Huhu, ich bin begeisterte Hörerin der Lage der Nation und finde es gut, dass ihr das Thema aufgemacht habt, auch wenn ich überhaupt nicht eurer Meinung bin. Es wurde hier schon viel gesagt, dem ich mich anschließen kann. Auch ich bin für die Abschaffung von § 218 StGB und zwar deswegen, weil der Paragraph ungewollt Schwangere kriminalisiert, die sich gegen die Fortsetzung einer Schwangerschaft entscheiden. Dass er sie am Ende unter bestimmten Bedingungen nicht sanktioniert, ist natürlich historisch ein Fortschritt, (wenn auch ein hart erkämpfter.) In der Lage klang es ein bisschen so, als ob es den gebärfähigen Menschen ja im Grunde egal sein könnte, dass es den § 218 gibt, weil man ja unter Umständen nicht sanktioniert wird. Das Argument halte ich für nicht haltbar und zwar aus folgenden Gründen.
- Die schlechte Versorgungslage resultiert aus der Kriminalisierung. Viele Ärztinnen bieten diese medizinische Leistung nicht an, weil sie mit mit Rechtsbrüchen verständlicherweise nichts zu tun haben wollen. Und auch für viele gebärfähige Menschen ist das Verbot trotz Sanktionsfreiheit ein großes Thema. Ich bin hier in meiner Stadt in einem Pro-Choice-Bündnis aktiv und wir hören immer wieder von Betroffenen, dass das Verbot sie sehr belastet hat und es schwierig gemacht hat, die in ihrer Lebenslage richtige Entscheidung zu treffen. In meiner Stadt ist die Versorgungslage sehr prekär. Wir sind deshalb in Kontakt mit Beratungsstellen und auch mit (angehenden) Ärztinnen und hören auch von ihnen immer wieder, dass der § 218 und die Umtriebe der Anti-Choice-Bewegung (z.B. möglich Belagerung von Praxen) viele Ärzt*innen davon abhalten, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten. Ich kann mir schwer vorstellen, wie man unter diesen Rahmenbedingungen die Versorgung deutlich verbessern könnte, denn wenn der Staat weiterhin gleichzeitig sagt „wir wollen das nicht“ und „wir wollen, aber dass es möglich ist“, ist das am Ende nur verwirrend und abschreckend für alle Beteiligten.
- Das Verbot gibt der Anti-Choice-Bewegung Futter. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass sie jede Möglichkeit und jedes Schlupfloch nutzen Betroffenen und Ärzt*innen das Leben schwer zu machen. Der Staat sollte meiner Ansicht nach hier deutlich sagen, dass ein sieben Wochen alter Embryo etwas anderes ist, als ein 8 Monate Fötus oder gar ein geborenes Kind. Auch wenn die Grenze nicht 100 % klar sein mag, ab wann ein Mensch ein Mensch ist, gibt es hier deutliche Unterschiede, die auch eine unterschiedliche rechtliche Behandlung erfordern.
Meiner Ansicht nach, sollte es das Recht einer gebärfähigen Person sein, sich innerhalb der ersten zwölf Wochen für oder gegen die Fortsetzung zu entscheiden. Das würde das Selbstbestimmungrecht gebärfähiger Personen unterstreichen und erheblich dazu beitragen, dass die Versorgungslage sich bessert.
Es wurde in der Lage auch gefragt, ob man das Thema nicht unterm Teppich lassen könnte, weil es so viel Eskalationspotential bietet. Ich kann verstehen, wenn man auf das Thema keine Lust hat, aber leider können wir als Pro-Choicler*innen gerade nicht die Füße still halten. Auch hier ist meine Stadt wieder ein gutes Beispiel:
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Der erste Grund, warum sich unsere Gruppe hier vor Ort gegründet hat, war die die Mobilisierung der Abtreibungsgegnerinnen, die hier jedes Jahr fröhlich durch die Stadt marschiert sind. Dabei stigmatisieren sie Menschen, die sich gegen die Fortsetzung einer Schwangerschaft entscheiden oder entschieden haben, verbreiten Unwahrheiten über medizinische Sachverhalte und schüchtern Betroffene und Ärztinnen ein. Wenn wir da die Füße still halten würden, dann hätte ihnen in der Öffentlichkeit niemand hörbar widersprochen, die Versorgungslage würde sich also weiter verschlimmern.
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Der zweite Grund dafür, dass wir politisch aktiv geworden sind, ist die schlechte Versorgungslage. Viele Ärztinnen, die Abtreibungen früher vorgenommen haben, waren politisierte Menschen aus der „zweiten Welle“ der feministischen Bewegungen. Aber davon sind die meisten nun in Rente. Die Versorgungslage scheint sehr elementar davon abzuhängen, ob Ärztinnen das anbieten, weil sie das Selbstbestimmungsrecht von Schwangeren aus politischen und humanistischen Grünen wichtig finden. Daher müssen wir jetzt wieder kämpfen und hoffen, dass sich über unsere Öffentlichkeitsarbeit wieder mehr Menschen bereit erklären.
Ich hoffe, dass ihr das Thema in der Lage nochmal aufgreift und auf die vielen guten Argumente, die in diesem Thread genannt wurden, noch einmal eingeht.