[LdN419] Aufrüstung der einzige Weg in die neue Weltordnung?

Ich finde es immer spannend, dass dies als „Fakt“ immer angeführt wird, wenn ich das Gegenteil behaupte aber quasi als Spinner abgetan werde.

Ohne Umwelt, Sozialsysteme etc ist es völlig egal für die Zukunft dieser Zivilisation, ob sie vorher noch schön viel Krieg geführt hat. Ich sehe eben in Deiner Aussage dieselbe Verkehrung der Realität wie Du sie bei mir siehst.

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Du meinst also auf ausreichend Verteidigungsfähigkeit zu verzichten hat keinen Einfluss darauf wie wahrscheinlich ein Angriff ist?

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Und die Experten sagen eben, dass man aufrüsten und besser ausstatten muss als es aktuell der Fall ist. Alternativ kannst du alles was das Völkerrecht bisher erreicht hat über den Haufen schmeißen oder einen Attentäter auf Putin loslassen.

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Ich bin beileibe kein Fan von wilder Aufrüstung, weil ich überzeugt bin das wir die Kohle woanders besser gebrauchen können.

Allerdings haben wir die letzten 30 Jahre unsere Friedensdividende genutzt und die USA die Sicherheit gewährleisten lassen.
Das gesparte Geld haben wir allerdings auch nicht so effektiv genutzt, das wir jetzt eine topmoderne Infrastruktur, ein tolles Bildungssystem und eine blühende Wirtschaft hätten.
Offenbar konnten die letzten Regierungen nicht mit Geld umgehen oder wir haben als Gesellschaft die falschen Schwerpunkte gesetzt in unserer friedlichen Welt.

Folge ist nun faktisch, das wir eine Bundeswehr haben mit einer gemessen an der Größe der BRD eher bescheidenen Personalstärke.
Erstmal ja kein Problem, wenn es sich dabei um eine topausgerüstete und professionell ausgebildete Berufsarmee mit genug Reserven handeln würde.

Ist aber offensichtlich nicht der Fall.

Bei allen sicher wünschenswerten und erstrebenswerten Ideen hinsichtlich einer friedlichen Welt der Koexistenzen und Kooperationen knalle ich da mit dem Kopf immer schmerzhaft an der Realität ab.
Da gibt es Dinge, die wir so nicht möchten, die aber da sind, und die wir nicht einfach wegverhandeln können.
Als ehemaliger Zeitsoldat habe ich schon einen Eindruck gewinnen können, was Menschen anderen Menschen antun können, und das auch tun.
Daher möchte ich schon, das wir uns gegen solche Übergriffe wehren können oder potentielle Aggressoren glaubhaft abschrecken können.
Wie immer wir das machen wollen.

Ist sie auch nicht.
Es gibt weiterhin die Möglichkeit, durch totale Sanktionen die Wirtschaft lahm zu legen, jeden mit Zöllen zu belegen, der weiterhin mit Russland Handel treibt. Wer Sanktionen unterwandert, bekommt keine Geldstrafen, sondern mindestens fünf Jahre Gefängnis. Das wird in allen Partnerländern vollstreckt.
Gleichzeitig müssen Aktionen in den russischen und belarussischen Netzwerken laufen, um den Bürgern klar zu machen, dass wir bei einer Auslieferung der Führungsmannschaft die Wirtschaft des Landes aufbauen und sofort mit Friedenstruppen bereit stehen, um die Entwaffnung des Militärs und der Polizei zu unterstützen und Neuwahlen zu sichern.
Es gibt zwei Möglichkeiten: militärische oder wirtschaftliche Drohkulisse. Welche man auch wählt: es muss klar sein, dass man sie ernst meint.

Sanktionen funktionieren leider nur im Verbund. Anscheinend hat Russland genug Verbündete gefunden, die bei der Umgehung helfen und die USA sind drauf und dran einen Wirtschaftsdeal mit Russland zu machen und das macht es leider sehr schwierig

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Da sehe ich grad auf westlicher Seite das größte Problem.

Welche? Die Militärexperten? Ja klar, dass sie das sagen. Aber die Argumente dazu sind eigentlich alle ausgetauscht.

Auch die Friedensgutachten der letzten Jahre lassen wenig Zweifel daran, dass wir um die (konventionelle) Aufrüstung mittelfristig nicht herum kommen.

Die beste Lösung ist hier wohl eindeutig die am wenigsten schlechte. Im Forum wurde ja schon einige Male hoch und runter diskutiert. Ein Problem ist sicher, dass wir uns bei der Einschätzung der Situation nur schlecht ein eigenes Bild machen können, weil wir aus gutem Grund nicht vom Geheimdienst gebrieft werden. Aber wenn es aus Sicht westlicher Demokratien hier vielversprechende diplomatische Ansätze gäbe, wüssten wir m.E. zumindest abstrakt davon.

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Die CSU hat vergangene Woche schon mal zum Thema Aufrüstung vorgelegt:

Der Weg dahin ist auch angegeben:

Darüber hinaus fordert die CSU die Wiedereinführung der Wehrpflicht.

Außerdem:

300 Kampfpanzer, 500 Schützenpanzer und 2500 Fahrzeuge sollen zusätzlich bei der Bundeswehr zulaufen.

Finanzierung:

Stattdessen [statt eines Sondervermögens] soll der reguläre Verteidigungshaushalt auf drei Prozentpunkte des Bruttoinlandsproduktes (BIP) anwachsen.

Ging bis zur Wahl gestern in meiner Wahrnehmung komplett unter. Hat das sonst jemand mitbekommen?

edit:
Aktuell leisten etwa 184.000 Soldat*innen Dienst (Quelle) und es gibt ca. 34.000 aktive Reservisten (Quelle). Die Zahlen müssten sich laut CSU also verdoppeln.

Friedensforscher, Militärexperten, Osteruropaforscher… die Mehrzahl der Leute, die ich zu dem Thema reden höre und sich mit dem Thema auskennen sollten. Vlt sind es einfach die richtigen Argumente und man kommt nicht drum herum?

Ne. Aber die CSU ist auch meist über dem, was die CDU will, damit sie relevant bleibt.
Ich gehe davon aus, dass die Finanzierung über die EU und neue Schuldenregeln (Militär nicht Teil der Schuldenregeln) angepasst wird. Wie es bei Investitionen mal angedacht war. Witzig nur, dass Militärausgaben größtenteils die immer so verteufelten Konsumausgaben sind. Aber naja.

Die Fahrzeugzahlen sind auch gar nicht so viel mehr, als wir jetzt haben. 350 Schützenpanzer gibts schon. Das wichtigere ist die Personenzahl
Das eine Ziel hat Söder schonmal übererfüllt, oder er soll abrüsten :wink:
„Bis 2025 hat sich die Bundeswehr zudem zum Ziel gesetzt, den aktiven Bestand auf 328 Leopard‑2-Panzer der neuesten Generation A7V aufzustocken.“

Deine Frage hat mich zum Nachdenken gebracht, und vielleicht ist dies kein Widerspruch in sich. Vielleicht gibt es eine linke, antiimperialistische und friedenspolitisch eingebettete Aufrüstung tatsächlich.

Ich hadere schon lange mit dem blinden Aufrüsten nach kapitalistischem Modell. Einige Rüstungskonzerne und ihre Aktionäre verdienen sich doof und dusselig an der Situation und unserer Angst, aber die Wehrhaftigkeit der Gesellschaft steigt nie kongruent zur Aufrüstung.

Ich denke, dass in der Breite der Bevölkerung Übereinstimmung darin besteht, angesichts der Weltlage als Gemeinschaft wehrhaft sein zu müssen. Das ist die Einsicht in die Notwendigkeit, die jedem Menschen zuzutrauen ist.

Nur mal eine fixe, noch unausgereifte Idee: Die Antwort könnte eine vergemeinschaftete Aufrüstung sein, vielleicht genossenschaftlich organisiert, also nicht gewinnorientiert und gleichzeitig in Besitz aller Genossenschaftlerinnen (vielleicht sogar automatisch in Besitz aller Bürgerinnen, weil jede*r qua Geburt einen Genossenschaftsanteil bekommt). Ja, das käme einer Enteignung gleich, aber da die Rüstung sowieso zu fast hundert Prozent von Steuergeldern bezahlt wird, kann die Industrie auch gleich allen gehören, die dafür bezahlen.

In diesen Genossenschaften könnten Entscheidungen über Investitionen, über Forschungen und über Implementierung in ein grundsätzliches Wehrhaftigkeitskonzept (inkl. Diplomatie) maximaldemokratisch von gelosten, deliberativen Foren getroffen oder vorbereitet werden. Im Vorfeld und auch während der Durchführung könnten mittels Crowdsourcing die Wissensressourcen der gesamten Bevölkerung angezapft werden. Meinetwegen können die entwickelten Lösungen auch per Volksentscheid nochmal legitimiert oder hinterfragt werden, um die größtmögliche Zustimmung zu sichern.

Die Vorteile liegen auf der Hand:

  • die Bürger*innenschaft organisiert gemeinschaftlich mit realistischem Blick auf die Gefahren und Notwendigkeiten ihre eigene Wehrhaftigkeit, was zu einer breiteren Akzeptanz der betroffenen Entscheidungen führt

  • Die Rüstungsindustrie würde nicht singulär betrachtet, sondern als ein Element der allgemeinen Wehrhaftigkeit

  • die Preise für die Rüstung würden sinken, weil kein Gewinn erwirtschaftet werden müsste

  • Es wäre mehr Geld zur Verfügung für andere Investitionen in die Resilienz und Wehrhaftigkeit der Gesellschaft

  • das investierte Geld verschwände nicht in den Taschen einiger weniger

  • die Menschen investierten in sich selbst und wären dadurch vielleicht auch bereit, mehr zu investieren

  • der Zusammenhalt der Menschen könnte gestärkt werden, Spaltung könnte entgegengewirkt werden, weil Entscheidungen gemeinsam getroffen würden.

Der Einwand der Demokratie-Konservativen lautet wahrscheinlich, dass das Parlament bei der Entwicklung einer Wehrhaftigkeitspolitik (ich sage mit Absicht nicht Verteidigungspolitik) außen vor wäre. Dem entgegne ich: ganz genau!