Das ist doch wieder nur ein wegducken vor der Wahrheit.
Letztendlich war doch jedem schon vor langer Zeit klar, dass er mit ehrlicher Arbeit (unter normalen Umständen) nicht zu Reichtum kommen kann.
Womit wir wieder bei der Frage wären, ob die von uns praktizierte Form des Kapitalismus wirklich die sinnvollste Variante ist wenn Vollzeit-Arbeit nicht für ein halbwegs sorgenfreies Leben ausreicht.
Meine These zum Elektroauto ist, dass es von der Besetzung abhängt, ob der Verbrauch pro Personenkilometer geringer oder höher ist als eine Bahnfahrt. Im konkreten Beispiel ist es für eine Reise einer 4-köpfigen Familie rein energetisch nicht sinnvoller diese Fahrt mit der Bahn zu machen. Für eine allein reisende Person hingegen ist es sehr sinnvoll.
Der Begriff „überflüssige Mobilität“ ist vmtl. ungeschickt gewählt. Mobilität ist selten überflüssig. Ob sie unter Betrachtung aller Randbedingungen die beste Wahl ist hängt von den Alternativen ab.
Diese Frage stellt man sich ja bei der Mobilität mit dem Flugzeug auch. Das kann man für Distanzen innerhalb Europas vielleicht durch den Zug ersetzen. Interkontinental gibt es aber realistisch gesehen kaum eine Alternative. Man kann vielleicht bestimmte Urlaubsflüge und Dienstreisen als verzichtbar herausstellen. Aber wie sieht es mit Familien aus, die über den Globus verteilt leben und sich besuchen wollen? Wie viel Mobilität ist hier „verzichtbar“? Das scheint mir die falsche Frage zu sein. Am Ende haben wir einfach ein begrenztes CO2- oder Energiebudget, mit dem wir auskommen müssen und wir sollten es maximal sinnvoll nutzen. Weil Fliegen besonders energieintensiv ist, werden wir uns heute wie morgen nur sehr wenig davon leisten können. Deutlich mehr Mobilität können wir uns im Kleinen leisten. Zum einen weil sie idealerweise energieeffizienter ist. Zum anderen weil die Distanzen kürzer sind. Aber Kleinvieh macht auch Mist. Jeden Tag 50 oder sogar 100km zur Arbeit pendeln verbraucht auch Energie.
Und daher muss ich sagen, dass mich hier alle drei Argumente nicht überzeugen. Woran machen wir fest, dass heutige Flatrates nicht zu einer Übernutzung führen? Was ist die Referenz und wann ist etwas „Über“-genutzt? Das dritte Argument ist m.E. genau die falsche Strategie und wurde auch schon häufig in der Lage z.B. mit Marcel Fratzscher diskutiert. Verallgemeinert heißt es: „energieintensive Dinge müssen bezahlbar bleiben, sonst leiden arme Menschen darunter“. Und tatsächlich triggert diese Verteuerung soziale Ungerechtigkeit. Genau der falsche Ansatz wäre es aber nun, die Energie (künstlich) billig zu halten. Das Problem ist nämlich nicht, dass die Energie zu teuer ist. Der Preis hat seine Berechtigung, denn er soll dazu motivieren, sich energieeffizient zu verhalten. Das Problem ist, dass viele Menschen zu wenig Geld haben. Daher sollten nicht die Energiepreise (ob bei Strom, Wärme, Mobilität) sondern die Armut bekämpft werden. Das heißt mehr sozialer Ausgleich, Pro Kopf Rückzahlung des CO2-Preises etc.
Es gibt aber auch ein paar Argumente die mich eher überzeugen:
Vielleicht ist der Grund für die Flatrate im ÖPNV ein ganz pragmatischer, nämlich dass eine streckenabhängige Abrechnung schlicht derzeit nicht einfach umsetzbar ist, oder dass sie vom Bürger nicht angenommen würde. Das hieße, der Flatrate Tarif (ob es nun 9€, 49€ oder 0€ sind) wäre vielleicht nicht die ideale Lösung aus rein energetischer Sicht. Er wäre aber unumgänglich, um Menschen vom Auto zum ÖPNV zu locken und damit ggf. in Summe besser als das heutige Modell. Für mich wäre zwar nicht notwendigerweise plausibel, dass das so sein muss. Aber zumindest könnte ich diese Denke nachvollziehen.
Die Vereinfachung ist auf jeden Fall auch ein großer Gewinn. Ich kenne Leute, die eine BahnCard 100 haben, obwohl sie dies ggf. 200€ mehr im Jahr kostet als Monatsabos in 2 Verkehrsverbünden plus mit 50% vergütete Dienstreisen an einen anderen Standort, weil es Planung und Abrechnung so einfach macht, statt Belege zu sammeln.
In meinem Heimatverkehrsverbund kostet die
normale Monatskarte für zwei Zonen derzeit 70 und ab August 76€. Ja, die ist übertragbar und ja, nach 19 Uhr kann jemand mitfahren, ob das dann so oft vorkommt ist fraglich. Mit Kindern mag das anders aussehen, ab 6 Jahren müssen die bei uns aber sowieso zahlen.
Und bei gelegentlichen Ausflügen ins Umland gilt es dann Zusatzkarten zu kaufen. Das 49€ Ticket ist hier für viele eine große logistische Erleichterung und etwas günstiger. Wie eine BahnCard 100 nur für den ÖPNV.
Die These ist denke ich klar geworden. Nur wird die Rechnung eben total verfälscht, wenn ich für die Bahn die durchschnittliche Auslastung zugrunde lege (noch dazu während einer Pandemie), für ein Auto aber fast die maximale Auslastung (und zudem noch mit einem Elektroauto rechne, obwohl die meisten Verbrenner sind). Außerdem müssten bei einer Gesamtenergiebilanz zweier Verkehrssysteme auch die Energiekosten und Emissionen für Aufbau und Erhalt der jeweiligen Infrastruktur in die Rechnung mit einbezogen werden.
Ich finde die Frage auch falsch gestellt. Aber wenn Du die These aufstellst, dass unser derzeitiges Mobilitätsverhalten zu viel Energieverbrauch zur Folge hat, kommst Du ehrlicherweise um diese Frage nicht herum. Wird sie nicht gestellt, reguliert sich das Ganze über den Preis, sprich: Wer es sich leisten kann, wird weiter so weit und so oft fahren oder fliegen, wie es beliebt und wer es sich nicht leisten kann, nicht.
Das lässt sich doch jeden Tag beobachten. Als „Übernutzung“ würde ich z.B. überfüllte Züge wie tw. zu Zeiten des 9-Euro-Tickets ansehen oder ein Fitnessstudio, in dem man warten muss, bis wieder ein Trainigsgerät frei wird. Wie ich bereits ausführte kalkulieren die meisten Anbieter ihre Flatrates mit einem Mix unterschiedlich intensiver Nutzung, die insgesamt nicht zu einer „Übernutzung“ führt.
Wenn Du einen pragmatischen Vorschlag hast, wie wir soziale Ungleichheit und Armut auf diesem Planeten beseitigen, bevor wir die Energiewende geschafft haben, bin ich ganz Ohr! Bevor es soweit ist, bedeutet das aber de facto: Wer es sich leisten kann, verbraucht so viel er/sie will und wer zu wenig Geld hat, kann halt weniger reisen.
Kurzum: Den Energieverbrauch isoliert von gesellschaftlichen Fragen zu betrachten (etwa: wer ist wie mobil? wer hat wie viel Geld für Mobilität? Welche Art von Mobilität kostet wie viel?) führt m. E. in eine Sackgasse.
Spannende Diskussion.
Was ich mich frage: wie begründet man eigentlich die Notwendigkeit von Mobilität?
Im Sinne von Erwerbsarbeit zum Geldverdienen?
Auf sozialer Ebene zur Pflege von Kontakten?
Im Sinne von Erholung, wie Motorradfahren, Wohnmobil etc?
Und was davon sollte/müsste von Staat und Gessellschaft gefördert werden? Ggf im Sinne einer Flatrate?
Und welche Mobilitätsformen, die für alle nutzbar sein müssten?
Die entscheidendere Frage ist aus meiner Sicht: wer entscheidet über die Notwendigkeit von Mobilität.
Wie „notwendig“ ist es denn, dass
- man fast überall in Europa fast das Ganze Jahr lang frische Tomaten und Bananen kaufen kann
- ein Handwerker mehrere Hundert Kilometer pro Woche unterwegs ist um zu seinen Kund:innen zu kommen
- man in Hamburg im Supermarkt Joghurt aus Bayern und Wasser aus Frankreich bekommt
- ein Professor im Prenzlauer Berg wohnen bleibt, obwohl seine Uni im Ruhrgebiet liegt
- eine Rentnerin 500 km durch Deutschland fährt, um einen halben Tag auf ihre Enkelkinder aufzupassen
- für viele Menschen 2-3 Auslandsreisen pro Jahr als Standard gelten
- ein Ingenieur morgens und abends jeweils zwei Stunden Arbeitsweg hat
Diese komplett willkürlich und ohne irgendeinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Repräsentativiät ausgesuchten Beispiele verdeutlichen aus meiner Sicht, dass es auf die Frage nach der „Notwendigkeit“ von Mobilität keine allgemeingültige Antwort geben kann, ohne die dazugehörigen gesellschaftlichen Zustände zu thematisieren. Da sind wir dann aber ganz schnell bei „wünsch Dir was“.
Bzw bei der in einem anderen aaktuellen Thread diskutierte Frage, wieviel „Freiheit“ können wir uns eigentlich noch erlauben?
Mobilität heißt für mich nicht 3mal im Jahr in Urlaub fliegen.
Mobilität heißt für mich in erster Linie Teilhabe für jeden im Alltag. Auch für durch Krankheit, Alter, Geldmangel benachteiligte Gruppen.
Wenn ein Deutschlandticket kombiniert mit einer wünschenswerten Sozialkomponente dann noch dazu führen würde, diesen Gruppen auch einmal einen kleinen Urlaub oder Ausflug zu ermöglichen: Das wäre toll.
Aber in erster Linie geht es hier doch um das tägliche Leben. Um Arbeit natürlich, aber auch um eigenständige Mobilität für Kinder und Jugendliche, Einkäufe, Arztbesuche, Hobbys, Treffen, Carearbeit, ehrenamtliche Arbeit, Behördenbesuche u.s.w. Für alle, nicht nur für Autofahrer:innen
Für diese Art von Mobilität ist eine Flatrate großartig.
Auf jeden Fall.
Doch mal provokant gefragt:
Wenn eine Gruppe Biker mit 15 Verbrennermotorrädern von Köln an den Gardasee fährt, ist das dann unnötige Freizeitfahrerei oder soziale Teilhabe und verdiente Erholung?
Will damit sagen, welche Art von Mobilität notwendig ist, ist schwer zu entscheiden, vor allem wer entscheidet das?
Na ja, die Fragen die Du da aufgeworfen hast, würde ich ja eher unter „fürchte dich vor was“ fassen
Ähm, sorry, nee, das ist keine verdiente Erholung und nicht das, was ich unter Teilhabe verstehe.
Ich möchte das nicht verbieten, aber es muss mit ausreichender CO2-Bepreisung so teuer sein, dass die Entscheidung, die jeder für sich und seine Prioritäten trifft, nicht zu leicht gemacht wird. Jedes Verhalten, dass zu Lasten aller geht (Klimaschädigung, Luftverschmutzung, Lärmbelastung, Platzverbrauch), muss teuer oder sogar verboten sein.
Notwendige Mobilität ist die Alltagsmobilität + vielleicht eine Urlaubsreise/Verwandtenbesuch im Jahr. Bzw. per öffentlichen Verkehr gern auch öfter.
Ja, zugegeben, war sehr überspitzt formuliert.
Aber wie du ja selbst eben aufzählst:
Wenn ich es als Ausdruck persönlicher Freiheit, als notwendige Globalisiering und marktwirtschaftliche Frage von Angebot und Nachfrage sehe, das ich morgens Erdbeeren aus Portugal, Tafelwasser aus Frankreich oder das Handy aus china kaufen kann, und zwar vor Ort oder online, dann fährt ein LKW oder fliegt ein Flugzeug.
Und wenn der Umsatz der Reisebranche relevant ist, dann fliegen oder fahren Menschen ins Ausland.
Ich stelle mir daher die Frage, ist das alles so noch drin? Was ist drängender? Der Klimawandel oder ein gebremstes Wirtschaftswachstum? Neutral gefragt.
Genau das meine ich mit „wünsch dir was“. Es ist aus meiner Sicht müßig, hier aufzuschreiben, welche Mobilität ich wie sinnvoll, nützlich oder notwendig finde oder wie dies reguliert werden sollte. Und wenn ich mir schon eine Welt ausmale, die so ist wie ich sie gerne hätte, dann kann ich auch gleich auf Kapitalismus und Nationalstaaten verzichten
Ich habe eher den Eindruck, dass wir aneinander vorbei reden. Die von @MarkusS zu Beginn des Threads aufgeworfene Frage nach Mobilität-Flatrates betrifft ja unmittelbar die Frage, wessen Mobilität (und damit wessen Freiheiten) wie legitim sind. Eine Besteuerung von Treibhausgasemissionen kann m. E. höchstens ein kleiner Teil der Antwort auf diese Frage sein. Ich habe übrigens nicht vor zu resignieren, aber wenn ich mir schon eine bessere Welt wünsche, dann mache ich mir wie schon gesagt nicht unbedingt zuerst Gedanken über das Steuersystem.
Das Deutschlandticket ist ein guter Schritt in die richtige Richtung. Es realisiert das Konzept der Flatrate für den ÖPNV und Regionalzüge.
ÖPNV sind aber nur ein Puzzleteil in der individuellen Mobilität. Manchmal möchte ich vielleicht ein Fahrrad fahren; zu einigen Zielen komme ich nur mit dem Auto und wenn ich mal etwas Großes transportieren möchte, brauche ich einen Transporter. Kurzum: die ÖPNV alleine können mit dem Privatauto einfach nicht konkurrieren. Im Verbund mit Car-Sharing, Taxi, Fahrrad-Verleih, usw. aber vielleicht schon. Wenn es total einfach ist.
Wenn ich Stand heute in meiner Heimatstadt Berlin „mobil“ und flexibel der Wahl der Fortbewegungsmittel sein möchte, dann muss ich mir bei X unterschiedlichen Anbietern Accounts einrichten, meine Daten hinterlegen, usw… Ich will einfach einen Account haben und über den ALLE Fortbewegungsmittel nutzen können (nicht nur ÖPNV). Am liebsten mit Flatrate, aber eine Nutzungsbedingte Abrechnung ist auch ok.
Was ich mir wünsche ist EINE Mobilitätsplattform, mit EINEM Account, mit EINER Bezahlungsmethode, über die ich dann mein Deutschlandticket buchen kann, bei Bedarf ein Car-Sharing-Auto (egal von welchem der vielen Anbieter) mieten kann, einen Roller, ein Fahrrad, you name it.
Und wenn es dann noch im letzten Dorf irgendwo ein Mietbares Fortbewegungsmittel gibt, das mich an die Hütte am See bringt, dann habe ich absolut gar keine Ausrede mehr für ein Auto.
Über dieses Konzept habe ich viel nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass diese Vision unter der gegebenen Marktsituation unrealistisch scheint. Einfach, weil ein Anbieter einer Mobilitätsplattform, über die man alle unterschiedlichen Mobilitätsdienstleistungen buchen kann, solch eine Marktmacht hätte, dass keiner der einzelnen Anbieter sich diesem einen Anbieter „unterordnen“ wollen würde. Das wäre dann nämlich ein bisschen wie ein Amazon Marketplace, der die Anbieter unter sich drangsalieren kann. Da würde keine DB, kein ÖPNV-Unternehmen, kein Car-Sharing-Anbieter jemals mitmachen.
ABER was wäre, wenn eine staatlich regulierte und finanzierte Einrichtung eine solche Plattform bereitstellte (Anm.: hoffentlich liest Wissing mit; der steht doch auch auf Digitalisierung); unter der Maßgabe den Anbietern keinen Teil des Kuchens wegzunehmen (was sonst jeder Plattformbetreiber irgendwie macht). Also sozusagen die „Bundes-Mobilitäts-Plattform“ mit einem Account, über den ich alles mögliche buchen kann. Und das Deutschland-Ticket wäre ein „Modul“, das ich mir buchen kann.
Klingt wie Träumerei? Nun ja: die Regierung organisiert mit sehr viel Geld den Aufbau von Verkehrs-Infrastruktur, Telekommunikations-Infrastruktur, uvm… Wäre eine solche „Mobilitätsplattform“ nicht auch eine Art „Infrastruktur“?
Mit diesem Beitrag will ich einfach nur eine Idee „pflanzen“ und schauen, ob etwas aus ihr erwächst. Wäre doch schön.
Für den ÖPNV gibt es diese Portal-Lösung im Grunde schon für weite Teile des Angebotes. Man kann ja bei der Bahn nicht nur Bahn-Verbindungen Buchen sondern auch Tickets für die einzelnen Verkehrsverbünde und all die privaten Bahnanbieter (ODEG, METRONOM usw.), die Bahnstrecken „bewirtschaften“.
Man stelle sich vor, man müsste für jeden dieser privaten Bahnbetreiber einzeln bei denen Fahrkarten lösen, ohne durchgehende Verbindungsplanung, ein Horror.
Car-Sharing bietet die DB in 400 Städten ja auch schon an. Insofern wäre bei so einer Plattform-Idee die deutsche Bahn sicher der Partner, den man ins Auge fassen würde.
Richtig. Die Bahn hat sogar auch schon die Fahrräder und die Parkplätze an Bahnhöfen. Nur werden die ganzen anderen Car-Sharing-Anbieter sich wahrscheinlich nicht darauf einlassen. Aber ja, die Bahn könnte diese Rolle übernehmen, wenn sie attraktive Angebote an Drittanbieter machen würde. Das wäre viel einfacher als eine neue Organisation dafür aufzubauen.