LdN376 Manöverkritik: Gendern

Weil ihr zurecht euren „undogmatischen Umgang“ erwähnt, will ich hier das „Entgendern nach Phettberg“ ins Spiel bringen. Ernst gemeint, auch wenn es einer Satire entsprungen ist. Das Entgendern nach Phettberg - te.ma

siehe etwa

Ich bin übrigens in meinem Sprachgebrauch dort, wo es sich machen lässt, zum einfachen generischen Neutrum übergegangen, ohne das Phettberg-Y. D.h. wenn ich von Autofahrern spreche bzw. schreibe, verwende ich die übliche (bisher männlich gedachte) Endung -er, aber den neutralen Artikel bzw. neutrale Bezugswörter. D.h. ich sage nicht „jeder Autofahrer“ sondern „jedes Autofahrer“ und dgl. Der Nachteil ist gleichzeitig ein Vorteil: Es fällt nicht auf und ändert in vielen Fällen gar nichts am Satz, denn bei unbestimmtem Geschlecht redet man ja häufig in der Mehrzahl, und der Pluralartikel ist in allen Fällen „die“.

Ich verspreche mir aber bei konsequenter Anwendung des generischen Neutrums, dass man automatisch weder in weiblichen noch in männlichen Stereotypen denkt, sondern immer alle Geschlechter mitdenkt (oder einfach gar kein Geschlecht).

Grammatikalisch mache ich nach den hergebrachten Sprachregeln nichts falsch - außer man fordert, dass mit der Endung -er auch immer der Artikel „der“ verknüpft sein muss. Und der Sprachfluss wird auch nicht gestört. Nicht, dass ich diese typischen Einwände (Grammatik, Sprachfluss) irgendwie berechtigt fände, aber man muss einfach anerkennen, dass es sie gibt.

Mein Hauptargument für das einfache generische Neutrum ist, dass es sich extrem einfach und ohne viel Umgewöhnung umsetzen lässt. Und das zweite Argument ist, dass es keine binäre Welt abbildet.

Bei allem Verständnis für den Sinn des Genders: es macht die deutsche Sprache definitiv nicht schöner. :wink:

4 „Gefällt mir“

Irgendwann macht also einfach jeder was er will und alle sind glücklich. Nieder mit der Grammatik, nieder mit der Rechtschreibung. Im Deutschunterricht geht es nur noch um Textverständnis, klassische Literatur und selber schreiben von z.b. Berichten, Gedichten usw. Keine Diktate mehr und keine Abzüge wegen Rechtschreibung ^^

Ja, der Untergang des Abendlands ist nah…

Analog zu Phettberg gibt es noch die Variante mit -chen als Suffix (oder im Süden dann mit -lein). Das Lehrerchen, das Schülerlein, die Ärztchen, die Apothekerlein usw.

Ich glaube du hast meinen Beitrag fälschlicherweise als Ironie interpretierte. :slight_smile:

Man muss sich hier bewusst sein, dass Sprache über Jahrtausende genau so funktioniert hat. Mit allen Vor- und Nachteilen. Dass wir so groß darüber diskutieren, was sprachlich nun „richtig“ oder „falsch“ ist, hat eben einzig damit zu tun, dass wir die Sprache kodifiziert haben, also zu einem - relativ beliebigen! - Zeitpunkt gesagt haben: „So, wie sich die Sprache bis jetzt entwickelt hat, schreiben wir es nun fest, auf das es auf alle Zeiten gelte!“.

Einzig deshalb müssen wir nun tatsächlich große Diskussionen führen, wenn es um „größere Änderungen“ der Sprache geht. Minimale Änderungen wie „neue Wörter“ sind noch problemlos möglich, kleinere Änderungen wie der viel-prophezeihte Untergang des Genetiv sind schon schwieriger, massive Änderungen wie eine Gender-Gerechte Sprache sind nur sehr, sehr schwer möglich. Leider!

Tatsächlich bin ich der Meinung, dass wir der Sprache wieder mehr Raum zur Entwicklung lassen sollten, dass wir in vielen Fällen davon abrücken sollten, alles in „richtig“ und „falsch“ zu gruppieren. Es sollte keine Mehrheit brauchen, alternative Variationen offiziell zu „erlauben“ (in dem Sinne, dass sie nicht offiziell als „falsch“ gewertet werden), sondern eine näher zu bestimmende Minderheit sollte dafür ausreichen. Denn die Mehrheit wird immer von sprach-konservativen Menschen gestellt werden („So wie ich es gelernt habe, soll es bleiben“), alleine schon aus Bequemlichkeit.

Deshalb finde ich die Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung so problematisch. Eben weil dieser (sehr sprachkonservative!) Rat sich auf eine Möglichkeit festlegt und alle Alternativen als falsch benennt. Wir müssen die Sprache aus dem Würgegriff derartiger Institutionen befreien - auch wenn Sprache durch mehr zulässige Varianten kurzfristig natürlich etwas komplexer wird. Langfristig führt mehr Freiheit jedoch auch zu mehr Evolution, was - wie jeder Linguist bestätigen wird - in aller Regel zu einer Vereinfachung führt. Eine Sprache, der man Raum für Entwicklung lässt, wird sich in aller Regel in Richtung „Einfachheit“ entwickeln.

5 „Gefällt mir“

Wie üblich ist der Beitrag von @Daniel_K sehr kenntnisreich und differenziert.

Ich stimme zu: Man sollte Sprache als ein sich ständig, mal schneller, mal langsamer fortentwickelndes „Fluidum“ verstehen. Wie fast immer, wird auch diese Veränderung von einem großen Teil konservativer (= veränderungsskeptischer) Menschen abgelehnt. Manche Änderungen setzen sich durch. Andere nicht (oder später).

In einem Punkt komme ich aber ins Grübeln: Wie kann man Kindern Rechtschreibung und Grammatik beibringen, wenn „Regeln“ nicht mehr gelten.

Beim Gendern könnte man ja regeln: „Es ist zulässig, das generische Maskulin durch andere gängige Formen, z.B. „*Innen“, zu ersetzen, wenn damit das Ziel verfolgt wird, andere Geschlechteridentitäten ausdrücklich zu inkludieren“.

Führt man aber so eine Aufweichung in die Regeln der deutschen Sprache ein, wird das Regelwerk, gerade für Kinder, immer schwieriger. Und wie sollen Lehrer dann noch Rechtschreibung und Grammatik prüfen / korrigieren, wenn „letztlich alles geht“?

Wie machen wir das im Fall vom Genitiv? Einfach den Dativ als Alternative erlauben? Oder die (von mir eigentlich sehr begrüßten) Einführung des englischen Possessiv- oder Genitiv-S (Max‘s Auto)?

Kleiner Exkurs zum Genitiv.
Der geht uns schon nicht verloren.:wink:

In drei Fällen kommt der Genitiv vor:

  1. Als Objekt: „Wir gedenken der Toten.“ Es gibt nur wenige Verben, die ein Gen.-Obj. erfordern. Und die werden evtl. mit der Zeit verschwinden.
  2. Nach Präpositionen: „Wegen des Umbaus ist das Geschäft heute geschlossen.“ Auch hier ist ein Verschwinden möglich, denn mündlich nutzen viele da den Dativ.
  3. Als Genitiv-Attribut: „Die Versicherung des Hochwasser-Risikos wird immer teurer.“
    Solche Sätze gibt es in Hülle und Fülle und ein Aussterben des Genitivs ist nicht zu befürchten.

Sprache hat sich immer gewandelt, ebenso die Schreibung.
Mit der Zeit wird sich herausstellen, was akzeptiert wird.
Und ich persönlich kann immer so schreiben, wie ich möchte.

1 „Gefällt mir“

Dass Sprache sich wandelt, ist historisch gesehen ein ziemlich offensichtlicher Befund, aber bei der Forderung nach inklusiver Sprache geht es doch um etwas anderes. Wie sich die Sprache „von selbst“ entwickelt hat, wird ja gerade nicht akzeptiert, sondern es werden proaktiv neue Varianten eingeführt. Zum Vergleich: Es gab im 7. Jahrhundert (meines Wissens) keine aktivistischen Pressure-Groups, die eine Auslautverhärtung aus ideellen Gründen gefordert hätten. Auch die erwähnte allmähliche Ablösung des Genetiv durch den Dativ in bestimmten Funktionen ist wohl eher kein politisches Projekt.

1 „Gefällt mir“

Das nicht, aber Sprachpolitik gibt es seit es Nationalismus gibt. Und seitdem gehörten dazu Forderungen von sich als konservativ verstehenden Kräften, die sich wahlweise gegen die Übernahme von Fremdwörtern, gegen Reformen (sprich: Vereinfachungen) der Grammatik etc. richteten und zwar oft mit dem Argument, die bekämpften Veränderungen würden zu einer Art Sprach- und Kulturverlust führen. Und das erinnert zumindest mich schon Arg an die aktuelle Anti-Gender-Fraktion.

@pagurus
Da würde ich mal ein Blick in die Sprachgeschichte werfen.
Gerade bei der Diskussion um Fremdwörter gab es immer eine politische Dimension:

  1. Nationalistisch, die deutsche Sprache sollte rein gehalten werden von angeblich verwerflichen fremdsprachlichen Einflüssen.
  2. Emanzipatorisch: Durch Neologismen, die auf deutschen Wörtern beruhten, sollte die Sprache allgemein verständlich werden, auch für Menschen, die nicht über höhere Bildung und damit Kenntnisse von Latein, Französisch oder Griechisch verfügten.

Ein Hoch dem Meuchelpuffer (statt Pistole), dem Lotterbett (statt Sofa) und dem Knalltriebling (statt Verbrennunsmotor)!!1
Anschrift statt Adresse hat dagegen überlebt.

1 „Gefällt mir“

Mein Liebling ist ja das Windableitblech (Spoiler)

Die Tatsache, dass niemand im Ernst „Windableiterblech“ oder „Lotterbett“ sagt, belegt, denke ich, hinreichend, dass hier kein tatsächlicher Sprachwandel vorliegt.

Und konservative und nationalistische Kritik an Vereinfachung, Fremdwörtern etc. richtet sich ja gerade gegen einen spontanen, unkontrollierten Sprachwandel.

Ist es nicht so daß sich Sprache über mehrere Generationen weiter entwickelt hat? Warum muss dann ,um Teufel komm raus, die Gendergerechte Ausdrucksweise " erzwungen" werden?
Ich zu meinem Teil akzeptiere die Schreibweise/ Sprache aber gendere nicht, was wiederum nicht heißt das ich irgendeinen diskriminiere.

Stimmt, generisches Femininum ist auch eine gute Idee.

Wer genau „erzwingt“ denn da deiner Meinung nach etwas?