LdN386 Wahlanalyse - was ist im Osten anders

Mag im Einzelfall bei näherem Kennenlernen so sein, aber deine verallgemeinernde These widerspricht den Rassismuserfahrungen vieler BiPocs bis hin zu erwiesenen rassistischen Gewalttaten. Taugt wirklich nicht zur Verharmlosung.

Denke nicht, dass Rassismus sich darauf beschränkt.

Viele Menschen mit internationaler Geschichte denken darüber nach, wo sie hingehen könnten, wenn es noch schlimmer wird.

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So lange Du solche Schlagzeilen hast, wird es schwer, international tätige Unternehmen anzusiedeln: Rassistische Attacke in Grevesmühlen: Jugendliche verletzen Achtjährige | NDR.de - Nachrichten - Mecklenburg-Vorpommern (war gestern Abend).

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Diese relativierende Haltung kenne ich aus meiner Zeit dort ganz gut. Aber die Menschen, die ich aus der zeit dort kenne und die dort in unternehmen arbeiten oder die beraten, berichten davon, dass ausländische Gäste und neue Mitarbeiter:innen gebrieft werden, wo man besser nicht hingehen sollte etc. Und 20-30% stimmen eben für den politischen Arm des rechtextremen Terrors. Da hilft es dem Dönerverkäufer wenig, wenn die danach noch bei ihm was essen.

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Ich denke winfach nicht, dass Rassisten und ihren Unterstützern diese Kategorien etwas bedeuten (außer es geht um sie selbst). Wir müssen auch mit schlechten menschen leben, die sich nur aus Eigennutz an mindestandards des zusammenlebens halten. Aber wenigstens das muss dann auch durchgesetzt werden.

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Habe jetzt mal „Grevesmühlen“ in eine Suchmaschine eingegeben. Neben vielen Artikeln zum jetzigen Vorfall, die dem Netz erhalten bleiben werden und Grevesmühlen-erleben-Seiten findet sich noch das hier:

Auf Facebook illustriert die CDU dieses Statement mit dem Foto eines vermummten Mannes, der einen Ziegelstein in der Hand hält.
Der Kreisvorstand der CDU, Thomas Grote, verwies auf vergangene Demos in Wismar, bei denen nach seinen Angaben Vermummte an den Demos teilgenommen hätten: “Keiner hat sich dagegen gewehrt und das waren die gleichen Einladenden, die jetzt auch wieder einladen. Also auch Linke, Grüne, SPD, die dort einladen und darum haben wir bewusst gesagt, wir nehmen zumindest ein vermummtes Bild. Der Stein, okay, der hätte vielleicht nicht sein müssen - das will ich jetzt nicht sagen, aber vermummt treten diese Antifa-Leute auf.”

Da zeichnet der Kreisvorstand der CDU also ein Bild, wo sich rechte Gruppen und linke Antifa auf den Straßen gegenüber stehen. Wir wissen, dass das überzogen ist, aber wissen das auch Leute aus dem Ausland, die sich dort niederlassen wollen und ihre Kinder dort zur Schule gehen lassen wollen?

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Kommt der Wohlstand denn bei der Bevölkerung an? Ist der Median-Ostdeutsche 4,5 mal wohlhabender als 1990, wie die BIP/Kopf Zahlen versprechen?

Ich habe den Eindruck, in der LdN wird grundsätzlich auf Sprache und Wortwahl geachtet und der Einfluss von Sprache ja auch gelegentlich kommentiert, deshalb hier eine Anmerkung zum Sprechen über die Wahlanalyse:

Ihr sagt, es lässt sich anhand der Wahlergebnisse eine 35 Jahre alte (dh eigentlich nicht mehr existente) Grenze nachzeichnen, und dass das sehr erstaunlich sei. Gleich darauf sagt ihr, ihr sucht nach Studien, die erklären, weswegen „die Menschen im Osten anders ticken“. Ich finde dadurch wird eine „Default“ Perspektive, nämlich die westliche, statuiert und somit nicht nur die Grenze, sondern eben auch eine gewisse Hierarchie perpetuiert. Eine Formulierung wie „weswegen die Menschen im Osten und im Westen unterschiedlich ticken“, fände ich persönlich besser. Denn auch sie lässt eine Analyse sowie die Feststellung zu, dass es diese Grenze offenbar sehrwohl noch gibt, aber sie perpetuiert sie nicht die häufig mit dieser Grenzziehung einhergehende Hierarchisierung (dh: wer ist die Ausgangsgruppe, wer ist die Vergleichsgruppe. Die Formulierung „weswegen die Menschen im Westen anders ticken“ habe ich noch nie gehört). In die gleiche Richtung geht für mich übrigens die Formulierung „neue“ Bundesländer, da auch hier die westliche Perspektive als Standardperspektive zu der anderes in Relation gesetzt wird, statuiert wird. Das nur zur Erläuterung meines Anliegens; ich weiß nicht, ob ihr diese Formulierung auch verwendet.

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Ein Vergleich zwischen Baden-Württemberg und Thüringen hilft da vielleicht.

1991, im ersten Jahr nach der Wiedervereinigung, war der Abstand beider Länder mit 11 581 Euro je AN sogar höher als die tatsächlich gezahlten Löhne und Gehälter in Thüringen mit 10 891 Euro je AN. In den beiden nachfolgenden Jahren, also bis 1993, hat sich diese Lücke auf 8 418 Euro je AN verringert, blieb aber in den Folgejahren bis 2022 in etwa auf diesem Niveau.
Baden-Württemberg und Thüringen im Vergleich: Bruttolöhne und -gehälter 1991 bis 2022

Die Statistik zeigt auch besonders hohe Unterschiede beim produzierenden Gewerbe. Da profitiert gerade der Raum Stuttgart von der IGMetall, im Osten sind Gewerkschaften wesentlich schwächer aufgestellt, dazu kommen viele kleine Betriebe, die meist auch schlechtere Gehälter zahlen als große Konzerne.
Insgesamt gab es wohl einen guten Lohnzuwachs in Thüringen, aber man gewöhnt sich eben schnell an einen gewissen Lebensstandard und vergisst dann, wo man her kam.

Ich beobachte seit Jahren eine Ostdeutschtümelei. Viele tun so, als wären ihre Erfahrungen einzigartig, als wäre nur ihnen etwas geschehen. Dabei hatten die Ostdeutschen vor allem Glück. Sie sind in einem der reichsten und einem der zehn freiesten Länder der Welt ohne eigenes Zutun wach geworden und sozial abgefedert wie 95 Prozent der Weltbevölkerung es nicht sind. Und trotzdem tut eine Mehrheit von ihnen immer so, als wenn sie unentwegt untergebuttert und ausgebeutet würden. Als wären ihre Transformationserfahrungen einzigartig. Das Ruhrgebiet hat die auch.

Oh mein Gott er hat so Recht, ich kann’s gar nicht sagen.
Die Wiedervereinigung war der größte Wohlstandstransfer in der Geschichte der Menschheit, ausschließlich zugunsten der Ostdeutschen wohlgemerkt, und es gab und gibt nur Gemecker und Gejammer. Und irgendwelche Verschwörungstheorien von der bösen Treuhand, welche die ganze international so konkurrenzfähige Ost-High-Tech-Industrie ausgeschlachtet hat.

Und selbst die Leute die nach 1990 geboren wurden übernehmen diese ganzen Opfer- und Heldengeschichten. Ich habe kürzlich einen Mitzwanziger unironisch sagen hören „dafür sind wir '89 nicht auf die Straße gegangen“.

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Damit hat er sich disqualifiziert.

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Auch aus dem besagten FP-Interview (noch bis heute 22 Uhr ohne Paywall):

Die Revolution 1989 war eine für die Freiheit, aber wie bei allen Revolutionen hat sich nur eine Minderheit daran beteiligt. Die Masse stand hinter den Gardinen und hat zugeguckt, bis sich die Verhältnisse sortiert hatten. Der Mehrheit wurden Freiheit und Einheit geschenkt, sie musste nichts dafür tun. Viele gingen damit sehr achtlos um. […] Bis heute können viele im Osten mit Freiheit nicht umgehen. Wir sehen einen viel ausgeprägteren Staatshass als im Westen, der sich aus Vorstellungen speist, was der Staat zu machen hat und was er nicht zu machen hat. Die sind bezogen auf den liberalen Staat völlig überzogen. Das hat auch mit einer völlig überspannten Erwartungshaltung zu tun, die vor 1989 gegenüber dem Westen in der DDR entstanden ist.

Mit dem Historiker gibt es hier noch ein langes Interview über seine Ulbricht-Biographien:

https://wrint.de/2024/03/14/wr1577-walter-ulbricht/

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Mein Anliegen mit diesem Thread war die Analyse von Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschland in Bezug auf das Wahlverhalten und damit auch die politische Kultur. Ganz in diesem Sinne möchte ich ein aktuelles Interview mit Steffen Mau zu diesem Thema empfehlen:

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Ich würde auch noch gerne auf einen anderen Thread hier im Forum verweisen, der aus meiner Sicht schon viele wichtige Argumente zum Thema enthält: LdN341 Ost/West

Sehr interessante Aspekte, die du da aufwirfst.

Allerdings - und das tust du auch nicht - kann die ‚Lösung‘ nicht darin liegen, dass sich Frauen jetzt für rechtsextreme oder ansonsten hinterwäldlerische Männer opfern.

Es gibt genügend smarte good boys, da muss niemand auf braunes ‚Fallobst‘ zurückgreifen.

Nichts rechtfertigt die Wahl von Rechtsextremen.

Es spricht ja nichts dagegen, dass die Demütigungen aufgearbeitet werden.

Aber Leute, die Rechtsextreme wählen, auch noch zu belohnen, geht gar nicht.

Ich hatte die Anfrage von Ulf und Philip in einer der letzten Folgen gehört und stelle mir bereits seit längerem diese Frage. Ich bin in Leipzig geboren (noch zu DDR Zeiten) aber war noch sehr jung als die Wende kam. Inzwischen lebe ich seit mehr als 20 Jahren in Frankreich.
Ich habe also den Wandel nach der Wende noch sehr stark mitbekommen (soziale Unsicherheit, Existenzängste …) und später dann einen Wandel in der Stadt Leipzig über längere Abstände beobachten können.

Drei Aspekte die ich für relativ wichtig für eine Aufarbeitung halte (bzgl Wahlverhalten) sind:
1: Das Zusammenleben mit Leuten aus anderen Kulturen
2: Die Aufarbeitung der NS Zeit in den Familien
3: Die Altersstruktur

1 - Ich kann mich noch als Kind erinnern das es sehr sehr sehr wenige „Ausländer“ gab. Neben ein paar Vietnamesen war die Ausländerdichte im Vergleich zu anderen Städten deutlich geringer (dazu findet man sicher auch Zahlen). Dieser Zustand ist auch nach der Wende relativ lange so geblieben, bis zum Krieg in Syrien und dessen Folgen - Zu diesem Zeitpunkt habe ich einen sehr gro(sz)en Shift in der Stadt gesehen (ich kam nicht so oft zurück), und auch ein paar Kommentare in meiner entfernteren Familie gehört (was ich nicht gewohnt war). Es war also ein schlagartiger Wandel, was auch vorher nicht unbedingt rechtsgesinnten Leuten dieses Thema natürlich näher gebracht hat.

2: Obwohl meine Familie sehr links und kulturaufgeschlossen geprägt ist hatten wir Onkels, Freunde usw. wo man hörte das deren Eltern eher Befürworter der NS Zeit gewesen sind. Es gibt viele Berichte wie diese Zeit in der Schule in der DDR aufgearbeitet wurde - ob das nun besser oder schlechter als in der BRD war ist eher egal - bei den Leuten die ich kenne machte die Schulbildung keinen Unterschied, das Gedanken"gut" wurde durch die Eltern (den Vater vor Allem) vermittelt - und dann eben so weiter geführt. Man wächst also mit einem totalitären Grundwissen in der Kindheit übermittelt durch die Eltern in der DDR auf (auch totalitär im Endeffekt), und wei(sz) dann sicher auch nicht viel mit den Freiheiten und der Verantwortung in der Demokratie anzufangen. Ich beschreibe hier nicht die gesamte Bevölkerungsschicht, aber Szenen die ich in einer nicht rechtsgesinnten Familie erlebt habe.

3: Normalerweise würden diese Effekte über die Zeit verschwinden, da auch neue Generationen heranwachsen. In meiner Familie sind mehr als die Hälfte meiner Generation (Cousinen / Cousins etc) in den Westen oder ins Ausland ausgewandert. Zurück bleiben unsere Eltern, und deren Eltern. Klar haben Städte wie Leipzig in den letzten 10 Jahren enorm Zuwachs bekommen, aber das ist eben nicht der Fall in ländlichen Regionen. Man hat letztendlich eine Bevölkerungsschicht die durch Existenzängste und einen Systemwechsel jahrelang mit Arbeitslosigkeit gekämpft hat, sozial global relativ schwach ist, von „sozialdemokraten“ Hartz IV aufgedrückt bekommen hat und dann eine plötzliche grö(sz)ere Einwanderungswelle erleben darf.

Ich denke wenn man den Werdegang von einer typischen Familie aus einer Stadt im Westen oder auf dem Land vergleicht ist das leicht anders (au(sz)er vielleicht im Ruhrgebiet … ?)

Ich war noch zu jung damals, aber zusätzlich der 100 D-Mark Willkomensgeld, haben die ehemaligen DDR-Bürger irgendwie mal Demokratieunterricht bekommen? Man sollte nicht vergessen, das eine gesamte Generation in der DDR gro(sz) geworden ist.

Anyway, für mich gibt es sehr viele Versäumnisse während der Wiedervereinigung - die jetzt so langsam endlich ein bisschen aufgearbeitet werden.

Das ganze sind persönliche Eindrücke, für manche Sachen sollte man Statistiken finden können, andere nicht.

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Und da ist es wieder, dieser Jammer-Ossi Vorwurf, der niemanden weiterbringt.

Zu Kowalczuk ist zu sagen, dass für ihn die Wiedervereinigung eine riesige Erfolggeschichte war. Laut Wikipedia verpflichtete Kowalczuk sich erst für einen NVA-Dienst - angeblich mit 12 Jahren. Ist das realistisch? Weiß da jemand mehr? - um diesen dann später zu quittieren. Ihm wurde dann der Zugang zum Abitur verboten und er machte eine Bauarbeiter-Lehre. Später arbeitete er als Pförtner und konnte dann in der liberaleren Vorwendezeit 1988 sein Abitur nachholen. Mit der Wende stand ihm dann der Weg des Studiums und der Promotion offen.

Kowalszuks Leben ging mit der Wende steil bergauf. Und er tut so als hätte es allen so gehen können.

Ich habe tatsächlich auch so jemanden in der Familie. Diese Person spricht heute voller Verachtung über diese Wendeverlierer, die bei der Wende ihren guten Job verloren haben und danach jahrelange Arbeitslosigkeit erlebt haben. Diese Person vergisst dabei aber, dass sie einfach Glück hatte und genau nichts verloren, aber viel gewonnen hat.

Diese Denke von offensichtlichen Gewinnern erinnert doch sehr an die Mär eines FDPlers oder einen Millionär, der behauptet jeder Deutsche könne seinen Stand erreichen wenn er sich nur etwas anstrenge.

Wir alle Wissen, dass man solche Statements mit Vorsicht behandeln sollte. Und dennoch beides ist richtig. Natürlich sollten Ostdeutsche sich weniger in der Opferrolle suhlen und Mut zur Karriere haben, wie Kowalczuk es quasi fordert.

Wenn es dabei fair zuginge wäre es natürlich noch besser. Ich habe zum Beispiel beim Bewerbungsgespräch im Konzern in Baden Württenberg vor 10 Jahren noch die Frage vom Manager bekommen, was ich bei ihm wolle. Ich solle doch lieber zu mir zurückgehen und er habe mich nur eingeladen weil er musste. Er hat mir sogar noch aufgezählt welche Unternehmen in „meiner Nähe“ infrage kämen. Das war schon ein sehr krasses Erlebnis.

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Mit 12 war man auch in der DDR noch nicht geschäftsfähig, verpflichten im rechtlichen Sinne konnte er sich erst mit 16. Es war aber eine gängige Strategie, bei Zeiten den Berufswunsch „Offizier“ vorzugeben, um das Abitur machen zu können - und diesen Wunsch im letzten Moment zu ändern. Die knappen Abiturplätze wurden vorzugsweise an Schüler vergeben, die nicht nur die passenden Noten hatten und die gewünschte Einstellung zum Staat zeigten, sondern deren Karrierevorstellungen auch zu den Prioritäten der DDR passten - und Berufssoldaten standen auf dieser Prioritätenliste eigentlich immer ganz weit oben.

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In diesem Satz stimmt nun wirklich gar nichts. Willst du den wirklich so stehen lassen?

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