[LdN419] Aufrüstung der einzige Weg in die neue Weltordnung?

Die letze Folge (LdN 419) hat mich doch sehr erschrocken.

Warum ist auf einmal Aufrüstung der einzige Weg aus der Situation? Ich kann die laute Forderung nach mehr systemierter Waffenproduktion, Bodentruppen und Wehrpflicht nicht nachvollziehen.

Sind wir in Europa nicht gerade darauf stolz, dass wir 80 Jahre lang die Konflikte von 27 Ländern untereinander friedlich gelöst haben? Haben wir uns nicht sehr bewusst von Wehrpflicht und Atomwaffen abgewandt?
Europa ist doch Kommunikation und Diplomatie. Warum sind auf einmal ein „Atomarer-Schutzschild“ und Bodentruppen das Entscheidende?

Kriege werden doch sowieso längst digital geführt -Cyberangriffe, Manipulation, Social Media. Dazu die finanziellen Interessen von Konzernen und Lobbyverbänden, deren Macht und Einfluss auch mitbestimmen.
Brauchen wir wirklich wieder dass unsere Söhne und Töchter in der Schützengraben sterben?

Ich finde wir sind mehr. Europa ist mehr.
Nur weil Trump ein bisschen Chaos stiftet, sollten wir trotzdem vernünftig bleiben und uns nicht von dieser Rhetorik anstecken lassen.
Schon gar nicht wen Putin und Trump sich als die Größten Aufspielen, sollen wir uns nicht dazu verleiten lassen, uns provozieren zu lassen und da hinterher rennen zu wollen. Genau dieses Muskeln spielen lassen ist doch das, was wir verurteilen, oder nicht?
Die Forderung nach einem atomaren Schutz, nach einer Wehrpflicht und mehr Bodentruppen und Panzern solle nicht so einfach in der Raum geworfen werden, wie es in der letzen Folge passiert ist.
Ich hatte mir da eine deutlich differenziertere und weniger einseitige Auseinandersetzung erhofft.

Ich glaube die Menschheit ist weiter als das. Und wenn wir in der EU mehr Verteidigung und Sicherheit brauchen, lässt sich das bestimmt vernünftig regeln, ohne dass wir in blindes Chaos verfallen nur weil die große Schutzmacht USA sich von uns zurück zieht.

Ich weiß nicht wie. Aber ich bin überzeugt, dass wir in Europa genug Wirtschaftsmächte, genug Ged, genug diplomatische Sozialkompetenzen, genug Infrastruktur, genug Wissen, genug Forschung, genug zukunftsorientiertes Denken haben, als dass wir wieder in so ein primitives Muster des Wettrüstens fallen müssten.

Gerade was Wehrpflicht, Bodentruppen und Atomwaffen angeht, kann das nicht die Lösung für unsere Zukunft sein.
Ich lass mich nicht von Russland einschüchtern. Und auch nicht von den USA zum Aufrüsten provozieren.
Europa kann mehr als nur Waffengewalt.

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Nunja, das ist halt nicht „ein bisschen Chaos“, sondern eine 180 ° Wende und Infragestellen aller seit dem Zweiten (edit, vorher stand hier Dritten, das war Freud …) Weltkrieg angestrebten Werte.

Ich fürchte, du unterschätzt Trump und Putin und die Veränderungen, die sie herbeiführen, und die Bedrohung, die sie bedeuten.

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Das scheint mir doch sehr naiv. Wenn Putins Truppen im Baltikum einmarschieren, wird dort gestorben, ob es uns gefällt oder nicht. Glaubhafte militärische Abschreckung (was leider nur mit Aufrüstung geht), wird ihn aber wahrscheinlich davon abhalten. So traurig es ist, heißt das, dass Geld ausgeben für Waffen gerade dazu führt, dass niemand sterben muss.

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Wenn ich sehe was in der Welt passiert, was im Wahlkampf in Deutschland so abgeht und wie sich Europa so verkauft, würde ich diesen Satz von dir vehement bestreiten.

Wir wären wohl gerne soweit, sind es faktisch aber bei weitem nicht.

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Exakt das ist das Problem. Ich habe früher auch die linke Forderung nach einem NATO-Austritt vertreten, nachdem wir nun aber mit einem expansionistisch-imperialistischem Russland und möglicherweise gar mit den ebenso expansionistisch-imperialistischen USA konfrontiert sind, ist mir klar, dass das eine naive Fehleinschätzung war.

Fakt ist und bleibt, dass es aggressive Akteure gibt, die bereit sind, ihre Bürger in einem Krieg zu verheizen, um ihre Nachbarstaaten zu unterjochen und ihr Territorium zu erweitern. Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat uns das sehr deutlich vor Augen geführt, aber auch Russlands Aktionen in Georgien hätten uns da schon die Augen öffnen können.

In Anbetracht solcher Aggressoren können wir nicht auf Diplomatie bauen. Putin hat sehr klar gesagt, wie er sich das Russland der Zukunft vorstellt - und das bedeutet: Russland grob im Territorium der ehemaligen Sowjetunion. Und Russland hat gezeigt, dass es bereit ist, Krieg dafür zu führen, damit dieses Russland entsteht. Was ist also hier der Plan mit Diplomatie, Wirtschaftsstärke, Geld, Infrastruktur, Wissen und Forschung zu tun, wenn Russland sich entscheidet, im Balikum einzumarschieren und Trump sagt: „Das ist ein Europa-Problem…“ und aus der NATO austritt?

Ein imperialistischer Aggressor lässt sich nicht durch Diplomatie stoppen. Ein imperialistischer Aggressor sieht unsere ungeschützte Wirtschaftsstärke, unser ungeschütztes Geld, unsere ungeschützte Infrastruktur, unser ungeschütztes Wissen und unsere ungeschützte Forschung und sagt: „Will haben!“. Wer nach dem russischen Angriffskrieg und dem Quasi-Rückzug der USA aus der NATO hier ernsthaft gegen Aufrüstung argumentiert und meint, man könne einen imperialistischen Akteur wie Russland mit Diplomatie zur Vernunft bringen, sollte ernsthaft ein Geschichtsbuch aufschlagen und nachsehen, wozu die Appeasement-Politik gegenüber Hitler geführt hat…

Ich kann deinen Impuls, @ctg, gegen die Aufrüstung absolut nachvollziehen. Ich finde es auch extrem ätzend, dass wir all dieses Geld nun in Rüstung und Verteidigung investieren müssen, statt in Bildung und Soziales. Glaube mir, ich würde mir auch wünschen, dass die Welt eine andere wäre. Aber alle Investitionen der Welt in Bildung und Soziales bringen nichts, wenn Russland bald zum Europafeldzug ansetzt und wir nicht darauf vorbereitet sind. Das Problem ist und bleibt hier Russland, das uns zu diesen Rüstungsausgaben zwingt.

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Ich habe keine Lust auf Wettrüsten. Alles an Geld was in Rüstung geht ist erstmal weg, verbrannt ohne Gegenwert. Leider geht es mir so wie Dir, ich weiß keine Alternative. Russland rüstet auf, hat auf Kriegswirtschaft umgestellt und wird weiter in unsere Richtung vorrücken. Die einzige Lösung die ich kenne ist Aufrüstung. So viel Aufrüsten, dass Putin sich nicht traut, näher zu uns zu kommen.
Wirtschaftlich wird nicht funktionieren, wir sind ja immer noch von Russland abhängig. Was nützt uns Geld, Infrastruktur, Wissen, … um zu verhindern, dass Russland uns angreift. Das sind doch genau die Gründe, warum Putin uns angreifen wird.

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Wir haben uns zurück gelehnt, weil andere die Atomwaffen für uns haben. Das heißt nicht, dass wir uns abgewendet haben. Wir haben Flugzeuge, die die Atomwaffen der USA im Ernstfall an Ort und Stelle bringen.

Aufrüstung heißt ja nicht, dass man diese Waffen dann auch einsetzt. Es soll ja genau das verhindern.

Kriege werden zusätzlich digital geführt. Nicht ausschließlich, wie man in der Ukraine sieht. Du kannst noch so gut im cyberkrieg sein, einen Einmarsch wirst du mit Servern an der Front wohl kaum verhindern.

Zustimmen würde ich dir, dass Europa eine Stimme zu weniger Waffen sein kann und dass man parallel versuchen sollte Abrüstung wieder global zu unterstützen. Sehe nur kein Vertrauen in Putins Russland. Und sehe nicht, dass die Stimme der EU aktuell relevant wäre, sofern man sich militärisch erstmal Gehör verschafft.

Das wirtschaftliche Gewicht der EU hat Russland bisher nicht davon abgehalten weiter zu machen. Sanktionen reichen nicht

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Ich kann sie Forderung nach einer europäischen Professionalisierung der Verteidigung verstehen und ich verstehe auch den Zeitgeist der Zeitenwende ein Stück weit. Was mich arg verwundert ist die Frage nach der Wehrpflicht, die taugt nicht zur Zuspitzung der Debatte. Die volkswirtschaftlichen Kosten sind viel zu hoch und als ob die Bundeswehr mit Wehrpflicht besser dran wäre als heute. Ausserdem stellen sich demokratietheoretische Fragen (Rechte der Kinder, ua wegen Volljährigkeit etc.) — diese dürfen nicht im Getöse des Kriegs untergehen.

Es muss keine generelle Wehrpflicht sein. Siehe schwedisches Modell. Es wird nach Bedarf Interessen und Fähigkeiten eingezogen. Nicht pauschal.

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Ja, sehe ich ein. Kann ja auch ein spannender Berufsweg sein für manche. Dann müssen wir es aber anderes nennen. Habeck suggeriert in seinen Interviews er würde heute den Dienst nicht mehr verweigern, weil die Weltlage eine andere war als damals. Das halte ich für Quatsch. Junge Menschen richten sich ja nicht nach der Weltlage, sondern haben z.B. einfach kein Bock auf Bund.

Die Diskussion über die Wehrpflicht bitte bei Bedarf hier weiterführen:

In diesem Thread hier sollte es eher um die Frage:
Sollte es Verteidigungspolitisch ein „Weiter so!“ geben oder müssen wir etwas ändern, müssen wir ohne die USA verteidigungsfähiger werden? Ob das schlicht durch viel mehr Geld oder eine Wehrpflicht geschehen soll, ist dabei zweitrangig.

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Philip und Ulf sagen, dass es vollkommen klar sei, dass wir mehr Geld für Rüstung ausgeben müssen.
Aber stimmt das wirklich? Oder wiederholen sie nur unkritisch, was viele behaupten?
Ich wünsche mir hier eine kritische Auseinandersetzung - Wer stellt diese These auf? Welche Interessen hat er/sie noch? Gibt es eine Nähe zur Rüstungsindustrie?
Greenpeace hat eine Studie initiiert, die die Rüstungsausgaben und Waffensysteme zwischen Nato (auch ohne USA) mit Russland vergleicht [1].
Selbst ohne USA ist Europa hier in allen Zahlen, bis auf Atomwaffen, Russland überlegen.

Ist unser Risiko vielleicht gar nicht die fehlende Aufrüstung sondern die fehlende Einigkeit der europäischen Länder, die Partner sein sollten?

Ich wünsche mir, dass die LdN sich mit dieser Frage in der von anderen Themen gewohnt fundierten Weise auseinandersetzt.

[1] Wann ist genug genug?

Ich stimme durchaus zu, dass Europa Russland im Hinblick auf Ausrüstung und Personal-Potenzial maßgeblich überlegen ist. Allerdings darf man dabei zwei relevante Faktoren nicht unberücksichtigt lassen:

  1. Die russische Armee hat viel Kampferfahrung gesammelt, keine europäische Armee hat irgendeine richtige Kriegserfahrung. Wir haben maximal Erfahrung in begrenzten Einsatzszenarien, und auch da nur in einer Form, in der wir von den USA abhängig waren (Afghanistan und co.). Richtige Kriegserfahrung, also wie wir unsere komplexe Militärtechnik richtig im Gefecht der verbundenen Waffen führen können, fehlt uns völlig. Russland hat mit Tschtschenien und der Ukraine, aber auch mit Syrien, deutlich mehr Erfahrung in diesem Bereich. Und diesen Faktor darf man keinesfalls unterschätzen.

  2. Russland ist bereit und innenpolitisch in der Lage, einen massiven Abnutzungskrieg zu führen und hunderttausende seiner Bürger zu verheizen. In Europa gibt es diese Bereitschaft - zum Glück - nicht. Aber diese Bereitschaft ist kampfkraftsteigernd und das müssen wir berücksichtigen. In einem echten Krieg wäre die Stabilität unserer Demokratien wesentlich eher gefährdet als die Stabilität in einem autokratischen Regime wie Russland.

Ob wir wirklich viel mehr Geld brauchen kann man diskutieren. Was aber zweifellos feststeht ist, dass die Effizienz des Geldeinsatzes in Europa eine Katastrophe ist und auch, dass Russland alleine deutlich mehr Kampfpanzer hat als ganz Europa und dass Russland mehr Kampfflugzeuge hat als die ganze EU zusammen. Mit Artillerie und dazugehöriger Munition wollen wir erst gar nicht anfangen. Gemessen an der Wirtschaftskraft scheint uns daher gerade bei diesem Großgerät doch erheblich etwas zu fehlen.

Meines Erachtens muss daher definitiv mehr Geld für Rüstung ausgegeben werden, gleichzeitig muss die Effizienz maßgeblich verbessert werden. Je effizienter wir das System gestalten können, desto weniger Geld brauchen wir. So lange aber alle EU-Staaten daran festhalten, eine eigene Voll-Armee zu haben und keine EU-Armee aufzubauen, wird das System extrem ineffizient sein. Das ist letztlich ein dritter Punkt, warum Russland faktisch stärker ist, als es die reinen Zahlen auf dem Papier denken lassen.

Nebenbei: Es geht nicht darum, ernsthaft zu befürchten, dass die Russen bis nach Berlin vormarschieren könnten. Realistisch könnten die Russen nach allem, was wir in der Ukraine gesehen haben, nicht mal Polen erobern. Es geht darum, ob wir geung Abschreckung haben, dass Russland erst gar nicht auf die Idee kommt, im Balikum rumzuzündeln. Denn Russlands Strategie wäre eher, z.B. mit einem massiven Angriff die Suwałki-Lücke zu erobern und sich dort festzusetzen. Russland verfolgt eine Strategie der kleinen Schritte - es würde versuchen, einen Landstrich zu erobern und zu halten, und aktuell hätten wir nicht die Mittel, das effektiv zu verhindern oder gar einen solchen Landstrich zurück zu erobern, alleine schon, weil uns ohne die USA die Aufklärung fehlen würde.

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Die Frage, die sich mir stellt, ist, ob es nicht trotzdem eine durchdachte linke Alternative geben kann. Kann es eine Strategie geben, welche die militärischen und machtpolitischen Realitäten anerkennt und trotzdem nicht einfach einschwenkt auf die Positionen, welche bisher von Rechts dominiert wurden?
Anders gesagt: Kann es eine linke, anti-imperialistische und friedenspolitisch eingebettete Aufrüstung geben, oder ist dies ein Widerspruch in sich?

Ich weiß selbst nicht, ob das ein realistischer Anspruch ist. Die bisherige Strategie der Linken (Partei) überzeugt mich da auch nicht wirklich. Trotzdem halte ich es für wichtig sich diese Kritik beizubehalten, da eine zunehmende Militarisierung wie zB durch die diskutierte Wehrpflicht auch gesellschaftlich nicht ohne Konsequenzen bleiben wird.

Darüber hinaus sehe ich auch in der grundsätzlichen Pro-Aufrüstungs-Position noch Potential für deutliche Unterschiede zwischen den Parteien: Wie national oder europäisch soll das Militär werden, mit welchen Strukturreformen der Bundeswehr soll die Aufrüstung einhergehen (zB in der Beschaffung), auf Basis welcher konkreten strategischen Ziele soll diese Aufrüstung erfolgen (Bündnisverteidigung in EU-/NATO-Zusammenarbeit, Fähigkeit zur nationalen Verteidigung unabhängig von anderen Ländern, etc), wie kann eine Rüstungsspirale vermieden werden,…
Diese Fragen und unterschiedlichen Antworten darauf sollten mMn mehr im Fokus stehen. In der aktuellen politischen Debatte hört es sich sonst manchmal so an, als wäre alles nur davon abhängig, wieviel % des BIP Deutschland in Aufrüstung investiert.

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Das ist sicher ein sinnvoller Gedanke.

Allerdings spielen dabei viele internationale Akteure eine Rolle, auf die wir nur bedingt Einfluss haben.

Eine einseitige Abrüstung und friedensorientierte Politik kann da leicht Folgen haben, die wir so dann doch nicht haben wollen

Und dafür
a. zerstören wir unsere ohnehin geschwächten Sozialsysteme (oder woher nehmen wir das Geld für diese massive Aufrüstung?),
b. zerstören wir unsere Umwelt (Herstellung von Stahl braucht aktuell noch jede Menge fossile Energie)
c. binden knappes Fachpersonal in militärischen Strukturen (insbesondere die nachkommenden Generationen, die ohnehin zu wenig sind)
d. produzieren Dinge, die wir (hoffentlich) niemals brauchen werden und die nach X Jahren wieder verschrottet werden?

Die Liste ist sicherlich erweiiterbar.

Ich will nicht akzeptieren, dass dies die Ultima Ratio ist.

Das muss man ja nicht akzeptieren. Aber dann muss man sagen, wie es alternativ realistisch (!) anders geht.

Ohne da zu naiv oder ideologisch zu denken

Ich mache das ja nicht beruflich, da gibt es doch Diplomaten für, die jahrelang sich mit solkchen Situationen beschäftigt haben um Lösungen zu finden. Ich behaupte einfache Lösungen gibt es nicht, auch nicht die auch in diesem Forum häufig propagierte Lösung ala „da muss man halt mal ordentlich Aufrüsten“.

Nur ist es eben so, dass je weniger wir tun, desto wahrscheinlicher wird es, dass es nicht nur Angriffe auf das Baltikum gibt sondern dass dies nur der Anfang wäre.

Und da ist dann eben die Frage ob es Umwelt, sozialsystemen etc. Wirklich entgegenkommen würde in welcher Welt man dann leben würde.