Lehrermangel: Verbesserung der Rahmenbedingungen

Ich bin selbst Lehrer am Gymnasium und mit den Bezügen gut zufrieden. Das Gehalt und die Attraktivität des Berufs sind meiner Meinung nach nicht proportional zueinander.
Vielmehr würde ich auch auf Gehalt verzichten, wenn die Anzahl der Kollegen steigen würde. So könnte man sich gegenseitig entlasten, hätte Zeit für bedürftige Kinder oder kann den immensen Wust an Papierkram erledigen.

Ich bin sicher, dass die fachliche Leistung meiner Schüler steigen würde, wenn unsere Schule sofort fünf SozialarbeiterInnen und/oder psychologisch geschultes Personal einstellen würde.
So bliebe Zeit für den Unterricht und die Vorbereitung der Experimente. Dies würde alle Kolleginnen direkt mit entlasten. Meiner Meinung nach ein großer Hebel, der nicht genutzt wird.

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Entlastung von pädagogischen/psychologischen Aufgaben macht in jedem Fall Sinn, weil Lehrer dazu - offen gestanden - gar nicht hinreichend spezialisiert sind (ernsthaft, der Pädagogik-Anteil im Studium ist nicht vergleichbar mit studierten Pädagogen oder auch nur Sozialpädagogen… ist ja auch logisch, denn Lehrer studieren halt zwei Fach-Bachelor, während der Pädagogik-Bachelor dort seinen Schwerpunkt hat).

Es kommt aber auch immer wieder die Kritik, dass Lehrer zu viele Verwaltungsaufgaben / Papierkram erledigen müssten. Mich würde da mal deine Meinung interessieren:

  • Gibt es Verwaltungsaufgaben, die man an spezialisierte Verwaltungsfachkräfte ausgliedern könnte?
  • Hältst du es für sinnvoll oder möglich, die Klausurstellung auf Landesebene anhand des Lehrplans machen zu lassen, sodass Lehrer von der Arbeit der Klausurerstellung befreit werden?
  • Hältst du es für sinnvoll oder möglich, die Klausurkorrektur auszugliedern, wie das z.B. im Jura-Studium üblich ist. Daher: Nicht die Lehrkraft kontrolliert die Aufgabe, sondern eine u.U. weniger qualifizierte Kraft anhand von Musterlösungen / Lösungsvorschlägen.
  • Hältst du es für sinnvoll oder möglich, die Unterrichtsvorbereitung zu zentralisieren, daher: den Lehrern werden von den Bildungsministerien Unterlagen für das jeweilige Thema mit unterschiedlichen Arbeitsformen vorgegeben.

Das wären letztlich alles Ideen, die den Lehrern natürlich einen Teil der Kreativität ihres Jobs nehmen würden, aber eben durch Zentralisierung der Aufgaben auch eine Effizienzsteigerung bedeuten würden. Warum sollen tausend Mathe-Lehrer einen Unterricht oder eine Klausur vorbereiten, wenn alle ohnehin den gleichen Lehrplan abarbeiten müssen?

Wie siehst du als Lehrer das - wäre es wünschenswert, mehr Unterrichtsstunden zu geben, sich dafür aber voll und ganz auf das Unterrichten konzentrieren zu können? Oder ist gerade die Mischung das, was den Lehrer-Beruf attraktiv macht?

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Klassenarbeiten und Klausuren:

  • Prinzipiell wäre eine zentrale Klausur wünschenswert (erspart in der Oberstufe mehrere Arbeitsstunden), allerdings scheint das organisatorisch unmöglich. Bsp. Klasse 12: Einige Schulen starten nach den Sommerferien mit einer Projektwoche. Einige Lehrer sind anschließend noch auf Kurs- oder Klassenfahrt. Schon können sich 10-12 Schulstunden Verzug einstellen. Oberstufenunterricht wird nicht vertreten.
  • Die größte Belastung sind abwesende Schüler. Für sie muss eine neue Klausur erstellt werden (mehrere Stunden Arbeit in der Oberstufe) und die Durchführung dieser ist durch den Lehrer zu organisieren. In der Mittelstufe kommen da schnell mehrere Nachschreibtermine mit wieder unterschiedlichen Arbeiten zusammen, die alle auf Fluren und Nischen geschrieben werden müssen.
  • Eine externe Korrektur würde mir in den Phasen ab Oktober bis Juni sicher im Mittel 6 Zeitstunden schaffen, die ich gerne zu Vor- und Nachbereitung und für zusätzliche Stunden nutzen würde.

Zentrale Vorbereitung

  • Ich denke, dass eine individuelle Vorbereitung unerlässlich ist. Sie ist meine Handschrift, so mache ich Unterricht. So brauche ich keinen gedruckten Ablaufplan. Materialien sind natürlich immer hilfreich. Hier ist viel zu tun:
    Die Schule muss Kopien sparen (das Geld wurde da für unbrauchbare Tablets ausgegeben). Daher sind Kopien zu vermeiden. Folge: In der Schule (1200Schüler, Gymnasium) steht ein funktionsfähiger Kopierer. In meiner Klasse sind 31 Schüler mit direkten Vorfahren aus über 20 Nationen. Darunter auch 5 Ukrainerinnen und eine Spanierin. Alle haben das gleiche Buch. Einige Fragen mich nach digitalen Schaltungen, andere verstehen die Überschrift nicht. Ich stehe alleine vorne, ohne Kopien, ohne gestufte Arbeitsblätter etc. da ich weder Zeit, noch Ausbildung dafür habe. Die Unterrichtsplanung ist Kern und Wesen von Schule. Hochindividuell und flexibel. Hier brauchen wir die Energie und die Ideen der besten Leute. Im Unterricht brauchen wir mehrere Personen, die sich der Schüler annehmen und auf sie eingehen. Ein Tablet suggeriert Fortschritt und Individualität, in meinen Augen kann es keinen nennenswerten Beitrag zum Bildungserfolg leisten.

-Schule ist heute mehr denn je ein Ort, in dem vor allen Inhalten Sozialisation und Kommunikation stattfindet. Schüler müssen lernen zu streiten und zu versöhnen. Miteinander zu spielen und zu arbeiten. Selbstständig zu lernen und zuzuhören. Dafür brauchen wir, wie du auch geschrieben hast, Hilfe von Fachpersonal. Wenn meine Physikstunde zu 20% aus Klassengeschäften besteht, brauchen wir uns über nichts zu wundern. In den „Pausen“ bleibt dafür keine Zeit. Da muss ich schnell das Experiment abbauen und in die Aufsicht… mein Toilettengang kann warten.

Ich bin emotional geworden, sorry aber es bewegt mich wirklich. Es ist so viel Energie im Kollegium zu spüren. Vorbei sind die alten Zeiten. Alle haben Bock auf Unterricht…wenn man denn dazu kommt.

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Lieber Daniel,
vielen Dank für dein Interesse und die interessanten Ideen. Von offizieller Stelle (Schulleitung oder Kultusministerium) wurde ich (und niemand, den ich kenne) noch nie so tiefgehend nach meiner Meinung und nach Verbesserungsvorschlägen gefragt.
Ich versuche mal deine Punkte aufzugreifen und meine wichtigsten Gedanken aufzuschreiben:
Papierkram:
Die ausufernde Verwaltung und der Papierkram resultieren im Wesentlichen aus den rechtlichen Vorgaben u.a. zur Dokumentation von Unterricht und den Klassenarbeiten. Diese Vorgaben sind meiner Meinung nach z.T. Ausdruck von tiefem Misstrauen in die Arbeit der LehrerInnen und deren Beurteilung der Leistungen. Die Angst vor Anfechtung schwebt über allem und höchster Wert ist auf die formale Korrektheit aller Dokumentationsschritte zu legen.

  • Der individuelle Leistungsstand aller Schüler muss laufen dokumentiert werden und es haben Konferenzen stattzufinden, in denen darüber gesprochen wird. Ganz so, als würden wir Lehrer nicht ohnehin täglich im Austausch stehen und uns bzgl. der Schüler austauschen.
  • Klassenarbeiten und deren Ergebnisse müssen mehrfach dokumentiert werden. Bei zu schlechten Leistungen muss der Lehrer begründen, woran es liegt und muss sich rechtfertigen. Die Schulleitung kann das dann genehmigen oder die Klassenarbeit wird wiederholt. Ganz so, als würden Lehrer bewusst zu schwere Arbeiten schreiben lassen. Entsprechend schwache Leistungen der Schüler werden dadurch natürlich relativiert und das Standing des Lehrers ist dahin.
  • JEDER Versuch im Unterricht findet erst nach angefertigter und unterschriebener Gefährdungsbeurteilung durch. Auch die Gefahren durch die Arbeit mit Stabmagneten und Büroklammern müssen erkannt und dokumentiert werden (Magnete bitte nicht herunterschlucken :wink: )
  • Kopierkosten (15€) müssen durch die Lehrkräfte eingetrieben werden. Mahnbriefe, Anrufe und Kommunikation mit dem Amt inklusive. Ganz so, als würden nicht an anderer Stelle 40.000€ für Lehrertablets ausgegeben werden, die sich als vollkommen ungeeignet herausstellen.
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Als Leihe würde mich interessieren, woher diese juristischen Auseinandersetzungen kommen.
Welche Rechtsgrundlage gibt es dafür?
Ich bekomme das auch immer wieder mit und verstehe nicht, auf welcher Grundlage die Eltern überhaupt klagen können.

Zumindest Zeugnisse sind Verwaltungsakte, die genau dokumentiert werden müssen. Einzelne Noten in den Fächern müssen dann meines Wissens nach ggf. begründet werden.
Ich bin juristisch nicht ganz bewandert, Teil der Ausbildung ist es bestenfalls am Rande. Daher kann es sein, dass ich Dinge wiedergebe, die sich nur als Schreckensszenarien und Gerüchte im Kollegium halten. Ich wäre auch sehr froh um eine fachliche juristisch Einordnung.

Es muss meines Wissens nach sichergestellt sein, dass den Eltern und Schülern die Note im Voraus transparent gemacht wurde. Außerdem soll ja auch noch die Chance auf Verbesserung gewährt werden. Die Mitteilung von Zwischenständen und die einzelnen Ergebnisse schriftlicher Leistungen sollen analog in der Schule notiert werden. Die eigenen Notizen reichen nicht und sollen darüber hinaus nicht auf ausländischen Servern gespeichert werden.

Worum es mir im Wesentlichen geht:
Ich gebe eine mangelhafte Note, die zu einer Nicht-Versetzung führen kann nur, wenn ich mir persönlich sicher bin, dass die Leistung eben nicht für ein erfolgreiches Bestreiten des nächten Schuljahres ausreicht. Ich möchte dem Kind dadurch doch keine Steine in den Weg legen. Dass aber stets die juristische Position mitgedacht werden muss zeugt von Misstrauen zwischen Schule und Eltern. Wobei ich sagen muss, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Eltern sehr kooperativ und freundlich uns gegenüber ist.

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Es bedarf hier keiner spezifischen Rechtsgrundlage.

Jedes staatliche Handeln mit negativen Auswirkungen für den Bürger (und das Handeln der Schulen und Hochschulen ist staatliches Handeln und hat zweifelsohne oft negative Auswirkungen, z.B. schlechte Noten) muss juristisch überprüfbar sein, das gebietet die allgemeine Rechtstaatlichkeit und die Rechtsweggarantie bzw. das aus dem Rechtstaatsprinzip abgeleitete „Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz“.

Es bedarf daher keiner expliziten Rechtsgrundlage. Der Staat braucht für jeden Eingriff eine Rechtsgrundlage, für schwerwiegende Eingriffe auch eine hinreichend bestimmte (dh. über Generalbefugnisse hinausgehende). Der Bürger braucht gegenüber dem Staat hingegen gerade keine explizite Rechtsgrundlage, das zu fordern würde das Rechtstaatsprinzip in’s Gegenteil verkehren. Damit der Bürger gegen staatliches Handeln vorgehen kann muss er daher nur negativ betroffen sein, der Staat muss dann diesen Eingriff über Rechtsgrundlagen rechtfertigen. Nicht umgekehrt!

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Was du hier schilderst ist tatsächlich ein klassisches Problem, das wir in allen Bereichen haben.

Die Selbstabsicherung gegen juristische Konsequenzen nimmt immer mehr und mehr Zeit in Anspruch.

Letztlich ist das ein Preis der Rechtstaatlichkeit - denn wir wollen natürlich, dass Bürger (dh. hier Schüler und deren Eltern) sich gegen etwaiges unfaires Verhalten von Lehrern wehren können. Wenn ein (halbwegs nachvollziehbarer) Vorwurf erhoben wird, muss die Schule diesen Vorwurf entkräften und das kann sie am besten durch eine strikte Dokumentation. Das exakt gleiche Problem haben z.B. Pflegekräfte - wenn ein Bewohner einen Dekubitus (Druckgeschwür) bekommt, weil er vermutlich nicht oft genug gewendet wird, und keine Dokumentation vorliegt, um diesen Verdacht zu entkräften, hat das Pflegepersonal ein Problem. Ähnlich bei der Polizei, auch hier muss letztlich zur Selbstabsicherung alles Dokumentiert werden, sodass die Beamten über „zu viel Bürokratie“ oder „zu viel Misstrauen des Staates“ klagen - aber würden z.B. Zugriffe auf die Computerprogramme nicht geloggt, wüssten wir heute noch nicht, woher der „NSU 2.0“ die Adressen seiner Bedrohungsopfer hatte (und vieles mehr!).

Das ist letztlich die grundsätzliche Diskussion zwischen Rechtstaatlichkeit (erfordert viel Bürokratie und Dokumentation) und Effizienz. Und Deutschland ist da generell sehr stark auf der Seite der Rechtstaatlichkeit unterwegs.

Von den von dir aufgeworfenen Punkten könnte man wohl nur das Eintreiben der Kopierkosten sinnvoll an Verwaltungskräfte (dh. das Sekretariat) auslagern, die anderen Punkte lassen sich nur abschaffen, wenn man bereit ist, den Lehrern, wie du es sagst, „stärker zu vertrauen“, was zwangsläufig von einzelnen faulen Äpfeln ausgenutzt werden würde, bei Lehrern ebenso wie bei Polizisten oder Pflegekräften. Ich verstehe daher den Ruf nach „mehr Vertrauen“, aber leider gibt es in allen Bereichen Menschen, die das ausnutzen. „That’s why we can’t have nice things“.

Die Abwägung zwischen Effizienz und Rechtstaatlichkeit ist daher nicht ganz einfach.

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Womit wir wieder bei den Arbeitsbedingungen sind. Das Land muss die Lehrer, die es hat, auch entsprechend würdigen.
Gerade, wer das im Nebenberuf macht, möchte natürlich nicht auch noch ewig weit pendeln.
Hier müsste geregelt sein, dass eine Schule ein Budget bekommt, mit dem es solche Ersatz-Lehrkräfte selbst einstellen kann. Private Schulen, die selbst einstellen, sind für Lehrkräfte wesentlich attraktiver, da sie eine Planbarkeit bieten, die ein Vertrag mit dem Kultusministerium nicht bietet.
Man möchte natürlich, dass Schulen nicht um Lehrkräfte wetteifern, aber bei tageweise Unterricht macht das keinen Sinn.

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Super, dass es einen Schritt vorwärts in Sachen Schulen geht - siehe LdN 351.
Denn ehrlich: Es ist nicht das Gehalt, das den Lehrerberuf attraktiv oder unattraktiv macht. Es sind vor allem die Arbeitsbedingungen und ein wenig auch die Wertschätzung.

Nun soll es multiprofessionelle Teams an (benachteiligten) Schulen geben. Welch ein Fortschritt! Und dann werden die Maßnahmen auch noch evaluiert. Das reicht zwar alles noch nicht, aber was für ein Schritt vorwärts!

Ein Beitrag wurde in ein neues Thema verschoben: Lehrermangel: Ausbildungsreform?

Immer mehr Lehrer geben auf. In NRW 16 % mehr als im Vorjahr
https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/mehr-lehrerkuendigungen-nrw-100.html

Ich habe keinen Einblick in die genaue Situation in NRW aber in vielen Bundesländern wurde ja für Lehrer das Recht auf Teilzeit eingeschränkt. Aus Bayern hörte ich von einigen älteren Lehrerinnen (ja nur Frauen), dass sie dann wohl eher gar nicht mehr arbeiten würden als nochmal Vollzeit, weil Mann verdient gut, Kinder sind aus dem Haus und dieses ist schon abbezahlt.
Solch ein Effekt könnte die Zahlen natürlich auch in die Höhe springen lassen.

Was natürlich nicht heißen soll, dass es die, die einfach zermürbt sind durch große Klassen mit heterogenen Schülern ohne ausreichende Unterstützung z.B. durch Sozialpädagogen, nicht auch gibt.

Da sowohl die verbeamteten Lehrer als auch Angestellte gezählt wurden, könnte ein Effekt auch sein, dass Quereinsteiger nicht dauerhaft als Lehrer arbeiten.

Dass es darüber aber nicht genauere Infos gibt weil man das scheinbar gar nicht erfasst wirft kein gutes Licht auf das zuständige Ministerium.

Frau Feller meint, das sei ja normal, junge Menschen wechseln in dieser Zeit häufiger den Arbeitsplatz.
Dass auch erfahrene Lehrer den Dienst quittieren, sieht sie nicht.
Schlimm muss es wohl an Grundschulen zuzugehen, Eltern vermeiden Konflikte mit ihren Kindern und laden die Erziehung komplett in der Schule ab.
Meine Frau ist ja an einer Brennpunktschule im Ruhrgebiet.
Eigentlich Realschule, aber neben 10% Realschülern sind dort 50% Hauptschüler, 30% nicht getestete Förderschüler und 10% der Schüler werden durch Spezialisten extra gefördert.
Aber im Allgemeinen ist das größte Problem der Respekt von Schülern und Eltern gegenüber den Lehrern und häufig die fehlende Rückendeckung der Vorgesetztem.