Naja, das Rätsel kann denke ich leicht gelöst werden, wenn man etwas genauer hinschaut:
Für die Feuerwehr und die Rettungsdienste handelt es sich um eine nicht besonders formalisierte zusätzliche Arbeit, von der sie sich einen gesellschaftlichen Wandel erhofft, der sie direkt betrifft. Es ist relativ leicht, diese Anzeigen aufzugeben, der Arbeitsaufwand ist zu vernachlässigen und Feuerwehr- und Rettungsdienstleute haben im Dienst oft „Leerlauf“, wenn gerade kein Einsatz ist, sodass man solche Dinge problemlos ohne Beeinträchtigung der sonstigen Pflichten erledigen kann. Der Dienst ist eben von Bereitschaftszeiten geprägt…
Für die Polizei ist das Bearbeiten dieser Anzeigen hingegen ein hochgradig bürokratisierter Akt, es muss zumindest grob ermittelt werden (also jemand muss sich den Sachverhalt genau anschauen), es muss bewertet werden, ob ein Bußgeld erfolgreich verhängt werden kann, es müssen Einsprüche und Stellungnahmen zu Klagen bearbeitet werden und vieles mehr. Und das alles frisst tatsächliche Arbeitszeit bei Polizei und Ordnungsamt - und keine Bereitschaftszeiten. Wenn die Polizei in jedem Fall eine Anzeige aufnehmen würde, würden da vermutlich bundesweit Stundenumfänge von dutzenden zusätzlichen Vollzeitarbeitsplätzen anfallen. Das ist keine Kleinigkeit.
Kurzum:
Es ist für die (ohnehin chronisch eher überlasteten) Ordnungsbehörden ein erheblicher Mehraufwand, sodass die Polizisten sich im Alltag oft dazu entscheiden, die Sache nicht zu verfolgen - was sie übrigens auch dürfen, weil wir hier im Ordnungswidrigkeitenrecht sind und hier das Opportunitätsprinzip gilt, daher: Die Polizei darf, muss aber nicht handeln (im Gegensatz zu Straftaten, wo sie handeln muss).
Letztlich ist das eine Frage des politischen Willens - natürlich können die Innenminister auf Landesebene im Rahmen einer Dienstanweisung verlautbaren, dass das nicht-bilden einer Rettungsgasse wegen eines herausragenden öffentlichen Interesses immer strikt verfolgt werden soll. Oder das Nicht-Bilden der Rettungsgasse kann auf Bundesebene direkt zur Straftat erhoben würden, was ich aber für problematisch halten würde. Und die Polizeigewerkschaften würden dagegen natürlich Sturm laufen und mehr Personal fordern. Und die Polizei beschwert sich ja jetzt schon, dass sie nicht genügend Nachwuchs finden würde.
Wie immer sind die Dinge nicht so einfach, wie man sich das wünschen würde.
Die Frage, über die man streiten kann, ist natürlich, wie viel zusätzliche Arbeit langfristig wirklich anfallen würde, wenn man hier strikter handeln würde. Kurzum: Wenn man anfängt, jeden Rettungsgassenverzögerer anzuzeigen und eine bundesweite Informationskampagne dazu laufen lassen würde, wäre die Hoffnung natürlich, dass sich binnen weniger Monate die Situation grundsätzlich bessern würde und es kaum noch zu Verstößen kommen würde. Also dass die Rettungsgassenkultur in Deutschland dadurch einfach maßgeblich verbessert werden könnte. Mit diesem Argument könnte man ein härteres Durchgreifen natürlich vertreten - ob das aber so eintreten würde ist eben strittig. Mehr Kontrolle und mehr Strafe führt erfahrungsgemäß eben nicht zwangsläufig zu weniger Verstößen.
Und das ist auch ein wichtiger Punkt: Ich denke, so gut wie niemand blockiert absichtlich eine Rettungsgasse. Das sind halt verpeilte Leute und eine mangelnde Gewöhnung / Verkehrserziehung, die sich hier niederschlagen. Bevor wir es also mit „mehr Anzeigen“ oder gar einer „Bußgeld- oder Strafverschärfung“ versuchen, sollten wir vielleicht tatsächlich erst mal versuchen, mit groß angelegten Informationskampagnen und einer stärkeren Berücksichtigung in der Fahrschule die Situation zu verbessern.