LdN341 Ost/West

Ich nicht, das wird vererbt.

So lange in Westdeutschland keine Aufarbeitung der Fehler und daraus folgend Anerkennung der ostdeutschen Problematik erfolgt, wird das von Generation zu Generation weitergegeben.

Und die Aufarbeitung hat noch nichtmal angefangen.

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Mein Punkt ist ein anderer: Das Argument „Protestwahl“ basiert ja meist auf der Annahme, dass der Anteil der Bevölkerung mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild weit unter dem Anteil jener liegt, die AfD wählen - also gar nicht alle AfD-Wähler:innen sein können. Betrachtet man aber etwas breiter Einstellungsmuster wie die Ablehnung von Demokratie oder die Sehnsucht nach autoritärer Herrschaft, zeigt sich ein ganz anderes Bild. In besagter Studie stimmten etwa der These „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.“ knapp 50 Prozent(!) ganz oder teilweise zu - und zwar durchgängig in allen ostdeutschen Bundesländern. Das ist ein riesengroßes Problem, und zwar unabhängig, ob von diesen Menschn nun jeder Fünfte oder jeder Zweite AfD wählt.

Bei der aktuellen „Ost-Debatte“ ist m. E. bezeichnend, dass es einerseits Intellektuelle mit DDR-Sozialisation gibt, die sinngemäß sagen „schon wieder die alte Leier, das haben wir doch schon zigmal diskutiert“ und es andererseits Millionen Menschen (hauptsächlich mit West-Sozialisation) geben dürfte, die von diesen Debatten noch nie gehört haben oder sie allein auf Klischees wie „im Osten sind alle Nazis“ reduzieren. Zudem geht es ja nicht nur um eine Aufarbeitung im Sinne eines einmaligen Vorgangs, den man am besten noch an eine Enquete-Kommission oder einen Untersuchungsausschuss delegiert, sondern um eine kritische Selbstbefragung - und zwar sowohl im Westen als im Osten. Denn dass eine überwiegende Mehrheit der DDR-Bürger:innen 1990 einen schnellen Beitritt und eine Übernahme des westdeutschen Modells wollte und entsprechende Warnungen (etwa der West-SPD oder der DDR-Bürgerrechtsbewegung u.a. vor einem Zusammenbruch von Wirtschaft und Gesellschaftsordnung in der Ex-DDR) in den Wind schlug, gehört m. E. mit zum Problem.

Es ist m. E. auch ein Trugschluss, dass Aufarbeitung - oder besser formuliert eine gesellschaftliche Auseinandersetzung - nur denjenigen dient, die ein Problem sehen. Das Gegenteil ist der Fall: Es dient dem gegenseitigen Respekt und der Anerkennung anderer Einstellungen und Lebensweisen, also dem gesellschaftlichen Zusammenhalt, wenn sich auch jene mit einem Thema beschäftigen, aus deren subjektiven Sicht es eigentlich gar kein Problem gibt - egal ob es um Transformationserfahrungen im Osten, Coronamaßnahmen oder institutionellen Rassismus etwa bei Polizei und Behörden geht.

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Jain. Das wurde vornehmlich von den Kräften rund um Kohl betrieben. Die Ostdeutschen sind dann nur in der Mehrheit auf seine Versprechungen hereingefallen.
Die treibenden Kräfte in der DDR wollten in der Hauptsache Veränderungen im System aber keine Vereinigung genannte Übernahme.

Da sind wir völlig überein.
Das Problem ist nur zum einen diejenigen zu überzeugen die kein Problem sehen und zum anderen die nötige Sachlichkeit beibehalten. Also z.B. nicht jede Fehlerbeschreibung als jammern abtun sondern darüber nachdenken warum der Gegenüber das als Fehler bzw. Problem ansieht.

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Natürlich hat Kohl die berüchtigten „blühenden Landschaften“ versprochen. Aber der war letztlich auch nur Profiteur und zugleich Getriebener einer Stimmung, die wollte, dass im Osten möglchst schnell alles so wird wie im Osten. Es gab auch einen Lafontaine, der davor gewarnt hat, dass das sehr teuer wird, sehr lange dauern wird und höchstwahrscheinlich sehr schief gehen wird. Interessanterweise ist das auch genau der Punkt, den etwa Oschmann komplett ausblendet - und den auch sein Publikum nicht hören will (siehe der Mitschnitt von seiner Lesung in Magdeburg weiter oben).
Anders formuliert: Ja, die Leute sind Kohl auf den Leim gegangen, aber er hat diesen Leim auch nur ausgelegt, weil er wusste, dass sie das tun. Und sie hätten sich auch anders entscheiden können. Ich sehe keinen Grund, warum man die Verantwortung der DDR-Bürger:innen für ihre politischen Entscheidungen nicht auch thematisieren sollte.

Bezogen auf den Sommer und Herbst 1989 stimmt das, aber spätestens im Frühjahr 1990 hatten diese vormals „treibenden Kräfte“ (wie etwa das Neue Forum) nichts mehr zu melden. Der Wahlsieg der „Allianz für Deutschland“ am 18. März 1990 zeigte das sehr eindrücklich.

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Ich verstehe deinen Punkt, aber zumindest dieser Wunsch nach jemandem, der mit eigenem Fokus durchregiert findet sich auch außerhalb des AfD Lagers und ist denke ich der großen Verantwortungsdiffusion in Deutschland geschuldet.

Ich habe hier im Forum um Weihnachten 2022 mal einen Poll gestartet, in dem ich sinngemäß fragte, ob ein die Foristen sich einen starken Herrscher wünschten, der in Klimafragen einfach mal durchregiert und Rechte von Einwohnern und Minderheiten zurückstellten darf.

Nach etwa 30 Minuten hatte ich schon 8 Stimmen, 5 zu 3 für den harten Herrscher. Nach zwei Stunden sah das Verhältnis nicht anders aus. Am nächsten Morgen war mein Beitrag gelöscht (und ich vom Stammgast zum normalen Member degradiert. Anscheinend mochte man das Ergebnis nicht?).

Klar ist die Testgruppe klein und wir hier in einer Bubble. Aber mir scheint, der Wunsch nach einem starken Herrscher ist nach 16 Jahren durchlavierens von Merkel und 2 Jahren Scholz in der gesamten Bevölkerung groß. Man unterscheidet sich nur in den Zielen.

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Dann kopiere ich gerne hierher, was ich @pitus dazz im PN geschrieben habe:

Du sagst, viele Bürger in den ostdeutschen Ländern wählten die AfD als Protest gegen die etablierten Parteien. Abgesehen davon, dass kompetente Menschen das nicht so sehen …

Bundeszentrale: AfD ist gewollt, kein Protest

… kann man die etablierten Parteien zur zu einem sehr geringen Teil dafür verantwortlich machen, dass mit dem Beitritt zur BRD eine kollabierende Wirtschaft schlagartig mit einer in vielen Jahrzehnte im globalen Wettbewerb gestalte Wirtschaft konfrontiert wurde.

Ich habe das seinerzeit quasi Live erlebt: Ich war junger Student der Volkswirtschaftslehre an der Universität Kiel und wir alle, Professoren, wissenschaftliche Assistenten, Doktoranden und wir Stunden waren völlig elektrisiert von diesem einmaligen wirtschaftlichen Experiment der Transformation einer planwirtschaftlichen geprägten Wirtschaft in eine, die im marktwirtschaftlichen Wettbewerb überleben kann.

Ich muss gestehen, nachdem ich letztlich nie als Volkswirt gearbeitet habe, habe ich auch nie nachgelesen, wie Wirtschaftshistoriker diese Transformation rückblickend einschätzen. Aber nach meiner Erinnerung war das eine schlicht unmögliche Aufgabe:

Die Wirtschaft, d.h. die Unternehmen mit all ihren Arbeitsplätze, der DDR waren im Vergleich zu allen westlichen Wirtschaften, bis zu der in Albanien, völlig unterlegen. Das war damals im Westen weder der Wissenschaft noch der Politik bekannt (weil man unsinniger Weise die völlig gefälschten Statistiken der ostdeutschen Regierung für möglich gehalten hatte)! Insofern war die Aufgabe, die der Treuhand gestellt wurde, unlösbar. Die Treuhand stand unter immensem Zeitdruck (weil die Unternehmen innerhalb von Monaten in sich zusammenfielen) und hatte viel zu wenig und eigentlich nicht kompetentes Personal (wie es niemanden auf der Welt gab, der damit Erfahrung hatte). In der Not tat man, was man konnte und vieles davon hat sich im Nachhinein als Fehler erwiesen. Und man hat sich im Chaos oft genug vor den Karten der Interessen wesentlicher Unternehmen spannen lassen. Ich bezweifele, dass das gezielte Politik war. Vielmehr war man Getriebener und sehr junge, unterfahrende Studienabgänger oder unerfahrene Unternehmensberater (die bei ihrer Qualifikation unter normalen Umständen erst einmal erfahrenen Senior Associates oder Partnern zugearbeitet hätten) haben Entscheidungen über das Wohl und Wehe ganzer Großunternehmen entschieden.

Fortsetzung …

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Fortsetzung:

Dass viele Ostdeutsche die Anerkennung ihrer Lebensleistungen vermissen hat einen Grund: Sie wollen sich nicht eingestehen, dass die meisten von ihr Leben lang für völlig ineffiziente, marode Betriebe gearbeitet haben, die in ihrer Produktivität um ein sehr hohes Vielfaches niedriger war als sie hätte sein können. Natürlich können sie nichts dafür und, ich glaube, niemand würde ihnen einen Vorwurf daraus machen.

Aber es ist halt bequemer, das Framing aufrecht zu erhalten, die Treuhand hätte im Interesse westlicher Wettbewerber in großen Stil überlebensfähige Unternehmen platt gemacht.

Das mag im Einzelfall passiert sein. So wie im Einzelfall Ostdeutsche Wessi-Manager erlebt haben mit so abgründigen Sprüchen, wie Du sie beschreibst.

Auch der oft gehörte Vorwurf, man hätte einfach mit der Währungsunion und der Wiedervereinigung warten müssen, bis die ostdeutsche Wirtschaft an Stärke gewonnen hätte, ignoriert den historischen Fakt, dass wenn Helmut Kohl (den ich jenseits von der Wiedervereinigung und Europa sehr kritisch sehe) nicht in einem Handstreich die DMark eingeführt und dann auch den Beitritt durchgezogen hätte, die DDR sich selbst sehr viel schneller entvölkert hätte, als das ohnehin schon passiert ist. Das hätte zu noch mehr De-Industrialisierung geführt und mehr geschadet als geholfen.

Auch ist die ebenso oft gehörte Vorstellung, Westdeutschland hätte doch mit Industriepolitik schneller für vergleichbare Lebensverhältnisse sorgen können (die Kohl den DDR-Bürgern doch - nativer Weise oder wissentlich gelogen - versprochen hatte), ist naiv. Um so etwas zu finanzieren, hätte man den Solidaritätsbeitrag vervielfältigen müssen. Und selbst wenn, bezweifle ich, dass es gelungen wäre: Dazu verstehen unsere Fachpolitiker und selbst die (Volks)Wissenschaft zu wenig von ihrem Fach, um so etwas effektiv und effizient umzusetzen. Sehr wahrscheinlich hätte man sehr viel Geld aus dem Fenster geschmissen und nur sehr wenig erreicht, vermutlich sogar mehr Schaden als Nutzen angerichtet.

Ja, für sehr viele Bürger der DDR sind die Folgen von Entvölkerung und Deindustrialisierung eine sehr, sehr bittere Erfahrung und die Angst vor einem erneuten sozialen Abstieg, die Du beschreibst, ist sehr verständlich. Aber am Ende des es darum, sich einzugehen, dass man über 40 Jahren nicht nur in einem politisch, sondern auch wirtschaftlich völlig dysfunktionalen System gelebt und gearbeitet hat, das in den letzten 10 Jahren nur dank der Kredite von Westdeutschland überlebt hat. D.h., den sozialen Abstieg haben die Bürger in den neuen Bundesländern nicht der „Verarsche“ der etablierten Parteien zu verdanken, sondern der SED (deren Rechtsnachfolger noch viele Jahre sehr erfolgreich dort war).

Sich dies nicht einzugehen und statt dessen Rechtsradikale zu wählen … sorry, aber dafür kann ich kein Verständnis aufbringen.

@pitus: Wenn Du magst, solltest Du Deine Antwort darauf auch hier posten

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Volle Zustimmung, dass solche autoritativen Sehnsüchte weit über das Potenzial der AfD-Wähler:innen hinausgehen. Aber das war ja nur ein Beispiel aus der erwähnten Studie, in der es insgesamt schon um Einstellungsmusster geht, die eher auf AfD- als Grünwählende hindeuten.
Ob jetzt „Verantwortungsdiffusion“ die Ursache ist oder nicht vielmehr eine Kombination aus dem Gefühl, selber keinen wirklichen Einfluss auf Veränderungen zu haben und der Unfähigkeit der Gesellschaft, unterschiedliche Bewertungen, Zielsetzungen und Prioritäten konstruktiv miteinander auszuhandeln, steht nochmal auf einem anderen Blatt.

Ulf und Phillip arbeiten sich neben den sachpolitischen Themen in dieser Folge am Anfang und am Ende auffällig stark an der ostdeutschen Herkunft von Frau Lemke ab. Dabei drückt sich speziell Phillip, meiner Meinung nach, eher ungeschickt aus, z.B. mit „Wenn sie auf ihr Karriere zurück blicken, […] würden Sie sie als Kampf gegen Wessis bezeichnen?“

Die insgesamt sehr Ost-lastige Einführung von Frau Lemke wirkt teilweise so, als wäre sie als eine große inhaltliche Brücke gedacht, um am Ende des Podcasts Frau Lemke, als Ostdeutsche, noch mal speziell zu den Wahlerfolgen der AFD in den neuen Bundesländern zu befragen.

Und selbst als Frau Lemke schon auf den Zusammenhang von strukturschwachen Regionen mit den Wahlerfolge von Populisten hingewiesen hat und diverse ausländische Beispiele nennt, bleibt bleibt Phillip unbeirrt beim horse race Thema: „Wahlerfolge der AFD im Osten“.

Er bemüht sogar noch eine Anekdote von seiner Frau in der er quasi alle Ost-West-Unterschiede zu leugnen scheint, nur um sich irgendwie am Thema festzuklammern. Das fand ich schon sehr befremdlich. Normalerweise sind die LdN-Interviews da wesentlich besser.

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Erst mal Danke für den spannenden Einblick in diese spezielle Perspektive auf die Zeit der „Wende“.

Ich glaube an diesem Punkt ist Deine Perspektive allerdings etwas zu speziell. Bei einer „Lebensleistung“ geht es ja eben nicht darum, ob der Betrieb, in dem man tätig war, nun besonders effizient gewirtschaftet hat oder nicht, sondern eher (so verstehe ich den Begriff zumindest), ob man sein eigenes Leben einigermaßen auf die Kette gekriegt hat - das sind dann so schnöde Dinge wie Beruf erlernt, Familien gegründet, Wohnung/Haus in dem man sich wohlwühlt, ein soziales Umfeld etc. - also das ganz normale Leben. Und für sehr viele Menschen davon ist vieles davon ist 1989/1990 ziemlich plötzlich zusammengebrochen: Es geht dabei gar nicht nur um den Jobverlust, sondern darum, dass innerhalb kürzester Zeit nicht nur die offiziellen, sondern auch die inoffiziellen Regeln, wie alles läuft, komplett verändert wurden.
Zudem überträgst Du m. E. die Erkenntnis aus der Wirtschaft, dass die DDR nach kapitalistischen Maßstäben nicht konkurrenzfähig war, auf die gesamte Gesellschaft. Und damit reproduzierst Du aus meiner Sicht die Entwertung, die eben für viele DDR-Bürger:innen nach 1989 eine grundlegende Erfahrung war. Nicht umsonst sprach mal ja von der Zeit vor 1989 als einer Systemkonkurrenz. Es war keineswegs so, dass nur der Osten neidisch auf den Westen blickte. Auch im Westen waren etwa viele sozialstaatliche Maßnahmen von dem Gedanken getragen, dass es ja nicht schlechter zugehen dürfe als im Osten. Anders formuliert könnte man ja auch hinterfragen, ob es wirklich der Weisheit (oder Zivilisation) letzter Schluss ist, das gesamte Leben nach kapitalistischen Maßstäben der Produktivität zu messen.
Der Satz „an der DDR war nicht alles schlecht“ muss also nicht zwangsläufig eine Verteidigung eines autoritären Regimes bedeuten. Er kann auch einfach heißen, dass es durchaus Dinge gab, die in der DDR besser funktioniert haben als in der BRD - aber diesen Gedanken können und wollen viele „Wessis“ meiner Meinung nach gar nicht erst zulassen.

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Nö.

Anerkennung der Lebensleistung wären solche Sachen wie „Entschädigung vor Rückgabe“ gewesen, statt umgekehrt.

Vieles von dem DDR Unrecht ist durch subjektiv neues Unrecht rückgängig gemacht worden.

In meiner Heimatstadt gibt es eine Denkmalgeschütze Bauruine, die nach der Wende vom ehemaligen DDR-Besitzer zurückgegeben werden musste (ohne Entschädigung) und der neue/alte Besitzer war nie da, denn der wollte nur Geld, hat aber nie einen Käufer gefunden, weswegen das Haus verfallen ist.
Und das ist kein Einzelfall.

Dann Sonderrenten für die Wismutleute die erst versprochen und dann nie anerkannt wurden.

Ich bin auch nach wie vor überzeugt, dass man Sachsenring hätte retten können, wenn man eins der Prototypen verwendet hätte, statt nur einem Facelift des 601.

Dass in der DDR die Produktion nicht effektiv war wussten alle.

Aber bei Frage nach Lebensleistung: schau doch einfach mal, wer den ersten FCKW freien Kühlschranke gebaut hat und wenn du das rausgefunden hast, schau wernsich die Lorbeeren dafür ansteckt.

Gleiches gilt für alle Universitäten. Dort wurden ausnahmslos alle ausgetauscht, weil sie in der Partei waren. Man hat nicht eine Minute auf deren Einstellung geschaut und berücksichtigt, dass man zum Erreichen dieser Position in der Partei sein musste.

U.s.w.

Lebensleistung ist so viel mehr als Arbeiten in einem Betrieb der nicht wettbewerbsfähig ist.

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Was auch damit zu tun hatte, dass die West-CDU die Ost-CDU mit dermassen viel Geld und sonstiger Unterstützung beworfen hat, dass die Bürgerrechtler dem nichts entgegensetzen konnten. Was ich der CDU nach wie vor übel nehme: Die haben sich damals mit einer Blockpartei verbündet, die an jeder DDR-Regierung beteiligt war und (mit Ausnahme des Abtreibungsrechts) jede Entscheidung und Gesetzgebung der DDR mitgetragen hat. Es ist mir nach wie vor schleierhaft, wo CDU-Vertreter ihre moralische Überlegenheit hernehmen, wenn sie über irgendwas DDR reden oder Vorwürfe an SED-Nachfolgeparteien richten. Die Leute, die 1990 für die CDU gestimmt haben hatten in meinen Augen auch kein Problem mit der DDR. Die sind lediglich dem Geld hinterhergelaufen. Soviel zum Problem mit autoritären Regierungsformen.

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Etwas zugespitzt könnte man vielleicht sagen, dass Oschmann jetzt die Aufmerksamkeit und den medialen Verkehrswert bekommt, die bzw. den Steffen Mau 2019 mit Lütten Klein eigentlich verdient hätte (zwar auch Spiegel-Bestseller, aber m.E. doch nicht vergleichbar in der Wirkung). Differenzierter, weniger larmoyant, auch im Blick etwa darauf, dass die Produktion enttäuschter Lebensläufe schon innerhalb der „mobilitätsblockierten Gesellschaft“ der DDR in den 80er-Jahren beginnt. Das ist ja auch die Zeit, in der sich trotz des staatlichen Antifaschismus die Skinhead-Szene etabliert. Interessant finde ich aber vor allem, dass neben Mau und Begrich die härtesten Kritiker:innen Oschmanns zur jüngeren Generation der in der DDR Geborenen gehören (Anne Rabe, Cornelius Pollmer).

Bemerkenswert an diesen Versuchen der deutsch-deutschen Auseinandersetzung, für die Oschmann federführend und exemplarisch steht, scheint mir allerdings, wie sehr sie die „Selbstviktimisierung“ monopolisieren. Weder bei Oschmann noch in der Forum-Debatte hier wurde bisher darüber gesprochen, dass die härteste Transformationserfahrung im Zuge der mehrheitlichen Zustimmung zu den deutsch-deutschen Verträgen nicht „Ostdeutsche“ getroffen hat, sondern die Vertragsarbeiter:innen aus Vietnam, Angola, Mosambik und anderen Staaten, deren Arbeits- und Aufenthaltsverträge nun kaum noch etwas wert waren, die in Bürgerkriege zurückgeschickt wurden, die ihre Jobs und Wohnungen verloren haben und die, wenn sie denn unter widrigsten Umständen irgendwie doch bleiben konnten, zur Zielscheibe von Pogromen wurden, deren Methoden man sich aus dem Westen abgeguckt hatte.

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Also, auch wenn das alles stimmen mag:

Ich habe da mittlerweile nur noch wenig Verständnis. Ja, es ist eine Menge Scheiße gebaut worden. Ja, persönlich gab es sicher viele Rückschläge was das Selbstbild angeht. Aber: Die Wende ist dreißig Jahre her. Der Lebensstandard ist besser. Man hat im Supermarkt alle Auswahl. Man muss nicht 10 Jahre auf einen Trabant warten. Man kann reisen. Die Luft ist nicht schwarz. Man wird nicht bespitzelt. Beim Betreten der Grenze wird man nicht erschossen. Die Flüsse sind sauberer. Man kann frei wählen. Usw usf. - ist das ALLES vergessen?! Wird das nicht mehr gesehen?

Irgendwie scheinen immer die Umstände, die anderen, die da oben, die Fremden (von denen es im Osten lächerlich wenige gibt), vielleicht auch die Wessis Schuld zu haben. Und dann wählt man in Heerscharen die AfD?! Die dafür sorgen wird, dass noch mehr Unternehmen und Menschen wegbleiben oder wegziehen? Wer zieht denn in einen Ort mit AfD-Bürgermeister? Wer investiert da? Wer bleibt dort auf Sicht wohnen? Wo soll denn dann die fehlende Infrastruktur herkommen?? Ich kann so viel Kurzsichtigkeit (und Fremdenfeindlichkeit) nicht fassen. Wo ist denn das Bürgerengagement? Wo sind denn die Initiativen, wo ist die Zivilgesellschaft, wo wird konstruktiv Kritik geübt statt nur gemeckert und gejammert?

Letzter Teil trifft natürlich auf viele Menschen zu, egal wo. Und meine Pauschalkritik ist natürlich jetzt auch genau das und berücksichtigt nicht Einzelbiografien, gegenteilige Beispiele und Schicksale. Trotzdem, ich finde das wirklich anstrengend, immer wird gesagt, man müsse Verständnis aufbringen und versuchen, zu verstehen. Ich versteh es nur noch bedingt (und ich habe wie gesagt jahrelang selbst in Thüringen gewohnt). Ich würde es begrüßen, wenn eine Diskussion um Umstände der Wende und dabei gemachte Fehler angestoßen würde. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass das aktuell das Anliegen der Menschen ist. Da geht’s um unkonstruktive Wut, Misstrauen und im schlimmsten Fall Hass. Bedrückend.

Bitte nicht persönlich nehmen, mir ging es darum, mein Unverständnis allgemein ausdrücken :slight_smile:

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Das mag vielleicht daran liegen, dass das am Thema des Threads vorbei geht. Dort wurde nämlich bisher die Frage gewälzt, warum die AfD im Osten so stark ist und ob das eventuell politisch-biografische Gründe hat. Oder ob die Brüche vorhersehbar und unvermeidbar waren (@TilRq) oder die Ossis nur rumjammern und sich selbst ihre Opferrolle einreden (@otzenpunk).

Dein Einwurf, so richtig er ist, wirkt doch schon sehr wie Whataboutism.

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Bei der der „Ost-Debatte“ geht es um weit mehr als um Gründe, weshalb Menschen in Ostdeutschland AfD wählen. Zum Beispiel ging es mehrfach um die Transformationserfahrungen nach 1989 und darum, wie die Gesellschaft damit umgeht. Und die rassistischen Ausschlüsse und Gewaltexzesse waren ein integraler Bestandteil des real existierenden Nationalismus im Deutschland der 1990er Jahre. Ihre Ausblendung ist eine Voraussetzung für die „Wende 2.0.“-Rhetorik, die die AfD im Osten gerade betreibt. Im Grunde genommen sagen die Rechtsextremen damals wie heute: „IHR seid das Volk - nicht die!“

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Ich denke schon, dass es wenigsten ernüchternd ist, wenn man mit erheblichen Anteilen an Lebenszeit daran beteiligt war, Produkte zu entwickeln, zu produzieren und zu verteilen, die niemand, auch die eignen Verwandte, Freunde und Bekannte plötzlich nicht mehr haben will, weil die Wettbewerbsprodukte des ehemaligen Klassenfeinds einfach so viel besser sind.

Also, was sicher stimmt, dass viele „Ostdeutsche“ nicht schnell genug begriffen haben, wie man in einer Demokratie die Versprechen von Wahlkämpfer einordnen muss. Viele Politiker, ja, viele Fachleute haben die Herausforderung der Transformation nicht verstanden und sich später weggeduckt, als es um die Aufarbeitung hätte gehen sollen.

Das ist jetzt nicht Dein ernst?!? Als ob die Ostdeutschen gegen deren Willen …

Ein Mangel an Aufarbeitung gibt es nicht:

Es mangelt eher an der Kenntnisnahme historischer Fakten, die gerade im Ost durch ein Framing ersetzt wird, das alles andere als differenziert ist.

Als Zeitzeuge halte ich das für eine Mär. Bitte belegen!

Auch wenn ich Herrn Kohl nie besonders mochte, halte ich es für möglich, dass er selbst an die blühenden Landschaften geglaubt hat. Ich kann es nicht oft genug wiederholen: Solche ein „Experiment“ der wirtschaftlichen Transformation eines sozialistischen Teilstaats nach Beitritt zum anderen, kapitalistischen Teil hat es vorher nie gegeben und damals war im Westen die Hochzeit der Neoklassiker mit ihrem Narrativ, dass der Markt alles richtige. Kohl war gelernter Historiker und hat von Wirtschaft wenig verstanden (und war immer schon beratungsresistent)

Habe ich so etwas tatsächlich gesagt?

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Das ist alles richtig aber mal so zum nachdenken zwei Sätze.

Der erste ist von Oschmann in seinem Buch:
Zum Deutschen wird der Ostdeutsche erst im Ausland. (Kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen)

Der zweite ist von mir wenn ich gefragt werde warum ich ausgewandert bin:
Man hat mir 1990 die Heimat weggenommen und vergessen mir eine neue zu geben, also hab ich mir eine gesucht.

Denn Heimat ist so viel mehr als alles das was du da aufzählst.

Ich freue mich als Themenerstellerin über die rege Diskussion und die vielen unterschiedlichen Aspekte die bereits erörtert wurden.

Ich selbst habe auch ein Ost-Biographie, bin, wie eine Mit-Diskutant aber großtenteils nach Wendezeit sozialisiert. Allerdings von einer Gesellschaft im Umbruch und mit den Wurzeln in der DDR. Dieses Werte und Normen Gerüst wurde ja nicht mit der Staatsbezeichnung geändert und wird wohl noch lange als regionaler Unterschied spürbar sein. Zumindest fühlt es sich für mich äußerst übergriffig an wenn ich mal wieder gefragt werde, wann ich (als Ostler) denn endlich meine Werte ablegen würde und gegen die „richtigen“ eintausche.

Solange ich solche Gespräche führen muss, fühle ich daß mich die Gegenüberseite geringerschätzt für meine Biographie.

Ich denke das diese Toleranz für die Andersartigkeit beider Seiten auch stärker entwickelt sein könnte als sie ist. Beider Seiten!

Unabhängig davon stimmt mich die politische Entwicklung der östlichen Landstriche auch sehr traurig und fassungslos. Sie ist nicht entschuldbar mit der mangelnden Wertschätzung der Andersartigkeit aber eventuell findet man durch dieses Verständnis bessere Lösungsansätze gegen diese fortschreitende Politikverdrossenheit.

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