LdN383 Israel: 3 europäische Länder wollen den Staat Palästina anerkennen

Um die Positionen der arabischen Staaten näher zu beleuchten muss man verstehen, dass das alles keine echten Demokratien sind, sondern autokratische Diktaturen, in denen keine freie Meinungsäußerung möglich ist, insbesondere jegliche Kritik an der Regierung unerwünscht ist und durch teilweise brutalste Gefängnisstrafen und Folter bestraft wird. Natürlich sind das krasse Menschenrechtsverletzungen.
Der arabische Frühling und die damit verbundenen Hoffnunfen auf Demokratisierung vor 10 Jahren ist eigentlich mehrheitlich gescheitert.
D.h. die Bevölkerung darf nicht demonstrieren, oder die eigene Regierung z.B. in den sozialen Medien kritisieren, muss aber irgendwann mal Dampf ablassen. Dafür gibt es regelmäßig Anti-Israel Demonstrationen. Israel ist der Teufel und an allem Schuld, wie die Regierungen nicht müde werden zu versichern und ein willkommenes Ventil für die Empörung und Ablenkung vom eigenen Versagen. Man kann Flaggen verbrennen und so richtig die Sau rauslassen und dann geht man wieder nach Hause und fühlt sich gleich viel besser.

So können z.B. im Jemen, einem Land mit minimaler Stromversorgung, kaum Bildung und Gesundheitsversorgung, die Huthis unter einer Flagge mit der Aufschrift „Tod für Israel, Tod für Amerika, Verflucht seien die Juden“ (Kein Scherz) weite Bevölkerungsteile mobilisieren und erfolgreich von der Tatsache ablenken, dass sie absolut gar nichts dafür tun, die Situation der Bevölkerung zu verbessern. Die jemenitischen Juden wurden bereits in den 50er Jahren erfolgreich vertrieben und Jemen ist heute quasi „judenrein“. Israel ist tausende von km entfernt und stellt absolut gar keine Bedrohung für Jemen dar. Man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass niemand im Jemen jemals einen Juden oder eine Jüdin gesehen hat. Trotzdem haben die Huthis die Bevölkerung davon überzeugt, dass die Top Priorität aktuell nicht etwas Strom, Wasser, Krankenhäuser oder Schulen sind, sondern Raketen auf Israel zu schießen. Wie oben schon erwähnt wurde ist dabei eine echte Hilfe für Palästinser eher nebensächlich und es besteht auch kein wirkliches Interesse daran, den Konflikt zu beenden. Man will sich ja nicht ausmalen, was die Leute mit ihrer freien Zeit und Wut machen würden…

Interessant ist auch die Rolle der Golfstaaten. Dafür ist es wichtig zu verstehen, dass die PA so gut wie keine eigenen Einnahmen generiert und fast ausschließlich durch Hilfsgelder finanziert wird. Der Großteil davon kommt aus den Golfstaaten, historisch insbesondere über den Arab Fund (https://www.arabfund.org/Default.aspx?pageId=629), den Saudi Fund und den Kuwait Fund. D.h. alle Gehälter, Reisekosten, Betriebskosten aller Ministerien werden fremdfinanziert. Dazu finanzieren sie auch UNRWA großzügig. Das war lange Zeit kein Problem, aber die Zeiten des unbegrenzten Öl-Reichtums sind vorbei und das Geld wird langsam knapper. Hinzukommt, dass vorallem Saudi Arabien auf Militärkooperation mit Israel angewiesen ist, schließlich müssen sie ja irgendwie die iranischen Raketen aus dem Jemen abwehren und Raketenabwehrsysteme können die Israelis nun mal. D.h. die Golfstaaten sind da in einer schwierigen Situation, weil sie einerseits aus der Nummer irgendwie rauskommen wollen, andererseits aber die Solidarität mit den Palästinensern nach so vielen Jahren einfach dazugehört.
Qatar unterstützt traditionell die Muslimbruderschaft sehr stark (im Gegensatz zu Saudi Arabien und den VAE, die die Muslimbruderschaft bei sich überhaupt nicht wollen), d.h. Qatar hat in den letzten Jahren Hamas massiv unterstützt, von riesigen Bauprojekten in Gaza (inkl. Tunnelschächten) bis hin zu der Zahlung der Gehälter von Hamas-Angestellten, und ich sehe auch keine Anzeichen dafür, dass sie bereit sind, das zu überdenken. Das führt eben auch immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten unter den Golfstaaten. Das Problem aus westlicher Sicht ist, dass diese Hilfszahlungen extrem intransparent sind und niemand weiß, was da genau finanziert wird.

In jedem Fall wird es beim Wiederaufbauplan für Gaza essentiell wichtig sein, die Golfstaaten, insbesondere Saud Arabien und die VAE frühzeitig einzubeziehen, damit Hamas nicht wieder von vorne anfängt, mit Geld aus den Golfstaaten Tunnel und Raketen zu bauen.

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Die Frage hatten wir im Forum auch schon öfter diskutiert und viele Gründe dafür gefunden.

Der zentrale Grund dürfte sein, dass die jüdische Geschichte durch den jüdischen Exodus und letztlich die Schoah sehr stark mit der Geschichte Westeuropas, aber auch der USA, verbunden ist. Durch diese Geschichte und den hohen Wert der Bildung im Judentum gibt es heute in allen westlichen Staaten, vor allem aber auch in den USA, viele gut integrierte jüdische Bürger, die natürlich ein starkes Interesse an den Vorgängen in Israel haben. Kurzum: „Das Judentum“ ist mit „dem Westen“ wesentlich stärker verwoben als andere, z.B. afrikanische, Konfliktregionen. Weniger Verbindungen bedeutet weniger Interesse und weniger Medienaufmerksamkeit.

Dadurch, dass die jüdischen Wähler in den USA z.B. oft das Zünglein an der Waage in einigen Swing States sind, ist das Thema im US-Wahlkampf so aufgeladen. Dazu kommt, dass Israel als „westlich geprägtes Land“ und Jerusalem als „zentraler Ort des Christentums“ eine besondere Stellung haben und auch viel Tourismus anziehen. Viel Tourismus führt auch wieder zu viel medialem Interesse.

Ein weitere Punkt ist, dass sowohl Deutschland als auch die USA einfach ganz klar Verbündete Israels sind und massive Mengen an Waffen und Kriegsmaterial nach Israel senden. Ein militärischer Konflikt, der eigene Verbündete betrifft, ist selbstverständlich wesentlich medial präsenter als ein Konflikt irgendwo in Afrika. Gerade auch die Tatsache, dass die USA Waffen an eine der Konfliktparteien liefern, Forschungskooperationen zu Militärtechnik an US-Hochschulen existieren und die USA Israel permanent mit ihrem Veto geschützt haben (trotz der Einsicht, dass der Siedlungsbau klar illegal ist!), ist ein Grund, warum vor allem in den USA die Kritik so groß ist, eben weil die pro-palästinenische Seite hier eine massive Mitschuld beim eigenen Staat, also den USA, sieht (das ist rein deskriptiv gemeint, man kann hier durchaus anderer Ansicht sein, ob diese Kritik berechtigt ist). Und alles, worüber in den USA massiv berichtet wird, schlägt auch auf Deutschland durch.

Ich denke, es gibt ausgezeichnete, völlig ohne Antisemitismus erklärbare Gründe, warum der Nahost-Konflikt so viel mehr Raum in den Medien einnimmt als viele andere, vergleichbare Konflikte, die eben doch sehr anders sind. Der Nahost-Konflikt ist in vielerlei Hinsicht schlicht einzigartig.

Würde der Korea-Konflikt (auf den die meisten obigen Argumente auch zutreffen) eskalieren, bin ich sicher, dass darüber ähnlich stark berichtet würde. Zum Glück ist dieser Konflikt weitestgehend eingefroren…

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Mich würde auch interessieren, welche Quellen Du hier meinst? Die UNRWA Mitarbeiter, die gleichzeitig auch Hamas Mitarbeiter sind z.B.?
Und das war ja auch meine ursprüngliche Frage, wieso es im Podcast hieß, dass die Mitabeiter von Herrn Khan „vor Ort“ gewesen sein, weil das ja so in dem Statement vom ICC nicht stand.

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Die UNRWA hat 13.000 Mitarbeiter, es gab Vorwürfe gegen 12 davon. Bitte tue mit solchen Aussagen nicht so, als sei die gesamte UNRWA von Hamas-Leuten unterwandert. Die Vorwürfe Israels haben sich laut dem offiziellen Untersuchungsbericht weitestgehend nicht erhärtet.

Die Einschätzungen, die @turmfalke anspricht, sind wohl primär diejenigen der internationalen Hilfsorganisationen, daher der NGOs, die dort tätig sind, darunter Amnesty International, Human Rights Watch, Ärzte ohne Grenzen, DRK/IKRK, Welthungerhilfe… kurzum: Organisationen, denen allgemein ein großes Vertrauen entgegen gebracht wird. Auch andere UN-Organisationen (UNICEF oder WFP, das Welternährungsprogramm der UN) berichten regelmäßig über die Zustände in Gaza.

Und diese Einschätzungen sind in der Tat eine bessere Quelle als eine offiziell zu Israels Verteidigungsministerium gehörenden Behörde wie COGAT, die schon per Definition Konfliktpartei ist und damit nicht neutral sein kann.

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Vollkommen richtig. Hinzu kommen freie Journalisten, die im Gazastreifen für etablierte Medien (bspw. Süddeutsche Zeitung, Zeit) arbeiten und für die diese Zeitungen ihre Hand ins Feuer legen, da man schon viele Jahre vertrauensvoll miteinander zusammenarbeitet.

Der offizielle Untersuchungsbericht war ziemlich umstritten, sieh z.B. hier: The Case Against UNRWA - UN Watch

Darüber hinaus muss man sich einfach fragen, wie es möglich ist, dass über Jahre und Jahrzehnte aus UNRWA Schulen Raketen abgeschossen werden, ein Hamas Datenzentrum anscheinend am Stromnetz von UNRWA hängt und in Dutzenden UNRWA Gebäuden Tunneleingänge gefunden wurden, darunter auch der Tunnel in dem kürzlich die Überreste der entführten deutschen Geisel Shani Louk gefunden wurden, ohne das je ein Mitarbeitender von UNRWA etwas gesagt hat. Die einzige Erklärung ist doch eigentlich, dass UNRWA komplett von Hamas-Leuten unterwandert ist.
Diese UNRWA Angestellten, die wussten, wo die Tunnel sind und wo die Raketen abgeschossen wurden und nichts gesagt haben, sind doch nicht neutral, sondern mitschuldig am Terror der Hamas.

Es ging mir bei meinem Hinweis auf COGAT tatsächlich um die Frage, wie viel Lastwagen mit Hilfsgütern täglich nach Gaza reingelassen werden, und da ist COGAT natürlich eine zuverlässige Quelle, weil sie quasi in Echtzeit auf ihrer Webseite und in den sozialen Medien, vorallem auf X dokumentieren, wie viele Lastwagen und mit welchen Ladungen sie überprüft haben (x.com). Ich denke nicht, dass NGOs wie Amnesty International das besser beurteilen können.
Wie gesagt, ich bezweifle nicht, dass die humanitäre Lage im Gazastreifen dramatisch ist und es Menschen gibt, die Hunger leiden, aber Israel ist eben nur dafür zuständig, die Lastwagen an den Grenzübergängen zu kontrollieren, nicht für die Distribution

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Nicht in Gaza. In Gaza ist seit 15 Jahren kein Siedler, spätestens seitdem besteht Gaza in den Grenzen von 1967. Ohne Freizügigkeit ja, aber auch durch Ägypten beschränken, die sich keine offene Grenze zur Hamas vorstellen können. Ich glaube niemand kann sich realistisch „Free Gaza“ vorstellen, ohne sen Zusatz „von Hamas“.

Versteh mich nicht falsch: Der Siedlungsbau ist ein Verbrechen, in Beton gegossene Diskriminierung, die noch Jahrzehnte ein Hindernis für Frieden sein wird. Netanyahu ist ein zynischer Krimineller. Während der Krieg in Gaza tobt, treibt seine radikale Regierung den Bau weiter.

Das sollte aber nicht zu Vorverurteilungen des Kriegs in Gaza führen, insbesondere dessen Ziele. Und Netanyahu ist nicht gleich die IDF.

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Ja, ich meinte das Westjordanland. Macht für die Palästinenser aber keinen Unterschied, oder?

Dem Anschein nach nicht, muss es ja auch nicht. Aber man sollte auch nicht übersehen, dass der Abzug der Siedler aus Gaza zu keiner Verbesserung der Gewalt durch die Hamas und co geführt hat. Das wäre auch verwunderlich, denn das erklärte Ziel der Hamas ist ein Völkermord, an den Juden, woran der 07.10 wieder eine Erinnerung ist. Die im Westen oft verwendete Gleichung „Siedlungsbau, also Gewalt“ ist eben bestenfalls die halbe Wahrheit. Man muss wissen, dass islamistischer Terror für sich nicht in Anspruch nimmt primär das Ende des Siedlungsbaus zum Ziel zu haben.

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Hamas ist nicht gleich Palästinenser.

Eine Gleichsetzung die ich nie machen würde und niemandem durchgehen lassen würde. Deren Terrorherrschaft über die Palästinenser ist ein eigens, gruseliges Kapitel.

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Aktuellen Umfragen zufolge hat Hamas aber die Unterstützung der absoluten Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung sowohl im Gazastreifen, als auch in der West Bank:

https://www.reuters.com/world/middle-east/poll-shows-palestinians-back-oct-7-attack-israel-support-hamas-rises-2023-12-14/#:~:text=Fifty-two%20percent%20of%20Gazans,with%20PA%20President%20Mahmoud%20Abbas.

Im Gazastreifen ist das zu erwarten, denn vermutlich wird man erschossen, wenn man öffentlich sagt, dass man Hamas nicht unterstützt. Im Westjordanland ist das nicht so, insofern kann man davon ausgehen, dass die das schon so meinen. Die Unterstützung für Hamas liegt dort bei 85% und hat sich nach dem 7. Oktober verdreifacht. Man kann also schon davon ausgehen, dass sie sich wegen dem 7. Oktober verdreifacht hat. Da ja, wie gesagt, der Völkermord an der jüdischen Bevölkerung und die Eroberung Palästinas „from the river to the sea“ des Hauptpunkt ihres Wahlprogramms ist, kann man davon ausgehen, dass 85% der Palästinenser im Westjordanland dieses Vorhaben unterstützen.

Man kann eigentlich nur froh sein, dass es dort keine Wahlen gibt, sonst würden sie vermutlich für Hamas oder noch schlimmer, Islamic Jihad oder so wählen.

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„Gewalt erzeugt Gegengewalt, hat man dir das nicht erklärt…“ sangen Die Ärzte.
Ich brauche keine Glaskugel um die zukünftige Zustimmung für Hamas oder nachfolgende Organisationen in Gazas zu prognostizieren.

Stimmt. Was aber auch stimmt: Den IS oder die Nationalsozialisten hat man auch nicht abgewählt. In der Debatte wird den Palästinensern oft etwas abgesprochen, was man den Deutschen / Japanern 1945 und Menschen im Irak 2017 zugesprochen hat.

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Ich wünschte, das wäre so. Denken wir an die Befreiung der Städte Mossul und Fallujah vom IS im Irak 2016/2017. Daran war der Westen militärisch maßgeblich beteiligt und die USA hat koordiniert. Die Gegenseite waren ebenfalls Islamisten, die in Wort und Tat einen Völkermord begehen wollten.

  • Außerhalb meines Studienfeldes habe ich noch nie jemanden getroffen, der dazu zivile Opferzahlen kennt. Dabei waren es bis dato die intensivsten Kampfhandlungen in urbanem Raum seit dem zweiten Weltkrieg.

  • Opferzahlen des IS hätten es vermutlich nicht in unsere Berichterstattung geschafft. Schon gar nicht wären sie Dreh- und Angelpunkt unserer Debatte und Bewertung des Kriegs geworden, ohne auf die Anzahl gefallener Terroristen darin einzugehen oder, dass 2000 Raketen dieser als Blindgänger im dicht besiedelten Gaza selbst gelandet sind.

  • Hätte der IS 11.000 Raketen über Monate auf unschuldige Zivilisten in England oder Frankreich während des Kampfs abgefeuert, wir hätten es nicht nur als Fußnote behandelt. Auch nicht, wenn diese „nur“ 15 Unschuldigen das Leben gekostet hätten.

  • Die Zahl getötetem Nichtkombattanten pro Kombattanten im Gaza Krieg sind niedriger als in Mossul und für ein urbanes Terrain historisch sehr niedrig, so zynisch das Zahlenspiel für jene klingen mag, die sich mit Krieg nie groß beschäftigt haben. Die Anstrengungen der IDF zivile Opfer zu minimieren und der Hamas zu maximierensind in dem Ausmaß ein historisches Novum, dominiert aber nicht die Schlagzeilen. Dabei überbieten Taktiken der Hamas die des IS an Zynismus und Menschenverachtung teilweise. Der IS hat Frauen und Kinder in ihre Tunnel als menschliche Schutzschilde genommen, das gigantische Tunnelsystem der Hamas soll diesen aber keine Schutz bieten. Der Interpretation, dass die Hamas den Tod von Palästinensern aktiv und passiv zur Delegitimation Israels betreibt, ist nicht von der Hand zu weisen (Link siehe oben).

  • Wie schnell die Hilfslieferungen für die Bevölkerung von Mossul an Checkpoints abgefertigt wurden, darüber wurde 2016/2017 nicht in den breiten Medien berichtet. Vom Vorwurf des Völkermords ganz zu schweigen.

Ich hoffe, ich konnte mindestens nachdenklich stimmen. Ich verteidige keine Verbrechen eine der kriegsführenden Parteien, schon gar nicht Hunger als Kriegswaffe, sollte sich der Vorwurf erhärten. Soweit ich sehen kann, haben die IDF bis jetzt in keinem Fall gezielt Nichtkombattanten getötet und sich in vielen Fällen entschuldigt. Es würde auch ihren erklärten Kriegszielen zuwiderlaufen. Das geht in der Debatte unter, genau wie die perfiden Taktiken der Hamas.

Die zivilen Opfern im Gaza-Krieg sollten wir das gleiche Mitgefühl entgegen bringen wie jedem anderen unschuldigen Opfer von Gewalt - und mit nichts „aufwiegen“. Die Schieflage, die ich versuche zu beschreiben, entsteht ja durch das Fehlen anderer wichtiger Aspekte in der Debatte, die auch palästinensische Staatlichkeit (Thread-Thema) direkt betreffen. Die möchte ich im nächsten Post kurz anreißen.

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Den Vorwurf höre ich in der Debatte auch eigentlich nie, trotzdem wehren sich viele gegen Vorwurf, der ihnen nicht gemacht wird. Es geht um das Messen mit zweierlei Maß, sobald Israel militärisch aktiv ist. Zur Frage ob es an der demokratischen Verfasstheit Israels liegt, bin ich im vorherigen Post eingegangen. Ich denke es spielt eine große Rolle, zusammen mit der Omnipräsenz des Smartphones. Aber es reicht - zumindest mir - zur Erklärung nicht vollständig. Daher das Beispiel Mossul. Ich will das Fass nicht unnötig weit aufmachen, aber über Antisemitismus könnte man in dem Zusammenhang schon auch mal nachdenken, insbesondere wie schnell sich gewisse Meldungen verbreiten und wie lange sich auch Unwahrheiten in der Debatte halten können. Wer glaubt noch immer, dass Israel das Al-Ahli-Krankenhaus bombardiert hat? Wer hat noch nicht von „30.000 toten Zivilisten“ gehört? Man muss wissen, dass Juden Jahrhunderte lang von unseren europäischen Vorfahren als „Kindermörder“ verfolgt wurden. Und ich habe 1993 in einer staatlichen deutschen Grundschule im Religionsunterricht gelernt, dass „die Juden unseren Heiland ans Kreuz geschlagen haben.“ Bei Rassismus und Sexismus haben wir doch alle längt erkannt, dass es mehr gibt als nur bewussten Hass, sondern viele subtile Formen, die nicht immer bewusst ablaufen. Die Israelische Perspektive ist für mich teilweise stichhaltig: Zu Beginn ihrer Offensive oder sogar schon davor (!), hat die ganze Welt einen Pazifismus entdeckt, von dem etwa 2016/2017 beim IS in Mossul noch nichts zu spüren war. Dadurch werden sie an einem moralischen Standard gemessen, an dem jede Partei in einem Krieg scheitern muss; und der nirgends sonst zu gelten scheint. Insbesondere wenn der Gegner die Taktiken anwendet, die er anwendet.

Zu den Aspekten, die für mich in der Debatte zu kurz kommen:

  • Ich sehe kaum Bereitschaft, sich mit dem tödlichen und realen Dilemma auseinanderzusetzen, das die kriegsverbrecherischen Taktiken der Hamas für einen Nachbarn darstellt, die diese völlig legitim zerstören möchte, beziehungsweise sogar muss. Ich lehne mich sogar aus dem Fenster und sage: Die Hamas muss auch im Namen der Palästinenser zerschlagen werden. Die Hamas kommt in der Berichterstattung des Kriegs aber kaum noch vor, was ihr nützt und was sie bezwecken wollte.
  • Ich sehe kaum Bereitschaft, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie es mit Gaza weiter gehen würde, wenn die Hamas nicht zerschlagen wird. Wie versorgt man eine Bevölkerung mit Trinkwasser, wenn Hamas Wasserrohre zu Raketen macht? Wie begegnet man an einem Grenzübergang Menschen mit Respekt, die mit ihrem oder gegen ihren Willen Bomben der Hamas sein könnten? Wie kann palästinensische Staatlichkeit gelingen, wenn die Hamas nicht vollständig zerschlagen wird? Warum erkennt man Palästina nicht an dem Tag als Staat an, an dem die Hamas zerschlagen ist - warum gerade jetzt, wo jeder diplomatische Erfolg der Hamas zugeschrieben wird?

Meine Fazit ist: Der aktuelle Diskurs zu dem Krieg wäre auch ohne jede antisemitische Dimension problematisch. Auch hier werden große Stärken offener Gesellschaften gegen diese als Waffe eingesetzt. Selbstkritik, Sympathie für den vermeintlichen David (gegen Goliath), offene Medien und Netz, Mitgefühl mit unschuldigen Opfern, Vertrauen in internationale Organisationen und Gerichtsbarkeit. Die Hamas und ihre Verbündeten teilen diese Werte nicht, aber wissen sie gegen uns auszuspielen. Dabei muss Einsatz für unschuldige Opfer nicht darin münden, dass Überleben der Hamas zu sichern - wenn man das ganze Bild im Blick behält. Ich behaupte das ist auch nötig, um das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat zum Durchbruch zu verhelfen. Man kann Netanyahu für einen Kriegsverbrecher halten (ohne jeden Antisemitismus) und gleichzeitig dessen Kriegsziel der Hamas-Zerschlagung als legitim erachten, vielleicht sogar im Namen eines zukünftigen Palästinenserstaats. Ich weiß auch, dass man dafür scheinbare Widersprüche mit viel Diskursarbeit zusammenbringen muss. Ich hoffe ich konnte Manche zum Nachdenken anregen.

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Für mich grenzt das etwas an Whataboutism…
Ich glaube, die Öffentlichkeit wurde beim Irakkrieg auch wesentlich getäuscht. Sprechen kann ich nur für mich: Ich finde es genauso schlimm.
Auf Details gehe ich hier nicht ein, da ich mich nicht ausreichend auskenne. Außerdem gehört das wirklich nicht zu diesem Threadthema.

Allerdings: die Hamas zu „zerschlagen“ dürfte doch ziemlich unmöglich sein.
Und wer von uns würde unterschreiben, dass man ein ganzes Land und seine Bevölkerung zerbomben darf, weil sich dort einige Terroristen versteckt halten…

Wie gesagt: Ich stehe auf keiner Seite. Finde das alles sehr traurig und überhaupt nicht eindeutig. Deshalb klinke ich mich hier jetzt mal aus.

Nur eine Klarstellung, bevor ich mich auch ausklinge, wenn es nicht strikt ums Thema das Threads geht: Ich meine nicht den Irakkrieg von 2004. Ich meine den Krieg gegen den IS mit westlicher Beteiligung und Führung von 2016 / 2017.

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Man muss doch eigentlich auch nur auf den aktuellen Krieg in der Ukraine schauen, das ist hier um die Ecke, wir haben tausende Flüchtlinge aufgenommen und liefern Waffen… trotzdem ist das öffentliche Interesse eher so mäßig und Demonstrationen sehe ich eigentlich auch keine.

Ich finde diesen ständigen Verweis auf „whataboutism“ sobald man irgendein anderes Land mit Israel vergleicht schwierig und fand das auch in der hier diskutierten Folge problematisch.

Antisemitismus bedeutet u.a., dass Juden und Israel als „der Jude unter den Staaten“ mit anderen Maßstäben gemessen werden (siehe auch die 3Ds des Antisemitismus, demonisation, delegitimisation, double standards Three Ds of antisemitism - Wikipedia)

Der Vorwurf ist also, dass mit anderen Maßstäben gemessen wird, weil es um Israel geht. Ein Beispiel ist eben wie oben genannt die überproportionale öffentliche Empörung, sobald es im weitesten Sinne um Israel geht, oder die Tatsache, dass bei Bashar Al-Assad und Khamenei keiner dran denkt, einen Haftbefehl zu beantragen, bei Netanyahu aber schon, oder ein anderes Beispiel sind die überproportional vielen UN Resolutionen gegen Israel, die in überhaupt keinem Verhältnis mehr zum Rest der Welt stehen (2022 UNGA Resolutions on Israel vs. Rest of the World - UN Watch)

Um über diesen Vorwurf zu sprechen muss man ja zwangsläufig Israel mit anderen Ländern vergleichen, aber da heißt es hier dann immer sofort, dass sei „whataboutism“ und damit wird das Argument weggewischt.

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