Liebes Lage-Team,
zunächst einmal freut es mich als Mediziner sehr, dass ihr das Thema Gesundheitssystem aufgegriffen habt.
Es gibt, neben den Krankenhäusern an sich, noch ein weiteren Punkt, der sowohl bei euch, als auch in der Politik vollkommen unterbelichtet ist, unter uns angestellten KrankenhausärztInnen aber klar eines der wichtigsten Probleme darstellt: Das System der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte.
Ich meine dabei nicht die Grundversorger, wie Allgemein– und KinderärztInnen, sondern vor allem die operativ Tätigen oder zumindest instrumentell arbeitenden. Diese Gruppe, die in etwa einen genauso großen Anteil des Geldes im Gesundheitssystem in Anspruch nimmt, wie die stationäre Medizin ist ein zu 100 % privatwirtschaftlich agierender Player.
Im Gegensatz zum angestellten Krankenhausarzt, der unabhängig von den Indikationen, die er oder sie stellt, das gleiche Gehalt am Ende des Monats bekommen wird, hängt der Gewinn der Niedergelassen direkt mit den Indikationstellungen zusammen.
Die Problematik der Niedergelassenen ist mannigfaltig.
Z.B. werden Eingriffe häufig als belegärztliche Operationen im stationären Rahmen durchgeführt (die mieten sich also in einem Krankenhaus ein) und tauchen dann in der Krankenhausstatistik auf, obwohl sie das Werk eines Niedergelassen sind.
Mindestens genauso dramatisch ist es aber auch, dass das System der Niedergelassen die gesamte Gesundheitsversorgung verändert:
In Kliniken wird ausgebildet. Das bedeutet, dass unerfahrene ÄrztInnen und Ärzte auch Eingriffe durchführen können und dabei angeleitet werden. Unsere AssistentInnen zum Beispiel brauchen im Schnitt etwa doppelt so lange, um einen (Standard-)Eingriff durchzuführen, wie ich es selbst brauche.
Dies führt jedoch dazu, dass Niedergelassene, die nicht ausbilden und in der Regel Standardeingriffe an „StandardpatientInnen“ durchführen mit Klinikabteilungen um die zunehmend knappe OP Zeit konkurrieren.
Um noch wirtschaftlich agieren zu können, werden dann in Kliniken Abläufe erarbeitet, bei denen nur noch die schnellsten Operateure Eingriffe durchführen und die Ausbildung weg fällt.
Ihr nehmt Dänemark als positives Beispiel einer Krankenhausreform und das zu Recht.
Aber:
Dänemark hat ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem. Also nicht ca. 100 Krankenkassen + Private, die alle Werbung schalten, eigene Verwaltungen betreiben und unterschiedlich vergüten.
Und Dänemark hat ambulante Strukturen, die in staatlicher Hand sind.
Ihr sagt sinngemäß, dass ein Krankenhaus nicht nah am Wohnort sein muss.
Es stimmt, dass man für eine relevante stationäre Behandlung auch mal weiter fahren kann. Aber das Krankenhaus ist auch gleichzeitig ein Ambulatorium, wenn Niedergelassene nicht da sind oder geschlossen haben (jede Nacht und jedes WoE und manchmal Mittwoch Nachmittags).
Man muss Krankenhäuser gemeinsam mit dem Thema der Niedergelassenen und Krankenkassen diskutieren, um das ganze Bild zu haben und Lösungen erarbeiten zu können.