LdN341 Ost/West

Tatsächlich hab ich das mal getan. Wenn man den Posten als Bundeskanzlerin genau wie einfache Minister wertet – nicht mehr und nicht weniger – dann entspricht der Anteil der Minister aus den 5 ostdeutschen Ländern (ohne Berlin) sogar fast exakt dem Bevölkerungsanteil.

Allerdings mit extremer Konzentration auf Mecklenburg-Vorpommern (durch Merkel) und Sachsen, während Thüringen und Sachsen-Anhalt in 4 Legislaturperioden keinen einzigen Minister stellten – was allerdings auf Schleswig-Holstein und Bremen genauso zutraf.

Hab allerdings nicht mit 20% gerechnet, sondern mit den tatsächlichen Bevölkerungszahlen, und ohne Berlin sind das bloß 15%.

Und ich muss dazu erwähnen, ich hab die Minister den Ländern zugeordnet, wo sie politisch her kamen. Also bspw. Thomas de Maiziere zu Sachsen, obwohl er im Westen geboren wurde.

Edit: Hatte ursprünglich Berlin in Ostdeutschland mit drin, und bin mit den Spalten etwas durcheinander gekommen. Deswegen hier die richtige Grafik.

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Mir ging es dabei nur um den Referenz-Anteil der Bevölkerung.
Maßgeblich bei der Kabinettszugehörigkeit ist für mich eher eine ostdeutsche Sozialisierung.
Baerbock ist m.W. Hamburgerisch sozialisiert (auch wenn sie länger in Brandenburg war).
Dass Klara Geywitz ostdeutsch sozialisiert wurde, wusste ich nicht – danke für die Erhellung.

Das ist eine Erklärung der Unterrepräsentierung, aber es bleibt bei der Unterrepräsentierung

Das liegt wohl daran, dass die „Alten Bundesländer“ seit 1945 gut zusammengewachsen bzw. eben nicht signifikant auseinandergedriftet sind. Und das, obwohl es „kulturell“ durchaus nicht unerhebliche Unterschiede zwischen z.B. Hamburg und München bzw. Schleswig-Holstein und Bayern gibt.

Ja, das hat sie gesagt. Ich bezweifele, dass das stimmt. Die AfD ist im Osten nun mal deutlich stärker als im Westen.

Ist das so?

Bezogen auf die Sozialstruktur der AfD-Wählerschaft kommen die vorliegenden Untersuchungen zu teilweise disparaten Befunden, was darauf hindeutet, dass monokausale Erklärungsversuche hier zu kurz greifen. So führen z.B. weder eine hohe Arbeitslosenquote noch ein höherer Ausländeranteil per se zu einer größeren Wahlbereitschaft der AfD. Im Westen scheint die AfD vor allen dort zu punkten, wo die Wähler ein unterdurchschnittliches Haushaltsaufkommen aufweisen und/oder einer Tätigkeit in der Industrie nachgehen.

Ich empfehle folgende Quelle:

Sorry, aber wenn 32 % der Bevölkerung einer offen rassistische und rechtsextreme Partei zusprechen, ist es richtig, mit den Ostdeutschen ins Gespräch zu kommen. Und zwar über Demokratie, Menschenrechte, Pluralismus etc.

Fortsetzung …

Fortsetzung:

Ich halte sehr wenig davon, 30 Jahre nach der sog. „Wiedervereinigung“ (die rechtlich und faktisch ein Beitritt war) Verständnis dafür aufzubringen, wenn 1/3 der Bevölkerung rechtsradikal wählen will. Und das mit dem Verweis auf Sozialisierung im Sozialismus und traumatisierenden Umbrucherfahrungen. Damit spricht man den Ostdeutschen jegliche Fähigkeit zum Lernen, Persönlichkeitsentwicklung und Einsicht ab. Das empfinde ich als diskriminierend.

Es gibt eine klare Grenze, wo Verständnis und Toleranz aufhört und bei mir ist – bei allem Verständnis über die Verärgerung der grottigen Ampel-Kommunikation in den vergangenen Monaten – diese Grenze klar überschritten.

Edit: Falschen und historisch problematischen Begriff „Anschluss“ durch den korrekten Begriff „Beitritt“ ersetzt. Ich bitte um Nachsicht für diese Irrung.

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Die hat ein paar Semester in Hamburg studiert. ist aber im Wesentlichen in Hannover aufgewachsen und lebt und agiert jetzt seit 2009(?) für den Brandenburger LV der Grünen.

Das ist nunmal das Wesen unserer Demokratie. Wenn du eine Kleinstpartei wählst, bist du im Bundestag nicht repräsentiert, und wenn du eine Oppositionspartei wählst, bist du in der Regierung nicht repräsentiert.

Ob nun jemand als Ostdeutscher repräsentiert wird oder nicht, hängt in erster Linie davon ab, ob er „ostdeutsch sein“ als herausragende Eigenschaft ansieht.

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Carsten Schneider aus Thüringen und Reem Alabali-Radovan aus Mecklenburg-Vorpommern sind beide Staatsminister/in im Bundeskanzleramt, ersterer sogar explizit für Ostdeutschland. Beide gehören zwar nicht zum Bundeskabinett haben aber formal auch herausgehobene Positionen.

Ein Beitrag wurde in ein neues Thema verschoben: Interview Steffi Lemke

Lemke dürfte sich auf die „neue Ostdebatte“ bezogen haben, die seit einigen Monaten geführt wird und die in der Lage wohl noch keine Rolle spielte, wie dieser Thread zeigt. Ausgelöst wurde diese u. a. durch das Buch „Jenseits der Mauer“ von Katja Hoyer, das ursprünglich in Großbritannien ein Beststeller war und Dirk Oschmanns polemische Streitschrift „Der Osten - eine westdeutsche Erfindung“. Grob gesagt geht es neben den hier im Thread schon angeschnittenen Transformationserfahrungen und dem verbreiteten Gefühl einer Kolonisierung durch den Westen auch um fortlebende Zuschreibungen im deutsch-deutschen Verhältnis. Hoyers Buch kenne ich nicht. Oschmann benennt aus meiner Sicht zwar wichtige Punkte, bleibt aber m. E. bei einseitigen Schuldzuweisungen, Selbstviktimisierung und der Anrufung anti-westdeutscher Ressentiments stehen. Eindrücklich zeigt dies eine gemeinsame Veranstaltung des Autors mit David Begrich in Magdeburg (Ein Videomitschnitt findet sich hier).
Einen guten Einblick und differenzierte Positionen zur Debatte vermittelt m. E. diese Diskussionssendung vom Deutschlandfunk:

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Den folgenden Beitrag schrieb ich gestern @TilRq per PN, der mir in seiner gewohnt sehr fachkundigen Antwort unter anderem vorschlug das doch lieber im Thread zu diskutieren.

Ich muss meinen Beitrag nachträglich aber korrigieren. Ich habe heute den folgenden ZEIT Online-Beitrag
DAS POLITIKTEIL: Der AfD-Schock
gehört, in dem die Hosts mit Julia Reuschenbach über die AfD, Gründe ihres Aufstiegs und mehr sprechen. Darin ist mir klar geworden, dass was ich ich als Protest-Wahl begreife, wohl von der allgemeinen Wahrnehmung abweicht.

Wenn ich oben von Protest schrieb, dann gehört für mich dazu nicht nur, dass man SPD, Grün u Union einen Denkzettel verpassen möchte, sondern dass man deren Lösungsvorschlägen misstraut u daher selbst absurden Vorschlägen der AfD die Stimme schenkt, auch obwohl man den rechten Background der Partei ablehnt.

Sehr wichtig finde ich an dieser Stelle die Einordnung von Frau Reuschenbach, dass Unsicherheit der AfD hilft, denn er verunsichert die Bevölkerung. Das bringt mich zu der Theorie, dass die Unsicherheit im Osten aufgrund der nicht erfüllten Versprechungen u des erfolgten Strukturbruchs viel größer ist als im Rest des Landes. Die örtliche Infrastruktur ist schlecht, bspw. gibt es wenig ÖPV, im ruralen Raum weite Wege zum nächsten Supermarkt o Arzt u aufblühende Wirtschaftszweige wurden durch pol. Entscheidungen zerstört o massiv geschädigt (bspw. Solar-Branche im Solar Valley aka Thalheim 2008; Windkraft in Magdeburg, 2018?). Dadurch glaubt man den etablierten Parteien nun eventuell nicht mehr, wenn sie behaupten den sicheren Masterplan zu kennen. Das sorgt, kombiniert mit geringerem Puffer-Vermögen, das Krisen abmindern könnte, für Verunsicherung.

Übrigens fand ich es toll, wie einer der LdN-Hosts von seiner ostdeutschen Frau sprach und der unterschiedlichen Wahrnehmung, ob es einen Ost-West-Unterschied gibt. Mich erinnert das sehr an andere Konfliktfelder, zum Beispiel Türken in Deutschland, Frauendiskriminierung u.v.m… Die priviligierte Gruppe hat oft Probleme Diskriminierung in ihren Reihen wahrzunehmen.

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Was bei diesem Narrativ der Protestwahl ebenso fehlt, wie beim direkten Schluss von bestimmten Erfahrungen (etwa während der Transformationszeit), Unzufriedenheit, Verunsicherung oder fehlendem Vertrauen auf ein bestimmten Wahlverhalten, ist eine Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit Menschen bestimmte politische und gesellschaftliche Vorstellungen, die die AfD vertritt, einfach teilen. Stattdessen wird - meist ohne Grund - unterstellt, dass AfD-Wählerinnnen mit den politischen Positionen der Partei „eigentlich“ gar nichts am Hut haben.
Ein zentraler Punkt ist hierbei eine grundsätzliche Ablehnung von Demokratie und die Sehnsucht nach autoriäteren Formen der Organisation von Gesellschaft - oft einhergehend mit dem Wunsch nach Bevorzugung bestimmter Bevölkerungsteile und der Ausgrenzung anderer. Das hat jüngst mal wieder eine Studie zu „Autoritären Dynamiken und die Unzufriedenheit mit der Demokratie“ in Ostdeutschland gezeigt. Und nein, das ist kein Problem, das nur im Osten existiert, aber ja, es ist dort besonders dringend.
So wichtig es ist, die in der Transformationsperiode entstandenen gesellschaftlichen Verwerfungen zur Kenntnis zu nehmen (siehe mein letzter Post zur „Ost-Debatte“), so wenig hilfreich ist es, diese zur alleinigen Erklärung für autoritäre Denkmuster zu machen. Auch ökonomische Prekarisierung taugt nur bedingt als Argument. Es gibt durchaus viele Gegenden in Ostdeutschland, wo es eben nicht die Mittellosen, sondern eher die von Abstiegsängsten geplagte Mittelschicht ist, die AfD wählt. Auch bei den Präsidentschaftswahlen in den USA 2016 hatte Trump die höchste Zustimmung bei Wähler:innen mit einem Jahreseinkommen über 50.000 US-Dollar.

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Absolut und volle Zustimmung. Ich hoffe meine Beiträge wurden nicht so verstanden als gäbe es keine Rechtsextremen in den neuen Bundesländern.

Frau Reuschenbach weist auch darauf hin, dass es laut Studien ein klassisch rechtes Potenzial von etwa 10 % der bundesdeutschen Bevölkerung gäbe. Das gibt es natürlich auch im Osten und es liegt bestimmt auch ein paar Prozent höher als im Westen der Republik. Aber es ist eben sicher kein 80/20-Verhältnis, das nahelegen würde, dass es sich nur um ein lokales Problem handele.

Ganz wichtig ist zu verstehen, dass der ganze Themenkomplex sehr kompliziert und vielschichtig ist. Daher stört mich diese Reduktion auf die „rechtsextremen (Jammer-)Ossis“, die einige politische Journalisten gerne fahren.

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Norddeutschland wurde aber auch nicht mit Systembruch „einverleibt“

Du machstbden typischen Fehler der Westdeutschen.
Für euch fing es nach der Wende weiter wie vorher, im Osten war alles anders.

Der Westen ist das „Normale“ und der Osten soll sich gefälligst anpassen und vor allem auf ewig dankbar sein.

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Ich nicht, das wird vererbt.

So lange in Westdeutschland keine Aufarbeitung der Fehler und daraus folgend Anerkennung der ostdeutschen Problematik erfolgt, wird das von Generation zu Generation weitergegeben.

Und die Aufarbeitung hat noch nichtmal angefangen.

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Mein Punkt ist ein anderer: Das Argument „Protestwahl“ basiert ja meist auf der Annahme, dass der Anteil der Bevölkerung mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild weit unter dem Anteil jener liegt, die AfD wählen - also gar nicht alle AfD-Wähler:innen sein können. Betrachtet man aber etwas breiter Einstellungsmuster wie die Ablehnung von Demokratie oder die Sehnsucht nach autoritärer Herrschaft, zeigt sich ein ganz anderes Bild. In besagter Studie stimmten etwa der These „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.“ knapp 50 Prozent(!) ganz oder teilweise zu - und zwar durchgängig in allen ostdeutschen Bundesländern. Das ist ein riesengroßes Problem, und zwar unabhängig, ob von diesen Menschn nun jeder Fünfte oder jeder Zweite AfD wählt.

Bei der aktuellen „Ost-Debatte“ ist m. E. bezeichnend, dass es einerseits Intellektuelle mit DDR-Sozialisation gibt, die sinngemäß sagen „schon wieder die alte Leier, das haben wir doch schon zigmal diskutiert“ und es andererseits Millionen Menschen (hauptsächlich mit West-Sozialisation) geben dürfte, die von diesen Debatten noch nie gehört haben oder sie allein auf Klischees wie „im Osten sind alle Nazis“ reduzieren. Zudem geht es ja nicht nur um eine Aufarbeitung im Sinne eines einmaligen Vorgangs, den man am besten noch an eine Enquete-Kommission oder einen Untersuchungsausschuss delegiert, sondern um eine kritische Selbstbefragung - und zwar sowohl im Westen als im Osten. Denn dass eine überwiegende Mehrheit der DDR-Bürger:innen 1990 einen schnellen Beitritt und eine Übernahme des westdeutschen Modells wollte und entsprechende Warnungen (etwa der West-SPD oder der DDR-Bürgerrechtsbewegung u.a. vor einem Zusammenbruch von Wirtschaft und Gesellschaftsordnung in der Ex-DDR) in den Wind schlug, gehört m. E. mit zum Problem.

Es ist m. E. auch ein Trugschluss, dass Aufarbeitung - oder besser formuliert eine gesellschaftliche Auseinandersetzung - nur denjenigen dient, die ein Problem sehen. Das Gegenteil ist der Fall: Es dient dem gegenseitigen Respekt und der Anerkennung anderer Einstellungen und Lebensweisen, also dem gesellschaftlichen Zusammenhalt, wenn sich auch jene mit einem Thema beschäftigen, aus deren subjektiven Sicht es eigentlich gar kein Problem gibt - egal ob es um Transformationserfahrungen im Osten, Coronamaßnahmen oder institutionellen Rassismus etwa bei Polizei und Behörden geht.

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Jain. Das wurde vornehmlich von den Kräften rund um Kohl betrieben. Die Ostdeutschen sind dann nur in der Mehrheit auf seine Versprechungen hereingefallen.
Die treibenden Kräfte in der DDR wollten in der Hauptsache Veränderungen im System aber keine Vereinigung genannte Übernahme.

Da sind wir völlig überein.
Das Problem ist nur zum einen diejenigen zu überzeugen die kein Problem sehen und zum anderen die nötige Sachlichkeit beibehalten. Also z.B. nicht jede Fehlerbeschreibung als jammern abtun sondern darüber nachdenken warum der Gegenüber das als Fehler bzw. Problem ansieht.

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Natürlich hat Kohl die berüchtigten „blühenden Landschaften“ versprochen. Aber der war letztlich auch nur Profiteur und zugleich Getriebener einer Stimmung, die wollte, dass im Osten möglchst schnell alles so wird wie im Osten. Es gab auch einen Lafontaine, der davor gewarnt hat, dass das sehr teuer wird, sehr lange dauern wird und höchstwahrscheinlich sehr schief gehen wird. Interessanterweise ist das auch genau der Punkt, den etwa Oschmann komplett ausblendet - und den auch sein Publikum nicht hören will (siehe der Mitschnitt von seiner Lesung in Magdeburg weiter oben).
Anders formuliert: Ja, die Leute sind Kohl auf den Leim gegangen, aber er hat diesen Leim auch nur ausgelegt, weil er wusste, dass sie das tun. Und sie hätten sich auch anders entscheiden können. Ich sehe keinen Grund, warum man die Verantwortung der DDR-Bürger:innen für ihre politischen Entscheidungen nicht auch thematisieren sollte.

Bezogen auf den Sommer und Herbst 1989 stimmt das, aber spätestens im Frühjahr 1990 hatten diese vormals „treibenden Kräfte“ (wie etwa das Neue Forum) nichts mehr zu melden. Der Wahlsieg der „Allianz für Deutschland“ am 18. März 1990 zeigte das sehr eindrücklich.

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Ich verstehe deinen Punkt, aber zumindest dieser Wunsch nach jemandem, der mit eigenem Fokus durchregiert findet sich auch außerhalb des AfD Lagers und ist denke ich der großen Verantwortungsdiffusion in Deutschland geschuldet.

Ich habe hier im Forum um Weihnachten 2022 mal einen Poll gestartet, in dem ich sinngemäß fragte, ob ein die Foristen sich einen starken Herrscher wünschten, der in Klimafragen einfach mal durchregiert und Rechte von Einwohnern und Minderheiten zurückstellten darf.

Nach etwa 30 Minuten hatte ich schon 8 Stimmen, 5 zu 3 für den harten Herrscher. Nach zwei Stunden sah das Verhältnis nicht anders aus. Am nächsten Morgen war mein Beitrag gelöscht (und ich vom Stammgast zum normalen Member degradiert. Anscheinend mochte man das Ergebnis nicht?).

Klar ist die Testgruppe klein und wir hier in einer Bubble. Aber mir scheint, der Wunsch nach einem starken Herrscher ist nach 16 Jahren durchlavierens von Merkel und 2 Jahren Scholz in der gesamten Bevölkerung groß. Man unterscheidet sich nur in den Zielen.

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Dann kopiere ich gerne hierher, was ich @pitus dazz im PN geschrieben habe:

Du sagst, viele Bürger in den ostdeutschen Ländern wählten die AfD als Protest gegen die etablierten Parteien. Abgesehen davon, dass kompetente Menschen das nicht so sehen …

Bundeszentrale: AfD ist gewollt, kein Protest

… kann man die etablierten Parteien zur zu einem sehr geringen Teil dafür verantwortlich machen, dass mit dem Beitritt zur BRD eine kollabierende Wirtschaft schlagartig mit einer in vielen Jahrzehnte im globalen Wettbewerb gestalte Wirtschaft konfrontiert wurde.

Ich habe das seinerzeit quasi Live erlebt: Ich war junger Student der Volkswirtschaftslehre an der Universität Kiel und wir alle, Professoren, wissenschaftliche Assistenten, Doktoranden und wir Stunden waren völlig elektrisiert von diesem einmaligen wirtschaftlichen Experiment der Transformation einer planwirtschaftlichen geprägten Wirtschaft in eine, die im marktwirtschaftlichen Wettbewerb überleben kann.

Ich muss gestehen, nachdem ich letztlich nie als Volkswirt gearbeitet habe, habe ich auch nie nachgelesen, wie Wirtschaftshistoriker diese Transformation rückblickend einschätzen. Aber nach meiner Erinnerung war das eine schlicht unmögliche Aufgabe:

Die Wirtschaft, d.h. die Unternehmen mit all ihren Arbeitsplätze, der DDR waren im Vergleich zu allen westlichen Wirtschaften, bis zu der in Albanien, völlig unterlegen. Das war damals im Westen weder der Wissenschaft noch der Politik bekannt (weil man unsinniger Weise die völlig gefälschten Statistiken der ostdeutschen Regierung für möglich gehalten hatte)! Insofern war die Aufgabe, die der Treuhand gestellt wurde, unlösbar. Die Treuhand stand unter immensem Zeitdruck (weil die Unternehmen innerhalb von Monaten in sich zusammenfielen) und hatte viel zu wenig und eigentlich nicht kompetentes Personal (wie es niemanden auf der Welt gab, der damit Erfahrung hatte). In der Not tat man, was man konnte und vieles davon hat sich im Nachhinein als Fehler erwiesen. Und man hat sich im Chaos oft genug vor den Karten der Interessen wesentlicher Unternehmen spannen lassen. Ich bezweifele, dass das gezielte Politik war. Vielmehr war man Getriebener und sehr junge, unterfahrende Studienabgänger oder unerfahrene Unternehmensberater (die bei ihrer Qualifikation unter normalen Umständen erst einmal erfahrenen Senior Associates oder Partnern zugearbeitet hätten) haben Entscheidungen über das Wohl und Wehe ganzer Großunternehmen entschieden.

Fortsetzung …

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Fortsetzung:

Dass viele Ostdeutsche die Anerkennung ihrer Lebensleistungen vermissen hat einen Grund: Sie wollen sich nicht eingestehen, dass die meisten von ihr Leben lang für völlig ineffiziente, marode Betriebe gearbeitet haben, die in ihrer Produktivität um ein sehr hohes Vielfaches niedriger war als sie hätte sein können. Natürlich können sie nichts dafür und, ich glaube, niemand würde ihnen einen Vorwurf daraus machen.

Aber es ist halt bequemer, das Framing aufrecht zu erhalten, die Treuhand hätte im Interesse westlicher Wettbewerber in großen Stil überlebensfähige Unternehmen platt gemacht.

Das mag im Einzelfall passiert sein. So wie im Einzelfall Ostdeutsche Wessi-Manager erlebt haben mit so abgründigen Sprüchen, wie Du sie beschreibst.

Auch der oft gehörte Vorwurf, man hätte einfach mit der Währungsunion und der Wiedervereinigung warten müssen, bis die ostdeutsche Wirtschaft an Stärke gewonnen hätte, ignoriert den historischen Fakt, dass wenn Helmut Kohl (den ich jenseits von der Wiedervereinigung und Europa sehr kritisch sehe) nicht in einem Handstreich die DMark eingeführt und dann auch den Beitritt durchgezogen hätte, die DDR sich selbst sehr viel schneller entvölkert hätte, als das ohnehin schon passiert ist. Das hätte zu noch mehr De-Industrialisierung geführt und mehr geschadet als geholfen.

Auch ist die ebenso oft gehörte Vorstellung, Westdeutschland hätte doch mit Industriepolitik schneller für vergleichbare Lebensverhältnisse sorgen können (die Kohl den DDR-Bürgern doch - nativer Weise oder wissentlich gelogen - versprochen hatte), ist naiv. Um so etwas zu finanzieren, hätte man den Solidaritätsbeitrag vervielfältigen müssen. Und selbst wenn, bezweifle ich, dass es gelungen wäre: Dazu verstehen unsere Fachpolitiker und selbst die (Volks)Wissenschaft zu wenig von ihrem Fach, um so etwas effektiv und effizient umzusetzen. Sehr wahrscheinlich hätte man sehr viel Geld aus dem Fenster geschmissen und nur sehr wenig erreicht, vermutlich sogar mehr Schaden als Nutzen angerichtet.

Ja, für sehr viele Bürger der DDR sind die Folgen von Entvölkerung und Deindustrialisierung eine sehr, sehr bittere Erfahrung und die Angst vor einem erneuten sozialen Abstieg, die Du beschreibst, ist sehr verständlich. Aber am Ende des es darum, sich einzugehen, dass man über 40 Jahren nicht nur in einem politisch, sondern auch wirtschaftlich völlig dysfunktionalen System gelebt und gearbeitet hat, das in den letzten 10 Jahren nur dank der Kredite von Westdeutschland überlebt hat. D.h., den sozialen Abstieg haben die Bürger in den neuen Bundesländern nicht der „Verarsche“ der etablierten Parteien zu verdanken, sondern der SED (deren Rechtsnachfolger noch viele Jahre sehr erfolgreich dort war).

Sich dies nicht einzugehen und statt dessen Rechtsradikale zu wählen … sorry, aber dafür kann ich kein Verständnis aufbringen.

@pitus: Wenn Du magst, solltest Du Deine Antwort darauf auch hier posten

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