LdN383 Israel: 3 europäische Länder wollen den Staat Palästina anerkennen

Wofür? Dass Deutschland noch mehr Waffen liefert?
Dass die Bundeswehr Selenskij verhaftet und an Putin ausliefert?
Es würde natürlich unsere Regierung und wir als Volk mit den Demos adressiert.
Die Israelis und die Palästinenser lassen sich von so etwas nicht beeindrucken und ich glaube auch nicht, dass das auch nur ein einziger Demonstrant erwartet.

Da kann man dann nicht mehr sinnvoll weiter diskutieren, ohne selbst eine Ermittlung zu starten, oder? Wenn man den offiziellen Bericht einfach nicht anerkennt.

Der von dir zitierte Satz ist ja eine Schlussfolgerung aus zuvor angebrachten Argumenten, u. a., dass der Bericht nicht so unabhängig ist, wie behauptete und dass die Hamas immer wieder UNRWA-Infrastruktur nutzen kann. Du magst ja zu einer anderen Schlussfolgerung kommen, aber ich finde es nicht nachvollziehbar, warum man „nicht mehr sinnvoll diskutieren“ können soll, nur weil ein „offizieller“ Bericht inhaltlich kritisiert wurde.

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Im Sinne eines Sowohl-als-auch würde ich gar nicht widersprechen, dass zumindest einige der genannten Umstände zu einer erhöhten Aufmerksamkeit für den arabisch-israelischen Konflikt beitragen können. Ich weiß auch, dass du der Meinung bist, dass ich den Faktor Antisemitismus zu stark betone (darüber haben wir zwei schon zur Genüge diskutiert), aber deine Formulierung klingt für mich jetzt wiederum so als würdest du völlig ausschließen, dass Antisemitismus beim Blick auf Israel und damit auch beim Blick auf diesen Konflikt eine Rolle spielt und das kann ich ehrich gesagt nicht ganz nachvollziehen.

Das Argument finde ich nicht sehr stichhaltig, da es ja nicht in erster Linie die jüdische Diaspora in den USA und in Westeuropa ist, die das Vorgehen Israels skandalisiert und sich mit den Palästinensern solidarisiert. Zudem verweist zumindest die Diaspora in Nordamerika (und auch in einigen europäischen Ländern, etwa bezogen in Deutschland auf die Einwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunio nach 1990) ja ihrerseits wieder auf Antisemitismus.

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Ich finde das auf zweierlei Weise widersprüchlich. Erstens wird von Israel verlangt, humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu liefern. Aber wenn sie das tun, und dabei monitoren, wie viel wann wohin geliefert wird, wird den Zahlen kein Glaube geschenkt, weil Israel ja „Konfliktpartei“ ist. Das ist für mich der erste Widerspruch.
Der zweite besteht für mich darin, die Angaben von COGAT per se anzuzweifeln, aber diejenigen von Journalisten und Hilfsorganisationen im Gazastreifen per se für glaubwürdig zu halten. Es ist ja hinlänglich bekannt, dass ihre Tätigkeit dort nur möglich ist, solange die Hamas sie duldet. Und die achtet sehr genau darauf, wie sich diese Personen äußern. Nichtsdestotrotz werden sie häufig als neutrale Quelle angesehen. Und selbst Daten von Hamas-Behörden werden ja mitunter als objektive Informationen weiterverbreitet, auch durch Journalisten und Hilfsorganisationen vor Ort. Das hat seit Oktober schon mehrmals dazu geführt, dass auch renommierte Medien Fake-News der Hamas verbreitet haben und sich später korrigieren mussten.

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Ich kann hier keinen Widerspruch erkennen. Heißt das für dich im Umkehrschluss, dass wir immer glauben sollten, wenn Konfliktparteien behaupten, humanitäre Hilfe zu leisten?

Selbst wenn man das so annimmt, ist es immer noch Tatsache, dass die Journalist:innen und Hilfsorganisationen einen Schritt weiter von direkter Einflussnahme entfernt sind als COGAT.

Versuch einer Zusammenfassung, um vielleicht die Möglichkeit zu schaffen, zum Thema zurück zu kommen.

COGAT gehört zum israelischen Staat, ist also nicht unbefangen - hat aber dafür Zugang zu den besten up-to-date Daten und eine gewisse Glaubwürdigkeit zu behaupten. Sie hat einen Anreiz, eher in Richtung „es wird genug geliefert“ auszulegen.

NGOs sind juristisch unabhängig und verteidigen auch ihre Glaubwürdigkeit und verfolgen ihren Auftrag der humanitären Hilfe. Deren Mitarbeiter (meist Palästinenser) müssen wie jeder Bewohner von Gaza die Hamas fürchten, was sie auch nicht unbefangen macht. Jeder Bewohner Gazas weiß nach Jahren der Alleinherrschaft von Hamas, wo die Grenze des Sagbaren ist und was von ihnen erwartet wird. Sie haben also in zweierlei Hinsicht einen Anreiz in Richtung „es kommt nicht genug an“ auszulegen.

Keine der beiden Quellen ist objektiv, aber keine der beiden „lügt“.

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Man muss richtig stellen, dass Israel ja keine humanitäre Hilfe leistet und das auch nicht behauptet. Sie müssen ja auch keine Hilfsgüter in den Gazastreifen liefern, sondern das machen Hilfsorganisationen. Israel muss nur die Lastwagen an der Grenze auf Waffen etc kontrollieren und die Lieferungen mit den Hilfsorganisationen koordinieren.

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Vielen Dank für die Zusammenfassung, ich finde das wirklich sehr hilfreich.

Ich würde nur nochmal ergänzen, dass die Aussage der NGOs „es kommt nicht genug bei der Bevölkerung an“ und die Aussage von COGAT „wir lassen genug über die Grenze“ nicht im Widerspruch stehen. Beides ist vermutlich wahr. Die Frage ist, was passiert mit der Hilfe quasi zwischen dem Grenzübergang und dem Endverbraucher und da denke ich auch, dass die palästinensischen Mitarbeiter:innen von NGOs (internationale gibt es vermutlich nicht mehr) in dem was sie sagen dürfen durch die Hamas sehr eingeschränkt sind, wie Du oben dargestellt hast.

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Ich habe versucht, Infos dazu zu finden, inwieweit das zutrifft. Das ist komplizierter, wenn man Effekte vom andauernden Krieg ausblenden will. Eine Quelle, die ich gefunden habe, gibt bei der Frage

dem Gazastreifen 2 von 4 Punkten (hingegen Israel 3 von 4 Punkten). Das deutet aus meiner Sicht noch nicht auf umfassende Repression hin. Hast du da andere Daten?

Ich denke, solche Ratings sind schwierig zu erstellen. Ein, wie ich finde, sehr informativer persönlicher Account ist der von Hamza Huwaidy, der wegen Anti-Hamas Protesten in Gaza im Gefängnis saß und dann aber den Gazastreifen verlassen konnte:

Ich habe mir die verlinkte Quelle mal angeschaut. Unabhängig davon, was man von so einem Punktesystem halten mag, sind die Zahlen schon recht eindeutig, wenn man sie etwas weniger selektiv zitiert.
Israel wird insgesamt als „free“ eingeschätzt, der Gazastreifen als „not free“.
Der Gazastreifen erhält im Bereich „politische Rechte“ 3 von 40 Punkten und im Bereich „bürgerliche Freiheiten“ 8 von 60 Punkten.
Für Israel sind es im Bereich „politische Rechte“ 34 von 40 Punkten und im Bereich „bürgerliche Freiheiten“ 40 von 60 Punkten.

0 Punkte erhält der Gazastreifen in folgenden Bereichen (nur eine Auswahl!)

  • Freie und gleiche Wahl der Regierung
  • Freie und gleiche Wahl des Parlaments
  • Rechtlicher Rahmen für freie und gleiche Wahlen
  • Möglichkeit der Opposition, durch Wahlen an die Regierung zu kommen
  • Freiheit des politischen Wettbewerbs
  • Offenheit und Transparenz der Regierung
  • Freie und unabhängige Medien
  • Versammlungsfreiheit
  • Unabhängige Justiz
  • faire Gerichtsverfahren
  • Schutz vor willkürlicher Gewalt
  • Schutz vor Diskriminierung
  • Bewegungsfreiheit

Außerdem sagt die Quelle zu dem Punkt, den du angeführt hast (übersetzt mit DeepL)

Die Einschüchterung durch militante Hamas-Kämpfer und andere bewaffnete Gruppen hat gewisse Auswirkungen auf die persönliche Meinungsäußerung und private Diskussionen in Gaza, und die Behörden überwachen soziale Medien auf kritische Inhalte. Ein HRW-Bericht aus dem Jahr 2018 dokumentierte eine Reihe von Vorfällen, bei denen die Hamas Einzelpersonen als Reaktion auf ihre Aktivitäten in den sozialen Medien oder ihre Teilnahme an politischen Veranstaltungen eingeschüchtert, inhaftiert oder misshandelt hat, insbesondere diejenigen, die als Unterstützer der Fatah oder als Gegner der Hamas-Regierung angesehen wurden. Solche Praktiken kommen weiterhin regelmäßig vor. Nutzer sozialer Medien, insbesondere Frauen, werden Berichten zufolge auch online belästigt, wenn sie politische Ansichten äußern. Das Risiko von Konsequenzen für die freie Meinungsäußerung hat einige Einwohner zur Selbstzensur veranlasst.

Die Quelle bestätigt also im Prinzip das, was @Liberaler_Humanist gesagt hat.

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Ja, das steht da alles. Ich weiß nicht, warum du das hier ausbreitest, es hat ja nichts mit dem Thema zu tun. Im Übrigen wird bei mehreren dieser Punkte auch darauf hingewiesen, dass Israels Einfluss dafür sorgt, dass es in der Kategorie 0 Punkte gibt.

Am Ende war das Thema aber, wie frei NGO-Mitarbeiter:innen im Gazastreifen ihre Meinung äußern können. Und ich habe das Gefühl, dass in der Diskussion frei assoziiert wird, nach dem Motto „Hamas → Terrororganisation → totalitäre Überwachung“, aber die Faktengrundlage fehlt.

Ich muss ja nur deine Quelle nehmen. „Are there free and independent media?“ Gaza = 0. In Summe:


Das politische Programm der Hamas ist genozida - und das aus nationalsozialistischen Verschwörungstheorien abgeleitet. Das sage nicht ich, das sagt die Hamas selbst. …

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Nachdem wir jetzt hier die Lage also vollumfänglich erörtert haben würde ich gerne zurück zum Ausgangsthema kommen: ist gerade jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt, um einen Staat Palästina unter der Führung von PA / Hamas anzuerkennen, ohne irgendwelche Bedingungen zu stellen, also z.B. die Freilassung der Geiseln, den Rücktritt der Hamas Führung oder Wahlen, oder so?

Ich halte das für den absoluten Wahnsinn und kann das wirklich überhaupt nicht nachvollziehen.

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Die Hamas ist gegen eine Zwei-Staaten-Lösung, das Narrativ also, dass eine Anerkennung Palästinas in den gegenwärtigen Grenzen bedeuten würde, der Hamas einen Gefallen zu tun, kann ich nicht nachvollziehen. Auch ist völlig klar, dass eine Anerkennung Palästinas nicht gleichbedeutend ist mit einer Anerkennung einer bestimmten Regierung: Die Hamas wird ganz sicher nicht als legitimer Vertreter der Palästinenser angesehen, wenn überhaupt wird die palästinensische Autonomiebehörde als solcher anerkannt und die Hamas wird als separatistische Terrororganisation angesehen, welche gegen die legitime Vertretung (also die PA) kämpft.

Daher kann ich diese Kritik nicht nachvollziehen. Eine Anerkennung Palästinas hätte zum gleichen Zeitpunkt wie die Anerkennung Israels erfolgen müssen. Die fortgesetzte Nicht-Anerkennung bestärkt nur die Extremisten auf beiden Seiten - die israelischen extremistischen Siedler, die argumentieren, dass es keinen palästinensischen Staat geben darf, weil das gesamte Gebiet dem jüdischen Volk zusteht und den Palästinensischen Extremisten, die - mit Recht - kritisieren, dass man ihnen den Staat, der ihnen von der UN versprochen wurde, weiter vorenthält und dies nutzen, um Hass gegen Israel zu verbreiten.

Diese Argumentationslinie, dass Palästina quasi erst eine komplette demokratische Regierung und einen funktionierenden Staat aufbauen müsse, bis man es als Staat anerkennt, stärkt die israelische Siedlungspolitik, die gezielt versucht, durch „Zersiedelung“ des Westjordanlandes einen palästinensischen Staat zu verunmöglichen.

Kurzum: Diese Argumentation führt dazu, dass Israel die Mittel hat, einen palästinensischen Staat gezielt zu verhindern - und deshalb wird Netanjahu ja auch vorgeworfen, dass er die Hamas gezielt am Leben hielt, um einen palästinensischen Staat zu verhindern.

Gerade wegen dieser Implikationen ist es sinnvoll, zuerst die formelle Anerkennung Palästinas zu vollziehen und die Hebel, die man dadurch gewinnt, zu nutzen, um Palästina zu unterstützen, ein demokratischer Rechtsstaat zu werden.

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Dieser Widerspruch besteht doch aus Sicht der Hamas gar nicht. Natürlich sieht sie es als einen Zwischenschritt zu einer vollständigen „Befreiung Palästinas“ (sprich einer Auslöschung Israels), erst mal einen Staat Palästina auf einem Teil des Gebiets (also den 1967er Grenzen) zu etablieren. Sie schätzt das aus meiner Sicht korrekt ein, dass das ihre Handlungsmöglichkeiten, um für ihr eigentliches Ziel zu kämpfen, gegenüber der derzeitigen Situation auf jeden Fall vergrößern würde. Genau deshalb begrüßt die Hamas die Anerkennung durch Spanien & Co auch offen. Die gleiche Strategie hat die Fatah übrigens auch lange gefahren.
Und genau das ist aus meiner Sicht auch das Problem, wenn man einen Staat „Palästina“ anerkennt, ohne zu definieren, was eigentlich damit gemeint sein soll und wer dort wen regiert. Die Hamas ist de facto die Regierung eines von zwei palästinensischen Territorien. Auch Bidens Friedensplan schweigt sich ja völlig darüber aus, was eigentlich mit der Hamas passieren soll.

Die Formulierung „vorenthalten“ suggeriert, dass es da immer ganz klare Vorstellungen gegeben hat, wie denn so ein Staat aussehen soll, wer dort das Sagen haben soll etc. Das vergisst mal wieder, dass zu dem Zeitpunkt, als Israel UN-Mitglied wurde, es eben keinen palästinensischen Staat gab, und genau genommen auch die Idee einer palästinensischen Nation unter den im Mandatsgebiet lebenden Arabern alles andere als hegemonial war und dass auch die Gründung eines arabischen Staates im Mandatsgebiet durchaus umstritten war - nicht zuletzt aufgrund der konkurrierenden Interessen der arabischen Nachbarstaaten. Von der Ablehnung des UN-Teilungsplans (der bei Dir auch wieder nicht vorkommt) mal ganz abgesehen.

Aus meiner Sicht ist die Kritik sehr viel basaler: So eine Anerkennung hat nur einen praktischen Wert, wenn klar ist, wer welches Gebiet regieren soll. Und das ist derzeit nicht gegeben.

Wie genau sieht denn dieser „Hebel“ aus? Also was konkret an dieser Symbolpolitik der Anerkennung macht a) einen tatsächlichen Staat Palästina wahrscheinlicher und es b) wahrscheinlicher, dass dieser ein demokratischer Rechtsstaat wird. Das frage ich mich seit Wochen und habe leider bisher noch keine gute Antwort darauf gehört.

Ich halte es weder für Wahnsinn, noch gehe bei @Daniel_K mit.

Ich habe ganze juristische und politikwissenschaftliche Vorlesungen durchstanden zu der Frage „Was ist ein Staat?“ und wenn es eine einfache Antwort gäbe, hätte ich mich daran erinnert. Woran ich mich allerdings erinnere, ist die „Jellinekschen Trias“ aus Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt. Das sind drei Vorraussetzungen für einen existierenden Staat. Eine Anerkennung durch andere Staaten ist weder Voraussetzung noch Staatenmerkmal, hilft aber als weiches Argument in der Praxis.

Staatsgebiet: In der Phase 1948-1967 problematischer, da Ägypten, Jordanien und co noch im Spiel waren - heute relativ unstrittig. Die Grenzen von 1967 sind durch viele UN-Resolutionen, Rechtsprechung und die Staatenpraxis (so sagen Juristen, wenn sie „ist halt so“ sagen wollen) als die Grenzen zwischen Israel und Palästina anerkannt. Die Tatsache, dass Israel Teile des Westjordanlandes besetzt und dort in Abstufungen die de-facto Staatsgewalt ist, spielt für die Frage des Gebietskeine Rolle. Die teilweise Besiedelung des Gebiets durch Bürger Israels ist ohnehin völkerrechtswidrig laut Genfer Konvention.

Staatsvolk: 2024 unstrittig.

Staatsmacht: Hier liegt das Problem. Denn selbst wenn Israels Besatzung de-jure völkerrechtswidrig ist, ist ihre de-facto Besatzung ein Problem für das Staatsmerkmal. Die PA hat nur Befugnisse, die ihr von der de-facto Staatsmacht zugebilligt werden, wozu insbesondere die äußere Sicherheit nicht gehört.

Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags sagt das schöner und das VG Frankfurt (Oder) sagt das knapp.

Wenn also völkerrechtlich Palästina kein Staat ist, da es keine eigene unabhängige Staatsgewalt ausübt, ist Israels Besatzung das Hindernis zur Staatlichkeit. In dem Sinne sind die Anerkennungen durch andere Staaten Symbolpolitik mit dem Ziel, Druck auf Israel auszuüben - um genau diese Besatzung zu beenden.

Israel wiederum argumentiert, dass das nur Teil eines Friedensprozesses sein kann. Das hat auch eine gewisse Logik, denn sobald Raketen aus Palästina fliegen, müsste es zum Schutz der eigenen Bürger wieder in irgendeiner Form besetzen. Israel hat sich ja 2005 aus Gaza zurück gezogen, aber was dann ohne Frieden und gegenseitige Anerkennung passiert, sehen wir seit dem 07. Oktober. Jetzt ist Israel wieder in Gaza, was vom Völkerrecht auch erstmal gedeckt ist.

Wenn man das als Argument der Friedensverhandlung als Bedingung für eigene Staatsgewalt erkannt hat, dann ist in der Tat auch eine zu Friedensverhandlungen bereite palästinensische Seite notwendig. Die Hamas ist das nicht. Daher halte ich das Timing auch für ungünstig, denn es legitimiert die Hamas, da sie gerade der primäre Akteur in der Wahrnehmung ist. Insofern kann man die Anerkennung zu diesem Zeitpunkt als kontraproduktiv bezeichnen.

Ich hätte die Anerkennung vor oder nach diesem Krieg präferiert, idealer Weise nach der Zerschlagung der Hamas und Abwahl von Netanyahu. Beides ist 2025 gut möglich, vielleicht bin ich zu optimistisch. Der eine ist quasi unwählbar geworden und die anderen sitzen in den letzten Tunneln unter Rafah.

Ich finde die Anerkennung Palästinas ein wichtiges Symbol - mehr ist es nicht - und da kommt es ganz auf Timing und Kontext an. Nach Ende des Krieges hätte es ein Impuls zu Friedensverhandlungen sein können. Es hätte Israel bewegen können, mehr Befugnisse an die PA zu geben. Jetzt hängt es im Kontext des 07.Oktober, dem größten Massenmord an Juden seit dem Holocaust, als irritierendes Statement in der Luft und wird von genau denen nicht gehört, an die es gerichtet ist.

Beide Seiten brauchen etwas, was man sich nicht nehmen kann, sondern nur geschenkt bekommen kann: Frieden und ein Ende der Besatzung des Westjordanlands.

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Da hast du zwar Recht, aber Lügen über den militärischen Gegner zu verbreiten ist (leider) kein Alleinstellungsmerkmal der Hamas. Sowas wird bis in die heutige Zeit immer wieder gemacht:

Das die Hamas in ihrer militärisch stark unterlegenen Position solcher Lügen bedient, ist daher wenig überraschend. Und wie hier im Forum schon oft geschrieben ist der Judenhass der Hamas wohl vor allem das Ergebnis des Nahostkonfliktes selbst und keine vordefinierte, historische Meinung der Palästinenser.

Vorweg: Die Unterscheidung zwischen der Hamas und „den Palästinensern“ ist hier zentral. Aber bezogen auf die Hamas zu sagen, dass deren Antisemitismus „das Ergebnis des Nahostkonfliktes ist“, ist historisch falsch.
Erstens versteht sich die Hamas als Teil der Muslimbrüderschaft, die bereits lange vor dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde und schon lange vor der Staatsgründung Israels das Ziel verfolgte, einen islamischen Gottesstaat zu errichten. Dazu gehörten auch in den 1940er Jahren in Ägypten schon Gewalttaten gegen Angehörige religiöser Minderheiten, auch Juden. Die Muslimbrüderschaft (MB) ist weltweit aktiv, nicht immer auf so militantem Wege wie die Hamas, auch die Gründung des Senders Al Jazeera ist diesem Milieu zuzurechnen. [1]
Zweitens geht der Antisemitismus der Hamas weit über Israel, den Nahostkonflikt oder den Zionismus hinaus. In ihrer ersten Charta von 1988 bezog sich die Hamas unter anderem auf die berüchtigte antisemitische Hetzschrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“ und behauptete eine jüdische Weltverschwörung. Die zweite Charta von 2017 ist deutlich milder formuliert, was aber eher als PR-Manöver einzuschätzen ist, denn als Sinnewandel. [2] Was bleibt, ist dass die Hamas unter einer bestimmten Auslegung des Koran dazu aufruft, das „heilige Land“ von Juden zu „befreien“ - und zwar explizit auch gewaltsam.
TL/DR: Der Antisemitismus der Hamas ist inhärenter Bestandteil ihrer islamistischen Ideologie.

[1] Die Muslimbruderschaft und die Hamas - Stiftung Wissenschaft und Politik
[2] Antisemitismus und Antizionismus in der ersten und zweiten Charta der Hamas | Islamismus | bpb.de

Aber auch abgesehen von einer so klar antisemitischen Programmatik wie bei der Hamas ist es aus meiner Sicht fatal, Antisemitismus als Reaktion auf reale Ereignisse anzusehen und damit zu plausibilisieren. Bezogen auf andere menschenfeindliche Ideologien würde diese Argumentation m. E. auch nicht akzeptiert werden. Wenn ich zum Beispiel antimuslimischen Rassismus als Reaktion darauf beschreiben würde, dass Erdogan ein korrupter und skrupelloser Autokrat ist, der unzählige unschuldige Zivilisten auf dem Gewissen hat oder dass Rassismus gegen Schwarze eine Reaktion darauf ist, dass die die Regierung Ugandas unter Yoweri Museveni Homosexualität mit dem Tode bestraft, würden mir alle zurecht einen Vogel zeigen. Aber dass Antisemitismus - also der Hass auf Juden und alles Jüdische - eine Reaktion auf das Handeln Israels sein soll, gilt als plausibel. Da komme ich nicht mehr mit.

Was ist das außer klassischem Whataboutism? Der Hinweis, dass auch andere Kriegsparteien schon mal gelogen haben, ändert ja nichts am geozidalen Antisemitismus der Hamas. Wozu also dieser Hinweis?

Edit: Tippfehler

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