LdN 367: NYT - Ist Israel in eine Falle der Hamas getappt?

So lange die Hamas dort regiert, kann man leider tatsächlich nichts liefern, weil die Hamas natürlich alles für ihre Kriegszwecke einsetzen wird. Deshalb sind wir uns doch einig, dass die Hamas nicht wieder an die Macht kommen darf. Es liest sich manchmal so, als würdest du denken, dass wir hier einen Dissens hätten. Die Frage ist nur: Wie erreicht man das?

Ja, die Angabe des durchschnittlichen Alters von 17,7 Jahren ist auch noch aus der Zeit vor dem 07.10., was viel darüber sagt, wie schrecklich die Umstände dort auch vor dem 07.10. waren. Ich bleibe bei der grundsätzliches Position: Je schlechter es der Bevölkerung im Gaza-Streifen geht, desto fruchtbarer ist der Nährboden für Terrorismus. Vor dem 07.10. war die Situation schon extrem schlecht, jetzt ist sie schlichtweg katastrophal - und genau deshalb wird die nächste Generation der Palästinenser, wenn wir es nicht schaffen, hier eine „wohlwollende Besatzung“ zu etablieren und die Zustände massiv zu verbessern, noch extremistischer und noch fanatischer als die Generation, die den 07.10. zu verantworten hat. Und das kann doch wohl wirklich nicht in unserem oder in Israels Interesse sein.

Das Ganze kann nur zusammen gelingen. Es müssen arabische Staaten dabei sein, aber eben auch europäische und auch die USA, wenn es sein muss auch Russland und China, aber die können sich auch gerne raushalten. Es müssen alle mitmachen, weil es eine Mammut-Aufgabe ist, die von einzelnen Staaten nicht bewältigt werden kann. Dazu ist es gerade sinnvoll, wenn z.B. neben Europa auch Südafrika (welches ja sehr pro-palästinensisch ist) dabei sind, eben damit jeder sich gegenseitig ein wenig auf die Finger schauen kann.

Aber wie gesagt, um hier eine große, internationale Koalition auf die Beine zu stellen ist der erste Schritt eine offizielle Anfrage Israels oder zumindest ein Signal Israels, dass es sich dem nicht in den Weg stellen wird. Denn ohne Kooperation Israels geht es eben nicht.

Das wurde hier schon mehrfach benannt. Ägypten, Jordanien und mit Einschränkungen Saudi Arabien wären heiße Kandidaten aus der arabischen Welt mit signifikantem Anteil an palästinensischen Flüchtlingen und Friedensvertrag zu Israel. Weitere Optionen finden sich mit Südafrika oder in der südamerikanischen Welt. Auch China ist ein heißer Kandidat.

All diese Staaten machen das natürlich nicht umsonst aus reiner Freundlichkeit. Ägypten und Jordanien würden zum Beispiel mit 100%iger Sicherheit den (perspektivischen) Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten und Übergabe an einen palästinensischen Staat fordern. China und die anderen Staaten müsste man wahrscheinlich aber vor allem mit Geld, Rüstungshilfe oder Einfluss locken.

Glaubst du wirklich, dass ein, sagen wir, heute 12-Jähriger noch irgendeinen religiös-nationalistischen Überbau braucht, um die Vertreter eines Landes zu hassen, das ihm ein Elternteil und vielleicht weitere Verwandte genommen und sein Zuhause zerstört hat? Darin genau besteht doch die „Falle“: Israel zu einem Vorgehen zu bringen, das den Israel-Hass in den Palästinensergebieten massiv befeuern und Terroristennachwuchs für die nächsten Jahrzehnte sichern wird. Und nein, ich weiß auch nicht, wie genau Israel das hätte vermeiden können. Aber dass eine von Nationalisten und Hardlinern durchsetzte Regierung sämtliche Appelle und Mahnungen der UN und befreundeter Staaten in den Wind schlägt und eine humanitäre Katastrophe in Kauf nimmt, ist alles andere als hilfreich.

Was macht denn einen „heißen Kandidaten“ aus? De facto müsste eine solche Schutzmacht sowohl von Iran, Katar und Hamas als auch von Israel und den USA akzeptiert werden. Erstere werden kein Land akzeptieren, das mit Letzteren zusammenarbeitet und umgekehrt. Allein schon die Vorbedingung einer kompletten Räumung der Westbank durch Israel und die Gründung eines palästinensischen Staates zeigt, wie unrealistisch all diese Szenarien sind.

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Das ist eine relativ hypothetische Frage, da Kinder und Jugendliche sowohl im Gazastreifen als auch in der Westbank diesen religiös-nationalistischen Überbau spätestens ab dem Kindergarten tagtäglich eingeimpft bekommen. Unterschied zu früheren Zeiten, in denen es ja auch eine zum Teil brutale Besetzung gab - gibt es kaum noch Kräfte, die dem wirksam etwas entgegenzusetzen hätten.
Mein Punkt ist, dass sich weder Islamismus (im Sinne einer politischen Ideologie), noch Terrorismus, noch Antisemitismus (als eine Ideologie, die sich gegen alles [vermeintlich] Jüdische richtet) reduzieren lassen auf den sehr verständlichen Frust und Hass aufgrund der eigenen Lebenssituation.

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The report also quoted a source with knowledge of the matter saying that construction is being carried out with the aim of „receiving refugees from Gaza in the event of a mass exodus of residents of the Strip“.

Das man jetzt die Aufnahme von Flüchtlingen vorbereitet, finde ich gut. Den Status Quo habe ich nie verstanden:

Würde es eigentlich irgendjemand für akzeptabel halten, wenn die Türkei an der Grenze zu Syrien einen Zaun bauen würde, der alle Kriegsflüchtlinge dazu zwingt in Syrien zu bleiben. Wenn die EU strandnah syrische Flüchtlinge dazu zwingen würde in Syrien ihre Zelte aufzuschlagen. Und zwar mit der Begründung, dass wenn Assad den Krieg gewinnt, dann würde er die „Republikflüchtlinge“ nie wieder zurück lassen und ihre Vertreibung wäre damit permanent.

Unnamed Egyptian sources reportedly said the work is being done in order to set up an isolated buffer zone containing a walled enclosure

Das wäre dann quasi ein neuer Gazastreifen. Diesmal auf ägyptischem Boden. Und Israel hätte seinen Willen bekommen und den Gazastreifen erobert. Netanjahu lässt sich als Kriegsheld feiern. Dann ein bisschen Ruhe und dann ist das Westjordanland dran, dann vielleicht Libanon.

Das Existenzrecht Israels soll deutsche Staatsräson sein? Das gehört angeschafft. Israel ist ein aggressiver, Militärstaat, der unseren Beistand weder braucht noch verdient. Unsere historische Verantwortung haben wir dem jüdischen Volk gegenüber, vor allem denen in Deutschland aber nicht diesem Staat gegenüber.

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Das Beispiel ist leider völlig unpassend, weil es sich, ähnlich wie das Beispiel des Korea-Krieges weiter oben, in einem extrem entscheidenden Punkt stark unterscheidet: In Syrien geht es um einen Staat und ein Staatsvolk. Syrien will gerade nicht, dass die Menschen fliehen, Syrien will die Flüchtlinge gerade nicht „ausbürgern“ oder „vertreiben“

Im Falle von Israel und dem Gaza-Streifen geht es eben gerade nicht um israelische Flüchtlinge, die von israelischem Staatsgebiet in ein Nachbarland fliehen wollen. Dieser zentrale Unterschied macht die Situationen einfach nicht sinnvoll vergleichbar.

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Das ist mir etwas zu hart formuliert. Ich lehne die israelische Politik bezüglich der Palästinenser auch vollständig ab, aber ebenso, wie man verstehen muss, warum die Armut in den Flüchtlingslagern in Gaza so ein guter Nährboden für Terrorismus und Antisemitismus ist, muss man verstehen, dass die permanente Bedrohungslage durch den Terrorismus ein idealer Nährboden für antimuslimische Einstellungen, Nationalismus und Militarismus ist.

Ein derart blutiger Konflikt wie der Nahost-Konflikt, der über Jahrzehnte anhält, geht eben nicht spurlos an einem Staat vorbei. Dass Israel diese von dir beschriebenen Schattenseiten hat ist eben auch eine Konsequenz dieses nicht enden wollenden Konfliktes. Dennoch bin ich überzeugt, dass es sowohl in Israel als auch im Gaza-Streifen vernünftige Menschen gibt, die einfach nur Frieden wollen. Aber die Zahl dieser Menschen geht in beiden Ländern mit jedem weiteren Konflikt, jedem weiteren Todesfall, weiter zurück. Israel ist ein Militärstaat, weil nur ein Militärstaat in diesem Konflikt überlebensfähig ist (siehe die Kriegserklärungen zur Gründung Israels, daraus zog man entsprechende Lehren…).

Deswegen betone ich immer wieder, dass die Extremisten auf beiden Seiten der Grenze ein riesiges Problem sind, dass die Extremisten auf beiden Seiten sich gegenseitig bestärken, weil für sie der Konflikt erst enden kann, wenn ganz Palästina unter ihrer Kontrolle steht, weshalb die Extremisten beider Seiten ein Interesse daran haben, dass der Konflikt nicht zum Erliegen kommt. Aber deswegen lehne ich auch einseitige Verurteilungen Israels ab. Ich hoffe immer noch, dass die Zivilgesellschaft Israels irgendwann realisiert, dass das Wählen von Rechtaußen-Regierungen diesen Konflikt nicht entschärfen, sondern stets verschärfen wird.

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Ich halte den Unterschied für arg konstruiert. Es sind Palästinenser die von Ägypten an einer Flucht vor Krieg gehindert werden. Ob sie vor Krieg oder Bürgerkrieg flüchten, ist da unerheblich.

Die Hamas will auch nicht, dass Palästinenser fliehen. Sie brauchen sie ja als Märtyrer.

Wenn dir das nicht reicht, dann nimm halt Polen und die Ukraine. Polen darf auch keinen Zaun errichten und Ukrainer an der Flucht hindern, aus Angst, dass Putin damit eine russifizierung der Ukraine erreichen könnte und die Geflohenen nie wieder heimkehren können.

Ich weiß nicht genau, was Du mit Deinem Post sagen willst, aber Du weißt aber schon, dass genau so ein Zaun größtenteils schon gebaut ist?

Und dass der NATO-Partner Türkei regelmäßig Zivilisten in Nordsyrien bombardiert und beschießt? Und dass in der gesamten Welt außer den Kurden kaum jemanden juckt, auch nicht wenn in diesem Gebiet Millionen Menschen von einer Naturkatastrophe betroffen sind, wie bei dem Erdbeben vor einem Jahr?

Das wusste ich tatsächlich nicht. …

Aber soll ich daraus schließen, dass wir das als Maßnahme okay finden?

Das habe ich weder gesagt noch gemeint. Dein Argument war: Wenn die Türkei das machen würde, wäre die Aufregung groß. Die Realität zeigt: Die Türkei hat es gemacht und es hat kaum jemanden gejuckt.
Das könnte u. a. ein Nachdenken darüber anregen, ob es vielleicht Menschen gibt, die bei vergleichbaren Situationen an Israel andere Maßstäbe anlegen als an andere Länder.

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Ich behaupte, große Teil der israelischen Zivilgesellschaft haben das schon, es gibt ja schon lange Demonstrationen deswegen. Glücklicherweise ist Israel ein demokratischer Rechtsstaat, darum wird das auch nicht sanktioniert.

Deutschlands scheinbar bedingungslose Unterstützung hat nun auch in Deutschland rechtliche Konsequenzen:

https://www.jungewelt.de/artikel/470004.krieg-gegen-gaza-deutsche-mittäter-im-visier.html

Das wird natürlich im Sand verlaufen, das ist klar. Aber auch international könnte Deutschlands Rolle in Israels Krieg gegen die Palästinenser ein Nachspiel haben:

All das wird am Ende natürlich nichts ändern aber dabei den IGH international delegitimieren. China, Russland, afrikanische Diktatoren und jeder andere wird in Zukunft sagen: „Anklage vorm IGH droht? Pfft, das ist eh nur der juristische Arm der westlichen Welt.“

Ich weiß zwar nicht, wer oder was aus deiner Sicht Deutschland repräsentiert und was du mit „scheinbar“ meinst. aber angesichts der Warnungen etwa der des Bundeskanzlers oder der Außenministerin vor den Folgen einer Offensive in Rafah von einer „bedingungslosen“ Unterstützung zu reden (ich vermute du meinst für die israelische Regierung), ist aus meiner Sicht keine adäquate Beschreibung der Tatsachen.
Außerdem bedeutet die Absicht von jemand, Klage gegen jemand anders einzureichen noch lange nicht, dass sich das Gericht der Meinung des Klagenden anschließt.

Als ob das jetzt anders wäre. Der IGH hat Russland schon vor fast zwei Jahren aufgefordert, den Krieg gegen die Ukraine sofort einzustellen. Die Reaktion Russlands war genau das was du beschreibst. Ich würde sagen: Wenn man will, kann man für alles „dem Westen“ die Schuld geben.

[Edit: Tippfehler]

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Interessanter Ansatz. Sollte man direkt prüfen, inwieweit auch Lieferungen an afrikanische Staaten, die diese gegen Minderheiten in der eigenen Bevölkerung einsetzen, strafbar sein könnten. Vielleicht hat Nicaragua gerade den Schlüssel für mehr Frieden in Afrika gefunden.

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