Langzeitarbeitslos, Ask Me Anything - 2. Anlauf

Hallo an alle, hab’s nicht vergessen - hier ist der zweite Teil vom AMA. Den ersten Teil findet ihr hier, und dort könnt ihr auch die Hintergründe nachlesen: Ich bin langzeitarbeitslos. Ask Me Anything

Weil der Thread vor zwei Wochen zu unübersichtlich geworden ist, muss das glaube ich etwas anders aufgebaut werden. Das heißt, ab jetzt gilt: Fragen per Direktnachricht an mich, ich poste dann Frage und Antwort in einem Rutsch. D.h. eure Fragen sind nun anonym, auch mit dem expliziten Hintergedanken, dass ihr euch trauen sollt „dumme“ Fragen zu stellen.

Bitte antwortet nicht hier. Dies ist für die Übersichtlichkeit nur der AMA-Teil. Zur Diskussion hier lang: Diskussion zur AMA

Ich beginne im Lauf des Tages mit ein paar übriggebliebenen Fragen aus dem alten Thread.

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Ich beginne einfach mal mit einer kleinen Erzählung aus meiner Lebensrealität.

Als mein erster Bürgergeld-Antrag anstand, war ich gerade in stationärer Therapie und daher stand mir eine Sozialarbeiterin mit dem Antrag zur Seite. Als sie meinen Wohnort hörte, war sie schon leicht am seufzen („oh nein nicht die!“). Jap, Niete gezogen. Nun. Wir erinnern uns an das Krankengeld, das mit Bürgergeld aufgestockt werden musste, d.h. es war kein 0815-Fall und benötigt prinzipbedingt mehr Nachweise, klar. Das KG an den Regelsatz anzurechnen erscheint mir persönlich nicht als Hexenwerk.

Die erste Ladung Anlagen zum Bürgergeldantrag enthielt also eine kurze schriftliche Erklärung meiner Sozialarbeiterin auf Klinikbriefbriefbogen und allem, sehr offiziell von einer Fachperson aufgesetzt. Wir versuchten alle möglichen Beleganforderungen zu erraten. Ich habe digitale Backups all meiner Unterlagen und wir konnten diese in der Klinik easy doppelseitig (!) ausdrucken. Der Stapel war zwei Zentimenter hoch (!) und musste in eine Versandtasche. Ich fand das an sich schon abstrus. Dennoch, wir waren optimistisch, dass das open-and-shut durchgehen könnte trotz der kritischen Augen beim Jobcenter.

Joa.

Es gab insgesamt drei Nachfragen. Das heißt, im zeitlichen Verlauf

  • 1stündiges Treffen mit Antragstellung
  • Nachfrage des Amts
  • Nachreichung, heißt, ein weiteres Treffen
  • Nachfrage und 1-2 Tage darauf noch eine, bei mir trafen sie gleichzeitig ein
  • zweite Nachreichung

Die nachgeforderten Belege waren extrem bescheuert und absurd, und beim dritten Treffen als ich mit zwei neuen Briefen ankam war sie ausgeflippt und hat ihre Kolleg*innen gerufen und vorgelesen, was die alles für Belege haben wollen, und sie haben sich darüber lustig gemacht. Basically waren sie sich aber alle einig ob der Affigkeit des Vorgangs.

Ich möchte noch anmerken:

  • In der Erzählung stecken mehrere Wochen Vorgang. Das ist alles Zeit, in der kein Geld kam. Mir war das recht egal wegen der Rücklagen, aber was machen jene ohne diesen Luxus?

  • Teilnehmde waren ich mit meinem super Deutsch und Tendenz zur Pedanterie sowie eine Fachfrau, wie ergeht es Leuten, die mal was verlieren und keine Hilfe haben?

  • Ein paar Belege erforderten konkreten akuten Aufwand. Also ich musste meinem Vermieter hinterherrennen für eine Mieterbescheinigung. Ich sagte Plural. Das ist also nicht einfach so, dass man da eben was drucken und antworten kann, ne ne. Es war alles sehr nervig.

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@SchnappAdler

Gibt es Dinge die du tust, die deiner Ansicht nach eigentlich „Arbeit“ sind, die dir nur keiner bezahlt? (Ähnlich wie Carearbeit zum Beispiel). Du schreibst dass du Urban Gardening machst, gibt es weitere solche Bereiche? (Das schließt meiner Ansicht nach auch Soziales mit ein, wer 10 Stunden die Woche mit Bekannten/Freunden sich deren Probleme anhört leistet auch Arbeit.)

Also ich bin hauptsächlich wirklich nicht mehr arbeitsfähig, das muss ich echt betonen. Ich mache sicher Dinge, die andere als Arbeit ausüben, aber für mich ist die Vorstellung belanglos und daher gibt’s von mir ein nein. Ich bringe aber gerade zweien das Kochhandwerk bei. War am Anfang arg frustrierend aber wird.

Könntest du dir prinzipiell vorstellen wieder ins Berufsleben zu gehen, wenn dir jemand einen Job bei einer Sache anbieten würde, die du gerne machst? Also z.B. einmal die Woche Urban Gardening oder so?

Geht um den Druck im Job. Gerade bei Dingen, die ich gerne mache hatte ich immer Schiss, dass der Job es mir verleiden würde.

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@Christian_B1

Das klingt ein wenig so, als ob du davon ausgeht nie mehr zu arbeiten und somit nie mehr komplett oder zum Teil deinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Stimmt das oder täuscht der Eindruck?

Und wenn dem so ist, handelt es sich um eine Erkenntnis aus medizinische Untersuchungen …? Oder eine persönliche Annahme, dass eine Besserung deines Gesundheitszustandes kaum möglich ist? Oder Resignation?..

Resignation trifft es gut. Die Idee, einfach für mich selber sorgen zu können, habe ich Jahre vertreten, und dafür mehrmals bis zum Kollabieren gearbeitet. In der Abendschule war ich ja auch. Ich habe solange gewollt bis ich nicht mehr konnte, und dann dauerte es noch ein paar staatlache Fausthiebe in die Magengrube bis ich auch das Wollen aufgab. Vorstellen musst du dir das wie eine innere Kündigung, aber mit der gesamten Gesellschaft hier.

Rückblickend finde ich meine Servilität befremdlich. Genauso wie ich es jetzt befremdlich finde, dass Unlust auf einen Drecksjob ein Stigma ist, Mensch da geb ich einmal mein rationales Selbstinteresse zum Besten und dann sowas. ^^

Aber ernsthaft, wer hat denn Bock sich den ganzen Tag anschreien oder sonstsie abusen zu lassen um dann den mageren Lohn von der Inflation weggeschröpft zu bekommen? Also ich nicht. Aber das ist eben das Los der Peitsche, sie ist billiger, aber leider kein guter Motivator.

Ein paar weitere Anekdoten und Gedanken

  • Eine Story, die mir immer wieder durch den Kopf geht: Mein Rechtsbeistand berichtete von einem früheren Schützling, dem sie wegen seiner Blindheit ein Merkzeichen für den Behindertenausweis beantragen wollte, damit dieser kostenlos ÖPNV fahren kann. Abgelehnt wurde der Antrag mit der Begründung, er könne ja noch laufen.

  • Wie wir gerade bei einem Behindertenausweis wären, für den qualifiziere ich mich tatsächlich, aber ohne Zusätze das sind nur Steuervorteile für Einkommen. Von meiner Warte aus ist die Unzugünglichkeit verschiedener Leistungen, entweder durch diese strukturelle Ausschlüsse, Bürokratie, etc. recht offensichtlich kein Makel sondern das Ergebnis zynischer Präzision.

  • Eine Rechtsbetreuung zu haben heißt auch nicht, dass ich diese ganzen zusätzlichen Leistungen in Anspruch nehmen kann. Die zunehmend komplizierten und langwierigen Vorgänge gehen von ihrer Arbeitszeit ab. Wir müssen da schon priorisieren.

  • Meine Psychiaterin bzw. das Institut, in dem sie arbeitet, kann weder Krankmeldungen noch Rezepte in digitaler Form ausstellen. Weil da gerade auch viel Rotstift und Personalkarrussell ist, kann ich mich auch nicht mehr wirklich mit einem Mitarbeiter abstimmen oder kommen telefonisch durch. Ich musste jetzt die Tage auch wieder zweimal hinfahren. Es ist sehr ermüdend, vor allem, weil es immer der gleiche Stein ist, den ich den gleichen Hügel hochrollen muss.

Habe noch eine Story, die wirklich so passiert ist. Die Vorgeschichte dazu ist ein handwerklich schlecht geamachter Mietvertrag einer WG mit Pauschalisierung von Nebenkosten. Die Kosten der Wohnung sind aber so niedrig, dass mein Regelsatz immer noch 3stellig ist und das in einer Großstadt. Der strittige Betrag selbst kann prinzipbedingt nicht über 50-100€ monatlich liegen und es ist wirklich immer noch eine günstige Wohnung für den Staat, egal wie man’s dreht.

Aber stellt euch vor, ihr werdet eines Tages von einer Klingelt geweckt und draußen stehen zwei so Heinis vom Jobcenter, unangekündigt und sagen dir, dass du sie zwar nicht reinlassen musst, aber sie müssten sich die Wohnung anschauen, um den Antrag weiter bearbeiten zu können. Also müssen sie dann doch rein. Ich fand das extrem suspekt und habe ihnen gesagt, sie sollten nochmal mit Termin kommen.

Mein Rechtsbeistand war nicht so begeistert und meinte, ich hätte sie reinlassen sollen, um das schneller abzuschließen. Ich bin allerdings der Meinung, dass ich komplett richtig gehandelt habe. Das hätte sonstwer sein können und so Jobcenter-Ausweise kann sich jeder drucken, weiß ich doch nicht wie die echten aussehen.

Anyway, dann kamen sie tatsächlich mit Termin und sie durften rein. Und dann haben sie mich zu zweit mit fragen gelöchert und gebohrt obwohl das meine Panik getriggert hat. Die ganze Aktion war sehr schräg und hat zu nix geführt, weil sie dann die Wohnkosten eh gekürzt haben.

Nur, es hat mir Stunden und Tage echt Panik und Angst gemacht, was da passiert ist, und das ist nicht der Weg, wie psychisch angeschlagene Menschen ins Leben zurück kommen. Das muss jedem klar sein. Dass Geschichten, Ärgernisse und Hindernisse wie diese eher Regel aus Ausnahme sind hat dazu geführt, dass ich nach 2-3 Jahren davon eher arbeitsunfähiger geworden bin als arbeitsfähiger.

Ich glaube auch, dass dies so ein wenig der Grund ist, warum das bedingungslose Grundeinkommen so viel Zuspruch erfährt, obwohl es ökonomisch kompletter Murks ist: Ich kann nicht der einzige sein, der sich mal nach ein paar Wochen bedingsloser Existenz sehnt, denn wir Leben alle extrem bedingungsvoll.