LdN346: Eine völlig andere Perspektive auf die Migrationsdebatte

Vielleicht sollte ich das mal richtigstellen: Die Flop-Five ist ein fester Bestandteil im ZEIT-Podcast Das PolitikTeil. Jeder Gast soll 5 „abgedroschenen Klischees, Phrasen und Floskeln“ [so die ZEIT-Moderatoren], die der Gast „einfach nicht mehr hören kann“

Ich hatte eher den Eindruck, dass ich ungefragt in eine Schublade mit Anderen gesteckt wurde und dann gegen deren Prämissen und Argumente argumentiert (in einigen, wenigen Fällen auch herabwürdigend polemisiert) wurde, obwohl das nie meine Prämissen oder Argumente waren und ich in diese Schublade schlicht und ergreifend nicht reingehöre.

Aber geschenkt …

EIN RESÜMEE?

Ich wage mal den Versuch, die Debatte hier inhaltlich zusammenzufassen und noch um einige Informationen anzureichern.

Ausgangspunkt

Erster Ausgangspunkt ist nach meinem Verständnis die Frage, wie wir als Gesellschaft in Deutschland oder Europa damit umgehen, dass Menschen aus anderen Ländern zu uns kommen. Entweder, weil sie in Ihrem Land von Verfolgung oder Krieg bedroht sind. Oder weil die ökonomische Existenz in ihrem Land unerträglich ist.

Ein weiterer Aspekt, der häufig mit dem anderen verwechselt wird, ist, ob wir den Menschen, die in ihrer Heimat verfolgt oder getötet werden, die durch das Völkerrecht und das Grundgesetz garantierten Menschenrechte auf Schutz gewähren können.

Dritter Ausgangspunkt ist, und das scheint hier ebenfalls unstrittig zu sein: So, wie es ist, darf es nicht bleiben. Das gegenwärtige Immigrationssystem Europas ist dysfunktional und zutiefst inhuman. Diejenigen, die es dringend benötigten, bekommen dieses Menschenrecht nicht, weil sie zu arm oder zu schwach sind, sich an Europas Grenzen vorzukämpfen (oder, z.B. im Fall vom Jemen, weil die geographische Lage es unmöglich macht). Und diejenigen, die es bekommen, haben es meist weitaus weniger nötig, weil sie auf dem Weg von ihrer Heimat längst wenigstens einen Staat durchquert haben, in dem sie nicht von Verfolgung, Krieg und Hunger bedroht sind. Allein schon aus diesem Grund besteht dringender Handlungsbedarf.

Hinweis: Ich vermeide den Begriff „irreguläre Migration“, weil diese Migration negative framet.

Fluchtursachen bekämpfen …

Zu Recht weisen viele in dieser Diskussion darauf hin, dass wir als wohlhabendes Land als Erstes darauf hinwirken sollten, die Situation in diesen Ländern zu verbessern. Ich glaube, es gibt niemand in dieser Debatte hier, der dem ernsthaft widersprechen wollte.

Man kann nun ausführlich darüber diskutieren, wie die Chancen stehen, diese sog. Fluchtursachen erfolgreich zu bekämpfen: Armut, Hunger, Krieg, Verfolgung. Fraglos sollten wir mehr tun, v.a. beim Thema Artmut und Hunger (Entwicklungshilfe), aber auch beim Thema Krieg (z.B. Waffenexporte) und Verfolgung (Zusammenarbeit mit Unrechtsstaaten). Und wir könnten uns sehr viel mehr Mühe geben, nach Wegen und Instrumenten suchen, die jeweils effektiver sind als bisher.

… ist kurzfristig keine Lösung

Aber, ich denke, es wird mir hier niemand widersprechen: Selbst, wenn wir uns diesbezüglich radikal verbessern und uns massiv anstrengen - die Erfolge werden sich nicht kurzfristig einstellen und die Fluchtursachen Verfolgung, Krieg und Armut werden sich nicht schnell und schon gar nicht vollsätndig beseitigen lassen.

Daher stellt sich die Frage weiterhin: Wie gehen wir als Gesellschaft in Deutschland oder Europa damit um, dass Menschen aus anderen Ländern zu uns kommen, solange wir die Fluchtursachen noch nicht erfolgreich bekämpft haben?

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Um welche Größenordnung geht es?

Daran schließt sich die nächste Frage an: Wie viele Menschen werden denn überhaupt kommen und können wir diese Menschen nicht einfach aufnehmen? Ich habe mir mal die Mühe gemacht und das recherchiert:

Nach Angaben des UNO Flüchtlingswerks waren Ende 2022 108,4 Millionen Menschen auf der Flucht[1], davon 35 Mio. gewaltsam vertrieben. 62,5 Mio. Menschen waren Binnenvertriebene, d.h. 45,9 Mio. mussten aus ihren jeweiligen Ländern fliehen (Geflüchtete, Asylsuchende und andere Schutzsuchende). Die meisten kamen aus Syrien (6,8 Mio), Afghanistan (2,7 Mio) und Südsudan (2,4 Mio) (über die Hälfte der Geflüchteten weltweit stammten aus diesen drei Ländern). Die Top-10-Aufnahmeländer haben immerhin knapp 40% aller Geflüchtete aufgenommen (was aber nicht bedeutet, dass diese dort gut aufgenommen werden) [2].

Deutschland zählte 2022 zu den Top 5 der Länder, die Geflüchteten aufgenommen hat.[2] Das Bundesamt für Migration spricht von 2,14 Mio. Geflüchtete, die in Deutschland Ende 2022 registriert waren, 1,04 Mio. Asylbewerber und anerkannte Flüchtlinge und 1,1 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine. Deutschland hat also 4,2x so viele Geflüchtete aufgenommen, wie der Anteil der Deutschen an der Weltbevölkerung ausmacht (1,1%). Das ist m.E. auch richtig so: Als wohlhabende Nation und Mitverursacher der sehr ungerechten globalen Verteilung trägt Deutschland auch eine deutlich überproportionale Verantwortung.

Ist „das Boot zu voll“?

Das sehe ich nicht so. Mit entsprechenden Anstrengungen seitens Politik und Gesellschaft sind wir ganz sicher in der Lage, diese Menschen hier gut aufzunehmen und zu integrieren. Was auch heißt, die Menschen, die bereits hier leben, dazu zu bewegen, die Immigranten nicht als Bedrohung oder Störung, sondern als Bereicherung und als Chance zu begreifen. Dass in Bezug auf diese Anstrengungen noch sehr viel „Luft nach oben“ ist, sieht man sehr gut an den vielen guten Vorschlägen in dieser Diskussion. Die ganz erheblichen Probleme vor allem der Kommunen, Geflüchtete adäquat unterzubringen und die oftmals ablehnende Reaktion der regionalen Bevölkerung (interessanterweise offenbar vorrangig dort, wo es noch gar nicht so viele „Ausländer“ gibt) ist nach meiner Überzeugung vor allem von der mangelnden Bereitschaft der Bundes- und Landespolitik geschuldet, eine migrations- und integrationsfreundliche Politik zu machen. Die wenigsten Politiker sind bereit, offen zu sagen: „Wir sind ein Einwanderungsland“ und „Wir benötigen Einwanderung“.

Wie entwickelt Migration sich in der Zukunft?

Ist „das Boot voll?“ Auch das sehe ich aktuell nicht. Wir können sicherlich noch mehr Einwanderer aufnehmen. Schließlich ist es ziemlich sicher, dass die Anzahl der Einwanderer weiter ansteigen wird: Seit 1951 ist die Zahl der Geflüchteten weltweit jedes Jahr kontinuierlich gestiegen. Und sie wird nach Einschätzung des UNHCR auch in den kommenden Jahren weiter steigen (Haupttreiber: anhaltende Konflikte und Krisen in Ländern wie Syrien, Afghanistan, Südsudan, Ukraine, …). Wie viele der Geflüchteten nach Deutschland oder Europa kommen werden, lässt sich offenbar schwer prognostizieren. Sicher ist, dass die globalen Flüchtlingszahlen auf Rekordniveau bleiben. Wir müssen also davon ausgehen, dass die Zahl derer, die in Deutschland Schutz vor Verfolgung, Krieg und Armut suchen, weiter ansteigen und deren Bewältigung weiterhin eine große Herausforderung darstellen wird.

Schon heute wollen, nach einer Studie, 20–30% der Nigerianer = 20–30 Millionen Menschen in Europa arbeiten [8]! Und das ist nur ein von wie vielen Ländern, aus denen Menschen aus Gründen der Armut massenhaft emigrieren wollen?

Das gilt umso mehr, als dass extremen Temperaturen, Wasserknappheit, Überschwemmungen und anderen Veränderungen infolge der Klimakrise eher schneller als langsamer große Teile der Erde aufgrund unbewohnbar machen wird: Teile von Brasilien, Kolumbien, Venezuela, Guyana und Suriname sowie die Hälfte Südamerikas und einige Regionen in Mittelamerika, der Nordwesten und Norden Australiens, die arabische Halbinsel, große Teile Indiens und Südostasiens, die Sahelzone und größere Teile von Afrika. Die Klimakrise könnte bis zum Jahr 2050 bis zu 143 Millionen Menschen zu zusätzlichen Klimaflüchtlingen machen.[3]

Können wir diesen Umfang integrieren?

Mit einer weiter stark ansteigen Zahl von Zuwanderern kommen wir an einen Punkt, an dem wir uns fragen müssen: Ist das in dem Umfang noch zu stemmen? Natürlich: Wir sind ein wohlhabendes Land und könnten noch sehr viel mehr stemmen.

Ich habe keine empirischen Belege dafür, aber es nicht völlig abwegig, dass es in jeder Gesellschaft es irgendwann eine Grenze der Aufnahme von Einwanderern gibt, die, wenn sie überschritten wird, zu erheblichen Widerständen in der Bevölkerung führen wird. Wo diese Grenze liegt, wissen wir nicht. Vermutlich auch deshalb nicht, weil sie ganz sicher nicht statisch ist. Sondern davon abhängt, wie gut die Politik, die Verwaltung und die Bevölkerung die Einwanderer aufnehmen und integrieren und die Inhländer zur einer positiven Einstellung überzeugen. Und es gilt, was Ulf und Philipp in der vorletzten Ausgabe gesagt haben: Es kommt auch darauf an, wie die Politik Immigration framt und „verkauft“.

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Ja, es stimmt: Nur, weil es fremdenfeindliche Menschen gibt, heißt das nicht, dass wir unsere Politik an dieser mehr als fragwürdige Haltung ausrichten sollten. Wenn aber eine erhebliche Minderheit oder sogar eine Mehrheit gegen eine weitere Immigration aufbegehrt, kann und wird die Politik nicht sagen: „Eure Haltung ist unmoralisch. Wir ignorieren sie.“

Da gilt genau das gleiche wie im Klimaschutz: Da müssen wir Befürworter von sehr viel stärkeren Klimamaßnahmen uns ja auch eingestehen: Wenn die Regierung die Kommunikation derart verbockt und die Opposition diese Gelegenheit für eine populistische Propaganda missbraucht, dann haben wir nicht die Mehrheit, mit der wir die Installation neuer fossiler Heizungen in Gebäuden kurzfristig stoppen können. Und das, obwohl die Wissenschaft genau das für dringend erforderlich hält, damit wir die Klimaziele wenigstens weitgehend erreichen und die Klimaerwärmung noch rechtzeitig reduzieren.

Ich bin überzeugt: Wenn der Zuzug von Menschen in dieser Größenordnung weiter voranschreitet und wir weiterhin so mittelmäßig bis schlecht in einer echten Integration dieser neuen Mitbürger bleiben, wird unsere demokratische Gesellschaft auseinanderbrechen. Dabei meine ich mit „Integration“ die Eingliederung von Neuankommenden in unsere Gesellschaft, die auch, wenn nicht vornehmlich die Bringschuld der „Eingeborenen“ ist. Dafür müssen auch an den tiefgreifenden Ressentiments gegen „Fremde“ gearbeitet werden.

Wir müssen daher, (a) alle Anstrengungen unternehmen, die immigrierenden Menschen besser zu integrieren und (b) den Zuzug bremsen.

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Kann man Migration regulieren?

An dieser Stelle drängt sich die Frage auf: Ist ein Bremsen oder Regulierung des Zuzugs nach Europa überhaupt auf eine mit unseren Werten verträgliche Weise möglich? Diese Frage ist, offen gestanden, für mich nicht beantwortet. Herrn Koopmans Antwort ist der Verweis auf viele Fälle, in denen das gelungen ist. Dem wird entgegengehalten, dass in diese Fälle die Geflüchteten auf eine Weise aufgehalten werden, die nicht unseren Werten entspricht. Natürlich will fast niemand, der sich für eine regulierte Migration ausspricht, auf Menschen schießen. Und auch nicht, dass Menschen auf der Flucht vor Verfolgung, Krieg oder Armut auf ihrem Weg nach oder an Europas Grenzen (z.B. durch Push-Backs) sterben, verletzt oder ausgeraubt werden usw.

Nehmen wir einmal an, die Europäische Union könnte in Ländern auf den üblichen Fluchtwegen gut geführte Lager errichten, in der jeder Geflüchtete Sicherheit, Unterkunft, Essen, Hygiene, medizinische Versorgung, Bildung (Schule für die Kinder, Ausbildung oder sogar Studium) usw. erhält. Und die Möglichkeit, in Europa Asyl oder eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu erhalten – einschl. gesicherten Rechtsbeistand.

Ja, dazu müsste man mit rechtsstaatlich zweifelhaften Staaten Verträge schließen. Ich meine, die EU müsste die Lager selbst betreiben (oder z.B. die UNHCR damit beauftragen und dafür bezahlen) und dabei vorher definierte Mindeststandards garantieren. Ich sehe im Abkommen mit der Türkei oder Tunesien kein Vorbild dafür.

Würden solche Lager die Menschen, die vor Verfolgung, Krieg oder Armut fliehen, davon abhalten, an Europas Grenzen weiterzuziehen? Ich weiß es nicht, ich halte es aber für möglich. Vor allem dann, wenn sie wissen, dass sie auf anderem Wege es nicht schaffen werden, nach Europa zu kommen. Was voraussetzt, dass wir einen mit unseren Werten verträglichen Weg finden, sie davon abzuhalten, nach Europa zu kommen. Durch konsequente Rückführung in das Lager, in dem sie sich das erste Mal registriert haben oder ein Lager ihrer Wahl, etwa der Nähe ihres Heimatlands).

Ist es inhuman, hilfsbedürftigen Menschen den Zugang zu Deutschland oder Europa zu verwehren?

Nun, solange es diesen Menschen in diesen Lagern (oder in einem der Länder, durch die sie gekommen sind), besser geht als in ihrem Heimatland, ist in jedem Fall etwas gewonnen worden. Ja, es würde ihnen vielleicht noch besser gehen, wenn sie bis nach Europa kommen und dort ein noch besseres Leben finden. Aber gewonnen haben sie in jedem Fall. Und damit auch die Humanität!

In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf den Schaden der Länder, aus denen Armuts-Flüchtlinge kommen, hinweisen: Meist verlassen die körperlich und wirtschaftlich Stärkeren des Land. Dieser „Brain- and Muscle“-Drain verschlimmert die ökonomische Basis dieser Länder noch mehr.

Es geht nicht um Abschottung

Ich will noch einmal betonen: Es geht nicht um „Abschottung“.

  • Deutschland, besser noch: Europa, sollte ein großzügiges Kontingent für Flüchtlinge vor Krieg und Verfolgung politisch definieren und diese Menschen dort (oder in Nachbarländern) abholen.
  • Und für Menschen, die ihr Heimatland aufgrund von Armut verlassen, sollten wir einen regulären Einreiseweg in unseren Arbeitsmarkt schaffen und unsere Unternehmen dabei unterstützen, auf diese Weise die jährlich benötigten 400.000 Arbeitskräfte aus dem Ausland zu bekommen (soweit dafür nicht die Flüchtlinge vor Verfolgung und Krieg in Frage kommen). Dabei müssen wir aber den o.g. „Brain- and Muscle“-Drain vermeiden. Und wir müssen in Deutschland eine umfassende Infrastruktur schaffen, damit diese Menschen nicht nur aufgenommen und integriert, sondern auch aus- oder fortgebildet werden.

Ist das „Selektion nach Nützlichkeit“. Ja, so kann man das sagen. Man kann aber auch sagen, dass das eine echte Win-Win-Situation für beide Seiten ist: Die Menschen, die vor Verfolgung, Krieg und Armut fliehen, bekommen eine neue Heimat, in den sie sicher und selbstwirksam leben können. Und unsere Wirtschaft bekommt die Arbeitskräfte, die sie so dringend benötigt (in deren Aus- bzw. Fortbildung sie aber in den meisten Fällen investieren müssen). Eine Ausbeutung kann ich darin nicht erkennen. Schließlich haben auch Migrationen einen Anspruch auf Mindest- und ggf. Tariflohn.

Gibt es einen Pull-Effekt?

Wenn ich Ulf richtig verstanden habe, müssen 5% der Immigranten wieder ausreisen - und die können meisten trotzdem bleiben (obwohl ich diese Unsicherheit niemanden wünsche). D.h., Immigranten, die einen Fuß auf deutschen Boden setzen, haben eine 95% Chance, dass sie hier bleiben dürfen.

In der Migrationsforschung gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, ob eine großzügige Einwanderungspolitik zu einem Pull-Effekt führt, also mehr Migration in das betreffende Land verursacht.

Einige Studien zeigen, dass der Pull-Effekt empirisch nahezu null ist [4] oder, dass Pull-Faktoren oft überschätzt werden [7]. Andere Forscher widersprechen dieser Ansicht und betonen die Rolle von Pull-Faktoren bei der Migration [6]. Insgesamt ist diese Frage in der Migrationsforschung nicht eindeutig geklärt.

Es erscheint mir plausibel, dass Menschen, die aufgrund von Verfolgung, Krieg oder Hunger ihr Land verlassen müssen, bevorzugt in Regionen reisen möchten, in denen ihre physische und wirtschaftliche Sicherheit gewährleistet ist und bei denen die Wahrscheinlichkeit, dass sie aufgenommen werden, groß ist.

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We agree, not to agree

Fragen, über die wir uns nicht einigen können:

  1. Reicht es, Fluchtursachen zu bekämpfen, damit weniger Menschen zu uns kommen wollen?
  2. Kann Deutschland / Europa die Anzahl von Menschen, die in den nächsten Jahren zu uns kommen werden, aufnehmen und dabei den gesellschaftlichen Zusammenhalt wenigstens bewahren?
  3. Kann man Migration auf eine menschenwürdige Weise regulieren, d.h. die Einreise nach Europa verwehren?
  4. Führt eine liberale Einwandungspolitik zu einem Pull-Effekt, d.h. zu mehr Immigration?

[1] Flüchtlingszahlen: Flüchtlinge weltweit - Global Trends

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Länder_nach_geflüchteter_Bevölkerung

[3] https://www.welthungerhilfe.de/informieren/themen/klimawandel/klimafluechtlinge-klimawandel-und-migration

[4] Was bringt der Spurwechsel? | Artikel | MEDIENDIENST INTEGRATION

[6| »Die vorherrschende Migrationsforschung widerspricht empirisch fundierter Sozialforschung« | Overton Magazin

[7] Migrationsforschung: "Pull-Faktoren werden deutlich überschätzt" | tagesschau.de

[8] Koopmans im Podcast Ausgabe „Der Status Quo des Asylsystems ist inhuman“ des Zeitpodcast „Das Politikteil“ 7

Dazu hat auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages einige Quellen zusammen getragen [1].
Zitat:
„Während wissenschaftliche Arbeiten die Vorstellung von Push- und Pull-Faktoren somit seit den
1980er-Jahren problematisieren, findet sich diese „auch heute häufig als kaum hinterfragte Grundannahme in politischen und medialen Migrationsdiskursen.“

und

„Auch neuere Studien, die an den grundsätzlichen Annahmen des Konzepts der Push- und Pull-
Faktoren festhalten, verweisen auf die Komplexität der Migrationsprozesse und untersuchen dementsprechend weniger einzelne Fluchtursachen („root causes“), sondern das Zusammenwir-
ken vielfältiger Triebkräfte („drivers“), die in bestimmten Konfigurationen migrationsbegünsti-
gend wirken können.16 Vor diesem Hintergrund erscheint es zumindest fraglich, inwiefern sich
der konkrete Einfluss einzelner, isoliert betrachteter Faktoren auf das Migrationsgeschehen exakt
bestimmen lässt.“

Ein Ansatz, der große Anstrengungen in ein Abschottungs-Konzept investiert, ohne irgendeine Evidenz zu haben, dass dies überhaupt zum gewünschten Effekt führt, erscheint mir vor diesem Hintergrund sehr fragwürdig.

An dieser Stelle bin ich ganz bei:

Ich glaube einfach (pragmatisch) vor dem Hintergrund dessen was wir wissen und nicht wissen, dass ein Euro besser (und effektiver) in die Bewältigung der Herausforderungen investiert ist, die wir in Deutschland mit Zuwanderern haben, als in Maßnahmen, Zuwanderung kontrollieren zu wollen, die in ihrer Wirkung nicht einschätzbar sind.

[1]

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Wie schon angeklungen ist: niemand kann so richtig seriös sagen, welche Zahl Deutschland an eine Belastungsgrenze bringen würde. Was aber ja in der Lage ganz gut herausgearbeitet wurde: wir MÜSSEN es mindestens schaffen, eine Netto-Zuwanderung von ca. 400.000 Personen pro Jahr zu stemmen - allein aus demografischen Gründen. Schaut man sich die Historie der Zuwanderung über die Jahre an [1], dann sieht man, dass es in den Jahren 2015 und 2022 eine Netto-Zuwanderung von über 1Mio Personen gab, in den anderen Jahren dieser Wert im Schnitt aber eher unter den 400.000 lag. Mittelfristig also m.E. kein Grund zur Panik.
Langfristig ist es sicher richtig, dass man sich Gedanken darüber machen muss, wie man mit einer potenziell steigenden Zahl von Klimawandel bedingten Flüchtlingen umgeht. Dabei sollte man aber auch bzgl. häufig zitierte fragwürdiger Prognosen von hunderten Millionen Flüchtlingen vorsichtig sein [2]. Klar ist dagegen, dass die Betroffenen in Zukunft in ihrem Heimatland unter dem Klimawandel leiden werden. Was also in jedem Fall hilft ist, die betroffenen Regionen bestmöglich auf die Klimawandel Folgen in den nächsten Jahrzehnten vorzubereiten (mal abgesehen vom Kampf gegen den Klimawandel selbst).

[1]

[2]

Danke für die Quelle. Sie bestätigt im wesentlichen, was ich schon gesagt hatte:

Bis wir darüber mehr wissen, bleiben eben nur Plausibilitätsüberlegungen.

Dabei geht es hier nicht um die Frage, welche Faktoren Migration auslöst (ich gehe davon aus, dass kaum jemand ohne große Not sein Heimatland verlässt). Es geht hier um die Frage: Wenn ein Mensch entschieden hat, seine Heimat zu verlassen, weil das Leben aufgrund von Krieg, Verfolgung oder bitterer Artmut / Hunger schlicht unerträglich ist, wohin geht er dann woh am ehesten.

Auch hierbei spielen sicherlich viele Faktoren eine Rolle, wie die Sicherheit vor Krieg, Verfolgung oder Artmut, kulturelle und räumliche Nähe, Gefährlichkeit der Route, Bekanntschaften in möglichen Zielländern, Informationen über die Zielländer (egal ob richtig oder falsch) u.v.m. Ist ist nicht sehr plausible, dass ein Faktor auch die Frage ist, aus welchem Ländern man nicht wieder ausgewiesen wird?

Über Europa dürfte bekannt sein: Kein Krieg, keine Verfolgung (hoffentlich gehen die nicht nach Ungarn), kein Hunger (auch dann, wenn Du keine Arbeit hast), und wenn Du es geschafft hast, Deinen Fuß auf europäischen Boden zu setzen, dann kannst Du dort auch bleiben.

Dass dies auch für andere Länder gilt, durch die sie auf ihrem Weg nach Europa kommen (die also viel näher liegen und mit viel weniger Mühsal und Gefahr zu erreichen sind), spricht entweder dafür, dass sie dort nicht willkommen sind (= nicht sicher vor Verfolgung) oder die ökonomische Sicherheit in Europa eine dominierende Rolle spielt.

Ich wüsste sehr gern, inwieweit es in den Ausgangsländern bekannt hier, wie feindselig ein nicht mehr so geringer Teil der Bevölkerung gegenüber Migrationen ist.

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Eine gute Freundin stammt aus Kuba. Das Alltagsleben auf Kuba ist heute (im Vergleich zu früher) sehr viel schwieriger, weil die Versorgungslage sich dramatisch verschlechtert hat. In der Familie der Freundin wird quasi täglich darüber gesprochen, wohin man auswandern will. USA ist näher, aber man kommt schwer rein. Europa kann man nur per Flieger erreichen, d.h. nur mit Visum. Alles dreht sich um die Frage, wie man an ein Touristen-Visa in die USA oder in die EU kommt. Weil, wenn man erst einmal drin ist, dann wird man schon irgendwie bleiben können. Dabei wird die Wahrscheinlichkeit, in der EU bleiben zu können, als deutlich höher eingestuft. Oft ist der Flug meist prohibitiv teuer. Wer es sich leisten kann, sucht Europäer, die als Bürge für ein Kurzzeitvisum dienen (der dann höllisch Probleme bekommt, wenn sie nicht wieder ausreisen).

Ja, das ist nur anekdotisch und kein Beweis. Deckt sich aber mit dem o.g. Plausibilitätsüberlegungen.

Ergänzend zu deinem Beitrag, dem ich in allen Punkte zustimme, kommt noch, dass Migranten natürlich auch innerhalb der EU-Staaten genau unterscheiden, wo Sicherheit vor Abschiebungen, ein Bildungssystem und Arbeitsmarkt, die ihnen Chancen auf ein eigene ökonomische Entwicklung bieten, aber auch Sozialleistungen, die ein in anderen Ländern kaum für ein e Existenzsicherung ausreichen.
Exemplarisch dafür stehen Zehntausende Afghanen, die in den vergangenen Jahren von Griechenland nach Deutschland gekommen sind, obwohl sie dort als Flüchtlinge anerkannt wurden. Aber weil die ökonomische und soziale Situation dort schlecht ist, sind sie eben nach Deutschland weiter gezogen.

Daneben gibt es auch jährlich mittlerweile eine fünfstellige Zahl von Menschen, die in Deutschland Asylanträge stellen, aber entweder ein noch laufendes Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat der EU haben oder ursprünglich mit einem Kurzzeit Visum aus einem anderen EU Staat eingereist sind. Eigentlich wäre Deutschland gemäß der Dublin Verordnung nicht für Bearbeitung eines solchen Asylantrags zuständig. In der Praxis bleiben aber mehr als 90% dieser Personen in Deutschland.

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Uneingeschränkt Zustimmung zu beiden Aussagen.

Bzgl. der genauen Zahl muss man vorsichtig sein. Ich denke, dass gilt für sehr viele Aussagen in der Migrationswissenschaft - es ist halt keine Maturwissenschaft. Dennoch bleibt es plausibel, dass eine sicher nicht kleine, steigende Zahl der Menschen ihr Land verlassen müssen, weil die Klimakrise ihre Lebensgrundlage dort zerstört. Und nicht nur die ökonomische Lebensgrundlagen, sondern die physischen Lebensgrundlagen: Temperaturen, bei denen man auf Dauer nicht leben kann.

Volle Zustimmung!

Dann muss man aber klar benennen, was ein Verzicht jeglicher Maßnahmen zu Regulierung von Einwanderung in letzter Konsequenz bedeutet:

  1. Wir nehmen sämtliche Menschen auf, die zu uns kommen (und müssen dabei darauf achten, dass wir die Menschen in Not, die nicht zu uns kommen können, nicht vergessen!).
  2. Wir müssen für Unterkunft für alle sorgen (wobei m.E. Container, Turnhallen und Zelte nur eine Übergangslösung sein dürfen). Gleichzeitig dürfen wir die Wohnungsnot für die heimische Bevölkerung nicht aus den Augen verlieren.
  3. Wir müssen für Lebensunterhalt für alle sorgen. Bestenfalls, in dem sie hier Arbeit finden; das setzt in den meisten Fällen Deutschkurse, Fort- oder Aus- oder Schulbildung voraus. Oder - zumindest vorübergehend - aus unserem Sozialsystem heraus. Letztere gilt für alle jenseits der 400.000 Menschen, die wir jedes Jahr brauchen, um die in Rente gehenden Boomer zu ersetzen. Ob es mehr werden, darüber sind wir uns nicht einig.
  4. Wir müssen für Gesundheitsversorgung für alle sorgen - das setzt voraus, dort die Unterfinanzierung zu beenden.
  5. Wir müssen für Schulbildung sorgen - das auch dort setzt voraus, die Unterfinanzierung zu beenden.
  6. Für viele, die zuhause oder auf dem Weg hierher traumatische Erlebnisse hatten, müssen wir für psychologische Betreuung sorgen - das auch dort setzt voraus, die Unterfinanzierung zu beenden.
  7. Ganz wichtig: Wir müssen schnell effektive Wege finden und umsetzen, um die xenophoben Vorurteile und Abneigungen bei einem großen Teil der Bevölkerung abzubauen. Das setzt mutige Politiker in Kauf, die Haltung vor das Gewinnen von Wahlen stellen.

Aber, um es ganz klar zu sagen: 2. bis 7. werden wir auch tun müssen, wenn wir die Migration so regulieren, wie ich hier vorgeschlagen haben. Uneinigkeit herrsch darüber, (1) ob das in meinem Vorschlag deutlich weniger sein werden als im Fall ohne regulierte Migration und (2) ob wir das bei dem tatsächlichen Umfang erfolgreich werden stemmen können.

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Du verwendest an dieser Stelle die vorsichtige Formulierung

nicht völlig abwegig

Ist das nicht eher eine unbestreitbare Tatsache?

Nun, wenn wir davon ausgehen, dass diese Grenze der Aufnahme nicht statisch, sondern von Politik und Gesellschaft beeinflussbar ist (was ich glaube), dann wäre es theoretisch denkbar, dass man diese Grenze ad finitum verschieben kann. Es ist daher keine Tatsache, sondern eine Hypothese …. die ich für ziemlich plausibel halte.

Außerdem: Ich versuche zunehmend, meinen Diskussionsstil so zu gestalten, dass ich mit den Menschen, die andere Meinung sind, in einen offenen, konstruktiven Austausch komme. Dazu sind „unbestreitbare Tatsachen“ in aller Regel wenig hilfreich - es sei denn, es handelt sich um naturwissenschaftliche Fakten. Das gilt insbesondere, wenn man versucht, eine Diskussion zusammen zu fassen und allen Positionen gerecht zu werden.

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Also für mich war folgendes Zitat eine klare Anspielung auf den Vorgang der „Selektion“ in KZs. Da auch dort „für Deutschland“ ausgewählt wurde, wer „nicht arbeitsverwendungsfähigen“, bzw. arbeitsverwendungsfähigen ist. ( Selektion (Konzentrationslager) – Wikipedia)

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Ich habe mich daran ein wenig gestört, weil es mMn eine Prämisse der Debatte ist, die, wenn bereits hier kein gemeinsamer Nenner gefunden wird, zeigt, wie weit man in Grundsatzfragen voneinander entfernt ist. Es gibt in der Debatte undendlich viel Detailfragen, die politisch ausgehandelt werden müssen.
Ob es zu viel Migration gibt, ist natürlich kein Naturgesetz. Ich bin davon überzeugt, dass es zu viel Migration geben kann.

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Das finde ich ehrlich gesagt sehr weit hergeholt angesichts einer „Debatte“ in der Politiker:innen und andere offen Dinge sagen wie „Wir brauchen mehr Migraten die uns nutzen“ (wobei mit „wir“ Deutschland bzw. die Deutschen gemeint sind).
Dass solche politischen Forderungen ein gewisses Geschmäckle haben, weil es eben den Nationalsozialismus und die von dir erwähnte Form der Selektion „für Deutschland“ gab, finde ich auch. Aber das ist wenn überhaupt denjenigen vorzuwerfen, die so einen Diskurs führen und nicht Menschen, die das kritisch anmerken.