LdN310 Klimaaktivisten auf der Autobahn

Ich glaube, man muss hier zwischen den Kritikern an diesen Aktionsformen unterscheiden zwischen

  • Kritikern aus Prinzip, daher Leute, die gegen die Klimaproteste allgemein sind und nun die Möglichkeit haben, eine Gruppe, die sich sehr radikal für den Klimaschutz einsetzt, populistisch auszuschlachten
  • Kritikern, die grundsätzlich voll hinter den Zielen der Klimaschutzbewegung stehen, aber eben nicht glauben, dass „radikalere Methoden“ zu „größeren Erfolgen“ führen.

Es ist halt nicht so schwarz-weiß, wie es manchmal hier rüber kommt - nach dem Motto: „Die Klimaschützer sind alle für die radikalen Proteste und jeder, der gegen die radikalen Protestformen ist, ist auch gegen den Klimaschutz“. Es hat ja letztlich auch einen Grund, warum die „Letzte Generation“ mit ihren Aktionen auch bei den Grünen (zumindest denen in hohen Ämtern) und bei kirchlichen Umweltschutzbündnissen eher unbeliebt sind. Dahinter steckt eben, dass nicht jeder glaubt, dass man mit radikaleren Aktionen mehr erreichen kann - manche glauben eben auch, dass diese radikalen Aktionen einen negativen Einfluss haben könnten, dass sie u.U. dazu führen, dass die AfD und CDU mit ihrem Populismus gegen diese Aktionen bei den nächsten Wahlen Erfolg haben könnten, was dem Umweltschutz sicherlich nicht zuträglich wäre.

Ich denke, wir sind uns einig, dass die radikalen Protest in jedem Fall eine offene Flanke für Kritik aus dem konservativen Milieu sind, dass sie in jedem Fall von Rechtsaußen genutzt werden, um damit Stimmung gegen die gesamte Umweltschutzbewegung zu machen. Und das sehen Leute wie z.B. Ich als großes Problem. Um diesen Nachteil auszugleichen, müssten die Proteste einiges bewirken - und das sehe ich aktuell einfach nicht. Im Gegenteil, das einzige Messbare, was diese Proteste aktuell bewirken, ist eine Zersplitterung der Umweltschutzbewegung in Befürworter und Gegner dieser Protestformen und Forderungen seitens der Politik (nicht nur von den üblichen Verdächtigen in CDU und AfD, sondern auch von manchen SPD-Politikern), die Protestierenden zu bestrafen oder gar die Strafgesetze zu verschärfen. Und das ist wirklich das aller letzte, was wir wollen.

Und das ist meine Motivation, warum ich mich gegen diese Protestformen ausspreche. Un in diesem Sinne gibt es die von dir genannte Dissonanz nicht wirklich.

Ja, da gebe ich dir Recht, die Wirkung von Sprache auf die Gesellschaft ist etwas, mit dem ich an anderer Stelle auch gerne argumentiere, daher muss ich das zur Einhaltung einer logischen Konsistenz meiner Argumentation auch hier stärker berücksichtigen. Ich werde zukünftig aufpassen, hier sprachlich genauer zu sein.

1 „Gefällt mir“

Vielleicht hinkt der Vergleich von @WachTraum doch nicht, wenn man es von der Seite des institutionalisierten Unrechts im Rechtsstaat betrachtet. Die Rassentrennung war Unrecht, wie du sagst. Wenn unsere Gesetzgebung es zulässt, dass ein gutes Leben in wenigen Jahrzehnten nicht mehr möglich ist (das sagt ja sogar das VG), dann ist das Unrecht. Um dieses Unrecht zu beseitigen, sind mE Mittel erlaubt und vermutlich notwendig, die in einem vollkommenen Rechtsstaat natürlich keine Berechtigung hätten.

Wenn seit 20 Jahren auf dem Sektor „vorausschauenden Lebensschutz“ hartnäckiges Staatsversagen unübersehbar ist, dann müssen mutige Bürgerinnen nach vorne gehen, auch wenn sie geltendes Recht brechen um untaugliches Recht zu überwinden (wie eben in der Bürgerechtsbewegung).

Haben die Leute, die jetzt den Fortschritt in dieser Frage blockieren (und immer schon blockiert haben), keine Angst vor „ihr habt es gewusst und nichts getan?“ Das erinnert doch stark an mögliche eigene Vorwürfe an die eigene Eltern-/Grosselterngeneration … Es ist eine seltsame Lähmung der Wahrnehmung, die die Beharrung wohl erst möglich macht.

Das stimmt. Aber die Vorkehrungen der Aktivisten, die Leute auf der ggf. nötigen Rettungsgasse nicht anzukleben, zeigen doch Umsicht, im Gegensatz zur Undiszipliniertheit/Rücksichtslosigkeit der Autofahrer, die genau die Rettungsgasse zumachen. Hier wird der Spiess umgedreht und in dieser Logik mit dem Mikroskop und somit ausschnittsweise auf die Sache geschaut. Alles was mit Auto zu tun hat, wird in DE gehätschelt bis zur Absurdität. Und viele Autofahrer leiten davon quasi ein Naturrecht ab.

M.E. treffen die Aktionen keineswegs „unschuldige, kleine Leute“. Ich kenne wenig Personen, die das Auto in einem Mass gebrauchen, das mit den Zielen einer Verkehrswende vereinbar wäre - und die würden mit der Aktion einverstanden sein, sogar wenn sie selbst in einen solchen Stau steckten. Mit den Übrigen trifft es schon die Richtigen. Abgesehen davon glaube ich, dass es gut aber nicht notwendig ist, genau die Verursacher zu treffen (die eh nicht wirklich zu unterscheiden sind bei allen Überschneidungen und Unschärfen und Wechselwirkungen). Die Provokation muss so gross sein, dass die Politik daran nicht mehr vorbeikommt. Insofern halte ich, wie schon einmal gesagt, Kunstwerke, die Heiligtümer einer kleinen selbstgefälligen, schlafwandelnden Elite, für ein geeignetes Ziel, Beschädigung und Zerstörung inbegriffen. Sollen sie doch keifen, vielleicht wachen sie davon auf.

3 „Gefällt mir“

Die extreme Polarisierung in der Gesellschaft und die Rolle der Medien haben mich nun dazu bewogen, mich der letzten Generation anzuschließen und sie zu unterstützen und mich dazu zu bekennen.

In einem bürgerlichen und wenig radikalen Umfeld.

Mir scheint, dass viele Kräfte bereit sind diese Gruppe zu opfern und einige ihren Schatten nutzen für eine zweifelhafte Agenda.

Die Jugend braucht Hilfe aus den älteren Generationen. Die Klimakatastrophe wird mir mein Leben nicht mehr streitig machen. Ich brauche nicht um mich bangen.

Doch der Jugend fehlt Expertise, Reife ihr fehlen Erfahrungen und sie benötigt Halt , sie benötigt Bodenhaftung und Würdigung.

Sie hat den Mut der Verzweiflung.

Es liegt an uns allen dies aufzunehmen, weiterzutragen und Sichtbarkeit zu gewährleisten.

Die jungen Menschen fühlen sich allein - und ehrlich gesagt, sie sind es doch.

Es ist unser aller Aufgabe, die Jugend nicht allein zu lassen. Und ja, Aktionen können näher diskutiert werden.
Aber alle Energie in Debatten um die Art und Weise gehen verloren. Der Sache verloren.

Vor uns steht eine verlorene Generation.

Wie gehen wir - die Erwachsenen- mit ihnen um ?

Werden wir sie strafen oder ihnen helfen?
Oder uns gar entschuldigen.

Ich hatte wirklich keine Ambitionen bisher Aktivistin zu sein. Ich habe bisher immer im Kleinen gewirkt, lokal, persönlich.

Jetzt ist meine Wut so gross. Ich stelle mich neben die Aktivist:innen und nutze meine Reichweite. Ok, ich bin nicht Joko und Klass, aber bürgerliche Mitte.

Viele Gedanken zur Form sind schon ausgetauscht. Und ich vertraue dem Rechtsstaat insofern als dass das Vorgehen wohl halbwegs im Rahmen ablaufen wird.

Die Sorge, dass die Konsequenzen zu lasch sein werden, muss man wohl eher nicht haben.

4 „Gefällt mir“

Der zentrale Unterschied ist eben die Tatsache, dass in Deutschland wirksame Demonstrationsformen (wie z.B. Fridays for Future, die einige Bewegung in der Politik erzeugt haben!) eben erlaubt sind.

Meine Meinung ist daher in dem Punkt:
Desto repressiver ein Staat ist, desto härtere Gesetzesverstöße sind zulässig. Wären (wirksame) Demonstrationen zum Klimaschutz in Deutschland nicht möglich, z.B. weil der Staat maßgebliche Verbote verfügt und repressive Bedingungen stellt (z.B. nur im Industriegebiet, wo sie niemand mitbekommt…), wären auch sehr viel radikalere Protestformen als die von „Letzte Generation“ vertretbar. In einer Diktatur sind sogar terroristische („Freiheitskämpfer“) Aktionen legitim, wenn diese nötig sind, um das repressive System zu beseitigen (Beispiel: Das Stauffenberg-Attentat) oder gewaltsame Proteste wie in Venezuela).

Das ist in Deutschland allerdings alles nicht der Fall - hier kann man wirksam demonstrieren. Juristisch betrachtet sehe ich einfach keinen Notstand, der eine Rechtfertigung für illegale Demonstrationen darstellen würde. Wären die illegalen Demonstrationsformen klar wirksam (wie z.B. die Anti-Castor-Demonstrationen, welche die Kosten der Castortransporte extrem in die Höhe getrieben und damit wirtschaftlich sinnlos gemacht haben) könnte man hier zu einer anderen Abwägung kommen, aber zu dem Ergebnis komme ich halt nicht.

Wie gesagt, es geht immer um Abwägungen. Auch du würdest doch zustimmen, dass es eine Grenze des Erlaubten gibt, daher: auch wenn du einen akuten Notstand wegen politischer Blockade notwendiger Klimaschutzmaßnahmen annimmst gibt es doch einen Punkt, an dem auch du sagen würdest: Das geht zu weit. Für dich liegt diese Grenze vermutlich bei akuten Personenschäden, für mich liegt sie schlicht eine Stufe niedriger: Wenn eine unverhältnismäßige, nicht zielgerichtete Disruption stattfindet.

Irgendwo muss halt eine Grenze gesetzt werden - und das ist halt der Punkt, an dem die Konservativen immer den unsäglichen Teufel einer neuen RAF an die Wand malen. Das ist eine Position, die ich zum Kotzen finde, aber ich kann verstehen, woher die Angst kommt. Denn wenn der Staat die aktuellen Aktionen toleriert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie zur Normalität werden und einige Aktivisten eine Steigerung suchen könnten (z.B. einen Flughafen stürmen und das Flugfeld besetzen…). Und irgendwann würde diese Spirale sich zu weit drehen. Daher kann ich verstehen, dass man irgendwo klare Grenzen ziehen will.

Meine Position ist daher:
Ziviler Ungehorsam in Form von passiver Gewalt (z.B. die klassische Sitzblockade mit Einhaken) ist absolut legitim.
Ein Festkleben auf der Straße ist dann legitim, wenn es zielgerichtet gegen die Regierung stattfindet (z.B. vor der Einfahrt eines Ministeriums), ähnlich wie das Anketten auf den Gleisen beim Castortransport.

Versuche hingegen, das Straßennetz lahmzulegen um des Straßennetz lahmzulegens - also nicht als indirekte Folge, sondern als Absicht - gehen mir persönlich zu weit. Abseilaktionen auf der Autobahn wegen den damit verbundenen Gefahren auch…

Wie gesagt, da ziehe ich meine Grenzen - andere werden die Grenzen bei anderer Einschätzung von Nutzen und Schaden vermutlich anders ziehen, und das ist auch okay. Aber irgendwie sagt niemand außer mir, wo er seine Grenzen ziehen würde - denn diese Frage zu beantworten ist ziemlich unangenehm, weil man sich dazu im Detail mit Abwägungen beschäftigen muss.

1 „Gefällt mir“

Ja, aber bei der ersten gruppe entsteht die dissonanz meisten auch nicht weil sie einfach den Stand der Klimaforschung ignorieren oder nicht glauben. Die Dissonanz entsteht ja gerade da wo man die ziele teilt.

Man diskutiert halt nicht in einem Vakuum. Klar das Forum hier als raum ist auch auch eher links liberal also fängt man sich hier schlimmstenfalls den ein oder anderen Boomer ein. Trotzdem ist halt die Frage der Einordnung der eigenen Position wichtig und die laute Stille zur Frage der Verhältnismäßigkeit der Reaktion auf den Protest ist durchaus zu hören. Das in Verbindung mit dem Beharren auf der Anmeldung lässt eine gewisse Tendenz erkennen die mag unbeabsichtigt sein oder nicht lässt aber ein gewissen Spielraum in eine Richtung und begrenzt diesen jedoch sehr strickt in die andere.

Bei der SPD und FDP sucht man doch eher nach gründen um die Gruppen zu deligitimieren damit man wieder zurück zu seinem green(washing) growth kann. Auch bei südwestgrünen könnte ich mir vorstellen dass man das gerne aufnimmt. Die Protestierenden werden auch so schon als störenfriede gesehen. Symbolisiert durch den Nazivergleich von Scholz.

3 „Gefällt mir“

Ich kann Deinen Ansatz nachvollziehen, aber muss es immer eine vorab definierte Grenze geben? Das funktioniert m. E. nicht, da all die Abwägungen ohne konkreten Fall schnell in ein Konstrukt von Eventualitäten führen, dass schwerlich auf eine leicht anders gelagerte Realität übertragbar sein dürfte. Deswegen funktioniert unsere Rechtsordnung ja auch anders und schafft einen abstrakten Rahmen unter den konkrete Einzelfälle subsumiert werden. Das halte ich für den sinnvolleren Ansatz.

Wenn es Dir darum geht, konkrete Beispiele zu nennen, wo Grenzen überschritten sind, dann kann ich das beantworten, für mich ist es nicht mehr in Ordnung, wenn Autos, weil sie CO₂ ausstoßen, komplett zerstört oder gar angezündet werden. Ich habe aber schon Schwierigkeiten, das auf Sachbeschädigung als Grenze des m. E. legitimen Handelns zu abstrahieren, da ich kein Problem sehe, wenn Absperrungen niedergerissen werden, wie es in Hamburg der Fall war. Details hier

Prinzipiell sind hier ja viele verschiedene und durchaus sinnvolle Punkte von beiden Seiten. Was mich aber nicht los lässt, ist der teilweise lächerliche Umgang dieser Hardliner mit den rechten Corona-Leugner Demos, besonders mit den unangemeldeten Spaziergängen. Was wurde das unter den Teppich gekehrt und um Verständnis für Rechte und Pandemietreiber geworben. Die Klimaaktivisten haben wenigstens ein ehrbares Ziel. Vielleicht müssen Sie nur sagen, dass Sie spazieren gehen und plötzlich auf der Straße einen schlimmen Krampf hatten, dann ist es wieder in Ordnung? Die Ironie musste hier mal sein bei so viel Scheinheiligkeit aus der Politik.

4 „Gefällt mir“

Kann man das wirklich?

Was hat FFF wirklich erreicht in den politischen Entscheidungen?

Und hat man nicht auch von konservativer Seite versucht die Bewegung zu diskreditieren?

Auch ist es deutlich schwieriger allenthalben solche Massen auf die Straße zu bekommen (mit vergleichsweise wenig Durchschlag) um dieselbe Aufmerksamkeit zu erzeugen wie jetzt die Autobahnkleber bekommen.

3 „Gefällt mir“

@Tris da kann ich nur zustimmen, wie sehr der Umgang mancher Politiker und Behörden(mitarbeiter) mit verschiedensten Situation davon abhängt, wie die Beteiligten sich in der Situation politisch positionieren. Das ist aus meiner Sicht eine allgemeine Frage von Debattenkultur, wenn Dich das interessiert, könnte dieser Thread für Dich interessant sein.

1 „Gefällt mir“

Diese Doppelmoral - und die gibt es hier definitiv - hat schlicht mit der politischen Zielsetzung zu tun.

Einige Grüne haben z.B. im Hinblick auf die „Corona-Spaziergänge“, daher unangemeldete Demonstrationen im Bezug auf Corona, durchaus gefordert, dass der Staat hier härter durchgreifen solle, daher das Verstöße auch sanktioniert werden. Beispiele hier und hier, im zweiten Beispiel wurden sogar massive Repressionen gefordert…)

Das wird auch beim Thema Nazi-Demos klar. Wenn die Nazis sich nicht penibel an die Auflagen halten, wird natürlich - mit Recht - von der Gegenseite sofort gefordert, dass die Demonstration beendet werden soll. Und wenn eine nicht angemeldete Nazi-Demo von den Ordnungsbehörden nicht sofort gestoppt wird, ist die Empörung groß, wie zuletzt z.B. in Dortmund. Teilweise die gleichen Leute fordern dann aber, dass Demonstrationen für das eigene Anliegen auch unangemeldet und auch bei Verstößen gegen Auflagen nicht sanktioniert werden sollen - und begründet das mit der moralischen Überlegenheit des eigenen Standpunktes.

Das Problem mit dieser Argumentation ist aber eben, dass moralische Standpunkte nicht objektiv messbar sind. Auch wenn wir hier alle natürlich der Meinung sind, dass der Umweltschutz ein wertvollerer Standpunkt ist als z.B. die Ablehnung von Corona-Einschränkungen oder gar rechtsextreme Politikvorstellungen, muss man verstehen, dass das im konservativen Spektrum teilweise genau umgekehrt gesehen wird.

Ein Rechtstaat darf hier - wenn überhaupt - nur sehr begrenzte Wertungen vornehmen, denn in dem Moment, in dem ein Rechtstaat Demonstrationen nach „Wertigkeit“ kategorisiert, ist das Demonstrationsrecht schon irreparabel beschädigt. Denn das ist letztlich genau das, was wir in Diktaturen oder Autokratien beobachten - dass nur Demonstrationen zugelassen werden, deren Themen aus Sicht der Staatsführung zulässig sind.

Und so haben wir diese absurde Situation, in der manche CDU-Politiker Verständnis für die Corona-Spaziergänge signalisiert haben und nun ein striktes Vorgehen gegen die Klimaproteste fordern, während gleichzeitig manche Grünen-Politiker Verständnis für die radikaleren Klimaproteste signalisieren, aber ein striktes Vorgehen gegen die Corona-Spaziergänge gefordert haben… weil beide Seiten nur ihre Agenda pushen und es beiden Seiten nicht um die Einhaltung „des Rechts“ geht, sondern darum, dass „das Recht“ im Idealfall die eigene Seite unterstützen und die andere Seite verbieten soll.

Und deshalb ist es mir so wichtig, in diesem Forum meine juristischen Standpunkt von meiner persönlichen Meinung zu trennen und genau diesen Fehler nicht zu machen, also die juristische Meinung nicht nach meinen politischen Vorlieben zu bilden. Wenn ich die Frage beantworte, ob eine Aktionsform zulässig ist, muss die Antwort auf diese Frage auch dann „korrekt“ sein, wenn z.B. Rechtsextreme diese Aktionsformen nutzen würden. Daher: Würden wir auch wenn Rechtsextreme sich auf die Straße kleben oder mit ihren Parolen von Autobahnschildern abseilen sagen: „Das ist doch ein völlig legitimer Protest!“ - oder würden wir sagen: „Warum schreitet der Staat da nicht ein!“. Wenn die Antwort letzteres ist, muss es schon verdammt gute Rechtfertigungsgründe geben, warum man beides unterschiedlich bewertet…

7 „Gefällt mir“

Die Frage ist durchaus berechtigt, nur dass du damit quasi sofort die Wirksamkeit von Demonstrationen selbst in Frage stellst.

Und es ist ja auch durchaus gerechtfertigt diese Aktionsform mit dem Rechtsstaat zu bekämpfen, schon allein wegen der Frage die du stellst.

Aber: wann hat man mal gesehen dass eine Demonstration Rechtsextremer mittels Schmerzgriffen aufgelöst wurde, obwohl besagte Rechtsextreme keinerlei Widerstand leisten?

Oder schonmal davon gelesen, dass Rechtsextreme im Vorfeld (oder direkt im Anschluss ihrer Aktion) vorsorglich für 30 Tage weggesperrt werden, „damit sie keine weiteren Straftaten begehen können“ obwohl noch nichtmal klar ist ob ihre Aktion eine Straftat war?

Das ist der entscheidende Punkt an dem der Rechtsstaat und die Politik momentan absolutes Versagen an den Tag legen.

5 „Gefällt mir“

Absolut, das Problem ist hier eben vor allem, dass die Polizei eine systemimmanent konservative Einrichtung ist, in der konservative Denkrichtungen strikt dominieren und daher für rechte Anliegen eher Verständnis aufgebracht wird als für linke. Und das ist in der Tat ein riesiges Problem, welches nur ausgesprochen schwierig zu lösen ist, vor allem von der Politik. Wenn dann noch Leute wie Seehofer als damaliger Innenminister klare wissenschaftliche Untersuchungen von Einstellungsmustern und Fehlverhalten der Polizei blockieren, hat die Politik natürlich eine Mitschuld.

Da frage ich mich tatsächlich gerade, was daraus geworden ist. Nun, wo die SPD das Innenministerium hat, könnte man derartige Untersuchungen ja tatsächlich mal mit Volldampf vorantreiben und hoffen, dass die Ergebnisse vorliegen, bevor wieder die CDU das Innenministerium hat und die Ergebnisse in den Giftschrank packt…

Kurzum: Ich bin wirklich der letzte, der hier sagen würde, dass es keine Probleme gäbe - das fließt durchaus in meine Abwägungen ein. Aber es ist halt auch nur ein Aspekt der Abwägungen. Das Problem in der Diskussion - und das ist der typische Kardinalfehler in der Diskurstheorie - ist, dass wenn man ein bestimmtes Ergebnis rechtfertigen will, man natürlich die Argumente, die für die eigene Position sprechen, maßgeblich höher bewertet und die Argumente, die gegen die eigene Position sprechen, wenn man sie überhaupt akzeptiert, marginalisiert. Es ist die typische Verzerrung der Gewichte von Argumenten entsprechend der eigenen Vorlieben. Davon kann ich mich auch nicht frei sprechen (das kann niemand!), aber ich versuche wirklich mein Bestes, mir meiner Biases bewusst zu sein. Und deshalb vertrete ich hier auch so oft Rechtsauffassungen, die nicht Deckungsgleich mit meinen eigenen politischen Meinungen sind. Zu sagen: „Ich bin für mehr Umweltschutz und deshalb solidarisiere ich mich mit der Letzten Generation und kritisiere ihre Aktionen nicht“ wäre eben der „easy way out“.

1 „Gefällt mir“

Yay Bias Bingo, dass kann ich umdrehen dein inhärenter Bias Richtung staatlicher Institutionen als garant gegen das Chaos führt zu einem rechtspositivismus welcher jeden der sich nicht exakt an die Regeln hält zu einer Projektionsfläche für eben jenes Chaos macht. Dabei wird die notwendige Rolle der Exekutive verabsolutiert und die Frage des materiellen Rechts tritt in den Hintergrund.
Den Bias den du meinst gibt es zwar immer aber ich sehe hier nicht dass dieser sich extrem ausdrückt. Die Gegenstimmen teilen vor allem nicht deine Vorstellung der Fragilität der Ordnung und sich daraus ergebenden Notwendigkeit einer striken strikten Durchsetzung einer formalen Anmeldung, gerade auch da diese inhärent einen gewissen Konflikt hat mit dem unterliegenden materiellen Recht, der zumindest argumentativ eine gewisse ambiguität zulässt.

Der Doppelstandard verweis passt nicht so ganz. Ich weiß das Verwaltungen gerne formalia nutzen, um das unterliegende Problem rechter Demos ignorieren zu können. Aber von linker Seite wird meist nur auf die Doppelstandards zw linken und rechten Demos verwiesen, wie problematisch welche Demos gesehen und welche demos entsprechend nicht zugelassen oder aufgelöst werden etc. Die grundsätzliche Kritik an rechten Demos spielt auf deren inhärent verfassungsfeindliche, gewältige Problematik an. Aufgrund der zentralen Rolle von staatskritik und insbesondere bürgerlich-liberaler Rechtsordnung würde es mich auch sehr wundern wenn von linker Seite rechte Demos kritisiert werden, weil sie nicht angemeldet sind aus dem Grund dass sie nicht angemeldet sind. Bei liberalen bzw. links liberalen sieht dass sicherlich anders aus. Auch wenn ich auch hier meistens die bereits genannten Positionen sehe.

Btw der Bias wäre stärker, wenn Leute alles rechtfertigen würden aufgrund der bestehenden bedrohungslage durch den Klimawandel. Das sehe ich aber kaum hier im Thread. Dabei könnte man aufgrund der faktischen Bedrohungslage durch den Klimawandel durchaus argumentieren, dass der Kampf gegen diesen die Ordnungsvorstellung weitestgehend aushebelt. Dabei würde man dir dann aufgrund mangelnder Problemwahrnehmung und der normativen Überspitzung der Ordnung einen normalcy Bias vorwerfen. Ist zwar nicht meine Position aber keine völlig irrationale Position

2 „Gefällt mir“

Diese Auffassung teile ich nicht und möchte deutlich widersprechen: m. E. kommt es nicht nur auf die Frage an, ob eine Beeinträchtigung vorliegt, sondern es geht um die Abwägung der Versammlungsfreiheit der Demonstrierenden und die entgegenstehenden Rechte Dritter. Unabhängig davon, ob man die Aktion der Letzten Generation danach für zulässig hält oder nicht, fließen auf deren Seite Art. 20a GG und das Recht künftiger Generationen auf Klimaschutz durch die Regierenden ein (grob zusammengefasst, ich finde gerade die konkrete Formulierung des BVErfG nicht) in die Abwägung ein. Bei einer Versammlung von Rechtsextremen fließt die Wertung des GG als Gegenentwurf zum Nationalsozialismus als Malus ein, wenn man deren Rechte mit denen Dritter abwägt. Ja, es ist wichtig juristische und politische Standpunkte zu trennen, aber viele Debatten und auch Urteile zeigen, dass es nicht die eine juristisch richtige Antwort gibt. Es kommt immer auf den Einzelfall an, der unter die Abstrakt generellen Regeln subsumiert wird.

1 „Gefällt mir“

Vielleicht waren Nazidemos ein schlechtes Beispiel, weil es zu viele valide, spezifische Gegenargumente zulässt. Nehmen wir mal Dinge, die nicht klar verfassungswidrig sind:

Würdest du die Aktionsformen in Ordnung finden, wenn z.B. Menschen, die generell gegen Schwangerschaftsabbrüche sind (und sich dabei auf Art. 2 Abs. 2 GG („Recht auf Leben“) und die allgemeine Menschenwürde beziehen), diese Aktionsformen anwenden würden, weil aus deren Sicht jeden Tag in Deutschland 280 „Menschen getötet“ werden, der Gesetzgeber dagegen nichts tut und deshalb ein rechtfertigender Notstand für radikale Maßnahmen besteht.

Ich würde hier ebenfalls ganz klar sagen, dass diese radikalen Aktionsformen problematisch sind, ebenso wie bei der letzten Generation (auch wenn ich das Anliegen letzterer teile und das Anliegen der Schwangerschaftsabbruchgegner ablehne!).

Natürlich sehen wir als eher progressive Menschen die Sache anders und bewerten z.B. die Rechte der Frauen, über ihren Körper zu entscheiden, höher als das Recht auf Leben des ungeborenen Lebens. Ebenso wie Konservative tendenziell dazu neigen, den Klimawandel zu verharmlosen und die Bedeutung der öffentlichen Ordnung zu überhöhen. Das sind alles Fragen der persönlichen Gewichtung.

In einer Demokratie sollte die Lösung der Klimakrise im Idealfall auf demokratischem Wege gefunden werden, daher: Wenn das Volk will, dass die Regierung stärker für Umweltschutz eintritt, muss es sich in den Parteien engagieren und dieses Ziel auf die Agenda setzen, muss es Parteien wählen, die diese Ziele ernst nehmen und - zumindest grob im Rahmen der Gesetze - durch Demonstrationen auf die Problematik aufmerksam machen (wie z.B. Fridays for Future, die zwar auch Ordnungsrecht brechen (im Hinblick auf die Schulpflicht), dies aber eben verhältnismäßig und zweckmäßig ist, um große Demonstrationen auf die Beine zu stellen…). Wenn jeder sich das Recht herausnimmt, sein Anliegen durch radikalen Protest außerparlamentarisch durchsetzen zu dürfen, wird uns das früher oder später auf die Füße fallen. Wenn wir diese Protestformen jetzt bei der Letzten Generation akzeptieren, werden auch andere diese Protestformen in Zukunft nutzen.

Ein Abweichen davon akzeptiere ich ja durchaus (siehe Anti-Castor-Proteste, APO in den 68ern usw.), aber das sollte eben die Ausnahme sein und nicht der Regelfall. Und als Bedingung für diese Ausnahme setze ich für mich, dass die Aktionsformen direkt das Ziel ihres Protestes angreifen, ohne dieses Ziel zu weit zu fassen (kurzum: Wenn man gegen Nestle protestieren will, soll man Nestle-Produktionsorte angreifen und nicht jeden Bürger, der Nestle-Produkte kauft. Wenn man gegen den Automobilverkehr protestieren will sollte man das Verkehrsministerium oder die Automobilkonzerne angreifen, nicht jeden Autofahrer…). That’s all.

Und wie oben schon gesagt sehe ich einfach die Gefahr, dass diese radikalen Proteste mehr Schaden für den Klimaschutz anrichten, als sie nutzen. Denn wie gesagt: Langfristige Änderungen können in einer Demokratie nur durch die Politik erfolgen und die richtet sich nach Wahlergebnissen. Wenn man jetzt zu viele Menschen gegen sich aufbringt und den Konservativen offene Flanken für ihren Populismus bietet, um anhand der radikalen Proteste die gesamte Klimaschutzbewegung zu diskreditieren, tun wir der Sache einfach keinen Gefallen.

Wie gesagt, ich sehe ein, dass die Klimaaktivisten - wie ihr Name schon andeutet („Letzte Generation“) - verzweifelt sind ob der massiven Folgen, die der Klimawandel haben wird. Und ich verstehe auch, dass vor diesem Hintergrund immer radikalere Protestformen erwogen und gerechtfertigt werden. Aber ich bezweifle eben, dass dieser aus der Not geborene Ansatz zu den richtigen Ergebnissen führen wird… ich sehe halt eher, wie diese radikalen Proteste die Fronten verhärten und eine klare Lagerbildung entsteht, die an das politische System der USA erinnert. Und das finde ich nicht hilfreich.

2 „Gefällt mir“

Peak enlighted centrism…

Die Gleichsetzung von Abtreibungsgegener mit Kliamaktivisten passt einfach nicht. Das eine ist bestenfalls ne normative Vorstellung und das andere eine wissenschaftliche Tatsache. Das verändert schon mal die Frage der Legitimität und natürlich sind auch normative Positionen nicht einfach in einer form angeblicher neutralität einfach gegenüber zu stellen. Blindstellen/biases zu erkennen und Reflexion zu betreiben funktioniert nicht über eine angeblich normative Blindheit.
Und die besondere Betonung der Ordnung ist je nach Ausprägung entweder direkt eine normative oder hat zumindest eine unterliegende normative Kategorie.

In die Politik bedeutet in Deutschland Ochsentour und Anpassung. Die Ochsentour sieht man am besten, wenn man sich anschaut wie aus linken jusos neo liberale politiker werden oder wie die linken die grünen verlassen haben. Eine neue Partei zu Gründen ist mit der 5 prozent hürde fast unmöglich sofern du nicht Politiker aus altparteien hast die wechseln. Jenseits der Frage ob es nicht vielleicht irgendwie doch funktionieren könnte, ist die zeit die es dafür braucht viel zulange um das jetzige Problem zu lösen.

Politik ist immer auch hegemoniekampf, die rechten haben das verstanden. Aber Hegemonie ist nicht einfach der Zwang des besseren Arguments. Wenn eine Debatte nicht führen bzw nur eingeschränkt führen kannst musste die Debatte erstmal herbeiführen und das ist der gedanke der Proteste. Leute dazu zu bringen darüber zu diskutieren und dann kannste die Leute überzeugen. Leider muss man dass außerhalb von staat und Leitmedien machen, weil die sich entweder für das Thema nicht interessieren oder Stmmungsmache betreiben. Btw ich finde es einen schönen Nebeneffektdas es nochmal aufzeigt wie reaktionär eigentlich die Innenministerin ist nach dem man vorher noch so optimistisch war. Ich dachte wir hätten aus AfD, trump etc gelernt wie Hegemoniekämpfe ablaufen, dem scheint aber nicht so zu sein. Zu mal das Prinzip von Hegemoniekämpfen seit Jahrzenten mittlerweile ein wenn nicht das zentrale Konzept linker Theorie ist.

2 „Gefällt mir“

Es war keine Gleichsetzung, sondern ein Vergleich.

Wie gesagt, mit dieser Argumentation kann man jede Art des Widerstandes gegen jedes System rechtfertigen. Da gehe ich halt einfach nicht mit.

1 „Gefällt mir“

Oh nein hab das Vergleich/Gleichsetzung meme getriggert.

klar kann man dass immer sagen, stimmt halt nur nicht immer. Also stellt sich hier die Frage ob du den Zeitrahmen des Klimawandels infragestellst oder ob du glaubst dass system ist kurzfristig anpassungsfähig?

Ich schließe diesen Thread jetzt, denn die politischen Standpunkte scheinen erschöpfend ausgetauscht. Ein allgemeiner Hinweis, der für hier aber auch für das Forum insgesamt gilt: Juristische Erläuterungen müssen auf juristischer Fachkompetenz beruhen, sonst führen sie Debatten auf Abwege.

Die Diskussion kann aktuell hier weitergeführt werden: