Ich finde die ganze Diskussion ehrlich gesagt etwas absurd. So wie ich es verstanden habe, hängt sie sich ja an drei Thesen auf. a) an der These, Elektroautos seien fast so ökologisch wie Bahnfahren, b) an der These dass eine Flatrate Menschen massenhaft zu unnützer Mobilität verleiten würden und c) an der These, dass das 9-Euro-Ticket nicht zu weniger Autoverkehr geführt hat.
zu a) Die zitierte „Studie“ ist aus meiner Sicht komplett hanebüchen, da sie zwei Spezialfälle miteinander vergleicht (überdurchschnittlich besetztes Elektroauto vs. Bahn in der Pandemie) anstatt zwei Normalfälle zu untersuchen (mit 1,3 Personen durchschnittlich besetztes Verbrennerauto vs. sehr viel stärker ausgelastete Bahn ohne Pandemie). Da sähe die Bilanz dann komplett anders aus. Insgesamt frage ich mich, was die Studie eigentlich zeigen will.
zu b) Es gibt Tausende Anbieter:innen in dutzenden Branchen, die Flatrates anbieten (Internet, Fitnessstudio, Bibliotheken, Kinos, Verkehrsverbünde etc.) Ich gehe mal davon aus, dass diese Unternehmen halbwegs rechnen können, d. h. sie berechnen den Preis dieser Flatrate aufgrund der zu erwartenden durchschnittlichen Nutzung. Nehmen wir mal die Muckibude: Natürlich gibt es dann den Triathlethen, der in seiner Hochtrainingsphase mindestens einmal pro Tag dort ist, aber es gibt eben auch jene, die höchstens einmal pro Woche gehen und auch jene, die in der „Abofalle“ gelandet sind und gar nicht mehr hingehen.
Natürlich gibt es bei extrem günstigen Angeboten wie dem 9-Euro-Ticket auch mehr Leute, die einfach mal „just for fun“ irgendwo hinfahren. Und das war m. E. auch das Gute an der Idee letzten Sommer - es war ein Experiment. Kein wohlüberlegtes und leider ein enormer Stresstest nicht nur für die Infrastruktur, sondern vor allem für die Mitarbeiter:innen der Verkehrsbetriebe - aber es war eben das: ein Experiment.
Ein einmaliges, auf die Haupturlaubszeit im Sommer begrenztes und extrem günstiges Angebot ist aber nicht dasselbe wie ein dauerhaft angebotenes Ticket, was knapp fünfmal so teuer ist.
Zudem war der Effekt des 9-Euro-Tickets keineswegs unerwartbar: Es gab dasselbe schon mal 1995 als das „Schönes-Wochenende-Ticket“ eingeführt wurde: Damals konnten für 15 DM fünf Personen zwei Tage lang durch ganz Deutschland fahren - und auch damals schienen das größte Problem in Deutschland Punker auf Sylt zu sein
Teil 2
Damit komme ich zu c) Der Befund ist ja, dass während des 9-Euro-Tickets die Nutzung von Öffis zwar enorm gestiegen, aber zugleich die Nutzung privater Autos nicht zurückgegangen ist. Nur ist es m. E. ein Fehlschluss, daraus zu folgern, reiche Leute, die eh ein Auto haben, seien halt weiter damit gefahren und zusätzlich noch Bahn. Meiner Beobachtung nach waren auch extrem viel Menschen unterwegs, die sonst gar nicht unterwegs gewesen wären - wie geht das? Spoiler Alert: Die können sich gar kein Auto leisten, also kann auch ihre Autonutzung nicht zurückgehen. Auch dieser Effekt war nach der Liberalisierung des Fernbusverkehrs 2013 schon zu beobachten: Wesentlich günstigere Preise führen zu mehr Nutzung durch andere Gruppen als die üblichen Bahntarife.
All das heißt für mich vor allem, dass die Öffentlichen attraktiver werden müssen - und zwar nicht nur preislich, sondern auch vom Angebot her (und von den Arbeitsbedingungen für die dort Beschäftigten). Das Problem ist nicht, dass am Wochenende 5.000 statt 500 Leute von Berlin an die Ostsee fahren wollen (die Zahlen hab ich mir grad ausgedacht(, sondern dass die Infrastruktur nur für die 500 ausgelegt ist. In so einer Situation dann tendenziell den anderen 4.500 Leuten vorzuwerfen, dass ihre Mobilität überflüssiger Luxus ist, geht komplett am eigentlichen Problem vorbei.
Ich glaube auch nicht, dass sich durch das günstige Ticket - sei es nun die 9 oder 49 Euro Variante - nennenswert Verkehr vom Auto auf die Bahn verlagern wird. Sicher ist es für manche Berufspendler eine Kostenfrage, vor allem so lange Benzin weiterhin teuer ist bzw. die Lebenshaltungskosten insgesamt. So wird der eine oder andere Berufspendler vielleicht doch auf die Bahn umsteigen, wenn sich damit Geld sparen läßt. Auf der anderen Seite gibt es mit Sicherheit viel mehr Freizeitmobilität. Von Leute, die vielleicht gar kein Auto haben und die nun zusätzliche Ausflüge machen und von anderen, die es einfach als preiswerte Möglichkeit sehen, in der Freizeit kostengünstig mobil zu sein. Es gibt ja nicht nur Erwerbslose und Rentner, sondern einfach eine große Gruppe von Menschen die sich kein Auto oder teure ICE Tickets leisten können, ein 49 Euro Ticket aber durchaus. Und wenn man das Ticket dann einmal hat, nutzt man es vielleicht auch öfter in der Freizeit. Ich selber wohne auf dem Land und fahre praktisch nie mit dem ÖPNV. Aus Gründen. Letztens habe ich es ausnahmsweise trotzdem mal getan und ganz ehrlich: ich kann auf überfüllte Abteile, ausgefallene und verspätete Züge und chaotische Zustände am Bahnhof verzichten. Vielleicht nimmt man das nicht mehr so wahr, wenn man ständig Zug fährt, aber auf einen Gelegenheit-Bahnfahrer wirkt das alles eher abschreckend und da hilft auch ein 49 Euro Ticket nichts. Also, ich finde das Ticket schon gut und richtig, aber ich bezweifle, dass es mittelfristig einen Beitrag zur Verkehrswende leisten kann.
Witzig ist, dass es diese Erfahrung auch umgekehrt gibt. Als ich damals für meine Selbständigkeit als Gesetzlicher Betreuer erstmals ein Auto angeschafft habe brauchte es auch Jahre, bis ich mich mit den ständigen Staus und dem ständigen Parkplatz-Such-Stress abgefunden habe.
Autofahrern, die sich daran gewöhnt haben, fällt ein Umstieg auf den ÖPNV mit anderen Schwächen dann natürlich schwer…
Ich weiß zwar nicht ob das irgendwelche Politiker:innen mal so dargestellt haben, aber m. E. wäre es auch ein viel zu hoher Anspruch, das von diesem Ticket zu erwarten. Alles was es leisten soll ist m. E. eine deutliche Kostensenkung und eine deutliche Entwirrung des Tarifdschungels, und zwar vor allem für Menschen, die ohnehin schon viel mit dem ÖPNV unterwegs sind - erst recht in mehreren Verkehrsverbünden. Für alle anderen wird sich das Ticket - zumindest als Abo - schlicht nicht lohnen.
Verkehrswende bedeutet aber viel mehr, als einfach ein günstigeres Ticket. Es bedeutet vor allem die Schaffung einer Infrastruktur, die den ÖPNV wirklich zu einer attraktiven Alternative macht - und zwar auch jenseits großer Städte.
Ich bin etwas ratlos, dass jetzt die Thesen im Raum stehen:
Elektroautos seien fast so sparsam wie Bahnfahrten
Man werfe den 9-Euro Ticket Nutzern vor, ihre Mobilität sei überflüssiger Luxus
Man wolle die armen Menschen von der Mobilität ausschließen
Die Leute würden mit einem Flatrate Ticket „ohne konkretes Ziel“ umher fahren
Im konstruktiven Sinne gehe ich davon aus, dass das keine gezielten Strohmann-Attacken sondern einfach Missverständnisse sind. Ich distanziere mich daher von allen o.g. Thesen und mache nochmal ganz deutlich, was die Motivation meines Themas war:
Wichtiges Ziel der Energiewende ist nicht nur die Dekarbonisierung einzelner Prozesse sondern auch das Einsparen von Energie. Denn ansonsten hätten wir keine Chance den Energiebedarf 2045 ff zu decken bzw. Strom würde extrem teuer. Deswegen brauchen wir weniger Stromfresser, weniger Raum- und Prozesswärme, weniger und effizientere Mobilität. Die Energiewende führt zu finanzieller Mehrbelastung der Bürger. Der kommen wir aber nicht entgegen, indem wir Energie verbilligen, sondern indem wir den Preis ganz bewusst hoch lassen, dann aber an anderer Stelle (bewusst sozial ausgleichend) entlasten (wollen). Ziel ist es, durch die Preissignale eine Steuerungswirkung zu erhalten.
Bei der Mobilität wollen wir, dass die Bürger vom PKW auf den ÖPNV umsteigen, weil der insgesamt energieeffizienter und durch die Elektrifizierung auch weniger CO2-intensiv ist. Das kann man erreichen, indem man den ÖPNV billiger macht als das Auto. Manche Leute rechnen beim Auto falsch und kalkulieren nur die Sprit- oder Stromkosten. Wenn man auf Nummer Sicher gehen möchte, sollte man also den ÖPNV billiger machen als diese Sprit- oder Stromkosten. Dann ist die Wahl noch einfacher. Arme Menschen haben z.T. schlechten Zugang zu Mobilität. Diese müsste man entweder pauschal entlasten oder Mobilität für sie billiger machen.
Aus alldem resultiert bisher noch nicht die Notwendigkeit, diesen ÖPNV als Flatrate anzubieten. Dieses Flatrate Prinzip verstößt nach meinem Verständnis gegen die o.g. Prinzipien, dass wir Anreize erhalten müssen, Energie zu sparen. Deswegen subventionieren wir auch keine Strom-Flatrate für Wärmepumpen, sondern nur deren Anschaffung, auch wenn diese schädlicheres Erdgas ersetzen. Wir wollen nämlich, dass die Leute trotzdem ihre Häuser dämmen und Energie sparen. Zudem ist so ein Ticket eine Maßnahme mit der Gießkanne, die mehr und weniger Wohlhabende gleichermaßen trifft.
Es kann Gründe geben, warum man ausgerechnet bei der Mobilität anders vorgeht. Diese zu diskutieren fände ich spannend und keinesfalls absurd.
vielleicht klang das Wort „absurd“ etwas hart, es war auf jeden Fall nicht persönlich gemeint, sondern ausschließlich auf die Argumentation bezogen. Aber warum Du nun „ratlos vor Thesen stehst“, die Du m. E. selbst hier aufgeworfen hast, verstehe ich nicht ganz. Im Einzelnen:
Dabei bezog ich mich u. a. auf folgende Aussage:
Dabei bezog ich mich auf:
Den Vorwurf, irgendwer wolle „die armen Menschen von der Mobilität ausschließen“, habe ich nicht erhoben.
Ich habe schon verstanden, dass Dein Hauptargument nicht Flatrates an sich sind, sondern der (mögliche) Widerspruch zwischen mehr Mobilität durch Flatrate-Tickets einerseits und dem Ziel, Energie einzusparen. Allerdings besteht dieser Widerspruch m. E. nur theoretisch. Denn er setzt voraus, dass sich die Mobilität insgesamt nicht nur verlagern lässt (auf effizientere und nachhaltigere Verkehrsträger und Energieformen), sondern dass sich Mobilität auch in einem nennenswerten Maß reduzieren lässt. Das wiederum setzt voraus, dass ein nennenswerter Teil der Mobilität verzichtbar ist - also überflüssig. Selbst wenn man das so sehen würde, stellte sich die Frage, wessen Mobilität zu welchen Zwecken als notwendig und welche als überflüssig anzusehen ist - und wer das entscheidet.
Nun sind wir aber in einer Situation, wo die Mobilität erstens von Jahr zu Jahr steigt und zweitens noch immer ein viel zu großer Teil davon mit denkbar ineffektiven und umweltbelastenden Verkehrsträgern abgewickelt wird - kurz: mit dem Verbrenner-Auto. Dies ist auch immer noch der Verkehrsträger, der am stärksten staatlich subventioniert wird (ok, vielleicht nach dem Fliegen). Und in dieser Situation darüber zu diskutieren, ob mit einem 49-Euro-Ticket vielleicht zu viele Menschen mit der Bahn hin- und herfahren und dadurch die Klimaziele gefährden, finde ich einfach wirklich absurd, sorry.
Bei aller notwendiger Diskussion über das Ticket erlaube ich mir einen Einwurf: Im Podcast wurde - so ganz nebenbei - ein Seitenhieb auf die IT-Infrastruktur der DB AG verteilt. Die Einführung des Tickets war aber auch für alle interessierte Nutzer dieses Angebotes „mit Ansage“. Ich habe bislang noch keine Bedenken in Bezug auf das Nutzerverhalten der BahnkundInnen vernehmen können. Die an dieser Stelle durchschimmernde Anspruchshaltung befremdet mich erheblich.
Wenn ich es richtig verstehe, dreht sich die Mobilitätsdiskussion doch um das Thema Ressourcenschonung. Eine Infrastruktur an mitunter unsinnigem und unreflektiertem Nutzerverhalten auszurichten, verbraucht ebenfalls Ressourcen.
Aber ich bin mir nicht sicher…
"Prinzipiell ist dadurch ein gewisser sozialer Ausgleich enthalten. Es könnte aber zum einen als ungerecht empfunden werden von denjenigen, die den ÖPNV wenig nutzen. Zum anderen bekommen jetzt Menschen eine Flatrate, die sie gar nicht brauchen, was aufgrund der o.g. Logik zu noch mehr unnötiger Mobilität führen könnte. "
Mal ein Zitat rausgegriffen.
Ist ein „sozial gerechtes“ System überhaupt möglich? Auch bei der eMobilität fahren Leute da grosse eAutos, die sie so gar nicht brauchen in drm Format, andere können kein eAuto nutzen, obwohl sie es gerne möchten. Denke eine 100% Lösung ist utopisch.
Aber einen flächendeckenden halbwegs zuverlässig nutzbaren ÖPNV, ideal klimafreundlich, aus Steuermitteln, wäre wohl erfolgversprechender für eine Mobilitätswende als eine gewinnorientierte marktwirtschaftliche Lösung.
Und darum sollte man das auch nicht von Autofahrern annehmen.
Bei mir ist die Mobilität durch einen Dienstwagen gewährleistet und ich habe auch nicht das Verlange nur aus dem Grunde Auto zu fahren, weil das ja kostenlos ist.
Die Annahme ist beleidigend.
Es geht in beiden Fällen eher darum, dass Fahrten unternommen werden, die ohne bestehende Flatrate als „nicht lohnenswert“ wahrgenommen würden. Niemand geht davon aus, dass Leute „nur zum Spaß“ ÖPNV fahren oder „nur zum Spaß“ mit dem Dienstwagen quer durch Deutschland fahren.
Aber aus eigener Erfahrung weiß ich sehr wohl, dass z.B. das Vorhandensein eines NRW-Semestertickets dazu geführt hat, dass ich wesentlich mehr z.B. auf Konzerten und anderen Veranstaltungen quer durch NRW war, als ich es ohne das Ticket gewesen wäre. Denn 20 Euro für ein Konzert und 0 Euro für die Fahrt ist eben wesentlich verlockender als 20 Euro für das Ticket und 30 Euro für die Anreise… manches Konzert ist für 20 Euro eben eine Option, während es für 50 Euro keine Option ist. Und das gilt auch für Dienstwagen.
Ich finde das Beispiel mit dem Semesterticket und dem Konzert super. Erstens zeigt es, dass es „Flatrates“ im ÖPNV schon längst gibt. Zweitens zeigt es, dass dadurch nicht automatisch eine „Übernutzung“ stattfindet und drittens zeigt es den Nutzen solcher Angebote, gerade für Leute mit nicht so viel Geld. Die Alternative wäre doch, dass nur Leute zu dem Konzert fahren, denen die 30 Euro zusätzlich egal sind - und die kämen dann vermutlich nicht mit der Bahn.
Ein Ticket, das einfach zu kaufen, unkompliziert zu nutzen und im besten Fall günstig ist, kann sich nur positiv auswirken. Vielleicht so positiv, dass sich sogar einige Menschen überlegen, das Auto ganz abzuschaffen. Voraussetzung wird natürlich sein, dass die öffentlichen Transportmittel zumindest ansatzweise funktionieren, während gleichzeitig die Privilegien der Autofahrer:innen abgebaut werden. Das ist jetzt die Herausforderung.
Eine Zunahme an Mobilität wird fast immer dafür sorgen, dass die wirtschaftliche Aktivität zunimmt und dass ein Ausgleich von Chancen stattfindet.
Wie viele Menschen gibt es, die bestimmte Sachen gar nicht machen können, weil ihnen die Möglichkeit fehlt, um dorthin zu fahren? Wie viele solche Geschichten wurden während des €9-Tickets geteilt?
Aber anscheinend hat das nicht geholfen. Arme Menschen sind der FDP und auch der Mehrheit von Deutschland schlichtweg egal.
Nun ja, in Deutschland wurde nun in den letzten Jahrzehnten das Leistungsprinzip propagiert. Grundsätzlich ja ok, aber wer nicht zu den Leistungsträgern zählte, war oft ja „selbst schuld“, und brachte nicht die gesellschaftlich gewünschte Leistung.
Erst in den letzten Jahren rückten die benachteiligten und schwächeren mehr in den Fokus.
Egal wäre da bezogen auf die Mehrheit wohl etwas hart.