Ich bin da ambivalent. Möglicherweise hast du recht.
Andererseits habe ich in der Wissenschaft (öffentliche Institute und Universitäten) erlebt, dass solche Dinge wie in der Graichen-Causa völlig normal sind.
Ich habe erlebt wie Stellen jobsuchenden Familienmitgliedern von Institutsangehörigen zugeschustert wurden (oder falls der Lehrstuhlinhaber sich anders entscheidet, ist das Kollegium entsetzt). Forschungsstellen werden teils (/oft) nicht nach Fähigkeiten verlängert oder vergeben, sondern nach Sympathie oder persönlichen Beziehungen.
Ein Freund bewarb sich im Post-Doc auf Professoren-Stellen. Sein Track-Record machte ihn zum top Kandidaten. Unter der Hand beim Konferenz-Bier wurde er hingegen zur Seite genommen und darüber informiert, dass man die Stelle einem anderen Kandidaten geben werde, da ein Kommisionsmitglied mit diesem vor Jahren bereits zusammen gearbeitet hätte und ihn gut kenne. Tatsächlich flog mein Freund in der Endrunde raus, der angekündigte Wunschkandidat bekam die Stelle.
Auch bei der Vergabe von Forschungsgeldern habe ich mehrfach mitbekommen, dass ein gutes Netzwerk weit wichtiger ist als die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit. Da wurden Professoren als (Erst-)Autor in Fachartikel oder in Projektanträge geschrieben, obwohl diese keinen Handschlag daran getan haben. Das war nötig, da man wusste, dass deren Namen die positive Begutachtung zum Selbstläufer macht. Nicht weil die Gutachter von dessen Genialität im Fachbereich überzeugt waren, sondern weil man sich einfach sehr gut kennt.
Andere Forscher, die sehr gute Arbeit und tolle Veröffentlichungen ablieferten, aber sozial schwierig sind, mussten hingegen stets um die Finanzierung ihrer Arbeitsgruppe kämpfen, geschweige denn um eine eigene Verlängerung ihrer Post-Doc-Stellen, zittern.
Daher verwundert mich der Fall Graichen wenig. Ich denke, ein signifikanter Teil der Finanzierung und Stellenbesetzungen der öffentlichen Forschung läuft über persönliche Beziehungen. Und eigentlich wissen wir das doch alle.
Genau diesen Mechanismus sehen wir nun eben im Fall von Graichen. Ich fürchte, wenn der Fall Graichen nun der Maßstab ist, dann müssten wir auch viele Wissenschaftseinrichtungen neu besetzen.