LdN313 - Rettungsgasse Bussgelder

Genau deswegen, es ist verboten!

Ähnlich könnte man auch für weitere „Verbesserung“ für Motorräder argumentieren, weniger Überholverbot weil schneller und nicht so gefährlich, Einbahnstraßen in beide Richtungen fahren (ähnlich wie Radfahrer), etc.

Wenn deine Argumente mehrheitsfähig wären, könnte man ja die Straßenverkehrsordnung in diese Richtung ändern.

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Wenn das einzige Argument für die Durchsetzung eines Verbotes ist, dass es verboten ist, hat das Verbot einen inhärenten Rechtfertigungssmangel.

Der Grundsatz in einer freien Gesellschaft ist im Prinzip Art. 3 unseres Grundgesetzes: Verkürzt gesagt: Grundsätzlich ist alles erlaubt, es sei denn, es wird aus legitimen Gründen verboten. Wichtig ist hier das „legitim“. Verbote müssen gerechtfertigt werden, weil sie die Abweichung vom Normalfall der Erlaubnis sind. Daher: Es muss stets eine Rechtfertigung für ein Verbot geben - und diese muss verhältnismäßig sein.

Auf das Ordnungswidrigkeitenrecht bezogen bedeutet dies, dass die Grundsätze des Opportunitätsprinzips umso stärker gelten, desto weniger Rechtfertigung ein Verbot hat. Das Verbot z.B., als Fußgänger um 3 Uhr Nachts nicht über eine rote Ampel gehen zu dürfen, auch wenn weit und breit kein Auto zu sehen ist, ist nur über Allgemeinheitsklauseln zu rechtfertigen („Es ist halt IMMER verboten, bei Rot über die Ampel zu gehen“), weil im konkreten Fall keine Rechtfertigung vorliegt (keine Gefährdung des Verkehrs oder der öffentlichen Ordnung). Deshalb ist zu erwarten, dass ein Polizeibeamter, der dich als Fußgänger nachts um 3 über die rote Ampel gehen sieht, in aller Regel davon absehen wird, die volle Härte des Ordnungswidrigkeitenrechts anzuwenden (und dich i.d.R. maximal mündlich verwarnen wird). Und ich sage eben: Das ist auch gut so!

Die gleiche Logik gilt auch bei Motoradfahrern und Rettungsgassen. Die Polizei darf eingreifen und vor allem wenn der Motoradfahrer jemanden gefährdet oder gar die Rettungsgasse blockiert muss sie natürlich auch ein Bußgeld verhängen - da bin ich völlig bei dir. Aber die Forderung, man müsse stärker gegen Motoradfahrer vorgehen, die die Rettungsgasse missbrauchen, wenn diese keinerlei Schaden anrichten, quasi einfach nur weil es verboten ist und weil man sich als Autofahrer benachteiligt fühlt, halte ich für fragwürdig.

Ich sagen daher nicht, dass man Motorradfahrer nicht belangen sollte, wenn man sie zufällig die Rettungsgasse missbrauchend antrifft. Ich sage nur, dass ich dagegen bin, dass sowas „verstärkt kontrolliert werden sollte“, wie du es forderst, weil ich der Meinung bin, dass die begrenzte Ressource der Polizeiarbeitskraft an anderen Stellen wesentlich sinnvoller eingesetzt werden kann.

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Für die Polizei sehe ich schon, dass man das Verbot durchsetzt, solange es gesetzliche Vorgabe ist. Eine Wahl „ob oder ob nicht“ ist aus meiner Sicht Ungehorsam, wohlwissend das sich gesellschaftliche Entwicklungen auch auf diesem Ungehorsam verlassen konnten.

Dies unterstützt ja meine Argumentation: ausreichende Personalausstattung für Behörden, um ihren Aufgaben im Kleinen (Rettungsgasse, Baugenehmigungen) und im Großen (Cum-Ex, Tierhaltungsaufsicht, etc.) nachkommen zu können.

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Cum ex war doch kein personal problem.

Außerdem brauchen wir nicht noch mehr cops solange es bei denen keine reformen gibt.

Wir reden hier aber über Ordnungswidrigkeiten, und Ordnungswidrigkeiten sind gerade dadurch ausgezeichnet, dass die Polizei tatsächlich einen weiten Ermessensspielraum hat, ob sie eine Ordnungswidrigkeit ahndet oder nicht. (siehe Opportunitätsprinzip) Was du sagst ist im Bereich des Strafrechts, in dem das Legalitätsprinzip gilt, korrekt, aber eben nicht im Ordnungswidrigkeitenrecht.

Oder juristisch ausgedrückt: Siehe § 47 Ordnungswidrigkeitengesetz:

Es ist daher gerade nicht die gesetzliche Vorgabe, Ordnungswidrigkeiten immer und in jedem Fall scharf zu verfolgen, sondern dann, wenn es sinnvoll ist. Und nochmal: Ich fordere hier nicht, rettungsgassenausnutzende Motoradfahrer grundsätzlich nie zu bestrafen - ich stelle lediglich die Forderung in Frage, dass dies noch stärker als aktuell kontrolliert werden müsse, weil ich hier einfach keine hinreichend großes Gefahr der öffentlichen Ordnung sehe, welche die (Personal)Kosten für eine Verschärfung der Kontrollen rechtfertigen würde.

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Die da bitte konkret wären?

Der ein Instinkt ist. Bei einem vernunftbegabten Wesen sollte es aber Klick machen.

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Sollte da Art. 2 GG stehen? Art. 3 erscheint mir hier unpassend. Zum Inhalt:

Aber dennoch ist es bis zur Änderung/Aufhebung/Verwerfung durch das BVerfG geltendes Recht. Und ich bin auch der Meinung, dass das Opportunitätsprinzip gegenüber Autofahrern zu großzügig genutzt wird. M. E. braucht es auch keine neuen Gesetze, sondern endlich mal eine Durchsetzung geltenden Rechts. Gerade wenn man dann erlebt, dass man als Radfahrer angehalten wird und versucht wird zu erzählen, dass ein Kettenschutz vorgeschrieben sei, man es aber bei einer mündlichen Verwarnung belasse. Von diesen absurden Anekdoten gibt es einige.

Im Straßenverkehr dienen alle Einschränkungen der Sicherheit und Bändigung der der motorisierten Fortbewegung inhärenten Gefahr. Vor dem Hintergrund der aus Art 2 II GG folgenden Schutzpflicht kann man auch argumentieren, dass Vision Zero Leitlinie der Verkehrspolitik sein sollte, was deutlich mehr Einschränkungen und Verbote erfordert.

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Wie oben schon gesagt, Aktionswochen, Informationskampagnen usw.
Die Nicht-Bildung der Rettungsgasse liegt wie gesagt meiner Meinung nach nicht am Unwillen der Verkehrsteilnehmer, sondern an schlechter Informiertheit, daher: Es glaubt immer noch ein großer Teil der Bevölkerung, die Rettungsgasse müsse erst gebildet werden, wenn ein Einsatzfahrzeug durch will - und nicht schon präventiv. Das muss geändert werden - und das ändert man nicht durch Strafen, sondern durch Informieren.

Korrekt.

Der Abschnitt, auf den du hier antwortest, bezieht sich ausdrücklich nur auf Motorradfahrer.

Abgesehen davon, dass der Polizist hier falsch informiert war (Kettenschutz ist am Motorrad Pflicht, beim Fahrrad nur empfohlen): Argumentierst du hier jetzt gegen oder für „nur“ mündliche Verwarnungen gegenüber Radfahrern? Ich fände es definitiv nicht gut, wenn bei Radfahrern jedes Mal mit der vollen Härte der Ordnungswidrigkeitenrechts durchgegriffen würde.

Wie gesagt, alles, worauf du dich beziehst, bezieht sich auf einen spezifischen Sonderfall, der hier diskutiert wurde: Motorradfahrer, die die Rettungsgasse nutzen und dabei niemanden gefährden. Der Aufruf war, dass man dies stärker kontrollieren müsse, meine Gegenposition war, dass mir für diese „stärkere Kontrolle“ die Notwendigkeit fehlt. Deine Argumentation liest sich so, als hätte ich gegen die Ahndung von Rettungsgassenblockierern, die tatsächlich eine Gefahr schaffen, argumentiert.

Da würde ich tatsächlich grundsätzlich nicht mitgehen. „Zero Tolerance“ kann man argumentieren, wenn es um fundamentale Menschenrechte oder schwere Straftaten geht, aber nicht, wenn es um kleinere Ordnungswidrigkeiten geht. Gerade wenn diese „Zero Tolerance“ dann auch nicht-motorisierte Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger oder Radfahrer einschließt. Es muss wie immer eine Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben - man kann darüber diskutieren, dass diese aktuell nicht gewahrt ist, weil bei manchen Verstößen zu selten gehandelt wird und deshalb eine etwas striktere Verfolgung anmahnen, aber der Absolutheitsanspruch einer „Zero Tolerance“-Leitlinie ist wiederum unverhältnismäßig in die andere Richtung.

Es ist doch schon absurd: Der Konservative fordert eine striktere Durchsetzung des geltenden Rechts gegenüber unangemeldeten oder methodisch radikaleren Umweltschutz-Demonstrationen, während der Umweltschützer das gleiche gegen sich falsch verhaltende Autofahrer fordert. Und beide Seiten fühlen sich mit ihrem Punkt im Recht, während sie der anderen Seite Überreaktion vorwerfen würden…

Ich bin ja durchaus dafür, Falschparker und Rettungsgassenblockierer zu bestrafen - aber eben nicht mit einem Absolutheitsanspruch oder mit signifikant erhöhten personellen Mitteln.

Für die Frage, ob eine Ordnungswidrigkeit verfolg werden sollte, muss eben vieles beachtet werden:
a) Absichtliche Verstöße (Falschparken, Geschwindigkeitsüberschreitungen) sollten stets verfolgt werden, während man bei Verstößen aus Unwissenheit eher mit Informationskampagnen (Rettungsgasse präventiv bilden) oder mündlichen Verwarnungen (Fahranfänger macht einen Vorfahrt-Fehler) agieren sollte. Hier kann man durchaus auch mal Bußgelder verhängen (vor allem bei mangelnder Einsicht), aber etwas Nachsicht ist angebracht. Jeder macht Fehler.
b) Gefährliche Verstöße (Autofahrer fährt über Rot, Falschparker auf Radwegen, Rettungsgassenblockierer, die sich trotz nahendem Einsatzfahrzeug nicht bewegen) sollten stets verfolgt werden, ungefährliche Verstöße (Fußgänger geht nachts um 3 über Rot) zu verfolgen ist eher nicht verhältnismäßig, andere Fälle (der diskutierte Motorradfahrer, der die Rettungsgasse ausnutzt) sind irgendwo in der Mitte - sollte man wenn man es sieht bestrafen, aber es braucht sicherlich nicht mehr Kontrolle gegen diese spezifischen Fälle.

That’s all. Es geht mir schlicht um die Verhältnismäßigkeit.

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Woher weißt du, dass Sie niemanden gefährden? Sie blockieren die Rettungsgasse. Sie wissen nicht was den Stau verursacht. Bei einem schweren Unfall stehen Sie plötzlich trotzdem mitten in der Rettungsgasse wenn die gesamte Fahrbahn blockiert ist.

Wieso nicht beides? Ich sehe überall Hinweise zur Rettungsgasse. Wer es bis jetzt noch nicht mitbekomme hat muss eben auch mal geltendes Recht spüren. Autofahrer werden wirklich extrem geschont. Ich denke wen öfter Führerscheine eingezogen werden, tritt auch ein lernender Effekt ein. Die Kampagnen wurden zur Genüge gefahren.

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Wie gesagt, man könnte sogar argumentieren, das Motorradfahrer, die vor den Einsatzfahrzeugen die Rettungsgasse missbrauchen, Blockierer auf ihr Fehlverhalten aufmerksam machen. Und ein Motorrad kann man eigentlich im Notfall, wenn es wirklich komplett blockiert ist, immer noch irgendwo zwischen zwei Autos bekommen (im Zweifel quer). Also die Situation, dass ein Motorrad wirklich ein Hindernis in einer Rettungsgasse wird, halte ich für zumindest sehr unwahrscheinlich.

Leider sind aktuelle Studien schwer zu finden, aber laut diesem Bericht der Landesverkehrswacht NRW wussten 53% der Autofahrer überhaupt, dass es eine Pflicht zur Bildung von Rettungsgassen gibt und nur 36% der Führerscheininhaber wussten, wie eine Rettungsgasse auf einer dreispurigen Straße zu bilden ist.

Ich muss auch zugeben, dass ich vor dem ganzen Medienrummel um die Aktion in Berlin nicht wusste, dass eine Rettungsgasse präventiv zu bilden ist (zugegeben, ich bin die letzten 10 Jahre auch vielleicht 200 km Auto gefahren…). Und das, obwohl ich vor 15 Jahren selbst RTWs durch die Gegend gefahren hab (allerdings in einer Landkreis ohne strategisch sinnvoll nutzbare Autobahnen). Das ist daher nichts, was nur ungebildete Menschen betrifft. Jeder hier sollte sich fragen, ob er vor der kürzlichen Medienberichterstattung über das Thema wirklich immer, sobald der Verkehr nur noch in Schrittgeschwindigkeit lief, vorbildlich eine Rettungsgasse gebildet hat. Ich glaube selbst hier im Forum wird nicht annähernd jeder diese Frage mit „Ja“ beantworten können.

Vor diesem Hintergrund halte ich Information eben für wichtiger als Strafe. So gesehen war die Medienberichterstattung im Hinblick auf die Berlin-Aktion tatsächlich auch hilfreich, denn die hat sicherlich bei vielen für ein stärkeres Bewusstsein für die Rettungsgassen-Problematik geführt.

Der Führerscheinentzug ist keine Kleinigkeit - davon hängt in vielen Fällen tatsächlich die Fähigkeit ab, zur Arbeit zu kommen oder die Arbeit ausüben zu können. Führerscheinentzüge bei absichtlichem Fehlverhalten (z.B. krassen Geschwindigkeitsübertretungen) halte ich für absolut angemessen, aber Führerscheinentzüge wegen Nichtwissen (was es bei der Rettungsgassenproblematik m.E. meistens sein dürfte, wie gesagt, niemand profitiert davon, eine Rettungsgasse nicht zu bilden), daher wegen allzu menschlicher Fehler, halte ich nur in Ausnahmesituationen für vertretbar, also wenn wirklich eine grobe Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt oder sich eine deutliche, konkrete Gefahr verwirklicht hat.

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Da kann sich eigentlich keiner rausreden. Diese Kampagnen werden doch schon etliche Jahre gefahren.
B3 bringt mittlerweile regelmäßig bei den Verkehrsmeldungen die Ansagen „bitte Rettungsgasse bilden“.
An den Brücken die bei uns über die A3 führen hängen allenthalben die Plakate „bei Stau Rettungsgasse bilden“.
Wann soll denn nach ihrer Definition genügend Aufklärungsarbeit geleistet sein um dann endlich „geltendes Recht“ durchzusetzen?

Bei all ihrer Argumentation fehlt mir die Sichtweise der Opfer die ein Recht darauf haben schnellstmöglich Hilfe zu bekommen.
Edit
und die Sichtweise der Ersthelfer die hoffen dass sie von ihrer Verantwortung gegenüber den Verletzten durch die Profis abgelöst werden

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Weder noch. Ich wollte illustrieren, dass es nach meiner Erfahrung ein Ungleichgewicht bei der Anwendung des Opportunitätsprinzips gibt.

Du sprachst von der Legitimität von Verboten. Ich verstehe nicht, wieso sich das für Dich so liest. Ich habe dargelegt, warum alle Einschränkungen für motorisierte Fahrzeuge im Straßenverkehr legitim sind.

Da bin ich ganz bei Dir. Vision Zero ist etwas anderes als Zero Tolerance, es meint eine Ausrichtung der Verkehrspolitk an der Vision, dass es zero Verkehrstote gibt.

Ich seh das anders, da m. E. die Umweltschützer nicht zwingend gegen das Strafrecht verstoßen (Stichwort: Verwerflichkeit), wohingegen StVO-Verstöße klar Recht brechen. Und um erneute Missverständnisse zu vermeiden, ich meine das pauschal und nicht singulär auf den Motorradfahrer bezogen.

Deine Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit teile ich im Großen und Ganzen, ich stelle mir aber manchmal die Frage, ob nicht zumindest zeitweise eine strengere Kontrolle, vielleicht dann auch nur mit mündlichen Verwarnungen, angebracht ist, um das Bewusstsein zu schaffen, dass die StVO kein optionales Regelwerk ist. Das wurde auch hier ausführlich diskutiert.

Nichtwissen schützt vor Strafe nicht. Wie bereits von anderen angemerkt, es gibt viele und deutliche Hinweise, es grenzt also, sofern man nicht nie Auto fährt, an Ignoranz.

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Nur das es nicht um „Zero Tolerance“ geht, sondern um „Vision Zero“ will heißen null Verkehrstote.

Das ist ein gewaltiger Unterschied.

Und @reyma hat Recht, will man null Verkehrstote als Ziel muss sich so einiges ändern in DTL.

In Schweden ist die „Nollvision“ seit etlichen Jahren erklärtes Ziel.

Heißt Unfallrisiko durch bauliche Maßnahmen reduzieren, aber eben auch sämtliche Tempolimits immer wieder in Frage stellen.

Die Einführung führte übrigens zur Geschwindigkeitsbegrenzung 40 km/h innerorts :blush:

Das kann hervorragend funktionieren.
Ich hatte irgendwann mal eine Schwerpunktkontrolle Handynutzung.
Hat der nette Polizist so gesagt, nur dass sie mich nicht wegen Handy sondern wegen Licht rausgewunken haben. Da war dann auch nicht Mängelkarte und Verwarngeld sondern nur mündliche Ansage mit dem erhobenen Zeigefinger.

Wichtig fände ich aber auch eine ordentliche Berichterstattung über solche Aktionen wie eben jetzt dort und das nicht nur in der Lokalpresse.
Die vielen ausgesprochenen Fahrverbote sind deutlich mehr eine Warnung.

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Das ist keine kohärente Argumentation, siehe Unterschied Straftaten und Ordnungswidrigkeitenrecht. Ob die Straßen-Klebe-Aktionen Straftaten sind, darüber kann man tatsächlich im Hinblick auf die Verwerflichkeit streiten - aber sie sind in jedem Fall, ohne jeden Raum für Interpretationen, Ordnungswidrig (weil: gezielt nicht-angemeldete Demonstration).

Daher haben wir in beiden Fällen klare Ordnungswidrigkeiten und ich halte in beiden Bereichen die Forderung, alles knallhart zu verfolgen, für problematisch.

Erstmal generell: Doch. Als jemand, der lange genug Jura studiert hat, geht mir echt kein Spruch mehr auf die Nerven als dieser. Unwissen kann durchaus vor Strafe schützen (siehe Tatbestandsirrtum, unvermeidbarer Verbotsirrtum, Erlaubnistatbestandsirrtum u.v.m.). In welchen Fällen welches konkrete Unwissen vor Strafe schützt und in welchen Fällen nicht ist ein Schwerpunkt jeder zweiten strafrechtlichen Examensklausur… der Spruch „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“ ist genau so pauschal falsch wie der Spruch „Mitgefangen, Mitgehangen“ oder gar „Eltern haften für ihre Kinder“. Das sind alles Sprüche, die leider weit verbreitet sind, aber nichts mit der juristischen Realität zu tun haben.

Ich sage nur, dass man hier sehr vorsichtig sein muss, nicht von sich auf andere zu schließen. Wir sind hier vermutlich alle politisch interessierte Menschen, sonst würden wir hier nicht diskutieren. Wir haben einen anderen Wahrnehmungshorizont als große Teile der Bevölkerung. Die Studienlage ist leider wie gesagt relativ schlecht und vielleicht hat sich die Situation die letzten Jahre auch deutlich gebessert, aber die Zahlen, die ich oben von der Verkehrswacht NRW zitiert habe, deuten halt an, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung die Regelungen zur Rettungsgasse nicht kennt, dass ein großer Teil der Bevölkerung den Wissensstand hat, eine Rettungsgasse müsse erst gebildet werden, wenn ein Einsatzfahrzeug durch will… und wenn dem so ist, sage ich eben, dass noch stärkere Informationskampagnen wichtig sind. Persönliche Beispiele alá „Auf meinem Arbeitsweg an der A666 hängt an jeder Brüche ein Banner“ sind da kein Beleg.

Da bin ich auch absolut dafür. Das ist ja genau das, was ich sage, gerade im Stadtverkehr (der die meisten Todesopfer produziert) kann man hier viel über bauliche Maßnahmen oder generell autofreie Innenstädte machen und das ist i.d.R. sinnvoller, als „mehr oder stärker durchgesetzte“ Einzelverbote.

Wenn nun die Diskussion aber auf das Thema „Verkehrstote“ gelenkt werden soll ist auch wichtig anzumerken, dass 2020 nur knapp 10% der Verkehrstoten auf Autobahnen zu verzeichnen waren (und die Rettungsgassenproblematik wiederum davon nur einen winzig kleinen Bruchteil zu verantworten hat). Wenn es um die Verminderung von Verkehrstoten geht, wäre das Hauptziel tatsächlich, die Bereiche komplett autofrei zu bekommen, in denen Fußgänger und Radfahrer auf Autofahrer treffen: Die Städte.

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Das würde ich auch so sehen. Die letzten beiden Wochen bin ich ein paar hundert Kilometer Autobahn gefahren und habe keinen einzigen Hinweis gesehen. Heute bin ich über die A6 und die A7 gefahren. Da waren etliche Staus inclusive Vollsperrung. Nicht ein einziges Mal hat wer was von einer Rettungsgasse erzählt. Ist genau so evident wie „ hier und da…

Um den geht es ja bei der Unwissenheit und sofern mich meine Erinnerung an die Strafrechtsvorlesungen nicht vollständig täuscht, ist die Hürde für die Annahme der Unvermeidbarkeit sehr hoch. Da spielen dann nämlich die auch in NRW sehr verbreiteten Banner, die auf die Rettungsgasse hinweisen, eine Rolle.

Exakt, und genau deshalb sollten solche Aktionen und Kampagnen verstärkt gefahren werden.
Mag sein, dass das in NRW der Fall ist (ich bin wie gesagt kein Autofahrer, daher fehlt mir selbst hier in NRW der Überblick), aber es ist definitiv nicht überall in Deutschland der Fall.

Aber genau deshalb argumentiere ich eben für mehr Informationskampagnen und medienwirksame Aktionswochen, bevor wir das stumpfe Schwert des Ordnungswidrigkeitenrechts schärfen…

Für die juristisch interessierten:
Der klassische Lehrbuchfall dazu ist oft die Jagdwilderei. Daher: Autofahrer fährt Hase tot und denkt sich nichts böses dabei, sondern eher: „Cool, Abendessen!“. Er weiß nicht, dass das tatsächlich verboten ist („Jagdwilderei“).

Früher ging die Rechtsprechung von einem vermeidbaren Verbotsirrtum aus, die Rechtsprechung war daher ziemlich streng. Vermeidbar ist ein Verbotsirrtum dann, wenn dem Betroffenen zumindest hätten Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Handelns aufkommen hätten müssen.

Daher: Der Autofahrer hätte sich denke müssen: „Darf ich diesen Hasen jetzt wirklich mitnehmen?“.

Die neuere Rechtsprechung sieht das deutlich weniger streng. Während vor 50 Jahren, also vor allem in der Nachkriegszeit, das Thema Wilderei noch sehr präsent war, ist das heute oft nicht mehr der Fall. Es gab daher vermehrt Urteile, die von einem unvermeidbaren Verbotsirrtum ausgegangen sind, eben weil ein Verbotsirrtum nur vermeidbar ist, wenn das Verhalten zumindest Zweifel auslöst.

Zurück zum Rettungsgassenfall:

Jemand, der nicht weiß, dass es eine Pflicht zur Rettungsgassenbildung gibt, kann keinen Zweifel daran haben, dass sein konkretes Verhalten ordnungswidrig ist. Ordnungsrechtlich brauchen wir allerdings auch keinen Vorsatz, sondern alleine die Tatsache, der Verantwortliche für die Entstehung des Problems zu sein, genügt („Störerhaftung“). Aber gerade weil deshalb der Rahmen für eine Bestrafung unheimlich weit ist, ist es eben wichtig, nicht mit dem Vorschlaghammer zu agieren und stets maximale Bußgelder zu verhängen. Und genau deshalb sind mündliche Verwarnungen hier oft sinnvoller.

Bußgelder sollen auf der individuellen Ebene dazu dienen, die Wiederholung eines Verhaltens unwahrscheinlicher zu machen. Dieses Ziel kann auf individueller Ebene aber eben auch mit einer mündlichen Verwarnung (und Aufklärung über die Pflicht zur Bildung der Rettungsgasse) gleich gut oder sogar besser erreicht werden, wenn wir davon ausgehen, dass tatsächlich nahezu niemand „absichtlich“ eine Rettungsgasse blockiert (und davon gehe ich wie gesagt aus… sieht das jemand anders? Also glaube jemand, dass Leute die Rettungsgasse blockieren, weil sie zu faul sind, eine Rettungsgasse zu bilden?). Kurzum: Eine mündliche Verwarnung mit Aufklärung über die Rettungsgassenbildung ist vermutlich effektiver als eine z.B. über Dashcams aufgenommene Ordnungswidrigkeitenanzeige, die dann schriftlich als Bußgeld beim Betroffenen eingeht und bezahlt wird, dabei aber oft Fragezeichen hinterlässt.

Das strikte Verhängen von Bußgeldern ändert auf der kollektiven (also gesellschaftlichen) Ebene ebenfalls nichts. Allenfalls ändert es dann etwas, wenn darüber berichtet wird. Das erreichen wir aber nicht, indem wir bundesweit strikter Bußgelder verhängen, sondern vor allem, wenn wir konzentriert, in Zusammenarbeit mit den Medien, in Schwerpunkten Aktionswochen machen, über die dann z.B. im Radio berichtet wird.

Zur Sicherheit nochmal:
Ich sage nicht, dass bei Rettungsgassenverstößen nie Bußgelder verhängt werden sollten. Gerade wenn es zu einer konkreten Gefährdung kommt oder Leute uneinsichtig sind kann man hier natürlich auch satte Bußgelder verhängen. Ich bin nur gegen einen radikalen Automatismus, der die Gegebenheiten des Einzelfalls außer Acht lässt.

@Daniel_K, ich finde deine juristischen Einordnungen immer sehr gut, vor allem dass du auch immer die Gegenposition zu deiner und meistens hier mehrheitlichen Meinung sehr gut herausarbeitest. Hier habe ich aber den Eindruck, dass du dich ein wenig verbarrikadiert hast in deinem Verständnis für Rettungsgassenverweigerer.

Es ist doch so, dass jedes Autofahry eine volle Lizenz zum Führen einer gefährlichen Maschine hat. Da muss man doch erwarten können, dass alle Lizenzinhabys sich laufend um die geltenden, also auch um die neu hinzugekommenen Vorschriften kümmern, und sich nicht darauf zurückziehen können, dass es zum Zeitpunkt der Lizenzerteilung eine Vorschrift noch nicht gab. Ausserdem können sie nicht anführen, dass sie weder Zeitung lesen noch fernsehen oder Radio hören. Es besteht die absolute Pflicht, sich über die aktuellen Verkehrsregeln informiert zu halten, andernfalls sind Bussgelder zu gewärtigen.

Weil das Bilden einer Rettungsgasse potenziell lebensrettend ist, wäre ich hier für ein strenges Vorgehen. Kommunikation ist natürlich wichtig, aber wer bis jetzt noch nichts kapiert hat, sollte die Führerscheinprüfung noch einmal machen.

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Ich denke wir sind uns einig, dass das das Ziel aller Bemühungen ist. Da wollen wir hin.

Die Frage ist halt nur, wie wir dort am besten hinkommen.

Wie gesagt, das könnte man so viel besser diskutieren, wenn wir aktuelle Zahlen zu der Problemlage hätten (dh. aktuelle Studien, wie bekannt die Regelungen zur Rettungsgasse unter den Autofahrern sind). Wir halten das u.U. auch einfach für selbstverständlich, während das vor allem in der bildungsfernen Bevölkerung vielleicht eben nicht so selbstverständlich ist.

Striktes Verhängen von Bußgeldern wäre in dem Fall - böse gesagt - eine „Strafsteuer für die öfters uninformierte Unterschicht“, und das halte ich eben für nicht optimal.

Meine Position kommt vielleicht extremer rüber, als sie ist. Alles, was ich sage, ist halt, dass die Prioritätensetzung, um das oben genannte Ziel zu erreichen, sein sollte: „Erst Informieren, wenn das nicht hilft bestrafen“ - und nicht anders rum… ist das wirklich eine so schlechte Position?

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Nein, die Frage, die wir unterschiedlich beantworten ist wohl, ab wann genug informiert wurde und wie viel Eigenverantwortung den Verkehrsteilnehmern abverlangt werden kann.

Hinzu kommt m. E., dass man da auch eine pauschale Antwort finden muss, also so etwas wie: halbes Jahr Infokampagne mit Plakaten, Radiospots und Kontrollen ohne Folgen, dann Bußgelder. Denn dann kann keiner mehr sagen, er hätte es nicht gewusst.

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