LdN 384 - Umverteilung: Geht die Schere wirklich auseinander?

Im Umkehrschluss aber auch: Wem der angebotene Lohn zu niedrig ist, wird nicht dort arbeiten. Wril es der Arbeitsmarkt aktuell hergibt, die Wahl zu haben. Dann bleibt die Stelle ggf unbesetzt, oder der Arbeitgeber muss das Lohnangebot erhöhen, wenn diese Tätigkeit relevant ist.

Ich denke schon, dass es ein wenig so ist. Aber wie heißt es immer: Der Abstand ist zu gering.
Ich denke, viele arbeiten auch, weil Arbeit nicht nur Einkommen bedeutet, sondern auch eine Frage von Selbstwert und Kontakt.

Das habe ich tatsächlich schon öfter gehört. Gibt es dafür Beispiele und was würde das konkret ausmachen? Intuitiv hätte ich nämlich gedacht, dass die Gewinnmargen in den betroffenen Branchen in einem Bereich liegen, in dem sie nicht eine Mindestlohn-Erhöhung in der Größenordnung über die wir sprechen finanzieren könnten. Ich lasse mich aber gerne eines Besseren belehren wenn jemand Zahlen hat.

Das impliziert, dass Arbeitgeber Arbeitnehmer unter allen (Lohn)bedingungen einstellen würden. Das ist faktisch falsch. Wenn die Einstellung eines Arbeitnehmers dazu führt, dass der Arbeitgeber draufzahlt, wird er sich genau überlegen, ob das tun wird. Eher nicht.

Hier argumentierst Du gegen meine angebliche „Ideologie“, aber nicht in der Sache.

Nein, noch mal: Es ist eine Win-Win-Lösung:

Genau das wurde gemacht, bis man sich für das Aufstocken entschieden. hat. Weil es den Staat Arbeitslosenunterstützung in erheblichem Umfang einspart.

Dem Argument mache ich mich ausdrücklich nicht gemein.

Nun, die Wahrheit wird wohl irgendwo dazwischen liegen. In der Logistik z.B. (z.B. Spedition, Lager) sind die Margen so erbärmlich schlecht, dass eigentlich viele Mittelständler ihren Laden besser schließen und das Geld lieber Rentenpapiere anlegen sollten. Amazon dagegen verdient sich aufgrund ihrer sensationell optimierten Geschäftsprozesse eine goldene Nase und profitiert von den niedrigen Lohnkonditionen in dieser Branche.

Eine Erhöhung des Mindestlohns auf 14 Euro würde auch Branchen betreffen, die aktuell zwischen 12 und 14 Euro liegen. Beispiele hier https://www.merkur.de/leben/karriere/branchen-praktikum-dachdecker-verguetung-mindestlohn-gehalt-karriere-pflege-lohn-zr-92223565.html
Außerdem steigen mit dem Mindestlohn normalerweise auch weitere niedrige Löhne.

Weitere Beispiele: Paketzusteller https://vorwaerts.de/artikel/paketzusteller-12-euro-mindestlohn-weg-ebnete
https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-wer-profitiert-von-12-euro-mindestlohn-neue-studie-zeigt-die-50-berufe-35515.htm

Wenn ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter:innen nicht so bezahlen kann, dass sie davon leben können, stimmt etwas am Konzept nicht.

Da u.a. die hohen Mieten zu den Geldsorgen führen, wäre es natürlich auch eine Möglichkeit, dass es viel mehr Sozialwohnungen gäbe, um die Mietpreise zu senken. Eine Immobilienbranche, die von der Wohnungsnot profitiert, hat kein Interesse, mehr Wohnungen zu bauen…

Amazon zahlt als Einstieg 14€

https://www.aboutamazon.de/news/logistik-und-zustellung/amazon-erhoeht-den-einstiegslohn-fuer-logistik-mitarbeiter-innen-in-deutschland-auf-14-euro-und-aufwaerts

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Die Situation ist heute eine andere und der Arbeitskräftemangel wird sich weiter verschlechtern.
Schon vergessen, wie Flughäfen in Bedrängnis kamen und nach Arbeitskräften gerufen wurde, die bei der Abfertigung helfen konnten?

Ich erlaube mir zu wiederholen:

Winwin? Würde ich bezweifeln und gern mal Mindestlohnempfänger und andere Geringverdiener fragen, die Aufstocken müssen.

https://twitter.com/MFratzscher/status/1724813916063027472

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Im Putzgewerbe sind 20€ mittlerweile üblich. Leiharbeitsfirmen holen sich aber gerne EU-Bürger, um die dann zum Mindestlohn zu beschäftigen und die Marktpreise zu unterbieten. Auch städtische Einrichtungen greifen gerne auf die zurück.

Besonders pikant, da im Reinigungsgewerbe ein eigener Mindestlohn gelten würde.
Das ist leider kein Einzelfall, sondern gängige Praxis.

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Bei kleinen Unternehmen gibt es sowas durchaus, aber wohl in der Gesamtzahl eher zu vernachlässigen.

Also werden die Leute zwar in der Tat in der Regel gebraucht, das heißt aber eben nicht, dass sich dies immer rentieren würde, unabhängig von der Höhe des Mindestlohns. Je nach Branche steht man ja in Konkurrenz mit Unternehmern aus aller Welt. Ab einem gewissen Lohn kommt man teils auch an einem Punkt wo sich Automatisierung lohnt.

Gerade bei niedrig qualifizierten Arbeitern kann es gut sein, dass diese dann nur mehr schwer einen Job Einstieg finden.

Dass Personal ab eine gewissen Qualifikationslevel auch deutlich drüber liegen sollte ist auch klar. Es heißt ja nicht umsonst MINDESTlohn und nicht Einheitslohn.

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Noch ein Grund dafür, dass der Mindestlohn höher sein muss: Niedrige Löhne führen zu Altersarmut, was wiederum die Staatskasse belastet.

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Aber der Mindestlohn ist doch ein Lohn der mindestens gezahlt werden muss, nicht der Lohn der für breite Teile der Bevölkerung als sinnvoller Lohn angenommen wird.

In meinen Augen sollte die Debatte ganz eine andere sein. Mindestlohn sollte ein Lohn sein, der eigentlich nur für ungelernte Kräfte und Arbeiten mit wenig Anspruch überhaupt ein Thema sein sollte. Selbst angelernte Kräfte sollten über Mindestlohn verdienen.

Würde es nach mir gehen gäbe es daher eine Staffelung mit einem moderaten Mindestlohn der einen risikofreien Einstieg ermöglicht und dann steigend. Somit wäre auch eine ungelernte Kraft besser gestellt je länger sie im Unternehmen ist. In den meisten Branchen sollte der AG bereit sein dafür mehr zu zahlen, da er ja so einen Mitarbeiter hat, der sich als zuverlässig erwiesen hat und nicht mehr eingearbeitet werden muss.
Passt man den Mindestlohn an die Anforderungen von ausgebildeten Kräften an, dann ist ein Einstieg für ungelernte Kräfte schwierig, weil sich das dann in vielen Fällen nicht lohnt, wenn man bedenkt, dass die Fluktuation dieser Kräfte hoch ist und schon heute für viele Firmen das Verhältnis aus Aufwand zur Einarbeitung und Kräften die auch länger bleiben sehr ungünstig ist.

Der Mindestlohn muss halt ein Einkommen ermöglichen das über dem liegt was das Existenzminimum einem zusichert. Und das muss je nach Region unterschiedlich sein. In München muss das aufgrund der Lebenskosten ein anderer sein als in Brandenburg. Wenn der ungelernte Arbeiter keinen angemessene Bezahlung erhält muss der Arbeitskraftnehmermarkt entweder die Löhne steigern oder aber die Lebenskosten verringern. In dem z.b Druck auf die Politik aufgebaut wird günstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Sonst müssen in München halt die Chefs putzen um es überspitzt zu sagen. Wenn man den Markt regeln lassen will, dann müssen die Regeln halt auch für beide Seiten zählen. Des weiteren sind Personalkosten ja lediglich ein Teil der Kosten der dann natürlich am Ende draufgeschlagen wird. Diese verteilen sich ja aber auf eine gewisse Masse und persönliche Dienstleistungen sind jetzt bereits meist in einem Bereich den sich die meisten nicht leisten können.

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Diese Annahme würde ich mit Vorsicht genießen. Als der Mindestlohn von neun auf zwölf Euro erhöht wurde, haben wir uns von 2/3 aller Mitarbeiter die in diesen Lohnsegment beschäftigt waren, getrennt. Es hat sich schlichtweg nicht mehr gerechnet, diese hohen Löhne zu zahlen.
Einige Teile der Stellen wurden einfach nicht mehr besetzt und andere wurden ins Ausland verlagert. Wenn das Gehalt einer Funktion die Wertschöpfung der selben überschreitet, macht es keinen Sinn mehr, diese Stelle aufrecht zu halten. Selbiges wird passieren, wenn der Mindestlohn Richtung 14 € steigt. Nicht überall – aber sicher zum Teil

Und wem dienen Arbeitsplätze, deren Wertschöpfung geringer ist als der Lohn, der für eine menschenwürdige Existenz notwendig ist?

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Ein Arbeitsplatz ist gerechtfertigt , wenn er Wertschöpfung bringt. Wenn ich das als Unternehmer nicht berücksichtige, verbrennt ich Geld. Ich sage nicht, dass der Mindestlohn unbedingt eine schlechte Sache ist. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass die Erhöhung des Mindestlohns durchaus dazu führen kann, dass solche Arbeitsplätze schlichtweg wegfallen – weil sie sich nicht mehr rentieren.

Das ist uns denke ich allen klar, die Frage bleibt:

Wenn der Arbeitsplatz wegfallen kann (also scheinbar nicht systemrelevant ist) und der Arbeitsplatz offenbar nicht in einer Weise besetzt werden kann, in der der ausführende Arbeitnehmer einen angemessenen Lohn erhält, ist es vielleicht sogar besser, dass dieser Arbeitsplatz zu diesen Konditionen nicht besetzt wird.

Zumal „wertschöpfungssteigernde“ Tätigkeiten selten vom Mindestlohn betroffen sind. Viel häufiger betroffen sind Arbeitsplätze, denen man gar keine Wertschöpfung direkt zurechnen kann: Reinigungskräfte, Servicekräfte usw…

Du schreibst ja von Beispielen in deiner Firma: Welche Arbeitskräfte wurden denn da konkret in’s Ausland verlagert oder nicht neu besetzt? Wie gesagt, die klassischen Tätigkeiten, die vom Mindestlohn betroffen sind, sind entweder systemrelevant (z.B. Einzelhandel) oder nicht verzichtbar (z.B. Reinigungskräfte) oder nicht in’s Ausland verlegbar (Gastronomie, Hotelgewerbe).

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Der Gesellschaft, wenn dadurch Leute, die sonst komplett von Bürgergeld leben würden nur mehr mit geringeren Kosten fürs aufstocken ins Gewicht fallen.
Denn selbst wenn sie Wohngeld und Kinderzuschuss beziehen zahlen sie Beiträge zur Sozialversicherung und kosten weniger.

Besser wäre natürlich durch möglichst gute Qualifikation kaum Leute zu haben deren Tätigkeit sich bei höherem Gehältern nicht lohnt.

Aber die Tätigkeiten, für die Mindestlohn gezahlt wird, werden doch zweifelsohne bestehen bleiben. Daher: Es wird immer Menschen geben müssen, die die schlecht bezahlten Tätigkeiten (Reinigung, Gastgewerbe, teilweise Einzelhandel usw.) erledigen müssen, selbst wenn 100% der Bevölkerung einen Hochschulabschluss hätte, würde eben dann ein Bachelor-Inhaber die Klos putzen müssen :wink:

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Ich meine, ein Arbeitsplatz ist ja auch kein Selbstzweck. Wenn der gleiche Wert auch ohne Arbeit geschaffen werden kann, dann kann man sich das ja sparen - insbesondere für arbeiten, die mit wenig Freude bei der Ausführung einhergehen. Es ist aktuell noch Utopie, aber: Man müsste - wenn das auf sehr viele Arbeitsplätze zutrifft - dann aber irgendwann darüber nachdenken, wie man diese Gewinne, die dann ohne Arbeit erwirtschaftet werden, sinnvoll verteilt. Sonst kommen wir in ein krasses Kapital-Oligopol. In unserem aktuellen System ist das nicht abbildbar, da braucht es eine signifikante Transformation.

Ich stimme Ihnen fast in jedem Punkt zu. Wir haben damals zwei Arten von Arbeitsplätzen abgebaut. Zum einen Reinigungskräfte. Diese haben wir allerdings teilweise durch externe Kräfte eines Reinigungsunternehmens ersetzt. Das war in Summe günstiger als die damals noch von uns selbst angestellten Arbeitnehmer. Der Großteil der abgebaut Arbeitsplätze waren allerdings Mitarbeiter in der Konfektionierung von Pigmenten. Wir haben damals Pigmente hergestellt und getrocknet. Diese mussten in relativ mühsamer Handarbeit zerkleinert und abgepackt werden.
Wir haben darauf hin diese Pigmente als getrocknete Pasten direkt nach Rumänien geschickt und dort verpacken lassen.
Das geht allerdings nur bei sehr wenigen Fertigungsschritten.