Ich hatte die Anfrage von Ulf und Philip in einer der letzten Folgen gehört und stelle mir bereits seit längerem diese Frage. Ich bin in Leipzig geboren (noch zu DDR Zeiten) aber war noch sehr jung als die Wende kam. Inzwischen lebe ich seit mehr als 20 Jahren in Frankreich.
Ich habe also den Wandel nach der Wende noch sehr stark mitbekommen (soziale Unsicherheit, Existenzängste …) und später dann einen Wandel in der Stadt Leipzig über längere Abstände beobachten können.
Drei Aspekte die ich für relativ wichtig für eine Aufarbeitung halte (bzgl Wahlverhalten) sind:
1: Das Zusammenleben mit Leuten aus anderen Kulturen
2: Die Aufarbeitung der NS Zeit in den Familien
3: Die Altersstruktur
1 - Ich kann mich noch als Kind erinnern das es sehr sehr sehr wenige „Ausländer“ gab. Neben ein paar Vietnamesen war die Ausländerdichte im Vergleich zu anderen Städten deutlich geringer (dazu findet man sicher auch Zahlen). Dieser Zustand ist auch nach der Wende relativ lange so geblieben, bis zum Krieg in Syrien und dessen Folgen - Zu diesem Zeitpunkt habe ich einen sehr gro(sz)en Shift in der Stadt gesehen (ich kam nicht so oft zurück), und auch ein paar Kommentare in meiner entfernteren Familie gehört (was ich nicht gewohnt war). Es war also ein schlagartiger Wandel, was auch vorher nicht unbedingt rechtsgesinnten Leuten dieses Thema natürlich näher gebracht hat.
2: Obwohl meine Familie sehr links und kulturaufgeschlossen geprägt ist hatten wir Onkels, Freunde usw. wo man hörte das deren Eltern eher Befürworter der NS Zeit gewesen sind. Es gibt viele Berichte wie diese Zeit in der Schule in der DDR aufgearbeitet wurde - ob das nun besser oder schlechter als in der BRD war ist eher egal - bei den Leuten die ich kenne machte die Schulbildung keinen Unterschied, das Gedanken"gut" wurde durch die Eltern (den Vater vor Allem) vermittelt - und dann eben so weiter geführt. Man wächst also mit einem totalitären Grundwissen in der Kindheit übermittelt durch die Eltern in der DDR auf (auch totalitär im Endeffekt), und wei(sz) dann sicher auch nicht viel mit den Freiheiten und der Verantwortung in der Demokratie anzufangen. Ich beschreibe hier nicht die gesamte Bevölkerungsschicht, aber Szenen die ich in einer nicht rechtsgesinnten Familie erlebt habe.
3: Normalerweise würden diese Effekte über die Zeit verschwinden, da auch neue Generationen heranwachsen. In meiner Familie sind mehr als die Hälfte meiner Generation (Cousinen / Cousins etc) in den Westen oder ins Ausland ausgewandert. Zurück bleiben unsere Eltern, und deren Eltern. Klar haben Städte wie Leipzig in den letzten 10 Jahren enorm Zuwachs bekommen, aber das ist eben nicht der Fall in ländlichen Regionen. Man hat letztendlich eine Bevölkerungsschicht die durch Existenzängste und einen Systemwechsel jahrelang mit Arbeitslosigkeit gekämpft hat, sozial global relativ schwach ist, von „sozialdemokraten“ Hartz IV aufgedrückt bekommen hat und dann eine plötzliche grö(sz)ere Einwanderungswelle erleben darf.
Ich denke wenn man den Werdegang von einer typischen Familie aus einer Stadt im Westen oder auf dem Land vergleicht ist das leicht anders (au(sz)er vielleicht im Ruhrgebiet … ?)
Ich war noch zu jung damals, aber zusätzlich der 100 D-Mark Willkomensgeld, haben die ehemaligen DDR-Bürger irgendwie mal Demokratieunterricht bekommen? Man sollte nicht vergessen, das eine gesamte Generation in der DDR gro(sz) geworden ist.
Anyway, für mich gibt es sehr viele Versäumnisse während der Wiedervereinigung - die jetzt so langsam endlich ein bisschen aufgearbeitet werden.
Das ganze sind persönliche Eindrücke, für manche Sachen sollte man Statistiken finden können, andere nicht.