LdN337: FDP verstehen

Naja - Definitionssache. Die einen trauen den Bürgern zu, auch ohne Regeln das nötige zu tun.
Die anderen trauen den Bürgern zu, vernünftige gesellschaftliche Regeln zu akzeptieren.
Für beides gibt es übrigens gute Beispiele, die dieses Zutrauen erschüttern sollten.

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Das ist so nicht richtig. Autos, die fossile Kraftstoffe verbrennen, tragen aufgrund ihrer Abgase massiv zu unseren netto-Emissionen von CO2 bei.

Diese können ab 2035 nicht mehr neu zugelassen werden, was die FDP unterstützt. Das ist Angesichts der Pfadabhängigkeiten und dem Zustand unserer Lieferketten relativ zeitnah. Man könnte sich drüber streiten, ob 2030 auch machbar wäre. Aber im Prinzip schilderst du erstmal nichts, was für die FDP undenkbar wäre.

Gut, das war sicher in Punkt 1 unscharf formuliert.

Was spräche dagegen, schon ab 2025 die Neuzulassumg von Verbrennern zu beschliessen?
Oder ab 2030 spätestens alle Verbrenner zu verbieten?
Speziell aus Sicht der FDP?

Der optimale Zeitpunkt des Verbots ist natürlich ein Trade-off zwischen mehreren Zielgrößen, unter anderem den Effekt auf das Klima, den volkswirtschaftlichen Schaden, das Vertrauen in die Politik und soziale Fragen. Diese werden von unterschiedlichen Parteien natürlich unterschiedlich gewichtet.

Würden wir ab morgen die Neuzulassung von Verbrennern verbieten (und das erst heute beschließen), würden die volkswirtschaftlichen und sozialen Folgen sicherlich schwerer wiegen als der Klimaeffekt. Von der Entstehung einer maximalen Investitionsunsicherheit ganz zu schweigen. Würden wir hingegen erst 2050 neue Verbrenner verbieten (das aber heute beschließen), wären die direkten volkswirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Verbots nahe Null, da sich alle genügend lange darauf vorbereiten konnten. Gleichzeitig wäre das sicherlich viel zu spät für einen wirkungsvollen Klimaschutz. Der optimale Zeitpunkt für ein Verbot liegt also schonmal irgendwo zwischen morgen und 2050.

2025 ist zu früh, da hier zu viele bereits getätigte Investitionen abgeschrieben werden müssten und es auch noch nicht die Alternativen für die breite Masse geben wird (siehe Lieferschwierigkeiten heute und fehlendes Angebot preisgünstiger Elektro-Kleinwagen, außerdem fehlende Skalierung der Produktionsanlagen).

2030 wäre vermutlich technisch machbar und ich könnte nachvollziehen, wenn Parteien wie die Grünen eine solche Forderung in den Raum stellen würden. Es muss einem aber bewusst sein, dass selbst das schon eine sehr schnelle Transformation wäre, die die Politik unterstützend und erklärend begleiten müsste, bsp. durch Subventionen benötigter Lieferketten und Infrastruktur. Im Zweifel würden hier also auch noch relativ hohe Kosten entstehen. 2030 wäre für Deutschland allerdings vermutlich schon zu stemmen, für den Rest der EU würde es schwerer werden, wir müssten dort also vermutlich auch noch zusätzlich subventionieren. In dem Fall das Deutschland alleine 2030 als Verbrennerverbotsdatum implementiert, wäre dieses wirkungslos, da ab 2027 der Straßenverkehr in einen europäischen Emissionszertifikatehandel eingebettet wird. Die Emissionen die wir also mehr einsparen, würden woanders mehr emittiert werden können.

2035 ist letztlich der Kompromiss, auf den sich alle Länder der EU einigen konnten und den auch die FDP unterstützt. Man könnte sagen, dass sich hierin die Überzeugung der FDP widerspiegelt, dass deutsche Alleingänge nicht viel bringen, und man daher Klimaschutz zumindest auf europäischer Ebene koordinieren muss.

Darauf zielte meine etwas provokante Frage im Grunde ab. Teils gab es hier im Forum Stimmen, die in diesem Aspekt kein Problem sahen, da doch schon alles vorhanden sein.

Ich denke, wir müssen uns damit abfinden, dass die FDP eine durch und durch konservative Partei ist, die alles daran setzt, den Status Quo nicht zu verändern. Beispiele:

  • Anstatt in zukünftige Technologien zu investieren und durch Gesetze, die schädliches Verhalten in der Zukunft verbieten werden, Unternehmen Planungssicherheit zu geben, sollen alte, völlig unrentable und/oder anderswo benötigte Technologien, gefördert werden. Berüchtigte Beispiele sind E-Fuels und Wasserstoff, die in dieser Jahrhunderthälfte nicht genügend produziert werden können, um damit zu heizen oder über die Autobahn zu heizen. Wie schon oft angemerkt, spielt die Schuldenbremse

  • Wenn man es ernst meinen würde mit „Kinder sind unsere Zukunft“ und deren Bildung, müsste man eigentlich mal Geld in die Hand nehmen, um diese Bildung auch zu garantieren, anstatt dass Kinder auf allen möglichen Schulen auf verschimmelte Toiletten gehen müssen. Mal abgesehen davon, dass viele Kinder/Jugendliche/Studenten fast aller Milieus unter Lehrermangel, schlechter Austattung und Verfall von Gebäuden leiden. [1] Das trifft natürlich arme Kinder wesentlich mehr. Dass wir in einem der reichsten Länder der Welt eine Kinderarmutsquote von 20% haben, ist wirklich zum Schämen. [2]

  • Wenn man aber zufrieden ist, wenn in Deutschland Menschen aus den unteren Milieus dort auch verbleiben [3], dann beruft man sich natürlich gerne auf die Schuldenbremse und suggeriert gerne, dass die Menschen dort auch irgendwie selbstverschuldet verbleiben. Dieses Narrativ der selbstverschuldeten Armut ist so verbreitet, dass sich sich der Moderator dieser Phoenix-Sendung [4] über die Kindergrundsicherung nicht entblödet hat zu fragen, ob die Situation der Armen am Geld liege und mitschwingen lässt, dass es an etwas anderem liegen könnte. Die psychischen Schäden durch Armut sind lange belegt. [5] Sogar, wenn man sich nicht für das Leiden dieser Menschen interessiert, macht das wenig Sinn, wenn diese Menschen später nicht arbeiten können und/oder die Krankenkassen für Behandlungen aufkommen müssen.

  • Das Ankuscheln der FDP an rechte Positionen im Bereich Migration sehe ich auch als Zeichen von einem konservativen Weltbild. Gute Ausländer dürfen kommen, schlechte müssen raus, Hauptsache wir erstens erhalten unseren Wohlstand und zweitens ändern nicht zu viel an der Zusammensetzung der Bevölkerung.

  • Über die kognitive Dissonanz zwischen dem ewigen Mantra der Leistungsgesellschaft und der Verweigerung der Erhöhung von Erbschaftssteuer, die man als FDP aushalten muss, will gar nicht anfangen. Ich glaube, wir müssen nicht darüber streiten, dass die Ablehnung von Umverteilung eine erzkonservative Haltung ist.

(…Fortsetzung folgt)

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Es ist schon bemerkenswert, dass die konservative Seite es geschafft hat, Begriffe wie Liberalismus, Freiheit etc. für sich einzunehmen, obwohl das eigentlich definierende Konzepte der Progressiven sind.
Nein, ich glaube nicht, dass die Grünen wesentlich progressiver sind. Vielleicht teilweise ein wenig, aber das Spitzenpersonal bedient die gleichen Narrative und das gleiche konservative Framing wie praktisch alle anderen Parteien: alles erhalten, fast nichts verändern.
Und selbst wenn, wurde es ja auch hier im Forum schon oft angemerkt, dass die Progressiven es irgendwie nicht schaffen, ihre Politik gut darzustellen.

Ich schwanke mit meiner Meinung hierzu noch, aber ich befürchte mehr und mehr, dass die Aufmerksamkeit, die die Lage (und viele andere Medien) der FDP schenkt, nicht zu progressiverer Politik führt, sondern zum Gegenteil. Wenn man die Thesen von George Lakoff ernst nimmt [6][7][8], dann stärkt man durch die Wiederholung von konservativen Narrativen (Schuldenbremse, selbstverschuldete Armut, Migration bäh etc.) diese nur, sogar wenn man sie kritisiert! Es werden die gleichen Schaltkreise im Gehirn angesprochen und dadurch verstärkt.
Was man (nach Lakoff und Wehling) dem entgegen setzen müsste, wären progressive Werte und Framing. Gar nicht auf die konservativen Frames (Framings?) eingehen, sondern konsequent alles in den eigenen darstellen. Die Konservativen haben das Framing sehr gut drauf, die Progressiven nicht. Das hat auch wenig mit Manipulation zu tun, weil man die eigenen Werte ja deutlich kommuniziert, aber es funktioniert anscheinend viel besser als Fakten, weil man Menschen in ihren Werten anspricht.

[1] https://www.der-paritaetische.de/studie2021-kinderarmut
[2] Bildungspolitik: Die größten Probleme an Deutschlands Schulen
[3] https://www.diw.de/de/diw_01.c.584241.de/soziale_mobilitaet_in_deutschland_durchlaessigkeit_hat_sich_in_den_letzten_30_jahren_kaum_veraendert.html
[4] phoenix runde: Streit um Grundsicherung - Was hilft gegen Kinderarmut? - YouTube
[5] https://www.deutschlandfunk.de/kinder-und-jugendliche-jugendpsychiater-armut-ist-hoher-100.html
[6] George Lakoff, Elisabeth Wehling: Auf leisen Sohlen ins Gehirn bei hugendubel.de. Online bestellen oder in der Filiale abholen.
[7] „Denken Sie nicht an einen Elefanten!“ - Goethe-Institut Ungarn
[8] https://commonslibrary.org/frame-the-debate-insights-from-dont-think-of-an-elephant/

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Die gibt’s schon nur schlägt dann „German Reichweitenangst“ zu.

Mein Smart mit rund 100km Reichweite wird mich wenn er abbezahlt ist rund 23.000€ gekostet haben.

Fiat 500 300km Reichweite rund 30.000€

Renault Zoe gibt’s sogar schon als Gebrauchtwagen ab 10.000€

BMW I3 als Gebrauchtwagen ab rund 18.000€ zu bekommen.

Der Post ist wohl ein unfreiwilliges Argument gegen Elektromobilität.

100km Reichweite und 23k € an Kosten ist für die meisten Menschen ein sehr schlechter Deal.

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Mal ganz davon abgesehen, dass die Zahlen die du präsentierst außerhalb dieses Forums eher weniger positiv bewertet werden würden, ging es mir vor allem um eine Verfügbarkeit in der Breite. Es mag wenige Modelle geben, die schon heute erschwinglich und praktikabel sind, aber nicht genug und nicht mit der Lieferkette / den Produktionskapazitäten, um in 2025 (in 18 Monaten!) ihre Verbrenneräquivalente komplett zu ersetzen.

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Okej, dann mach mir vor wie du mit 200€ Kosten pro Jahr anders mobil bist und wir reden weiter über Preise für E-Mobilität.

PS: der ganze Threads hier handelt im Endeffekt davon, dass in den Augen der FDP der Bürger angeblich die absolut beste Entscheidung treffen kann und vor allem immer auch langfristige Kosten im Blick hat und man gar nichts vorschreiben muss.

Hier jetzt das perfekte Beispiel warum die FDP falsch hat.

Die Anschaffungskosten werden als DAS Argument dagegen angewendet plus die übliche Verächtlichkeit wegen der Reichweite.

Folgekosten? Egal!
Nutzungsprofil? Egal!

Das ist dann der mündige Bürger der FDP.

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Auch hier eher mangelnde Ehrlichkeit.
Der I3 und der Zoe haben schon ein paar Jahre auf dem Buckel und konnten keine wirklichen Stückzahlen erreichen

Smart EQ wird die Produktion mangels Nachfrage eingestellt.

Und wenn man dann in die Autohäuser schaut werden SUV ausgestellt wahlweise Strom oder sogar immernoch Verbrenner.

Kleinwagen, wie von dir gewünscht, werden von der Autoindustrie nicht wirklich gewollt.
Kaum Werbung, kaum Angebot.

Vergiss nicht, dass der deutsche Gebrauchtwagenmarkt nicht von Privatkunden sondern von Firmenkunden versorgt wird, was dann auch wieder der Grund ist, warum gebrauchte Kleinwagen teilweise schwer zu bekommen sind.

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Der 10k Zoe ist mit Batterieleasing. Und ein Großteil der Leute können sich zwar aufs Jahr ein paar hundert Euro zum abzahlen leisten, sber keine 5-10.000€ Anzahlung. Insofern geht deine Rechnung für diese nicht auf!

Und wenn dann solche Argumente kommen, welche die Lebenswirklichkeit der Menschen nicht im Blick haben, werden diese auch nicht mitgenommen!

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Das geht alles am Thema vorbei, bitte schau, in welchem Kontext meine Posts entstanden sind. Es ging darum, warum ein jetzt beschlossenes Verbrennerverbot ab 2025 nicht umsetzbar wäre. Das wir mit den Lieferketten und Produktionkapazitäten schon weiter sein könnten ist klar. Trotzdem würde wir innerhalb der nächsten 18 Monate den Rückstand nicht aufholen.

Auch das geht am Thema vorbei:

Auch wenn die Frage, wie die FDP zu verstehen ist, nicht ganz von allen möglichen politischen Sachfragen zu trennen ist: Bitte nicht detailliert die Sachthemen wie Energie-, Wärme- oder Mobilitätswende („Heizungshammer“, erneuerbare Energien, E-Autos, etc.) diskutieren. Dazu gibt es jeweils separate Threads, in denen sich darüber z.T sehr qualifiziert ausgetauscht wurde und wird. Gern kann man auf einzelne Beiträge dort verlinken / verweisen.

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Unterm Strich kann man wohl sagen, das auch die FDP ihre eigenen Ziele und Vorstellungen hat, wie jede andere Partei auch.
In einem eher FDP nahen Forum würde sicher anders diskutiert.

Wer sich mit den Zielen und Ideen der FDP identifizieren kann, versteht sie wohl auch eher.
Alle anderen finden da eher Reibungspunkte.
Wird aber an der FDP und ihrer Agenda nichts ändern.

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Naja, ich habe mir mal den Spaß erlaubt und der Vorsitzenden der JuLis eine Mail zu schicken, nachdem sie bei Berlin Direkt die E-Fuels vertreten hat.
Die Frage lautete, Warum die FDP (und sie) so vehement für ein so inneffektives Fortbewegungsmittel eintreten.

Also auch eine reine Frage zum Verstehen der Position.

Antwort habe ich nie erhalten.

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Man darf bei der FDP nicht vergessen, dass sie in den letzten Jahren eine Protestpartei war, angefangen beim Thema Flucht und Migration bis hin zur Corona Politik.

Die Protestwähler sind mit Start der Koalition Schritt für Schritt weitergezogen, und sind aktuell wieder im Lager der AFD, mMn ist das die Hauptwählerwanderung hin der AFD aktuell.
Denn der Schritt von SPD und Grünen hin zu AFD ist dann doch sehr weit, und die CDU ist ja auch erstarkt.

Leider habe ich keine Statistik zur Wählerwanderung 2009 gefunden. Das wäre mal interessant, welches Klientel die FDP damals gepusht hat.
In 2013 haben sie dann an alle Lager verloren, allein 2,1 Millionen an die Union.

Es ist dennoch richtig. Dass man bei den „Netto-Emissionen“ die CO2-Aufnahme bei der Produktion von synthetischen Kraftstoffen gegenrechnen kann, ändert nichts an der Tatsache, dass Verbrenner-Motoren CO2 ausstoßen.

Und leider werden wir das Klima nicht mit Rechentricks retten können.
Bei einer Grenzkostenbetrachtung stellt man schnell fest, dass jeder e-Fuel-km aufgrund des schlechten Wirkungsgrades und der begrenzten Ausbaukapazitäten von emissionsfreier Stromerzeugung. den Bedarf an fossilem Strom erhöht.
Allenfalls könnte ein an das EE-Angebot angepasstes Last-Management bei der E-Fules-Produktion die Lage leicht verbessern.

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