Links-Rechts-Einordnung

Das grundsätzliche Problem ist in der Tat, dass nur „links“ und „rechts“ die Komplexität der Realität nicht abbilden können. Mit dem BSW haben wir jetzt in Deutschland eine Partei, die uns das vor Augen führt, aber gerade, wenn man mal nach Südamerika schaut, wird sehr schnell klar, dass dieses Problem schon länger existiert.

Ein Modell mit zwei Achsen (i.d.R. wirtschafts- und sozialpolitisch) kann das schon besser darstellen, aber es wird, wie @Flixbus richtig anmerkt, dennoch Fälle geben, die mit diesem Modell nicht ideal erklärt werden können. Es gibt auch drei- und sogar mutli-dimensionale politische Kompasse, bei drei Dimensionen wird die wirtschaftliche Dimension üblicherweise aufgespalten in „Individualismus/Kollektivismus“ und „Progressiv/Konservativ“, so wäre dann auch die FDP (Individualismus, Progressiv) von der AfD (Individualismus, Konservativ) auf dieser Achse abgrenzbar. @Christian_B1 hat ja schon darauf verwiesen, dass gerade der Punkt „Individualismus vs. Kollektivismus“ eine maßgebliche Bedeutung hat.

Letztlich ist es wirklich eine Frage, wie sehr man in’s Detail gehen will. Zusätzliche Ebenen lassen mehr Differenzierung zu, erfordern aber auch wesentlich mehr Einarbeitung und Verständnis der Materie. Bereits ein Zweidimensionales System wird in vielen Diskussionen bereits „zu detailliert“ sein, leider, Modelle mit mehr als drei Dimensionen sind einfach nicht alltagstauglich. Für Formate wie die Lage der Nation gilt eben, dass man nicht zu viel voraussetzen kann - wollte man mit einem zwei- oder dreidimensionalen System arbeiten, müsste man es den Zuhörern jedes Mal erstmal erklären, was offensichtlich nicht funktioniert. Ein einfaches Rechts-Links-Schema im Sinne eines eindimensionalen Systems versteht zwar jeder, wird aber den Realitäten nur sehr begrenzt gerecht. Wieder mal ein klassisches Dilemma, das nur zu lösen wäre, wenn solche Modelle viel stärkere Verbreitung erfahren würden - aber wer will damit anfangen?

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Grundsätzlich bin ich sehr für eine genauere Ausdifferenzierung als nur „links/rechts“. Gerade das Modell des politischen Kompasses finde ich aber hoch fragwürdig, da beide Achsen nicht unabhängig voneinander sind. Was ist denn eine „ökonomisch rechte“ Position? Doch nur, dass Unternehmen autoritär geführt werden sollten. Es ist ein Widerspruch in sich, gleichzeitig „antiautoritär“ zu sein und die autoritäre Kontrolle von Leuten wie Jeff Bezos oder Elon Musk abzufeiern.

Es gibt andere Pole, die man einer Achse „autoritär - libertär“ sinnvoll gegenüberstellen kann, aber das wäre eher etwas wie „progressiv - konservativ“.

Danke für den Tipp.

Der Selbsttest hat zwar meine Erwartungen bestätigt, aber man merkt dann doch, dass der Test zum einen wenig kulturangepasst und zum anderen bzgl. der Items auch meines Erachtens nicht wirklich testtheoretisch so ganz ausgefeilt ist.

Einerseits merkt man ihm die mutmaßliche Herkunft aus den USA an. Andererseits sind einzelne Items mindestens mehrdeutig, wenn nicht gar missverständlich.

Was man von abstrakter Kunst hält, ist z. B. nachweislich ein recht guter Indikator für Linksliberalismus.

Aber so Items wie das folgende sind letztlich indifferent: „Menschen sind letztendlich eher wegen ihrer Klasse gespalten als wegen ihrer Nationalität.“

Hier handelt es sich ja um eine Tatsachenbehauptung. Die Zustimmung zur Aussage soll wohl auf Linkssein hindeuten. Doch das ist Quatsch. Denn ich kann ja dem Faktum zustimmen, dass Menschen einander eher nach Herkunft/nationaler Zugehörigkeit ausschließen - einfach weil’s genug Bekloppte gibt, die solcherart Fremdgruppenabwertung nach Othering praktizieren. Das für korrekt zu halten, bedeutet ja noch keineswegs, dem auch zuzustimmen.

Ein paar andere Items sind m. M. n. ähnlich problematisch.

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Nein, das bedeutet es meines Wissens nicht. Rechts auf der ökonomischen Dimension heißt bspw. Kapitalismus pur. Der Staat hält sich weitgehend überall raus und Gewinne darf das Unternehmen selbst verteilen. Steuern zur Umverteilung gibt es nicht und jeder ist seines Glückes Schmied.

Ökonomisch links in Extremform wäre hingegen eine Warenzuteilung bei der jeder nicht nur den gleichen Warenwert bekommt, sondern exakt die gleichen Waren. Besitz wie Unternehmen würden vollkommen vergemeinschaftet. Die individuelle Leistung interessiert nicht. Was die Gemeinschaft erwirtschaftet wird geteilt, völlig egal ob das individuell ungerecht empfunden würde.

Wie wär’s denn mit Folgendem?

Links ist Freiheit zur Verantwortung.
Rechts ist Freiheit vor Verantwortung.

Grundsätzlich gebe ich dir recht, dass ein mehrdimensionales Modell natürlich noch differenziertere Darstellungen ermöglichst, aber das zweidimensionale Kompass-Modell lässt es durchaus zu, etwa die unterschiedlichen Psoitionierungen von FDP und AfD erkennbar zu machen, wie die Grafik zur Bundestagswahl 2021 zeigt:

Wie gesagt wird auf der Kompass-Website ausführlich erklärt, wie sich die beiden Dimensionen voneinander unterscheiden, und warum ein „rechtes“ Denken auf der einen Achse eben nicht automatisch zu einem „rechten“ Denken auf der anderen Achse führt. Man muss dem ja nicht in allen Punkten zustimmen und kann wie schon gesagt das Modell auch für zu einfach halten, aber diese Kritk wird der Komplexität des Modells nicht gerecht.

Diese Differenzierung, die @Christian_B1 so nicht aufgemacht hat - er schrieb von einer „Abwägung von individueller Freiheit mit Gemeinschaftsinteressen“, was auch noch problematisch ist, aber schon weniger - ist schwierig. Auf Intercultural-network.de heißt es zunächst ganz deskriptiv:

Die Individualismus/Kollektivismus Dimension Hofstedes ist wohl eine der am meisten angewendeten und besprochenen Dimensionen.
Diese Dimension beschäftigt sich vor allem mit der Prioritätensetzung innerhalb der Gesellschaft auf das Individuum oder auf die Gruppe.

Nun meine Anschlussüberlegung: Eine Gesellschaft kann hochgradig individualistisch sein in dem Sinne, dass jede/r Einzelne nach ihrer/seiner Façon leben kann, und gleichzeitig sehr gemeinwohlorientiert. Beides schließt einander ja gar nicht aus.

Individualisten per se zu unterstellen, dass sie auch Egoisten seien, und ferner zu meinen, dass Einzelinteressen immer schon den Gemeinschaftsinteressen entgegenstünden, ist hanebüchen.

Eine Gesellschaft kann horizontal völlig individualistisch sein, was aber keineswegs bedeutet, dass dies zu einer vertikalen Hierarchisierung führt.

Ersteres würde man mit Diversität umschreiben, Letzteres mit Privilegierung und Benachteiligung.

Und da liegt auch einer der Schlüssel, warum das BSW letztenendes rechts ist. Denn Wagenkecht & Co. wollen Privilegierung für diejenigen, die in der Geburtslotterie gewonnen haben, nämlich aufgrund dessen einen deutschen Pass besitzen, und Benachteiligung für die Nicht-Deutschen (z. B. Geflüchtete).

Links zu sein würde hingegen bedeuten, „von der Gleichwertigkeit der Menschen aus[zu]gehen und den Egalitarismus [zu] unterstützen“ (s. o.). Dazu muss man Benachteiligungen aller Art nullifizieren.

Wohingegen rechts zu sein bedeutet, einer „Ideologie der Ungleichwertigkeit“ (Zick et al.) zu huldigen.

Links zu sein bedeutet, In- und Outgroup gleichzustellen.

Rechts zu sein bedeutet, Eigen- und Fremdgruppe zu hierarchisieren.

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Kannst du die ausführliche Erklärung verlinken? Ich finde dazu nämlich nichts auf der Website. Es gibt soweit ich sehen kann nicht einmal eine Erklärung, wie bestimmte Testfragen das Ergebnis beeinflussen. Alles was ich zum Thema „ist das eine sinnvolle Unterteilung in Achsen?“ finden kann, ist das hier im FAQ:

There have to be other measures for a political compass
Great. Tell us about them so that we can consider adding them. But surely our two axis arrangement is a vast improvement on the single one that you’ve put up with for more than 2 centuries.

Also im Wesentlichen „unsere Unterteilung ist besser als nichts und deshalb gut“.

Gegenfrage: Wer zwingt einen Autor bzw. Redner, dieses bestenfalls sinnlose oder schlechtestenfalls demagogische Stilmittel „Links-Rechts-Schema“ zu verwenden? Warum kann eine politische Forderung (bzw. ein Vergleich politischer Forderungen) nicht anhand eines semantisch ausreichend klaren Begriffs beschrieben und diskutiert werden?

Um nur einige Begriffe zu nennen, bei denen Sender und Emfänger vermutlich ähnliche, sachliche Assoziationen haben: anarchisch, libertär, konservativ, ordoliberal, sozialistisch, kommunistisch, nationalistisch, völkisch.

Was ich persönlich nicht in dieser Liste sehe sind Begriffe wie sozial, liberal oder progressiv, da sie von nahezu jeder politischen Strömung für sich deklariert werden können.

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Ich habe Politik- und Gesellschaftswissenschaften studiert und mir würde es schwer fallen, spontan korrekte Definitionen zu einem großen Teil dieser Begriffe aufzuschreiben. Bei ausreichend vorgebildeten Rednern/Schreibern mögen diese Begriffe präziser sein, im Publikum werden sie aber nicht so wahrgenommen. Ich stelle mal die Behauptung auf, dass selbst z.B. in der Leserschaft der ZEIT näherungsweise niemand wüsste was „ordoliberal“ exakt bedeutet und wie man den Begriff von anderen Konzepten abgrenzt. Andere Begriffe, wie z.B. „anarchisch“ haben umgangssprachlich eine völlig andere Bedeutung als politikwissenschaftlich.

Dadurch wird das Gegenteil der eigentlichen Intention erreicht: Kommunikation wird nicht präziser, sondern beliebiger und verwirrend. Die Leser sind verunsichert und suchen sich Autoren, die sie verstehen (zu glauben), weil sie bekannte Begriffe verwenden.

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Diese Grundunterscheidung ist weder sinnlos noch demagogisch, sondern nützlich.

Ernst Jandl dichtete mal augenzwinkernd:

lichtung

manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum!

Volker Hage schreibt dazu in Hundert Gedichte des Jahrhunderts (2000) zunächst schlüssig Folgendes:

Was das Gedicht sagt, ist bereits in seinem Bauprinzip enthalten. Eine Verdoppelung, die doch nichts Überflüssiges enthält. „werch ein illtum!“ – welch ein Irrtum, daß man Rechts und Links nicht verwechseln kann! Das Gedicht verwechselt ja selbst: nicht Rechts und Links, doch die jeweiligen Anfangsbuchstaben als für die Begriffe stehend.

Daran anschließend, könnte man jetzt sagen, dass die irrtümliche Verwechslung von Links und Rechts schon im übertragenen Sinne eine ausgeprägte (Lese-Rechtschreib-) oder (Seh-)Schwäche zugrunde liegen muss.

Ich glaube, dass man das sogenannte „Links Rechts Schema“ immer an den Themen der Zeit betrachten sollte. Das mag vielleicht ein nicht wissenschaftlicher, sondern eher populistischer Ansatz sein, aber passt für mich besser auf die Sichtweise der Wähler.

Da wäre für mich eine Achse, quasi die Wirtschaftsachse, die Frage, wie stark staatliche Institutionen Vorschriften und Gesetzte zum Klimaschutz machen sollen, Staatsverschuldung, Staatsausgaben, … .
Und die zweite Achsen ist quasi die Gesellschaftsachse mit den Fragen zu Migration, LQBTQ, Familienbild, Gendern, … .

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Die Frage ist aber nicht nur „wie stark staatliche Institutionen Vorschriften und Gesetzte zum Klimaschutz machen sollen“, sondern auch auf welche Art und Weise. Sollen eher Grenzwerte und Verbote regeln oder eher eine Besteuerung.

Die Linke z.B. die sich immer sehr pro Klimaschutz äußert und auf einer solchen Achse sicherlich eher links stünde, positionierte sich z.B. bei der Dekarbonisierung des Gebäudesektors teils auch sehr komisch.

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Ich sage ja, ich habe hier einen eher populistischen Ansatz.
Man könnte den Punkte Klimaschutz auch als eine Art NIMBY Achse verstehen:
Sprich, wie sehr greift der Klimaschutz in mein Leben ein. Und dann ist es egal, ob es Verbote, feste Grenzwerte oder ein stark erhöhter CO2 Preis sind.
Auf der rechten Seite steht die berühmte Technologieoffenheit, Produkte müssen sich auf dem freien Markt durchsetzten, bis zu harter Leugnung.

Und ja, das bedeutet, wenn die FDP einen harten Kurs über den CO2 Preis durchsetzten würde, und der CO2 Preis deutlichst steigen würde, würde die FDP hier deutlich weiter nach links rutschen.

Aber wie gesagt, dass ist nur meine Einschätzung, woran in der aktuellen Zeit die links rechts Kämpfe in der populistischen Meinung vieler verlaufen.

Die Grafik ist mir bekannt und sie ist dennoch erschreckend. Natürlich wird die politische Realität nicht vollumfänglich abgebildet. Aber in der Tendenz wird doch deutlich, wie wenig pluralistisch unsere Demokratie tatsächlich ist. Sämtliche im Bundestag vertretenen Parteien - bis auf die Linke - lassen sich in die rechts-autoritäre Ecke einordnen. Noch krasser wird dies, wenn man sich auf derselben Internetseite die Einordnung der US-Präsidentschaftskandidaten ansieht. Trump und Obama bzw. Trump und Biden sind hier noch weniger weit auseinander als SPD und CDU. ME wird anhand dieser Vereinfachung aber ein grundlegendes Problem unserer Demokratie bzw. der politischen Linken deutlich: die Menschen haben kaum eine Wahl zwischen wirklich unterschiedlichen politischen Positionen und die politische Linke findet in der politischen Realität kaum statt. Stattdessen gelten Grüne und SPD als links, obwohl sie höchstens linksliberal, d.h. rechts sind.

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Wenn der Begriff links und rechts nicht nützlich ist, dann würde ja daraus folgen, dass die „Demos gegen rechts“ im Januar nicht aussagekräftig wären.
Wenn ich auf die Straße gehe, wäre das schon gut, wenn ich eine vage Vorstellung habe, wofür oder wogegen ich bin.

Also scheint links und rechts ja einen Bedeutungsraum zu haben, der auch im politischen Diskurs genutzt wird. Warum sollte das also nicht benutzt werden?

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Ich habe die Seite denke ich zur Genüge verlinkt. Vielleicht hätte ich „ausreichend“ statt „ausführlich“ schreiben sollen, denn so empfand ich die Erläuterungen. Abgesehen davon muss ja nicht jeder das Modell mögen.

Könntest du mal ein paar Beispiele nennen für linke Wirtschaftspolitik, die du in den aktuellen Debatten vermisst, die innerhalb des Grundgesetztes, EU Rechts und WHO möglich sind?

Oder geht es dir eher um eine generelle linke Vision?

Nur einige Ideen: mehr staatliche Regulierungen und Preisdeckelungen im Bereich der Daseinsvorsorge (von Energie über Wohnen bis hin zum öffentlichen Verkehr); Vereinheitlichung von Mindestlöhnen und tariflichen Mindeststandards auf EU-Ebene; Einführung bzw. Erhöhung von Vermögens- und Erbschaftssteuern; höhere Spitzensteuersätze; höhere Grundfreibeträge bei Einkommenssteuern; Senkung bzw. sozialer Ausgleich von Verbrauchssteuern (inkl. CO2-Abgaben) für Geringverdienende etc. pp.
Es mangelt hier m. E. nicht an Ideen oder rechtlichen Möglichkeiten, sondern am politischen Willen, dem Staat ausreichende Einnahmen für die Erledigung seiner gesellschaftlichen Aufgaben zu verhelfen. Allzu viele haben Dogmen wie das der schwarzen Null verinnerlicht, leider auch innerhalb der Linken.

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MMn sind das alles Vorschläge, die an den wirtschaftlichen Strukturen nichts ändern, sondern nur Löhne erhöhen, und Steuereinnahmen stärker nach unten umverteilen.

Nach The Political Compass wäre das immer noch im Kern eine rechte Wirtschaftspolitik.