bedeutet aber, dass alle im Dienstleistungssektor noch weniger verdienen müssen, bzw präkerer beschäftigt werden müssen, damit es nicht teuerer wird. Industrieunternehmen die v.a. für das Ausland produzieren, bedeutet wir proudzieren Wohlstand für das Ausland. Wir rühmen uns jedes Jahr mit dem Titel „Exportweltmeister“, was eigentlich ein Armutszeugnis ist und das Gegenteil bewirkt. 7% Exportüberüberschuss bedeutet, dass wir unseren Wohlstand in’s Ausland verfrachten anstatt diese Ressourcen und Arbeitskraft in den Wohlstandserhalt und -ausbau in Deutschland zu stecken. Dieser massive Überschuss wird außerdem seit Jahren von diversen internationalen Playern (zB dem neoliberalen IMF) stark kritisiert. Eine solche Disbalance von Export und Import destabilisiert die Weltwirtschaft und bedeutet massive Abhängigkeiten auf Grund mangelnder Binnennachfrage und finanzieller Forderungen im Ausland.

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Fortsetzung zu oben:

Deutschland befindet sich in einer ziemlich starken Deindustrialisierung, was bedeutet, dass wir zunehmen eine Dienstleistungsgesellschaft werden und gutbezahlte Arbeitsplätze in der Industrie abnehmen. In der Industrie und in anderen Sektoren ist zunehmend eine „Dualisierung“ erkennbar. Das bedeutet eine Aufspaltung der Arbeitskräfte in der Gesellschaft und innerhalb von Unternehmen. Eine kleine schrumpfende Gruppe an Arbeitern mit alten gut bezahlten Verträgen wird beschützt, während neue weniger Lohn, schlechtere Absicherungen und Arbeitsbedingungen erhalten. Und wie wir erleben können, wir nichts dafür getan zukunftsfähige Sektoren aufzubauen (zB IT, Digitalisierung, grüne Energien, Automobilindustrie, …).

Deutschland ist ein Paradies des Überreichtums (siehe zB ZDF-Doku und Buch „Crazy Rich“ von Julia Friedrichs). Dazu ein paar interessante Fakten:

  • Gini-Koeffizient der Vermögen bei knapp 0.76 Gini

  • Die oberen 1%, besitzen ein Drittel des Vermögens in DE

  • Die oberen 10%, zwei Drittel

  • 4000 Haushalte die ca. 1,4 Billionen an Vermögen besitzen (3x Bundeshaushalt)

  • 50% der Aktienwerte werden von 141 Familien in DE gehalten

  • 800.000 bis 1 Mio. Privatiers, welche nur von ihrem passiven Einkommen leben können (v.a. durch steigende Immobilienpreise und zunehmende Erbschaften)

  • Jährlich werden in DE ca. 400Mrd Vermögen vererbt

  • die unteren 50% besitzen 1-3% es Gesamtvermögen in DE

Forschung dazu gibt es bei der Hans Böckler Stiftung, dem DIW oder zB Mai Chia Dao (2020): Wealth Inequality and Private Savings: The Case of Germany

Ich bin mir bewusst, dass das noch keine umfassende Kritik darstellt. Das sind nur ein paar Punkte die die notwendige systemische Kritik aufzeigen und anstoßen soll. Diese geht noch viel weiter und ich gespannt, ob hieran angeknüpft wird. Aber, dass nun die Lösung sein soll, privat vorzusorgen, dient lediglich den Reichen und Ideologen wie Christian Lindner und seiner FDP - weil es das bestehende System mit seinen Ungerechtigkeiten festigt. Wiedermal finde ich es unerträglich wie die links-liberale Politik das mitträgt. Langfrsitig und nachhaltig Verbessern wird sich dadurch gesellschaftlich nichts. Die Kritik sollte viel tiefer gehen. An die Wurzel der Verteilung von Arbeit und Wohlstand. Nur so können wir eine faire Absicherung im Alter gewährleisten.

Hier eine kleine wissenschaftliche Übersicht:

Ganz genau. Die Schweden machen das übrigens auch genau so. Mit deren Prämienrente, Betriebsrente und Aktienrente sowie privater Vorsorge stecken die im Schnitt 28 % in ihre Altersvorsorge. Würden wir die Rentenbeiträge auf dieses Niveau heben, dann sähe die Rentenproblematik schon ganz anders aus. Aber das wollen in Deutschland weder die Arbeitnehmer noch die Arbeitgeber (Stichwort Lohn-Nebenkosten).

Würden wir dann auch noch eine ordentliche Arbeitskräfte-Migration hinbekommen, statt immer die abzuschieben, die einen Job haben, bloß weil man die finden kann, dann wäre die Rentenproblematik auch zu lösen.

Aber Parteien wie CDU und CSU (und neuerdings halt AfD) haben aus der Angst vor allem Neuen und Fremden seit jeher politisches Kapital geschlagen und wollen damit ja auch nicht aufhören. Also haben wir weiter zu wenig Fachkräftemigration.

Und das freut am Ende die Fans von Kapitalgedeckter Altersvorsorge, also die Reichen, die uns die Fonds verkaufen.

Dazu fällt mir nur dieses Cartoon ein.

Ich kenne mich mit dem schwedischen Modell nicht wirklich aus, meine aber dass man dort die Rente ohne milliardenschweren Zuschüsse aus Steuergeldern stemmt. Hierzu eine paar Fakten die ich auf die schnelle recherchieren konnte.l:

Die Beiträge zur Rentenversicherung in Schweden liegen bei 18.5% (Deutschland 18,6%). Beides umlagefinanziert, wobei die Schweden 2.5 Prozentpunkte ihrer Beiträge am Kapitalmarkt anlegen.

Was nun in Schweden noch on-top kommt ist die „freiwillige“ Vorsorge (Tjänstepension), die aber nicht gänzlich freiwillig ist da sie meist Teil eines Tarifvertrags ist den wohl 90% der Arbeiter haben (kann 90% stimmen?). D.h. man hat also keine große Wahl als nochmal 4.5% bis 30% (die genaue Höhe bemisst sich am Einkommen) des Lohns in die Altersvorsorge zu stecken. Quasi eine nicht-staatlich erzwunge Bruttoentgeltumwandlung. Der Staat hilft insofern, dass die Steuern für diese Umwandlung bis zur Rentenphase gestundet werden.
Letztlich ist das eine Art betriebliche Altersvorsorge, wohlgemerkt aber am Kapitalmarkt investiert!
Wer keinen Tarifvertrag hat oder selbständig ist für den gibt’s es übrigens keine Pflicht zur Tjänstepension.

Von daher ist der Unterschied zu Deutschland gar nicht mal so groß.
Ebenso ist der Plan der aktuellen deutschen Regierung, dass eine kapitalgedeckte und steuer-gestundete Säule on-top zur umlagefinanzierten Basis kommt nicht unähnlich.

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Nur kurz (Dein Beitrag wurde ja in diesen Thread hineingeschoben, ohne dass Du ihn gelesen hast): Es ist seit den 80er Jahren in der Wissenschaft anerkannt, dass die Versprechungen der umlagefinanzierte Rente nicht zu halten sind. Angesichts der Entwicklung der Altersstruktur ist schon seit sehr Langem ein Wechsel auf ein kapitalgedecktes Verfahren unumgänglich, wenn die Renten nicht weiter sinken, das Renteneintrittsalter und die Beiträge weiter steigen sollen.

Nein, sie sprachen von der „Magie“ des Zinseszinses.

Das ist eine völlig Verquere Darstellung der Realität. Solange wir ein marktwirtschaftliches System haben, wird die Wertschöpfung von Arbeit und Kapital erbracht. Ohne beide geht es nicht. Die Verteilung der Einkommen aus der Wertschöpfung auf Arbeit und Kapital war, ist und wird immer ein Konflikt bleiben. Aber dass das Einkommen aus der Wertschöpfung nun plötzlich nur noch der Arbeit zufließen und das Kapital leer ausgehen soll, führt zum sofortigen Kollaps der Wirtschaft, denn das Kapital würde sich aus der Wertschöpfung zurückziehen.

Das ändert nichts an der Feststellung, dass die Verteilungsgerechtigkeit (zu der Reallohnentwicklung gehört) auch in Deutschland ein zunehmend großes Problem ist.

Wir haben hier im Thread ausführlich über ein drei-säuliges Rentensystem diskutiert, bei dem (1) ein Teil der Rentenbeiträge, (2) die Beiträge von Arbeitnehmer und -geber in der Betriebsrente und (3) eigene Sparanstrengungen in ein Rentenkapitalkonto fließen sollten, das - grob vereinfacht - auf ETFs basieren soll. In der dritten Säule könnte der Staat Einnahmen aus einer total reformierten Erbschaftssteuer Zuschüsse für Arme einstellen.

Das liegt aber nur zum Teil daran, dass sich viele Menschen ein Sparen einfach nicht leisten können. Das liegt auch daran, dass die Finanzbranche den Menschen alle möglichen Finanzprodukte anbieten, die unrentabel sind.

Umgekehrt: Würden die Löhne für gering qualifizierten Menschen steigen, könnten die Unternehmen keine wettbewerbsfähigen Produkte mehr anbieten und würden daher Arbeitsplätze hier abbauen zugunsten von Arbeitsplätzen in Ländern mit günstigeren Löhnen (von denen es sehr, sehr viele gibt). Damit wäre den Arbeiten überhaupt nicht geholfen.

Sorry, aber das verstehe ich jetzt überhaupt nicht mehr. Würden unsere Unternehmen nicht exportieren, würden sie einfach entsprechend weniger produzieren und weniger Arbeitsplätze anbieten. Entsprechend mehr fürs Inland produzieren geht nicht: Wo soll denn die Nachfrage nach diesen Waren und Dienstleistungen herkommen?

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Ich muss in einem Punkt zurückrudern, nämlich der Behauptung, „ethische“ Anlagen rentierten deutlich schlechter.

Es gibt nachhaltige(re) und ethische(re) ETFs, d.h. ETFs auf nachhaltige Indizes. Und die haben gar nicht so schlecht abgeschnitten.

Beispiele: Auf den MSCI Word SRI PAB 5%, hat in den 5 Jahren vor 2022 (Drucklegung meiner Quelle, s.u.) 12,3% Rendite p.a. gemacht, der MSCI Word selbst „nur“ 11,1%. Die Stiftung Warentest gibt diesem Index 3 von 5 Nachhaltigkeitspunkte (69 von 100%).

Quelle: Stiftung Warentest, test: Anlegen mit ETFs (2022)

Laut Perplexity.ai:

Der MSCI World SRI S-Series PAB 5% Capped Index ist ein spezialisierter Aktienindex, der auf dem breiteren MSCI World Index basiert. Dieser Index umfasst große und mittelgroße Unternehmen aus 23 entwickelten Märkten weltweit. Der Fokus liegt auf Unternehmen, die bestimmte Werte- und Klimakriterien erfüllen und ein hohes Maß an ESG-Leistung (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) aufweisen[1].

Hauptmerkmale des Index:

  • Sozial verantwortliches Investieren (SRI): Der Index ist darauf ausgelegt, die Leistung von Unternehmen widerzuspiegeln, die mit spezifischen sozialen und klimatischen Werten übereinstimmen. Er schließt Unternehmen aus, die nicht mit diesen Kriterien vereinbar sind.

  • EU Paris Aligned Benchmark (PAB): Der Index erfüllt die Mindestanforderungen der EU Paris Aligned Benchmarks, was bedeutet, dass er darauf abzielt, mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens in Einklang zu stehen[1].

  • Gewichtungsbeschränkung: Eine 5%-Kappung wird auf die Gewichtung einzelner Emittenten angewendet. Dies bedeutet, dass kein einzelnes Unternehmen mehr als 5% des gesamten Indexwertes ausmachen kann[1].

  • Diversifizierung: Der Index bietet eine diversifizierte Benchmark für Investoren, die in sozial verantwortliche Anlagen investieren möchten. Er enthält Unternehmen mit starken Nachhaltigkeitsprofilen[1].

Der MSCI World SRI S-Series PAB 5% Capped Index wurde am 25. April 2019 eingeführt. Vor diesem Datum basieren die Leistungsdaten auf rückwirkenden Berechnungen, um zu zeigen, wie der Index in der Vergangenheit hätte abschneiden können[1].

Quellen
[1] [PDF] MSCI World SRI S-Series PAB 5% Capped Index (USD) https://www.msci.com/documents/10199/f3bf061c-f424-f1aa-97f4-a51a9014e2c8
[2] MSCI World SRI S-Series PAB 5% Capped Index: 2 ETFs im Vergleich MSCI World SRI S-Series PAB 5% Capped Index: 2 ETFs im Vergleich
[3] BNP Paribas Easy MSCI World SRI S-Series PAB 5% Capped Nam.-Ant. UCITS ETF CAP EUR https://www.boerse-stuttgart.de/de-de/produkte/etps/etfs/stuttgart/a2dvez-bnp-paribas-easy-msci-world-sri-s-series-pab-5-capped-nam-ant-ucits-etf-cap-eur

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Ich hatte dazu mal einen längeren Text (in drei Beiträgen) samt Quellen hier im Forum geschrieben:

Der wurde leider irgendwann in einer Art Jahresarchiv („Quellensammlung 2022“) zusammengefasst und ist deshalb vlt. nicht mehr so gut zu finden.

Ganz genau. Durch diese weit verbreiteten Betriebsrenten und durch zusätzliche Privatvorsorge kommen die Schweden eben auf ihre 28 % Altersvorsorge vom Gehalt. Die Zahl habe ich übrigens von der Schwedischen Pensionsverwaltung aus dem Bericht von 2020, Link zur Quelle, leider nur in schwedisch.

Naja, vielleicht nicht unähnlich, aber halbherzig. Die schwedische Regierung hat ihre Bürger ja quasi zur Kapital-gedeckten Vorsorge gezwungen. Dafür kümmert sie sich auch darum, dass die Bürger vom Kapitalmarkt nicht über den Tisch gezogen werden.

Dazu bietet die Regierung ihren eigenen, staatlichen Fonds (AP7) an, nicht nur eine Referenzauswahl, wie die FDP jetzt vorschlägt. Und die privaten Fondsanbieter in Schweden müssen umfangreiche Anforderungen erfüllen.

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