LdN366 Politische Stimmung in Deutschland

Diese Studie spiegelt im Prinzip viele der Aussagen im Thread wieder und sollte ehrlich gesagt ein Warnruf an Politik und vor allem auch Medien sein. Es liest sich nämlich nicht so, als wäre diese Menschen verloren, nur unglaublich enttäuscht, wie andere hier im Forum auch:

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Dann frage ich Dich, wo das Geld denn hin ist? In die Infrastruktur scheinbar nicht. In die Löhne auch nicht. Dabei steigert sich auch seit den 90ern die Gesamtgeldmenge stetig. Und das bei super niedrigen Inflationsraten. Der DAX steigt, das Bruttoinlandsprodukt steigt, etc. Irgendwo muss das Geld ja sein.
Offensichtlich ist es aber nicht beim „normalen“ Bürger angekommen.

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Im Podcast ging es um die schlechte Stimmung im Land als Hauptfaktor wurde das Auftreten / die Kommunikation der Ampel benannt. Hier im Talk wird ein starker Fokus auf die Entwicklung von Einkommen / Vermögen gelegt.
Meinen Frust über die politische Situationen entfacht dies aber nicht.
Wir haben in Deutschland ein offenes System. Menschen können Einfluss nehmen. Die „Politik“ hat bei Wahlen immer verschiedene Angebote gemacht. Ich hätte mir insgesamt mehr sozialen Ausgleich gewünscht, muss aber als überzeugter Demokrat akzeptieren, dass die Mehrheiten anders waren.
Ich denke, wir leben in einem Land, das viel bietet. Wenn ich krank bin, bekomme ich Behandlung. Wenn ich hilflos bin, bekomme ich Pflege. Nach meiner aktiven Arbeitszeit bekomme ich Rente. Werde ich arbeitslos, sichert die Allgemeinheit mindestens mein Existenzminimum. Es gibt Gesetze, die mich davor schützen, dass Arbeitgeber mich zu Minilöhnen ausnutzen, mir unendlich Überstunden aufdrücken. Ich habe Urlaubsanspruch. Vater Staat unterstützt meine Familie mit Kindergeld. Ich konnte ein paar Monate Erziehungszeit nehmen usw.
Meine Töchter können sich frei entfalten. Sie werden nicht in Rollen gezwungen, können ihren Interessen nachgehen und einen Beruf danach wählen. Sie dürfen lieben, wen sie wollen, ohne Angst zu haben, ausgegrenzt oder verfolgt zu werden. Und wenn sie in der Schule ihre Meinung kundtun, muss ich (noch) nicht befürchten, dass meine Familie auf einer roten Liste landet.
Meine Unzufriedenheit speist sich daraus, dass ich etwas Demut und Dankbarkeit für das, was wir in diesem Staat als Gemeinschaft erreicht haben, vermisse und den Eindruck habe, dass nicht erkannt wird, wie schützenswert dies ist.
Mich frustieren die hohen Umfragewerte für die AFD. Gerade Menschen, die eher Nachteile von deren Politik hätten, Menschen, die die DDR erlebt haben, würden diese Partei teilweise wählen. Das macht mir regelrecht Kopfschmerzen. Mich frustiert der schwache Umgang der öffentlich-rechtlichen Medien mit der Ampel, ebenso wie die oberflächlichen Auseinandersetzung mit den Rechten. Mich frustriert, wenn meine 16jährige Tochter erzählt, dass ihre männlichen Klassenkameraden alle pro AFD sind, selbst wenn sie Migrationshintergrund haben. Mich frustiert, dass mit meinem Steuergeld die Rechten finanziert werden. Mich frustriert, dass keine rechtliche Überprüfung der Verfassungskonformität dieser „Partei“ eingeleitet wird.
Hoffnungsfroh machen mich die Demonstrationen, das Zusammenstehen der offenen Gesellschaft. Hoffnung macht mir auch die Erfahrung aus der Corona-Zeit, wo der überwiegende Teil der Gesellschaft zusammengehalten hat, bereit war Einschränkungen hinzunehmen, um andere zu schützen.
Kommunikation ist Aufgabe von uns allen. Probleme benennen und die Ampel kritisieren, na klar - aber bitte auch die positiven Aspekte in den Fokus nehmen.

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In der Folge stellt Ulf zwischen Minute 51:00 und 56:00 wiederholt die Behauptung auf, Migration sei nicht steuerbar und wir könnten sowieso nichts dagegen tun. Philip widerspricht dieser resignierenden Behauptung nur einmal zaghaft.
Dabei bräuchten wir nur über unsere nördliche Grenze zu schauen, um zu erkennen, dass sich Migration sehr wohl steuern lässt. Dänemark hat unter sozialdemokratischer Regierung ein sehr striktes Einwanderungs- und Asylsystem eingeführt. Ein Land, das nun wirklich nicht an der Schwelle zum Faschismus steht. Die Folge ist, dass die rechtspopulistische Partei dort ins Unbedeutende geschrumpft ist. Soviel zur Behauptung „damit stärkt man immer das Original“.
Es fehlt in Deutschland nicht an den Möglichkeiten, sondern allein am Willen, eine (den eigenen Staatsbürgern gegenüber) verantwortungsvolle Einwanderungs- und Asylpolitik zu realisieren. Die Not ist anscheinend noch nicht groß genug, weder in Bezug auf die Prozente der AfD, noch in Bezug auf die Zahlen der Gewalt-, Sexual- und Drogendelikte durch Zuwanderer.

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Dem kann ich zu 100% zustimmen. Vielleicht noch eine Ergänzung: Das Nicht-Aufarbeiten bzw. die fehlende Kommunikation von offensichtlichen Fragen der Bevölkerung. Beispiele:

  • Corona-Zeit: Hier gibt es keine Aufarbeitung/Bewertung der getroffenen Maßnahmen.
  • Nordstream: Ich kann keine aktive Kommunikation oder den Willen zur Aufarbeitung erkennen. Gelegentliche Nachfragen bei der BPK werden abgewürgt.
  • Ukraine-Krieg: Was ist das Ziel/die Strategie der dt. Regierung? Für mich nicht ersichtlich, Es gibt materielle und finanzielle Unterstützung. Damit bin ich einverstanden - allein kann ich nicht erkennen, wozu das Ganze langfristig dient. Gemäß Herrn Scholz „darf Russland nicht siegen“. Er sagt aber nicht, was das bedeutet oder woran die Regierung arbeitet.

Dieses (bewußte?) Ignorieren und Schweigen trägt. zur Verdrossenheit und schlechten Stimmungen bei.

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Ich würde Dein Argument gerne aufnehmen und in einen größeren Kontext bringen:

Die Stimmung ist m. E. so gedrückt - frustriert - teilweise wütend, auch weil die Politik viele offensichtlich dringende Handlungsfelder ignoriert und sich stattdessen auf Themen konzentriert, die eigentlich kaum jemanden interessieren.

Dabei will ich nicht sagen, die Politik soll sich nicht um Themen kümmern, die kaum jemanden interessieren. Es gibt immer wichtige Handlungsfelder, deren Relevanz großen Teilen der Bevölkerung nicht klar ist. Die meisten „Baustellen der Nation“ sind solche Themen. Viele Ampelprojekte sind solche Handlungsfelder.

Aber es gibt einfach Themen, die sehr breite Teile der Gesellschaft inzwischen beunruhigen oder wütend machen, die „unter den Fingernägeln brennen“, die die Politik aber ignoriert, weil sie nur „unter Opfern der Gesellschaft“ gelöst werden können (d. h., die notwendigen Investitionen bringen erst mal keine Stimmen). Hier eine unvollständige Liste dieser Themen:

  • Mieten / Wohnungsbau
  • Klima- und Umweltschutz
  • Rente(nstabilität)
  • Bildung
  • Verteidigung(sfähigkeit) / Ukraine Krieg
  • Digitalisierung
  • Öffentliche Infrastruktur
  • eine bürgerfreundliche, effiziente Verwaltung
  • Vermögensverteilung
  • (Im)Migration

… und da habe ich sicherlich etliche vergessen.

Solange die Bevölkerung nicht den Eindruck hat, dass die Politik diese Handlungsfelder beherzt und entschlossen angeht, werden Fragen wie Canabislegalisierung oder Einbürgerung oder Pestizide in der Landwirtschaft oder Mobilitätswende oder Energiewende als weniger wichtige „Nebenkriegsschauplätze“ empfunden (obwohl sie es natürlich nicht sind), von „Gendern“ oder der „Bezahlkarte für Migranten“ oder sonstige Themen des urbanen Bildungsbürgertum mal ganz abgesehen.

Das Ganze gipfelt dann einem Kanzler, der alle Probleme "schlumpfig weglächelt“, statt den Bürgern reinen Wein einzuschenken (z.B. bei den Themen Klima oder Urkaine-Krieg). Die Menschen haben den Eindruck, Scholz hält sie für völlig verblödet mit seinem „Lass das Olaf mal machen, das wird schon und Ihr werdet davon gar nichts merken“.

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Tatsächlich denke ich nicht, dass es hier besonders viel aufzuarbeiten gibt. Es handelte sich um eine Extremsituation, mit potentieller Gefahr für Leib und Leben, in der es wenige Gewissheiten gab. Das es unter diesen Bedingungen zu Über- und Unterreaktionen gekommen ist liegt für mich in der Natur der Sache. Das hier eine Aufarbeitung/Bewertung mit dem Wissen von heute irgendeinen Erkenntnissgewinn versprich würde ich stark bezweifeln. Was ggf. fehlt ist das öffentliche Fazit, was wir denn jetzt daraus gelernt haben und was wir tun um das nächste mal vielleicht besser vorbereitet zu sein.

Kann man beides als strategisches Schweigen interpretieren. Finde ich als Bürger nicht unbedingt gut, kann ich aber nachvollziehen. Gerade die SPD scheint da ja einen Ritt auf der Rasierklinge zu vollziehen zwischen Friedensaktivisten, Russlandfreunden und Realisten. Eine klare Positionierung wäre da vermutlich hinderlich um weiter regieren zu können.

zu Corona. Zustimmung, genau die sich daraus ergebenden Lehren fehlen. Ich würde wetten, dass bei erneutem Auftreten einer Pandemie genauso wie gehabt gehandelt werden würde.

zu den beiden anderen Punkten: Die Bundestagsabgeordneten sind dem Volk verpflichtet und nicht ihrer Partei. Mir ist egal wie es der SPD dabei geht oder nicht geht. Wenn die Unterstützung des Volkes gefragt ist, dann erwarte ich, dass es eine Ziel dafür gibt. Genau dieses Herumliegen führt zur Verdrossenheit bei vielen Menschen.

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Was ich für ein echtes Problem halte, ist, dass ja keiner Partei mehr zugetraut wird die Kuh vom Eis zu kriegen. Meiner Meinung nach hat das damit zu tun, dass die Leute begriffen haben, dass mit Konzepten aus der Vergangenheit die Krisen der Zukunft nicht in den Griff zu kriegen sind. Gleichzeitig ist aber noch keiner mit einem Konzept um die Ecke gekommen, das wirklich überzeugend und tragfähig wäre. Und weil das eben auch nicht so einfach ist, haben die Vereinfacher beste Karten.

In einer Welt, in der so viele Änderungen (Klima, Demografie, Migration, Digitalisierung und KI) auf uns zu kommen werden, bräuchten wir aus meiner Sicht vor allem eins: Vertrauen.
Die Politik braucht Vertrauen, dass die Bevölkerung gewillt ist Änderungen zu akzeptieren. Der Wähler bräuchte Vertrauen, dass die Politik gewillt ist, keinen zu überfordern.
Dann könnte man agile Politik betreiben. Dann könnte man auch mal ein Heizungsgesetz machen, bei dem nicht alle Nebenwirkungen ausbuchstabiert sind, weil das gegenseitige Versprechen gilt.
Leider sehe ich da auf beiden Seiten wenig Gründe, die dieses Vertrauen rechtfertigen würden.
Klar schlägt das auf die Stimmung.
Ich glaube, tatsächlich, dass unsere Art Politik zu machen, nicht zukunftsfähig ist. Und damit meine ich nicht die repräsentative Demokratie oder unsere Verfassung. Ich meine die Art, wie debattiert wird, die Art wie Gesetze gemacht werden. Das muss viel schneller, lebensnäher und agiler werden.

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Komischerweise laufen die Leute aber doch genau zu den Parteien über die versprechen alles werde wieder wie früher.

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Das sind aber nicht dieselben Leute. Ein größerer Teil der Bevölkerung hat kapiert, dass wir in einer Art Multikrise stecken, für die es keine simplen Rezepte gibt. Und dieser Teil ist zwar möglicherweise genauso unzufrieden/frustriert/resigniert, aber eben nicht bereit, populistische Vereinfacher zu wählen.

In Bayern haben gewählt:
37,0 % CSU
15,8 % Freie Wähler
14,6 % AfD
0,9 % Bayernpartei

Das sind 68,3 % die Parteien gewählt haben die entweder ein „weiter so“ oder ein Zurück ins Jahr 1990 propagieren. Im Falle der Bayernpartei wohl gar ein Zurück ins Jahr 1900.

Man kann doch jetzt nicht ernsthaft behaupten das wäre nur ein kleiner Teil der Leute und die Mehrheit will mutigere Veränderung. Die Zahlen in vielen anderen Bundesländern sind auch nicht viel besser. Die Sonntagsfrage zur Bundestagswahl klingt auch nicht grundlegend anders.

Ich will nicht behaupten, dass diese Menschen mit ihren Wünschen richtig liegen, ganz und gar nicht. Aber ich behaupte man holt die erstmal auch nicht mit mutigen Reformen ab. Umso wichtiger sind natürlich Parteien die dennoch den Mut zu Reformen haben.

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Womit wir wieder bei meinen 2 Punkten „Alternativen“ und „Überzeugungen“ wären.

Ich habe einen Kritikpunkt und eine Verständnisfrage.

Erst der Kritikpunkt: Die erste Grafik, die das Verhältnis von Reallohnentwicklung und Arbeitsproduktivität zeigt, umfasst den Zeitraum von 1991 bis 2012. In der Diskussion, die hier im Forum geführt wird, geht es aber um die gegenwärtige wirtschaftliche Situation (bzw. um die gesellschaftliche Stimmung und wirtschaftliche Entwicklung in den letzten paar Jahren). Die Grafik scheint mir daher eher irrelevant zu sein.

Hier eine etwas andere, aber aktuelle Grafik zur Entwicklung der Reallöhne.

Man sieht, dass der allgemeine Preisanstieg (die Inflation) von Ende 2021 bis Anfang 2023 stärker war als der Anstieg der nominalen Löhne, sodass die Reallohnentwicklung zwischen -1% und -5,4 % lag. Die Menge an Gütern, die sich ein durchschnittlicher Haushalt von seinem Lohn leisten kann, ist also zwischen Ende 2021 und Anfang 2023 gesunken. Lichtblick: Die Reallohnentwicklung ist seit dem 2. Quartal des Jahres 2023 wieder positiv.

Nun die Verständnisfrage: Was genau bedeutet es, wenn die Arbeitsproduktivität stärker steigt als die Reallohnentwicklung? Bedeutet ein Anstieg der Arbeitsproduktivität, dass die Leute sich mehr anstrengen (aber laut Grafik nicht entsprechend entlohnt werden) oder kann der Anstieg der Arbeitsproduktivität auch an technologischem Fortschritt liegen?

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Ich habe die Befürchtung, dass wir uns jeden Kampf gegen Rechts sparen können, wenn wir nicht unsere Wirtschaft wieder in den Griff bekommen.

Mittlerweile stellen etliche große Unternehmen Massenentlassungen in Aussicht und obwohl 12.000 Entlassungen bei ZF oder 3000 bei der BASF allein auf den gesamten deutschen Arbeitsmarkt gesehen klein erscheinen, haben sie mindestens medial enorme Strahlkraft.

Wenn nun also Menschen das Gefühl gewinnen ihr Arbeitsplatz und damit ihr bescheidener Wohlstand sei nicht mehr sicher, werden sie sich von den Parteien, die in den letzten Jahren Verantwortung hatten abwenden. Das ist ganz natürlich. Ein paternalistisches

Wir haben Fachkräftemangel. Soll der Chemikant doch Kindergärtner werden.

oder

Was kümmert mich das? Da haben die Unternehmer halt Mist gebaut und müssen nun halt untergehen.

wie man es aus wirtschaftsfernen Kreisen häufiger hört, wird da bestenfalls als Verhöhnung wahrgenommen.

Ich glaube Deutschland braucht schleunigst eine Lösung für seine großen gesellschaftlichen Probleme

wie sie @TilRq benannte, aber auch für wirtschaftliche Hindernisse (Energiepreise, Digitalisierung, Bürokratie).

Dass fast alle unsere Nachbarn hier besser vorankommen und dabei meist andere Wege beschreiten als wir, macht das Vertrauen in die Führung dieses Landes nicht größer.

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Grad eine interessante Podcastfolge von Politikum gehört. Dort ging es im zweiten Teil um das Thema Familie und Belastungen.

Die Interviewpartnerin Lena Sterz zitiert einen Satz, der mir nachhaltig hängen geblieben ist.

„Frauen (Eltern) sollen heute so arbeiten, als ob sie keine Kinder hätten, aber sich so um ihre Kinder kümmern als ob sie nicht arbeiten.“

Das spiegelt ggf auch ein aktuelles Problem wieder.

Eltern haben heute hôhere Anforderungen an sich selbst an die Elternrolle, dazu auch äußerer (medialer? Gesellschaftlicher?) Druck, diesem neuen Rollenbild zu entsprechen.

Dazu die Verdichtung der Arbeitswelt, steigende Anforderungen, geforderte Flexibilität, Unsicherheiten.

Das trifft auf eine Betreuungsstruktur mit 400.000 fehlenden Kita-Plätzen, dadurch instabilen Betreuungszeiten, die selten mit dem Arbeitsleben vereinbar sind. Beispiele wurden hier ja schon genannt.

Dazu der (eigene? Soziale?) Anspruch, sich und den Kindern ein gewissen Maß an Wohlstand zu bieten. Urlaub, Haus mit Garten, gute Bildung, gesunde Ernährung, usw.

Das nötige Geld dafür lässt sich gefühlt (oder real?) nicht durch Erwerbsarbeit erwirtschaften.

Dazu wie im obigen Podcast die Überlastung und Erschöpfung von Eltern, die all diesen Anforderungen und Erwartungen gerecht werden wollen/sollen, nach außen (und innen) keine Schwäche zeigen wollen.

Ein Hamsterrad, aus dem viele keinen Ausweg sehen und auch keinen politischen Gestaltungswillen, daran etwas zu ändern.

Dieses „Höher, schneller, weiter“ plus Krisen macht unzufrieden.
Wenn Gewerkschaften 35h-Wochen fordern, die Antwort der Arbeitgeber aber lautet, wegen dem Fachkräftemangel müsst ihr eher 45-50h arbeiten, dazu aus Wirtschaft und Politik die Anhebung des Rentenalters gefordert wird, dann kann man sich durchaus mal nicht verstanden fühlen.

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Vielen Dank für diesen klugen Einwand, ich hatte nämlich ganz vergessen meinen Worten eine Art „Thesis“ voranzustellen. Ich war der Meinung, das ergibt sich aus dem Kontext meiner Kommentare. Ich versuche es nochmals herzuleiten.

Um zu verstehen, warum die gesellschaftliche Stimmung kippt, benötigt es längere Zeitreihen in der Betrachtung, die einen Vergleich möglich machen. Im Verhältnis zu früher spreizt sich das Band weiter auf, was nach meiner These (Verbindung zwischen Arbeitsproduktivität und Reallohnentwicklung) massgeblich für die aktuelle Unzufriedenheit verantwortlich ist.

Es wäre mir zwar warm ums Herz, wenn ich das alles auf Fleiss und Co. schieben dürfte, aber das ist natürlich bei näherer Betrachtung sehr viel komplexer. In die Effizienz im Rahmen der Wertschöpfung bei Unternehmen spielt bspw. die Erhöhung der Bruttogewinnmargen, Digitalisierung, Automatisierung, Hinzu kommt, dass ich gar nicht genau sagen kann, in welcher Form im Ausland erbrachte Arbeitsstunden in diese Berechnung einfliessen. Ich stütze mich darauf ja aber auch erstens als interessierter Laie und zweitens auf einen Ökonom, den ich oben bereits zitiert und verlinkt hatte (Manfred J. M. Neumann). Zudem gehe ich davon aus, dass die Berechnungsgrundlagen aus der selben Quelle während des gesamten Erhebungszeitraums identisch sind, was dann wiederum vergleichbar ist.

In meinen Augen ein Teil des Problems, dass die „Allgemeinheit“, respektive die Arbeitnehmenden am Wirtschaftswachstum zu wenig beteiligt werden. Dies sorgt dann eben für folgende Nebeneffekte:

  1. Wohlstandsversprechen wird nicht eingehalten / Leistung lohnt sich nicht im gleichen Masse wie in der Vergangenheit
  2. Kapital wird von einer immer breiter werdenden Gesellschaftsschicht von unten nach oben verteilt
  3. Reiche werden reicher, Arme ärmer
  4. Monopolisierung verfestigt sich, da sich das Kapital nach oben aggregiert
  5. Reiche erhöhen durch Nachfrage die Immobilienpreise und MIeten, was wiederum den „gemeinen Bürger“ belastet und so befeuert sich das System
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Entscheidend für das Gefühl der Unzufriedenheit ist nach meiner Wahrnehmung insbesondere Punkt 1, während die anderen Nebeneffekte wiederum Fake News und antidemokratische Strömungen fördern. Siehe hierzu den Taken not Earned Report, den ich ebenfalls verlinkt habe.

Danke für die Erläuterung zur Arbeitsproduktivität, das war erhellend!

Was deine weiteren Ausführungen betrifft kann ich aber teilweise nicht folgen. Ich stimme dir zu, lange Zeitreihen sind sicherlich sinnvoll, aber wenn die lange Zeitreihe 12 Jahre vor der Gegenwart endet, dann kann sie die aktuelle Unzufriedenheit nicht wirklich erklären - dazu bräuchte man eine lange Zeitreihe, die irgendwann in den 2020ern endet. Und wie sich aus Kapitalakkumulation bei reicheren Menschen höhere Mietpreise ergeben sehe ich jetzt auf den ersten Blick auch nicht - aber das führt vielleicht ein bisschen zu weit vom Thema weg.

Da habe ich in der Tat eine weitere Gruppe vernachlässigt. Das möchte ich nachholen.

Ich denke, es gibt konkurrierende Zielbilder. Die von Dir genannte Gruppe hat beschlossen, dass ihr ihr eigener Konsum - seien wir ehrlich: wenn wir von Wohlstand reden, reden wir von Konsum - wichtiger ist als das Wohlergehen anderer. „Anderer“ wird dabei unterschiedlich definiert: Kommende Generationen, „Ausländer“, etc. Das Zielbild ist: alles soll so bleiben und dafür kämpfen wir bis die Party vorbei ist. Getreten wird nach unten. Die Konzepte dafür sind klar und „altbewährt“. Das ist die genannte Gruppe.

Aber wenn wir von einem Zielbild reden, in dem 11 Milliarden Menschen 2080 auf diesem Planeten friedlich zusammenleben sollen, dann ist da nichts. Weder traut sich irgendjemand zu beschreiben, wie ein Lebensstandard aussehen könnte, der das ermöglicht, noch buchstabiert irgendjemand aus, wie wir da hin kommen.
Dabei müsste genau dieses Zielbild doch eigentlich der Auftrag an jede demokratisch gewählte Regierung sei.
Stattdessen schreiben die Parteien, bei denen man eigentlich diese Grundhaltung vermuten sollte, Regierungsprogramme für vierjährige Legislaturperioden ohne das ganze in Zusammenhang zu einem überzeugenden Zielbild zu stellen.

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